Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0644: Wölfe in Yellowstone


Ein Leben lang habe ich gelernt, dass ich als Mensch mit daran schuld bin, dass die Natur leidet. Darum rührt mich die Geschichte, wie die Wölfe das Öko-System in Yellowstone repariert haben, sehr an. Ach, wie schön wäre es, wenn das auch noch wahr wäre!

Download der Episode hier.
Opener: „WOLVES HOWLING SOUND EFFECT“ von n Beats Sound Effects
Closer: „Family Guy Nasty Wolf Pack“ von Monster Marios
Musik: „Wolf (2010)“ von JOOSTVD / CC BY-NC-SA 3.0

Menschen sind schlecht für die Natur. Das haben wir alle gelernt. Wir haben ein schlechtes Gewissen, einfach nur weil wir Menschen sind. Und so viele auch noch. Und Schweine essen, Kälber schlachten und ganze Landstriche in Raps- oder Mais-Monokulturen verwandeln und damit das ökologische Gleichgewicht ruinieren.

Wenn das aber erst einmal gestört ist, dann geht alles den Bach runter. Eine Kaskade von Echt-Scheiße-Gelaufen geht los und am Schluss sind ganze Landstriche verwüstet. Berühmtestes Beispiel ist der Kaninchenkrieg in Australien. Dort veröden die mümmelnden Hopser ganze Landstriche. Darum hat auch kaum ein Ozzie Probleme damit, dass die jetzt mit genmanipulierten Killerviren bekämpft werden.

Ein anderes berühmtes Beispiel sind die Wölfe im Yellowstone-Nationalpark. Das ist eine Riesenfläche in Wyoming, Idaho und Montana – ziemlich genau so groß wie das Bundesland Berlin – die wir Menschen seit 1872 der Natur überlassen haben. Der erste Nationalpark der Welt.

Wir hatten schon damals ein schlechtes Gewissen und dachten, einige kleine Scheiben der Welt müssen wir natürlich belassen. So wie sie waren, bevor wir in Massen in diese Regionen eingefallen sind.

Also Natur schon und so. Cool. Aber Wölfe natürlich nicht. Das geht natürlich nicht. Uncool. Die fressen Elche und Schafe und kleine Kinder und Little Red Riding Hood. Und geben nebenbei erwähnt auch schöne Trophäen ab über dem Kaminsims, diese Biester.

Natur: klar! Aber die Jagdsaison ist eröffnet: Für den großen, bösen Wolf machen wir eine Ausnahme. Das war Dummheit der Stufe eins. 1918 wurden in Yellowstone noch 38 Wölfe geschossen, seit 1924 lief keinem Jäger mehr einer vor der Flinte. Er war aus Yellowstone vertrieben.

Das war eine gute Nachricht, vermeldeten die Medien. Endlich konnte man in Ruhe campen und sogar seine Kinder, Rotkäppchen und die Hausschafe mitnehmen. Die Nachricht wurde positiv aufgenommen, vor allem im Wohnzimmer von Familie Elch, die sofort mit der Produktion von Nachwuchs begann. Denn Elche sind cool, weiß man ja von Rocky und Bullwinkle, und Wölfe sind uncool.

Der ganze Park war nun ein leckeres kaltes Buffet und so schlemmerten die Elche über Jahre hinweg die leckersten Gräser, Büsche und – eine besondere Delikatesse – die kleinen Weidenschößlinge. Elch-Kaviar.

Die Babyweiden wurden aber dadurch nicht mehr zu the Weidenmamas and the Papas. Was wiederum die Biber sehr verunsicherte, denn für ihre Dämme brauchen sie genau dieses Holz. Sie können ja schlecht auf die Berge klettern, Mammutbäume fällen und dann wieder Kilometer hinunter zum Yellowstone-River schleppen.

Also beschlossen die Biber die Bauarbeiten einzustellen und die Fortpflanzung auch und machten sich daran auszusterben. Ohne Biberdämme aber entstanden auch keine Feuchtgebiete mehr und der Fluss wurde schneller und ließ immer weniger Wasser im Park zurück. Yellowstone begann zu vertrocknen und zu erodieren. Mit jedem Jahr wurde der Park ein Stückchen wüstenähnlicher.

Dummheit Nummer zwei war es, diesem Prozess mit Maßnahmen wie Baumpflanzerei und Zäunen und massiven Jagderlaubnissen zu begegnen. Die Elche waren nicht aufzuhalten. Die Biber kamen nicht wieder, die Erosion war nicht zu stoppen.

Übrigens hatten auch die Koyoten damals die Nachrichten gelesen. Weil keine Wölfe mehr da waren, verließen sie ihre geliebten Berge und wurden Flachlandbewohner. Ihre Speisekarte waren Kaninchen, alle möglichen Vögelarten bis hinauf zu den prächtigen Adlern und so starb eine Tierart nach der anderen aus.

Stand der Dinge 1995 also: Ein Nationalpark, der eben ein richtiger Park ist. Hektische Menschen, die den Verfall stoppen wollen, indem sie an diesem Rädchen drehen und an jenem. Rotkäppchen, die kleinen Kinder und die Lämmer wollten nicht mehr so richtig zu Besuch kommen, nur die Jäger freuten sich darüber, dass sie so vielen Bullwinkles wie sie nur wollten, eine Schrotladung ins Geweih ballern konnten.

Auftritt Wolf. I’m back, baby! Nachdem wir vor 100 Jahren die Wölfe praktisch überall verdrängt hatten, waren die auf einmal wieder cool. Das waren die neuen amerikanischen Superhelden. Denn sie räumten den Nationalpark wieder ordentlich auf und machten die ganze Kaskade, die oben beschrieben wurde, wieder rückgängig.

Jetzt ist alles wieder in Butter, das ökologische Gleichgewicht ist wieder hergestellt. Die Biber und die Bären und die Adler sind alle wieder da, der Fluss wieder gestaut, alle sind glücklich. Wie dumm wir doch damals waren, auf der Dummheitsstufe eins. Hahaha…

Jetzt sind wir auf Dummheit Stufe drei. Die besteht darin, dass wir diesen Erfolg in drolligen Gifs ins Internet pflastern. Und ein Natur-Romantiker nach dem anderen diese tolle Story von den tollen Wölfen in sein Blog klebt. Wir haben alles wieder gerichtet, in dem wir der Natur ihren Lauf gelassen haben. Ach, waren wir dumm, aber die weise Mutter Natur, die hat uns vergeben.

Und das ist eben dumm, weil die Erfolgsstory der Superheldenwölfe fake-news ist. Man muss nicht tief recherchieren, um zum Schluss zu kommen, dass die meisten Ökologen, die sich mit Yellowstone beschäftigen, die Erfolgsmeldungen nicht so richtig verstehen.

Die Elchpopulation hat sich verkleinert, stimmt. Und es sind sogar wieder ein paar Biber da. Die Koyoten jagen mittlerweile lieber wieder in den Bergen. Aber keinerlei Gleichgewicht hat sich hergestellt. Und die Weiden sind immer noch vom Aussterben bedroht, egal, wieviele kitschige Gifs von keimenden Bäumchen wir verbreiten.

Man kann Dummheitsstufe drei auch prima daran erkennen, dass es jetzt wieder Jagderlaubnisse für Wölfe in Yellowstone gibt. Wir pfuschen weiter munter vor uns hin.

Und das müssen wir auch. Die romantische Vorstellung, dass es auf der einen Seite uns Menschen gibt und auf der anderen Seite die weise Mutter Natur ist an der ganzen Misere mit schuld. Denn Evolution ist kein intelligenter Prozess. Und stabile ökologische Systeme sind nur ein menschliches Konzept. Die weise Mutter Natur hat schon beinahe zweimal alles Leben vom Planeten gewischt. Wenn ein cleverer Virus daherkäme, der alle Wirbeltiere töten will, dann würde Mutter Natur den auch schalten und walten lassen. Die macht immer nur mit den Überlebenden weiter.

Um die Dummheitsstufen zu verlassen, muss sich unser Bewusstsein ändern. Wölfe sind nicht cooler als Kellerasseln, Koyoten nicht böser als Biberbabies, Elche nicht eine Landplage wie z.B. Snapchat und wir haben zu keinem Zeitpunkt die Möglichkeit, alles wieder einfach seinen Lauf zu lassen, um alles zu reparieren.

Wenn es uns nicht mehr gäbe, vielleicht weil Mutter Natur in ihrer Güte einen Extravirus gebastelt hat, dann würde genau nichts mehr so sein wie vor dem Homo sapiens. Es wäre völlig anders. Keine der 100 Tierarten, die wir bis jetzt ausgerottet haben, käme wieder. Und ich meine damit nur Säugetiere, vom restlichen Gemetzel reden wir lieber nicht. Das macht der Natur aber überhaupt nichts. 99% aller Tierarten, die es auf dem Planeten jemals gab, hat sie auch schon ohne uns ausgerottet gehabt.

Es wird Zeit anzuerkennen, dass wir den ganzen Planeten in einen Park verwandelt haben. Der ganze Planet ist unser einziges Natur-Reservat und wir sind für den ganzen Planeten verantwortlich und nicht nur für Bibermama und Biberpapa.

Statt zu hoffen, dass Mama Natur schon wieder alles richtet, müssen wir die Pubertät endlich überwinden und so schnell wie möglich lernen, mit den Ressourcen des Planeten auszukommen. Denn wir sind gar nicht von der Evolution losgelöst und auch nicht von der Natur. Wir sind immer noch ein Teil davon. Wir alle müssen soviel lernen über unseren Planeten wie es nur möglich ist und wir alle müssen Parkwächter werden. Und zwar schnell.

Dann muss der Wolf nicht abwechselnd der Bösewicht oder der Held sein – so funktionieren nur Märchen. Ach, wegen Wolf übrigens, Anekdote aus meiner Heimat: Wir in Bayern, wir sind gerade wieder auf Dummheitsstufe eins. Wenn es nach der CSU geht, und es geht immer nach der CSU, dann haben wir bald wieder die Jagderlaubnis für den großen, bösen Wolf.

Ach, ob es überhaupt Wölfe hier gibt? Nein. Wahrscheinlich keinen einzigen. Wenn man davon absieht, dass da in Straubing ein Einheimischer einen hinkenden Wolf fotografiert hat. Vielleicht. Könnte auch ein streunender Schäferhund sein. Das Foto ist nicht sehr scharf…


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 May 9, 2017  14m