Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

https://morgenradio.de

subscribe
share






Expl0646: Cowboy Bebop


Ist „Die Biene Maja“ Anime? Oder „Sindbad, seht wieviel Glück dieses Kind hat“? Vielleicht. Anime ist bei uns nicht so populär, weil sich in dieser Gattung so viel Unbekanntes mischt. Und vieles auch sehr trivial ist. Aber mit „Cowboy Bebop“ hat das Genre auf jeden Fall ein Meisterwerk geschaffen.

Download der Episode hier.
Opener: „Tank! Cowboy Bebop“ von flashmanbebop
Closer: „Cowboy Bebop best scene“ von anurag kashyap
Musik: „Safe and Warm in Hunter’s Arms (2016)“ von ROLLER GENOA / CC BY-NC-SA 3.0

Ach nöööö…. Echt nicht! Diese japanischen Zeichentricks – nein, danke. Chihiro ist ja ganz nett, aber allgemein kann ich nix anfangen mit eurem… Wie heißt das? Anime? Nee. Kucke ich lieber ‘was Realistisches. Wie „Game of Thrones“. Oder „Tatort.“

So oder so ähnlich kann man das immer wieder hören. Und ich kann das gut verstehen. Auch wenn „Tatort“ natürlich Fantasy ist und „Game of Thrones“ ein eigenes Genre. Nennen wir es Slasher-Soap. Aber wurst.

Ich kann das so gut verstehen, weil ich auch ein Anime-Spätentwickler bin. Klar, da war in meiner Jugend „Captain Future“, stimmt schon. Aber dann war für mich lange Pause. Bis zu den Filmen des Studio Ghibli, die gleich eine ganze Reihe von Meisterwerken geschaffen haben. „Das Schloss im Himmel“, „Chihiros Reise ins Zauberland“, „Porco Rosso“, „Prinzessin Mononoke“ oder „Die letzten Glühwürmchen“ sind alle sehenswert. Und „Mein Nachbar Totoro“ ist einer meiner Lieblingsfilme aller Zeiten.

Aber, wenn man sich mit Anime auseinandersetzen will und Google bemüht, dann kann das schon eine sehr verwirrende Reise werden. Schulmädchen mit Atombusen, die von Tentakelmonstern vergewaltigt werden, die gibt es da wirklich. Und es gibt auch viel Rosa, Herzchen und Regenbogen. Und viel Magie, Zauberei und Übermenschliches.

Alles ist möglich im Zeichentrick. Und im Anime besonders. Weil man die Produktionskosten mit einer abgespeckten Animation niedrig halten kann, darf man im Anime einfach einmal alles versuchen.

Man könnte ja zum Beispiel hingehen und ganz bunt Genres mixen.

Man nehme alte Western, Bruce-Lee-Filme und die Gangsterfilme des amerikanischen Film noir und schüttelt das kräftig durch. Das packt man dann in einen Mürbteig aus Science Fiction. Zutaten hierbei sind 2001 – Odysee im Weltraum, Alien und Star Trek.

Gewürzt wird das mit einer Portion Dirty Harry und einer Prise von „The Crow“. Und damit das alles genießbar ist, serviert man es mit genialer Musik, die ihre Wurzeln im Jazz hat. Im Bebop, genauer. Trotzdem ist sie irgendwie jetzt noch – 20 Jahre später – moderner als alles, was wir in den iTunes-Top-Ten finden.

Was dabei herauskommt, ist meine Lieblings-Anime-Serie. Und die heißt „Cowboy Bebop“. Und wenn ihr nichts mit Anime anfangen könnt: Kuckt „Cowboy Bebop“. Auch wenn ihr Science Fiction nicht mögt: Kuckt „Cowboy Bebop“.

Ich verrate extra nichts von der Handlung und nichts von den Figuren. Ich verspreche hiermit, nichts zu spoilern, um euch den Genuss nicht zu nehmen. Und, seltsam, wenn ich so darüber nachdenke… Ich meine, ich liebe die Figuren alle. Bis auf Julia. Aber irgendwie ist das gar nicht das Wichtigste…

Klar, eine Truppe von Kopfgeldjägern in der fernen Zukunft, die verdächtig nach dem gegenwärtigen New York ausschaut, das ist an sich ein interessantes Setting. Und dass ihnen alles nicht gelingt und sie chronisch pleite sind, ist auch realistisch. Wenn ich so meine Kontoauszüge anschaue…

Aber das ist nicht die Art, Cowboy Bebop zu beschreiben. Auch die Tatsache, dass hier ausnahmsweise wirklich ein großer Handlungsbogen in 26 Folgen erzählt wird und nicht im Nachhinein zusammengeschustert wird, – (hüstelt) Star Wars – ist nicht wichtig. Schließlich ist jede Episode ein eigener, anderer, eigenständiger Kurzfilm.

Es ist gut zu erkennen, das die Macher – der geniale Shinichiro Watanabe als Art Director und die ebenso geniale Yôko Kanno als Komponistin – das man versucht hat, jede denkbare Emotion in den Zusehern auszulösen. Cowboy Bebop ist also spannend. Und lustig. Und auch sehr drollig. Vor allem ist die Serie aber auch sehr traurig.

Sie handelt von einer Gruppe von Menschen, die zusammen gewürfelt wird und die trotzdem nicht dicke Freunde werden wollen. Sie können sich nicht zwischenmenschlich berühren, weil jeder damit beschäftigt ist, seine geistige Gesundheit aufrecht zu erhalten. Sie werden nicht zu den fünf Freunden oder zu Kirk, Spock und Pille. Oft sehen sie voneinander nur den erhobenen Mittelfinger.

Das ganze Leben ist eben voller Geschichten, die irgendwie traurig sind. Jeder Mensch hat davon ein paar im Gepäck. In Cowboy Bebop sind die Figuren Opfer ihrer eigenen Entscheidungen oder einfach der Umstände und alles läuft nicht so wie geplant.

Was also tun? Lasst uns einfach immer weitermachen! Und lieber nicht darüber reden. Mit ein bisschen Rindfleisch und Paprika-Eintopf, aber ohne Rindfleisch, geht’s schon noch. Bis morgen. Und dann mal sehen. Vielleicht spielen wir unsere Rolle morgen besser. Die Rolle eines Menschen, der mit seinem Leben zurechtkommt. Und mit seiner Vergangenheit.

„Wir setzen uns jetzt einfach mal zusammen und besprechen das einmal. Ok? Das wäre echt total toll, wenn wir uns ‘mal so richtig ausheulen könnten, oder?“ Ist keine Option. Keiner an Bord des kleinen Raumschiffs mit dem Namen Bebop will das. Wir als Zuseher wissen ein kleines bisschen mehr über die Figuren als die Crew selber. Aber auch wir müssen das erraten. Erfühlen. Aus den stimmungsvollen Bildern und der Musik.

Es ist, als ob man echte Menschen kennenlernt. Die überreichen einem ja auch nicht ihren umfangreichen Lebenslauf mit allen Ecken und Kanten. Man nähert sich vorsichtig, zieht seine Schlüsse und beginnt eine Schnitzeljagd zur wahren Persönlichkeit des anderen. Hinter der Maske.

Wie die Helden in Cowboy Bebop. Denn das Tragische an der Serie ist: Natürlich werden sie doch zu einer Familie und – ällerbätsch – eben doch zu Freunden. Auch wenn sie, völlig unterkühlt, völlig cool – genau das eben nicht wollten. Die ganzen Schlappen und Misserfolge schweissen sie zu einem gut funktionierenden Team zusammen.

Man könnte meinen, jetzt könnte die Serie so richtig loslegen. Sieben Staffeln, Merchandising, Realverfilmungen. Der Rubel könnte rollen. Aber in dem Moment, als das passiert, als die Figuren beginnen sich gegenseitig als Menschen zu akzeptieren, in diesem Moment, als wir uns endlich zu Hause fühlen in kalten Welt, in diesem Moment, als wir selig die Taschentücher wegpacken… Da endet die Serie. Unwiderruflich.

Es wird deutlich, dass man seiner Geschichte nicht entkommen kann. Das man irgendwann den Preis zahlen muss für das, was man in der Vergangenheit getan hat. Das man den Problemen um einen herum schon recht gut davonfliegen kann, wenn man ein Raumschiff hat. Aber das einen die Probleme in einem innendrin nicht loslassen. Das es keinen Ausweg gibt als den, sich das anzuschauen. Das zu akzeptieren. Dem Schatten ins Auge zu blicken. Im Wortsinn von Carl Gustav Jung.

Jetzt, wo der letzte Abspann der letzten Folge über den Bildschirm flimmert… Jetzt, wo wir uns trauen, aufzustehen und eine neue Packung Tempo zu holen, wird uns eines klar: Diese ganzen Geschichte, die wir gesehen haben. Diese 26 Episoden, das waren im Leben der Figuren nur ein Atemholen. Eine kurze Pause. Die gute, alte Zeit.

Eine Zeitlang können wir uns gegenseitig vormachen, es könnte alles so weitergehen wie bisher. Das krampfartige Klammern an das Theater, das wir spielen, an die Masken, die wir aufziehen – das hat sogar einen Sinn. Anders hätten die Figuren das nicht ertragen. Und anders hätten wir als Zuschauer das auch nicht ertragen, nebenbei erwähnt.

Und ertragen müssen wir das. Unser Leben. Und Cowboy Bebop. Die letzte Botschaft in der letzten Folge, die da auf meinen Bildschirm geschrieben wurde, das Vermächtnis einer kleinen, dummen japanischen Anime-Serie ist ein Satz: You’re gonna carry that weight. Steht da. Du wirst die Last tragen.

Uff. Selbst beim Erzählen brauche ich gleich eine neue Packung Tempo. Was gibt es noch zu sagen? Die geile Musik hatte ich schon… Na ja, natürlich ist Cowboy Bebop auch wunderschön gezeichnet, vor allem die Stills und die Hintergründe. Und die Inszenierung ist natürlich auch sehr gelungen…

Vielleicht noch das: Ich habe Cowboy Bebop schon dreimal durchgekuckt. Jedes Mal war es ein völlig anderes Erlebnis. Ich wurde anders davon berührt. Ich hatte ein anderes Verständnis für die Serie und die Protagonisten. Es war beinahe, wie dreimal eine andere Serie kucken. Das gibt es sehr, sehr selten.

Das erhöht Cowboy Bebop aus dem Sumpf des trivialen Fernsehens. Das, das ist ein Symptom wahrer Kunst.


fyyd: Podcast Search Engine
share








 May 11, 2017  17m