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Jeder geschlossene Raum ist ein Sarg


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Yves Tumor. Ein Name, der gleichermaßen nach High Fashion wie eilig herannahendem Tod klingt und damit bereits eine essentielle Eigenschaft der bevorstehenden Musik vorwegnimmt. Aufgeweckte BürgerInnen antizipieren freilich nicht nur unschlafschafmäßig den Untergang des ganzen Okzidents, sondern wittern es sicher auch hier bereits: Natürlich ist Yves Tumor nicht der standesamtliche Name unseres Helden; tatsächlich heißt der Mensch hinter dem Moniker und der Musik auf Experiencing the Deposit of Faith Sean Lee Bowie, sofern man eben dessen höchsteigenem Bekunden Vertrauen entgegenbringen mag (eher nicht zu empfehlen, lg d. Red). Sei’s drum, in jedem Fall sitzen beide Namensvarianten ausgesprochen windschnittig: Der Sound Tumors ist funkelnd und betörend sowie brandgefährlich und fatalistisch zugleich, übersetzt die im Künstlernamen anschwingende Ambivalenz also nahtlos ins musikalische Material; doch auch die sich dezent aufdrängende David-Bowie-Referenz bietet plausible Andockpunkte und stößt dabei im Wesentlichen ins selbe Horn: Ein wenig wirkt Yves Tumor wie ein Bowie ambientorientierter Musik, nur dass diese spezielle Fassung von Glamour herzlos durch den Reißwolf gedreht wurde und sich mit offenen Wunden übersät am Boden krümmt.

Der Opener auf Experiencing the Deposit of Faith heißt Synecdoche und lotet in seiner Namensgebung ein grundierendes Moment des Albums aus – was semiotisch die historisch gewachsene Auffächerung des Verweissystems um die Beziehung zwischen Symbol und Objekt, also das Auseinanderdriften von Bezeichnendem als erkenntnistheoretischem Werkzeug und Bezeichnetem als dinghafte Realität beschreibt, lässt sich unter Bezugnahme auf die Musik Tumors auf ein weniger abstraktes Verständnis von Welt bringen.
Wie schon auf dem Vorgänger Serpent Music wird auf Tumors Neuling wenig subtil auf eine kohärente Erzählung verzichtet: Songs platzen einfach auf und trudeln dann loopförmig aus, wechseln ansatzlos in ihrer Stimmung oder bleiben von Haus aus Skizze. Man nehme nur besagtes Eröffnungsstück selbst, das das Album mit einer halben Minute Stille einleitet, um wenig später sanfte und isolierte Synthieklänge in ein noisiges Kraftfeld zu schubsen und sich dort selbst zu überlassen; oder “Prosperty Awareness”, das über seine vocals Soul antäuscht, um nach einer Minute komplett in sich zusammenzufallen und abschließend ein mit “Yesterday” flirtendes Saxophon auf Silverstergeböller loszulassen. Über eine Serie von Brüchen dreht sich eine Spirale der Uneindeutigkeiten munter ins Leben und vermutlich sind dank dieser Musik auch ganze Fragezeichenaufderstirnshops out of stock gerunnt.

Aber gerade diese Versperrung gegenüber popüblichen Mechanismen der Sinn- und Identitätsstiftung, diese verhinderte Album- und im Prinzip Songwerdung als zeichenpraktisches Aufgreifen der sich zur phantasmischen Hyperrealität auslaufenden Divergenz von eigener Wahrnehmung und objektiver Wirklichkeit ist es, die Yves Tumor zu einem der vielversprechendsten Künstler kontemporärer Popmusik machen. Experiencing the Deposit of Faith ist uneins mit der Welt, versucht statt durchkalkulierter Triggerabfolge und Mythenkultivierung eine Art von Verschwinden zu inszenieren und ist als Akt der symbolischen Überwindung starrer Strukturen mehr Protestmusik als es genuine Protestmusik, die nicht erst seit gestern integraler Bestandteil eines Systems fixer gesellschaftlicher Ordnungskategorien ist, heute sein kann. Natürlich ist nach Abzug des romantisch verklärten Anteils, also überzogener Hoffnungen, die im Projekt Pop eine Aktivierungsform, die emanzipative, in soziale Praxis übersetzbare Potentiale auslöst, ausmachen, längst klar, dass ein (pop)kultureller Ausdruck bestenfalls Nanoimpulse und Änderung im Kleinen anstoßen kann. Doch sicher scheint in jedem Fall: Das ästhetische Sich-gegen-die-Verhältnisse-Setzen und eine gewisse Unschärfe sind ein geeigneteres Anders als befindlichkeitsfixiertes, lauwarmes Herabbeten von Politprogrammen (erst recht, wenn dabei vergessen wird, auf die Bedürfnisse des Systems Pop einzugehen). Möge dieser tolle und ästhetisch wertvolle Versuch, sich dem Verfügten zu entziehen, eifrige Glaubensbekenntnisse und Nachahmung finden.

 


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 December 21, 2017  3m