Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0647: It’s Spargelzeit!


Kinder hassen Spargel. Meistens. Und das ist auch gut so, dann bleibt mehr für uns Erwachsene. Wir haben ja aus dem Gemüse einen richtigen Kult gemacht. Obwohl es da ja nach dem Genuss ein Geruchsproblem gibt. Egal: Heute beim Explikator also happy Spargelzeit!

Download der Episode hier.
Opener: „What’s Up with all the WHITE ASPARAGUS in Germany?“ von Wanted Adventure
Closer: „I HATE ASPARAGUS!!“ von sherryo3o
Musik: „Hermann Leopoldi – Veronika, der Lenz ist da! 1930“ von 240252

Langsam verhärtet sich der Verdacht, dass unsere Jahreszeiten doch so etwas kennen wie Frühling. Aber nachdem der Winter dieses Jahr noch einmal ein Zugabe gegeben hat, ist die Natur etwas hinten dran mit ihren Lieferfristen.

Doch jetzt ist es soweit. Veronika, der Lenz ist da! Die ganze Welt ist wie verhext, Veronika, der Spargel wächtst! Es ist Frühling, denn das Geschäft mit dem Spargel rollt jetzt so richtig an.

Das Business mit den Gemüsestangen ist eines der letzten Hoheitsgebiete für die Händler auf den Wochenmärkten. Zwei Millionen Kilogramm essen wir in Deutschland jedes Jahr, dreiviertel dieser Menge stammt auch direkt aus Deutschland.

Denn es kommt dabei vor allem auf die Frische an. Die Stangen müssen quietschen, wenn man sie aneinander reibt und leicht brechen, weil sie noch voller Flüssigkeit sind und hart. Schon nach ein, zwei Tagen trocknen sie aus. Der Spargel verjüngt sich zur Schnittstelle hin, welche hart und trocken wird und die Stange ist auf einmal biegsam und bricht nicht mehr so leicht.

Geerntet wird das Gemüse unterirdisch, schon wenige Stunden in der Sonne und die Stange verfärbt sich lila und ist damit B-Ware. Man muss beim Ernten also genau wissen, wo eine Stange im Erdhügel verborgen ist und wie tief man mit dem Messer zustechen kann. Ein Spargel-Ernte-Roboter ist noch lange nicht in Sicht, denn den Instinkt und die Nase für den Spargel haben nur erfahrene Spezialisten.

Ach ja, die Nase. Gutes Thema. Spargel zeichnet sich ja durch eine Besonderheit aus. Er verändert uns. Magisch. Von diesem seltsamen Effekt wusste man bereits in der Antike, weswegen der Spargel als besonders wirksames Heilmittel galt.

In China hat man ihn schon vor über 5000 Jahren bei Blasenproblemen als Heilmittel der Wahl verschrieben, Hippokrates schätzte ihn, weil er harntreibend ist und Dioskurides glaubte, er helfe gegen die Gelbsucht.

So kam er dann, im Gepäck römischer Siedler auch in Deutschland an. Was wir wissen, weil wir in Trier ein Preisschild für Spargel aus dem 2. Jahrhundert nach Christus ausgegraben haben. Als die Römer dann wieder ihre Rucksäcke schnürten, nahmen sie auch das Wissen um den Spargelanbau mit und bis in das siebzehnte Jahrhundert hinein war Spargel einfach nur ein teures Medikament und nicht eine Delikatesse.

Aber, wegen der Nase noch einmal: Harn und Blase waren ja nicht der falsche Ansatz bei den antiken Ärzte, denn Spargel bewirkt etwas sehr Rätselhaftes: Nach dem Essen riecht unser Urin. Und nicht gut. In aller Deutlichkeit: Isst man Spargel, riecht der Urin nicht gut. Das ist heute kein so riesiges Problem mehr, wo jeder sein Geschäft heimlich in kleinen Räumen verrichtet.

Aber Benjamin Franklin haben die Abgase unserer Verdauung durchaus beschäftigt. In Zeiten, als die Ernährung noch so war, wie sie sich moderne Ernährungsberater erträumen, roch es halt streng.

Schlecht gegarte lokale Gemüse, also hauptsächlich Bohen und Kohl; Fleisch, dass man erst einmal mit Salz reinigen muss, um die Schlieren und das Verdorbene zu entfernen und natürlich alles 100% Vollkorn und voller Ballaststoffe: Das erzählen uns Kochbücher noch aus dem 18ten Jahrhundert.

Das alles führte dazu, dass das menschliche Abgasproblem Herrn Franklin sehr interessierte. In einem Brief an die königliche Wissenschaftsakademie in Brüssel drängt er die Herren Forscher, doch bitte ein Medikament zu entwickeln, dass die Abluft der menschlichen Verdauung in Parfum verwandele.

Zurück zum Spargel: Benjamin Franklin verwendet ihn in seinem Brief ausdrücklich als Beispiel. „Isst man nur ein paar Stangen dieses Gemüses, entwickelt der Urin einen Geruch, der nicht akzeptierbar ist“, meinte der Cleverste der amerikanischen Patriarchen an die Forscher in Brüssel.

Die Beobachtung ist natürlich richtig und jeder hat das schon erlebt. Das Geheimnis ist, dass Spargel ein heimlicher Stinkbomben-Bausatz ist. Da ist ein Aromastoff drinnen, der nur für den Spargel typisch ist, die Asparagusinsäure. Eine komplexe Carbonsäure, die im Körper dann von Enzymen zerlegt wird.

Heraus kommt dabei ein ganzer Cocktail an schwefelhaltigen Verbindungen, die ich hier lieber nicht versuchen will, richtig auszusprechen. Im Ernst: Wer kann schon S-Methyl-thioacrylat oder S-Methyl-3-thioproponiat auf Anhieb fehlerfrei in ein Mikro sagen? Ich nicht. War der dritte Versuch.

Und egal ob Stinkbombe, Stinktier, Knoblauch oder Übelfurze: Schwefelverbindungen mag unsere Nase nicht. Das hat etwas von Verwesung und Verwesung hat etwas von Gift und Gift hat etwas von Tod.

Doch es gibt auch Trost! Umfragen haben ergeben, dass nur 50% der Deutschen nach dem Spargelgenuss Stinkbomben-Urin entwickeln. Sagen sie. Wenn man sie fragt. Ob allerdings Umfrage da das Mittel der Wahl sind? Ist ja vielleicht doch ein peinliches Thema, wo man gerne mal ein bisschen flunkert.

Meine kurze Blitzumfrage ergab da völlig andere Werte. 100% der Befragten kennt den Schwefelurin nach dem Spargelgenuss. Haben übereinstimmend alle zugegeben. Alle drei.

Und es gibt da noch ein weiteres Problem… Die Spargel-Anosmie. Ja, wir reden da nicht gerne darüber, es ist noch ein großes gesellschaftliches Problem, aber der Explikator ist ja hier, um genau solche Mißstände investigatorisch aufzudecken. Setzt euch also besser hin.

Denn unter uns leben ein Gutteil Menschen, die ein sehr, sehr unbekanntes Handicap in ihrem Erbgut mit sich tragen. Die Spargel-Anosmie. Eine Anosmie ist generell eine Unfähigkeit zu riechen. Ist griechisch, kann man salopp mit Nein-Riechen übersetzen.

Bei unserem Problem handelt es sich also genau um die Unfähigkeit des Riechorgans, die Spargel-verursachten-Schwefelverbindungen zu riechen. Es kann also sein, dass ihr in der irrigen Annahme lebt, euer Urin würde nach dem Spargelgenuss nicht stinken wie Rattenkadaver. Aber in Wirklichkeit macht ihr beim Pinkeln – unschuldig pfeifend – unwissentlich das Klo des Restaurants für menschliches Leben unzugänglich. /dramatic sound

Das sind die Tücken der Spargelzeit. Aber das ist nicht wirklich das Schlimmste. Denn um den Kult herum, den wir jedes Jahr um dieses harmlode Gemüse betreiben, verbirgt sich unentdeckt eine Gefahr für unsere gesamte europöische Zivilisation. Und die kommt aus dem nicht EU-Ausland. Aus der Schweiz.

Sie heißt irreführenderweise „Sauce Hollandaise“ und kommt in kleinen Tetrapacks, hergestellt von der Firma Thomy. In dem kleinen Behälter befindet sich eine Sauce aus Sonnenblumenöl, Karottenextrakt, Zwiebeln, Stärke und Natriumglutamat. Alles Dinge, die nicht in eine Hollandaise gehören. Und das Ergebnis schmeckt dann auch nicht wie eine Hollandaise.

Die besteht nämlich nicht aus 10% Butterreinfett und dem anderen Mist, sondern die besteht aus 250 gr Butter und drei Eigelb. Und einem Esslöffel Zitrone. Es ist kinderleicht: Eigelb mit Wasser, Zitrone und Salz erwärmen, aber nicht gerinnen lassen. Schaumig rühren und langsam die zerlassene Butter unterrühren.

Das kriegt ja wohl noch jeder stolze Europäer hin, oder? Und wenn die Eier und die Butter nur mittelmäßige Qualität besitzen, ist das etwas ganz anderes als das eklige Zeugs aus dem beschichteten Karton. Und billiger ist es auch noch.

Ich persönlich tu’ noch frisch gemahlenen Pfeffer und Muskat dazu. Nur so ein Tipp…

Happy Spargelzeit!


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 May 15, 2017  14m