Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0614: Honnies Insel


Bevor die kurioseren Kapitel der DDR-Geschichte verloren gehen, lasst uns schnell noch darüber senden! Z.B. über „Honnies Insel“ mitten in der Karibik. Wo eine Statue im Sand liegt und vom Endsieg des Sozialimus träumt.

Download der Episode hier.
Beitragsbild: Von Bundesarchiv, Bild 183-L0619-026 / CC-BY-SA 3.0, CC BY-SA 3.0 de, Link
Opener: „Ernst Thälmann-Lied“ von Arbeiterlieder
Closer: „Schlussszene aus Thälmann – Führer seiner Klasse (1954)“ von geschichte history
Musik: „Internationale Spanish“ von TheGuevarist

„Das ist alles genau wie in der Weimarer Republik!“ Hallihallo und sorry! Aber diese profunde Analyse der Gegenwart begleitet mich schon ein Leben lang.

Heiner Geissler gab der Friedensbewegung in der Weimarer Republik die Schuld am Wahlsieg der NSDAP; als die Grünen in den Bundestag einzogen, hielten die Kommentatoren unser Parteiensystem für zertrümmert; als die Republikaner populär wurden und nun, während sich die AfD zerlegt: Immer war es genau wie in der Weimarer Republik. Immer schon lauerten die Nazis gleich hinter der nächsten Litfaßsäule um – Sieg Heil – sofort wieder die Macht an sich zu greifen.

Und immer schon war dieser Vergleich nichts anderes als ein Mittel um Aufmerksamkeit zu erregen. Die Zustände in Deutschland zwischen 1918 und 1933 sind niht mit heute zu vergleichen. Ein Beleg dafür sind z.B. die Schlägertrupps, die damals in den Großstädten unterwegs waren, um sich in schöner Regelmäßigkeit Prügeleien oder Messerstechereien mit dem politischen Gegner zu liefern.

Eine ganze Generation desillusionierter junger Männer organisierte sich nach dem verlorenen Ersten Weltkrieg in sogenannten Frontkämpferverbänden. Drei Millionen im „Reichsbanner“, 400.000 im extrem rechten „Stahlhelm“ und im Durchschnitt mindestens 50.000 jeweils in der S.A. und im „Roten Frontkämpferbund“.

Politik als Fortsetzung des Kriegs mit anderen Mitteln.

Der Chef dieses „Roten Frontkämpferbunds“, das war eben Ernst Thälmann. Das ist wohl im Horst-Wessel-Lied, sorry Ernst-Thälmann-Lied mit „Faust der Nation“ gemeint. Als Parteivorsitzender der KPD organisierte er diese brav zu einer stalinistischen Organisation um. Nach 1933 landete er im KZ und wurde 1944, wahrscheinlich auf direkten Befehl Hitlers, erschossen.

In der DDR wurde Thälmann dann zum poster boy und man klebte seinen Namen auf alles, was nicht schnell genug fliehen konnte. Arbeitskollektive, Betriebe, Schulen, Straßen, Plätze, das ist klar. Es gibt aber auch fünf Gemeinden weltweit, die nach ihm benannt sind, einen ganzen Gebirgszug und… und… Eine Insel mit zwei Bergen und dem tiefen weiten Meer!

„Und der Oscar für die komplizierteste Einleitung in der Geschichte des Explikators geht an… OMG, wer hätte das gedacht? Geht an Ernst Thälmann! Thälmann ist immer dabei! Bravo! Bravo! Bravo!“

O.k. Cut. Lassen wir den QUatsch. Blenden wir um zum 19. Juni 1972, Erich Honecker empfängt hohen Besuch. Il Commandante höchstpersönlich. Fidel Castro, der Mann, der die DDR mit Bananen und Orangen versorgte. Und weil er ein höflicher Gast ist, hat er eine Überraschung im Gepäck. Er rollt eine Karte aus.

„Hier, Honnie! Da hat das stolze Volk der DDR eine eigene Insel! Isla Ernesto Thaelmann! Und hier, in dieser Bucht ist der Playa RDA, der Strand der DDR. Und darauf steht eine wunderschöne Büste mit Kopf von Thälmann, vier Meter groß! Und wunderschön, habe ich schon gesagt wunderschön?“

Ob sich Honnie wirklich über diese winzige Insel in der entlegensten Ecke Kubas gefreut hat, weiß die Historie nicht zu berichten. Vielleicht war es doch falsch, den Kubanern dafür heimlich sechs Prozent der DDR-Exportanteile für Weißzucker versprochen zu haben.
Zu spät, jetzt hatte Honnie seine Insel.

Das „Neue Deutschland“ berichtete brav am nächsten Tag davon. Dieses Geschenk des kubanischen Volkes sei ein „Akt der unverbrüchlichen Freundschaft zwischen Kuba und der DDR“.
Dann wurde es sehr ruhig um die Insel.

Im Sommer 1975 aber flanieren am Strand der DDR die Schlagerstars Frank Schöbel und Aurora Lacasa entlang und knödeln dabei von der schweren Wärme und dem Wind und den Blumen, die so leuchtend sind. Einmal lief das Musikvideo zur „Insel im Golf von von Cazoooones!“ im Ostfernsehen, aber der Titel schaffte es nicht auf Platte.

So stand da also der Ernst Thälmann und blickte in die Karibik. Weil er etwas nah am Wasser gebaut war, spritzte ihn jede Flut erneut nass und Salztränen liefen über sein Gesicht. Als ob er über den Zusammenbruch des real existierenden Sozialismus tief berührt wäre.

1998 war selbiger schon recht weit untergegangen, aber etwas Anderes war in der Sommerluft zu spüren. Mitch. Einer dieser Hurrikane, die typisch sind für das karibische Klima. Mitch, wahrscheinlich vom Klassenfeind beauftragt, schubst unseren ehemaligen Volkshelden einfach unsensibel um. Da liegt er nun, mit dem Gesicht im Sand, angespuckt von den Gezeiten. Clip_01 Bis 1998 eben.

2001 erhält die Redaktion von „Thema1“, einem Internetmagazin, einen Anruf von einem Hörer. Im Speicher seiner Oma war da dieser Zeitungsausschnitt über dieses Eiland da in der Karibik. Die gehört anscheinend der DDR!“ Und so meldeten die Qualitätsjournalisten am 12. Februar 2001:
“17. Bundesland vor Kuba – Fidel schenkte uns eine Sonneninsel!”

Ein Platz an der Sonne, das wollten wir Deutschen ja schon immer, also freuten sich am Tag darauf auch die taz, die Bild und alle anderen, die Geld bekommen für’s Veröffentlichen. Eine neue deutsche Exklave! War die DDR doch noch für etwas gut! Eine Insel! Hurra!

Vierzehnter Februar, die Party ist schon wieder aus. Das Auswärtige Amt meldet sehr ernüchternd, dass mit der Insel, das gültet nicht. War nur Spaß. Ein symbolischer Akt. Nicht mehr. Das hätte nichts, aber auch gar nichts mit realen Besitzverhältnissen zu tun. Ende Geländer.

Matthias Kästner, Bankkaufmann aus Pirmasens, ist besonders enttäuscht. „Nu, denn goffma halt det Inselschen!“ Ach nee, in Pirmasens können’se ja kein Sächsisch. So wie ich ja auch nicht.

Für 30 Millionen DM wird sich der Maximo Lider schon erweichen lassen und dem deutschen Volk seine Insel schon wieder hergeben. Für 5 DM kann man schon einmal vorab einen Quadratmeter Isla Ernesto Thaelmann kaufen. Wenn genug Leute mitmachen, dann kaufen wir uns den verdammten Platz an der Sonne!

Mitinitiator der „Initiative Ernst-Thälmann-Insel“ Marcel Wiesinger träumte gar öffentlich von einem Refugium für Ostalgiker, die dort in Trainningsanzügen Morgengymnastik veranstalten unter der Anleitung von Animateuren, die genauso aussehen wie unser Honnie, Marx hab’ ihn selig.

Eine tolle Idee! Eine Grasroots-Bewegung, wie wir sagen. Eine gecrowdfundete Insel! Ein Paradies für alle Ostalgiker mitten in der Karibik! Völlig enthusiastisch beteiligte sich… niemand. Eigentlich beteiligte sich niemand an der Aktion. Na ja, Wiesinger und Kästner halt…

Und so liegt der Ernst in Kuba immer noch im Sand. Die ganzen Inseln der Schweinebucht sind schon lange militärisches Sperrgebiet. Wer ihn besuchen wollen würde, braucht einen Passierschein. Aber es gibt gar keine Passierscheine.

Seit Frank und Aurora an ihm vorbeischlenderten, hat ihn keiner mehr besucht. Außer die Flut, die ihn bei jedem Besuch ein winziges Stückchen weiter vergräbt.


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 March 15, 2017  14m