Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0596: Die Doomsday Clock


Atomphysiker, Herausgeber und wieder einmal Nobelpreisträger drehen ständig an der „Doomsday Clock“. Und verkündigen damit seit 70 Jahren den allzu baldigen Weltuntergang. Das ist mittlerweile wirklich schädlich und die „Uhr des Jüngsten Gerichts“ gehört endlich abgeschaltet.

Download der Episode hier.
Opener: „Will Trump presidency impact Doomsday Clock?“ von CBS This Morning
Closer: „Simpsons’ doomsday“ von Elle Mille
Musik: „Uhrwerk (2015)“ von DOGO / CC BY-NC-SA 3.0

Es ist wieder soweit! Fünf Minuten bis zum Weltuntergang! Vier Minuten zur Apokalypse! Drei Minuten bis Armageddon! Und nun, zwei und eine halbe Minute und wir alle werden sterben! Die Doomsday Clock wurde letzte Woche wieder 30 Sekunden Richtung Untergang verstellt! 180 Sekunden!

Und alle Medien berichten über diese Tatsache, ist ja auch wirklich einfach und schnell geschrieben. Denn die „Uhr des Jüngsten Gerichts“ warnt ja schon seit 70 Jahren vor den Gefahren, denen sich die Menschheit durch ihre eigenen Technologien aussetzt. Kann man den gleichen Artikel immer wieder verwenden!

Dabei beginnt die Geschichte dieser Uhr eigentlich schon sehr ironisch. Mit dem Manhattan Project. Mit Wissenschaftlern, die sich überzeugen ließen, dass die Nazis an einer Atombombe basteln. Einer Weltuntergangswaffe eben. Und die darum für die USA eben eine solche entwickelten. Als diese Waffe zweimal eingesetzt wurde, wandelten sich die Waffenschmiede aber voller Entsetzen plötzlich in Friedenstauben.

Ja, es ist wahr, die Doomsday Clock, die uns vor nuklearen Gefahren mahnt, wurde von den Menschen erdacht, die diese Gefahren persönlich erst in die Welt gerufen haben. Sozusagen eine Übersprungsreaktion eines sich nachträglich einschaltenden Gewissens.

Die Wissenschaftler des Manhattan Projects gründeten zuerst das sogenannte „Bulletin of the Atomic Scientists“ auf deutsch schlicht das Berichtsblatt der Atomwissenschaftler. Das kursierte erst in ihren eigenen Kreisen, aber wurde bald zu einer richtigen Publikation, die mittlerweile auch in 15.000 Hochschulen und Universitäten weltweit ausliegt, aber eigentlich seit 2009 nur noch online erscheint.
Ja, verstehe ich auch nicht, aber beide Behauptungen finden sich auf der Website…

Und deren Herausgeber erdachten sich im Jahre 1947 die Doomsday Clock. Um öffentlich über die Atompolitik zu diskutieren. Um auf die Gefahren nuklearer Waffen hinzuweisen. Um sich nachhaltig für Abrüstung einzusetzen.

Die Uhrenmetapher kommt natürlich von der Redensart: „Jetzt ist aber fünf Minuten vor zwölf!“, die es eben genau so auch im Englischen gibt.1947 war die USA die einzige Atommacht, also stellte man den Weltuntergang auf gemütliche 11:53 h. Schlimm, aber kein Grund zur Panik.

Zwei Jahre später hatten die Russen die Atombombe und man verrückte die Zeiger sofort auf 11:57 h. Drei Minuten bis Ultimo. Man könnte auch sagen, die Metapher ist seit 1949 eigentlich kaputt. Sprachlich gesehen.

1953 folgten die ersten Tests an Wasserstoffbomben. Und zwar von amerikanischen und russischen weapons of really f**king mass destruction. Der Zeiger wanderte auf 11:58 h. Zwei Minuten bis zur nuklearen Auslöschung der Menschheit!

Aber der Kalte Krieg blieb kalt und irgendwie zeichnete sich ab, dass weder die eine noch die andere Seite eine Auseinandersetzung beginnen würde, die den Angreifer auch auslöscht. Nachdem also 1963 beide Seiten beschlossen, jetzt genug Regionen auf unserem Planeten mit Atombombentests für Jahrhunderte verstrahlt zu haben, einigte man sich darauf, das in Zukunft zu lassen.

Das Bulletin Board entspannte sich komplett und stellte die Zeiger gnädig auf 11:48 h zurück. Was auf dem Papier toll klang, war aber eher eine Finte. Die beiden Großmächte testeten nämlich munter weiter, aber halt unterirdisch. Und die Franzosen, Engländer und Chinesen bombten derweil gar fröhlich oberirdisch weiter.

Und so rückte die Uhr unerbittlich weiter und weiter vor, bis sie Mitte der Achtziger wieder auf 11:57 stand, so wie letztes Jahr auch. Doch dann kam Gorbatschow, die Perestroika und der Untergang der Sowjetunion. Das gab den Panikmachern genug Spielraum, um die Uhr zurückzustellen auf 11:43 h – das war 1991 und so schön sollte es nie mehr werden. Wenn man davon absieht, dass „Wind of Change“ von den Skorpions der Top 1 Hit war.

Denn in den USA war man wirtschaftlich gesehen mittlerweile so abhängig von der dauernden Rüstung, dass man gar nicht auf die Idee kam, sich von nuklearen Waffen zu verabschieden. Der nächste Gegner kommt bestimmt, Holzzauge sei wachsam und wo bitte ist mein Lobbyisten-Scheck, liebe DARPA?

Im Jahre 2002 waren wir schon bei 11:53 h angekommen und seit 2007 ist die Uhr nie wieder hinter „fünf Minuten vor 12:00 Uhr“ zurückgefallen.

Die Atom-Bulettinisten suchten sich auch bald neue Felder der Angstmache und erweiterten ihre Horrorszenarien seit 2007 um die Klimaerwärmung, dann bald um die Machtübernahme der Roboter, dann um die Gefahr durch menschgemachte Viren und so weiter und so fort.

Liest man heute in den Ausgaben des Bulletin, dann finden sich da wissenschaftlich klingende Abhandlungen über einen Weltuntergangsvirus, über transgene Pflanzen, die uns vergiften werden, über die Nanotechnologie, die unsere Produktion lahmlegen wird, über bösartige Hacker, die unsere Technologien ausbeuten und über tötungsfreudige militärische Roboter, die wie Skynet die Macht an sich reissen werden und deren Prioritöt Nummer ein es ist, uns auslöschen.

Die Macher der Doomsday Clock, das sind die Herausgeber und ein beratender Stab von Nobelpreisträgern – die schon wieder – veranstalten sogar Konferenzen, um sich neue Gefahren auszudenken und neue Bedrohungen herauf zu beschwören.

Und damit ist das ganze Konzept beim Teufel. Ich habe praktisch mein ganzes Leben mit einer Doomsday Clock verbracht, die mit erzählt hat, es sei weniger als fünf vor zwölf. Und wenn man fünfzig Jahre lang angeschrien wird: „Die Welt geht unter! Die Welt geht unter! Die Welt geht unter!“, dann wird man auf dem Ohr halt taub.

Die Doomsday Clock und ihre alarmistischen Macher sind mir herzlich egal. Sie nützen der Sache schon lange nicht mehr, sie schaden und sollten endlich bitte aufhören. Würden bitte auch alle blöden Nobelpreisträger ihren Preis nehmen, auf den Kaminsims stellen und zu allen Themen außerhalb ihres Fachgebiets endlich die Klappe halten!

Weltuntergang als Symbol für einen atomaren, globalen Konflikt ist völlig in Ordnung. Und für Abrüstung zu sein ist edel. Ich bin der Meinung, wenn wir nicht irgendwann alle atomaren Waffen abschaffen, haben wir ein Problem. Wenn die Wahrscheinlichkeit eines Einsatzes nur bei 1% liegt, dann ist das, auf hundert Jahre gerechnet, beunruhigend viel.

Aber bei Klimakatastrophe oder selbstfahrenden Autos brauchen wir keinen Alarmismus und keine dauernden Warnrufe, sondern eine gezielte Diskussion darüber, wie wir damit umgehen. Wie wir Länder wie Bangladesh darauf vorbereiten, dass sie bald ein Drittel ihrer Scholle ans Meer verlieren werden.

Doch die Macher des Bulletin Boards wollen gar keine Diskussion über Lösungen, das ganze Blatt ist mittlerweile nur dem Weltuntergang gewidmet. Das Paris-Protokoll, das Klima-Abkommen vom 4. November, war ein Durchbruch. Von den 197 Ländern der Weltklimakonferenz mussten mindesten 55% dieses Protokoll durch ihre Parlamente bringen und das ist gelungen. Das schien noch vor einem Jahr unmöglich.

Dem Bulletin Board war das keine Minute wert, auch keine dreißig Sekunden. Kein Grund zur Freude oder zur Entspannung, den beteiligten Wissenschaftlern geht das alles nicht weit genug. Das ist nicht verbindlich, das ist keine Lösung, der Weltuntergang wird wegen so einem Scheiß doch nicht vertagt!

Jetzt hat man die Uhr also noch einmal dreißig Sekunden nach vorne gestellt. Und im Pressetext ist ganz deutlich zu erkennen, dass das dem neuen amerikanischen Präsidenten gewidmet ist. Ca. wie in: Je unberechenbarer die Menschen an den roten Knöpfen sind, desto höher die Gefahr.

Das ist ja wahr. Wie auch all’ die anderen Gefahren wahr sind. Aber siebzig Jahre Panik vor dem drohenden Untergang sind einfach genug. Ich brauche in meinem Leben keine Astro-Physiker, die mir erzählen, wie die Menschheit an Ebola verendet, weil Terroristen das einsetzen werden.

Die Macher der Doomsday Clock haben sich selber überflüssig gemacht und stehen mittlerweile dem Fortschritt im Weg. Wir müssen nüchtern diskutieren, wie wir den Schlamassel verwalten, den wir angerichtet haben. Ohne Panik und ohne Angst, denn es werden drastische Schnitte notwendig sein.

Schaltet also die „Uhr des Jüngsten Gerichts“ ab. F**k the Doomsday Clock! Also ich meine jetzt so bildlich. So cool halt, so slangmäßig und nicht wörtlich. Wie in Big Lebowski halt. Nicht in echt oder so. Weil Sex mit einer Uhr, das issja schon irgendwie… sehr befremdlich…


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 February 1, 2017  14m