Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0645: Die Päpstin


Die Welt diskutiert die Gleichstellung homosexueller Ehepaare und im Vatikan herrscht immer noch der Machismo des Mittelalters. Keine Frau wird zur Pfarrerin. Obwohl es ja einmal eine Päpstin gab. Oder?

Download der Episode hier.
Opener: „How to Become Pope“ von CGP Grey
Closer: „Robin Williams on the Vatican and homosexuality“ von RobWillSelfDestruct
Musik: „Johanna – acoustic live (2016)“ von RH8 / CC BY-NC-SA 3.0

Ich liebe Bücher!

Eines meiner absoluten Lieblingsbücher innerhalb der letzten 2 Jahrzehnte, war „Die Päpstin“! Vor allem natürlich deshalb, weil in dieser Story ein schwaches, dummes Weib, die katholische Kirche beherrscht. Als Päpstin. Eine Frau auf dem heiligen Stuhl, eine Frau, die alle an der Nase herumführte, ein blosses Weib, das die höchste Position in der katholischen Kirche innehielt.
Als Oberhaupt, nur noch Gott als Vorgesetzten, innerhalb eines patriarchalischen Systems, innerhalb eines seine Autorität an sich reißenden männlichen Systems. Unglaublich, unvorstellbar.
Auf alle Fälle faszinierend, eine schwache Frau die die starken Männer dominierte, eine Alice Schwarzer im Mittelalter. Denn Frauen ist der Weg ins Priestertum heute wie schon zu Zeiten der Päpstin vor rund eintausendzweihundert Jahren grundsätzlich verwehrt. Da hat sich also zumindest in dem Punkt nicht wirklich viel in der Katholischen Kirche getan…

Umso unglaublicher klingt diese Geschichte aus dem frühen Mittelalter.

Viele Indizien sprechen dafür, dass diese Frau wohl im 9. Jhdt. als Papst Johannes der Achte, die katholische Kirche regierte.

Die Legende um die Päpstin Johanna ist seit dem 13. Jahrhundert überliefert. Die ursprünglichen Formen der Sage berichteten von einer namenlosen Päpstin, die wahrscheinlich gegen Ende des 9. Jahrhunderts amtiert haben soll.

Nun, … es kam dazu, dass wahrscheinlich um 814 das wissbegierige Mädchen Johanna mit der Gabe Aeskulapius’ von einem Pädagogen aus dem fernen Byzanz in die Lehren der Philosophie und Logik eingewiesen wurde. Aeskulapius’ ? (Aesculap der unvergleichliche Meister der ärztlichen Heilkunst) Doch sie ist nur ein Mädchen, kann dies nicht rechtzeitig verstecken und beinahe wird Johanna ihr Wissensdurst zum Verhängnis.

So geht sie als Mönch verkleidet ins Kloster zu Fulda. Nach ihrer Ausbildung dort reiste sie als gelehrter Medicus weiter nach Rom, die Stadt des Papstes – wo sie mit Geistesschärfe glänzt und als Johannes Angelicus an der römischen Kurie rasch Karriere macht.

Dann versiegen genauere Aufzeichnungen. Angeblich aber wird Johanna, nein – sorry, in Rom natürlich jetzt der Johannes Angelicus, Leibarzt des Pontifex. So arbeitete sie sich hoch, bis ein Johannes, der Achte zum Oberhaupt der katholischen Kirche gewählt wird.

Johanna, die als Mann verkleidet den Stuhl Petri besteigt ist nun als Papst vollkommen souverän und unabhängig. Sie hat, für mittelalterliches Verständnis den besten Job der Welt.

Das sich hinter dem angeblich so femininen, verweichlichten Johannes unser „Superhirn“ Johanna versteckt, dafür gibt es gaaanz klare Indizien.
Warum – bitte – sollte es in Rom denn sonst eine Gasse geben, die „Gasse der Päpstin“ heißt – „Vicus Papessa“? Eine Straße einer Päpstin weihen, obwohl es keine Päpstin gibt? Ich meine, es gibt viele bizarre Riten im katholischen Glauben – denken wir nur an die 52 Backenzähne der Jungfrau Maria – aber Gassen Fantasynamen geben? Nö.

Und, wenn wir gemütlich durch die malerische Gasse wandeln, dann können wir auch heute noch ein kleine Ikone bewundern, die unsere Heldin darstellen soll. Das wäre Beweis Nummer zwei.

Und, zuguterletzt, gibt es einen weiteren bizarren Ritus im Vatikan. Die päpstliche Hodeninspektion im Geschlechterstuhl….
Im Vatikan gab es einen solchen. Um keinerlei Zweifel aufkommen zu lassen, musste sich ein neu gewählter Papst auf einen Stuhl mit Löchern setzen, sodass man beim darunter Liegen feststellen konnte, ob es sich tatsächlich um einen Mann handelte. Auf diesen Stuhl setzte sich ab sofort jeder neu gewählte Papst, um das Treuegelöbnis seines Klerus entgegenzunehmen. Für eine von Männern dominierte Kirche ziemlich peinlich, oder?

Doch das Gerücht ging um, dass erst nach Päpstin Johanna jeder Papst sich auf diesen Stuhl setzen und diese Art Geschlechter Untersuchungen über sich ergehen lassen musste, um zu verhindern, dass eine zweite Frau auf den Stuhle Petris gelangte… dies bedeute natürlich, dass sie sich dieser Untersuchung wahrscheinlich doch entziehen konnte und so der Wahrheitsoffenbarung entging.

So, der Kuchen ist gegessen, alle Brösel liegen auf dem Boden…
Und diese wunderbare Geschichte rührt uns… eine einsame Frau auf dem Siegeszug im dunklen Mittelalter.

Bloß – zu genau hinkucken darf man nicht.

Denn, die Via Pappessa wurde in Wirklichkeit… nach einer dort bis ins 10. Jahrhundert residierenden Adelsfamilie, den Papés., benannt … Gasse der Familie Papés.

Nun ja und die päpstliche Ikone stellte sich als fehlgedeutetes Madonnen-Bild heraus.

Und die komische Mode mit den Löchern in der Sitzfläche der Stühle gab es schon mindestens hundert Jahre vor dem Johanna-Fall.

Issja auch klar. Eigentlich. Da gebiert Papst Johannes der Achte während einer Prozession auf der Straße ein Kind vor den Augen der Römischen Bevölkerung und wir haben davon mehr als vierhundert Jahre keine einzige Quelle? Mit die denkbar größte Sensation und gleichzeitig einzigartige Blamage der katholische Kirche in einem tief katholischen Europa und keine Quellen…? Die ersten Manuskripte über die Päpstin werden ins 13. Jahrhundert datiert.

Und dann schreiben alle anderen eindeutig von dieser einen Quelle ihre Berichte ab? Is auch irgendwie komisch… Dokumente der Legende, die vor das 13. Jahrhundert datiert werden, sind nicht bekannt. Dünnes, Eis Johanna, tut mir sehr, sehr leid…
mir wär die Alice Schwarzer des Mittelalters echt lieber gewesen.

Aber dennoch bleiben Fragen. Warum z.B. setzten sich gerade im Mittelalter zahlreiche kirchliche Gelehrte ernsthaft mit der Gestalt der Päpstin auseinander, wenn doch ihre Existenz scheinbar so leicht zu widerlegen war?
Mit der Diskussion über die Päpstin verknüpfte die Kirche die Rechtfertigung, dass Frauen eben NICHT dazu geeignet seien, sakramentale Weihen zu empfangen.

Und zeitgenössische Theologen vertreten sogar die Meinung: „Die Päpstin steht für die Unfähigkeit des weiblichen Geschlechts überhaupt, und damit um nichts anderes als das Abstreiten einer weiblichen Amtsfähigkeit, gleichgültig wie begabt eine Person auch sein mag.“


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 May 10, 2017  13m