Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Das perfekte Paar


Nach der anstrengenden Sendung gestern (Der König ist tot) gibt es heute wieder ein Morgenradio-Special, nämlich ein Beziehungsdrama.

Natürlich nicht wirklich dramatisch, sondern eher lächerlich – doch auch nicht völlig lebensfremd.

Download der Sendung hier.
Musik im Hintergrund: Piano Sonata no. 11, K. 331
Musiktitel: „Perfect“ von Josh Woodward / CC BY 3.0

Was denkst Du? Deine Meinung über diese Geschichte bei uns im Forum.
(Nur für Unterstützer)

Die Geschichte zum Lesen

FA: Oh! Worauf stoßen wir denn an?

HW: Auf unser Jubiläum!

FA: Ach ja! Auf unser Jubiläum!

HW: Auf das perfekte Paar!

FA: Auf uns!

HW: So, einen Moment noch…

FA: Kein Grund zur Eile.

HW: Jetzt! Also, meine Liebe: Auf uns!

FA: Auf das perfekte Paar!

HW: Ein Herz…

FA: …und eine Seele!

HW: Wie Zwillinge, die…

FA: …bei der Geburt getrennt wurden!

HW: Obwohl… Wenn ich so darüber nachdenke…

FA: …dann wäre unsere Beziehung Inzest!

HW: Wie immer liest Du meine Gedanken!

FA: Und Du die meinen!

HW: Wie zwei Seelenverwandte, die ihr ganzes Leben gesucht haben…

FA: …und sich dann endlich gefunden haben!

HW: In Lippstadt! Wer hätte das gedacht?

FA: Ich sicher nicht.

HW: Ich auch nicht.

FA: Wie das Leben manchmal so spielt…

HW: Ja, es gibt mehr zwischen Hummel und Erde…

FA: Himmel.

HW: Aber natürlich! Es gibt mehr zwischen Himmel und Hummel…

FA: …als sich unsere Schulweisheit träumen lässt!

HW: Du sagst es!

FA: Ich bin so froh, dass ich Dich gefunden habe!

HW: Und ich bin so froh, dass ich Dich gefunden habe!

FA: Das perfekte Paar!

HW: Das perfekte Paar!

FA: Nicht so wie meine Nachbarin und ihr komischer Mann!

HW: Der sich in der Garage versteckt, um heimlich zu saufen.

FA: Oder wie meine Cousine und ihr Mann!

HW: Die niemals streiten, aber sich immer angiften.

FA: Genau!

HW: Und nicht wie mein Bruder, dessen Scheidung beinahe mit einer Gefängnisstrafe geendet hat.

FA: Oder wie die Stefanie aus dem Training, die ihrem Freund das Auto zerkratzt hat aus Eifersucht.

HW: Oder wie Peter aus meiner Arbeit, der auf Parties jede Kollegin angrabscht, obwohl er eine schwangere Frau zu Hause hat!

FA: Gott sei Dank sind wir nicht so!

HW: Gott sei Dank!

FA: Willst Du noch ein Schnittchen zu dem Champagner?

HW: Oh, danke. Aber danke nein!

FA: Dann lass uns noch einmal auf das perfekte Paar anstoßen!

HW: Aber gerne! Auf Dich und mich! Auf uns!

FA: Prosit!

HW: Amen!

FA: Weißt Du, was die Basis ist für unsere Beziehung?

HW: Liebe?

FA: Aber natürlich! Zuerst die Liebe! Aber da ist noch mehr!

HW: Sexuelle Attraktion?

FA: Natürlich auch! Liebe und Sex und noch mehr!

HW: Das wir die gleichen Ansichten haben?

FA: Auch das ist wichtig. Aber ich meine etwas Anderes.

HW: …dieselben Fernsehserien mögen?

FA: Nein, ich meine dieses absolute Vertrauen.

HW: Ah! Das!

FA: Ich habe das Gefühl, ich kann Dir einfach alles sagen.

HW: So geht’s mir auch!

FA: Weil, da ist eine Grundharmonie, die kann nichts erschüttern.

HW: Ein Urvertrauen in den anderen!

FA: Genau! Das meine ich!

HW: Ja, Du hast recht. Das ist der diamantene Kern unserer Beziehung.

FA: Das ist ein Segen!

HW: Ein unbeschreibliches Glück!

FA: So etwas zu finden!

HW: Und dann noch in Lippstadt!

FA: Und auch noch in Lippstadt! Wer hätte das gedacht!

HW: Ich nicht. Ich danke dem Universum!

FA: Das wollte ich gerade auch sagen!

HW: Siehst Du!

FA: Und das auch!

HW: Auf uns!

FA: Auf uns!

HW: Das perfekte Paar!

FA: Wenn ich etwas an Dir kritisieren müsste, dann könnte ich das einfach und es wäre kein Problem!

HW: Kein Problem!

FA: Weil da dieses Grundvertrauen ist.

HW: Das man nicht erschüttern kann.

FA: Genau.

HW: Genau. Gibt es denn etwas, das Dich an mir stört?

FA: Nein. Das ist mehr theoretisch.

HW: Weil, Du weißt ja, dass es nichts ändern würde an unserer Partnerschaft.

FA: Ja, das weiß ich.

HW: Du kannst mir alles sagen!

FA: Na ja…

HW: Siehst Du! Keine Hemmungen: Immer raus damit!

FA: Also, Du…

HW: Ich?

FA: Du schnarchst.

HW: (lacht) Das ist unmöglich. Ich schnarche nicht.

FA: Doch, durchaus, mein Bärchen.

HW: Vielleicht hast Du das geträumt, meine Honigschnecke?

FA: Nein, das habe ich nicht geträumt.

HW: Schatz, das wäre doch schon anderen Frauen aufgefallen. Du bist die Erste, der das auffällt.

FA: Vielleicht haben sich die anderen nicht getraut. Weil ihr nicht das perfekte Paar wart?

HW: Ist es denn sehr störend?

FA: Es stört schon.

HW: Ich glaube immer noch, dass Du Dir das nur eingebildet hast.

FA: Doch, doch. Das ist schon da. Ich habe es sogar aufgenommen.

HW: Du hast es aufgenommen? Im Ernst?

FA: Na ja, auf dem Smartphone.

HW: Na gut, meine Liebe. Dann spiele mir das doch einmal vor.

FA: Gut. Hier:

SFX: Schnarchen

HW: Das bin doch niemals ich!

FA: Meinst Du, ich habe mich zu den Nachbarn geschlichen?

HW: Das ist kein Schnarchen. Das ist wahrscheinlich mein Bauch.

FA: Dein Bauch schnarcht?

HW: Mein Bauch grummelt. Vor Hunger.

FA: Wieso warst Du denn hungrig? Ich hab‘ doch gekocht.

HW: Ja, schon. Aber Du kochst so kleine Portionen. Und das ist dann alles so gesund.

FA: Ach. Und Du warst noch hungrig?

HW: Nicht direkt hungrig, aber so ein paar Blatt Salat, die verdaut der Körper auch schnell.

FA: Mein Essen hat Dir nicht geschmeckt?

HW: Na ja. So kann man das nicht sagen, mein Schatz. Das ist mehr so eine Typensache. Verstehst Du? Und ich bin mehr so der Typ Steak und Pommes. Da darf dann auch einmal ein Salat dazu. Da habe ich schon Toleranz für…

FA: Also hat Dir mein Essen nicht geschmeckt. Du kannst es ruhig sagen, das ist keine Belastung für das perfekte Paar. Das kann das Urvertrauen nicht erschüttern.

HW: O.k. Gut. Nein, es hat mir nicht geschmeckt. Jetzt ist es raus.

FA: Das tut mir leid. Ich akzeptiere das. Und ich werde in Zukunft besser darauf achten, typengerecht zu kochen.

HW: Eben! Es ist ja nicht so, dass ich gesagt habe, dass Du nicht kochen kannst, oder?

FA: Wieso? Glaubst Du, dass ich nicht kochen kann?

HW: Das habe ich nicht gesagt!

FA: Das kannst Du aber sagen, wenn Du willst. Selbst, wenn ich mehrere Kurse besucht habe und einen Preis bekommen habe für meine Sauce Bernaise, kannst Du das sagen.

HW: Wegen des Urvertrauens?

FA: Genau!

HW: O.k. Du kannst nicht besonders gut kochen. Falafel macht man nicht aus Dinkelmehl. Und sie sollten außen knusprig sein und innen weich. Und nicht umgekehrt.

FA: Ich nehme das zur Kenntnis.

HW: Kein Problem?

FA: Kein Problem.

HW: Dann bin ich ja beruhigt! Noch einen Schluck Champagner, Liebes?

FA: Gerne, mein Bär. Trotzdem…

HW: Wie? Trotzdem?

FA: Trotzdem stehen meine Falafel in keinem Vergleich zu Deinem Schnarchen.

HW: Wie meinst Du das?

FA: Dein Schnarchen ist eine größere Einschränkung meines Lebens, als meine Falafel für Dich.

HW: Na ja, es sind ja nicht nur die Falafel.

FA: Ach, hast Du noch andere Mäkel zu beklagen?

HW: Nein. Nichts. Nichts, was unser Grundvertrauen erschüttern könnte.

FA: Dessen bin ich mir sicher.

HW: Also, dann kann ich nur sagen: Du solltest Dir überlegen, ob Du, wenn Du Schuhmann auf dem Klavier spielst, ob Du Dich vielleicht besser nur auf den Instrumentalteil verlegst.

FA: Wie? Soll das heißen, ich kann nicht singen?

HW: Nein, das heißt nur, wenn Du Dich so arg konzentrierst, die Noten einigermaßen zu treffen, dann konzentrierst Du Dich nicht mehr auf das Klavierspiel und dann klingt das auch noch furchtbar.

FA: Furchtbar?

HW: Furchtbar trifft es nicht. Disharmonisch wäre besser.

FA: Ah ja.

HW: Das ist doch kein Problem, oder?

FA: Nein, nein. Kein Problem.

HW: Kein Problem für das perfekte Paar?

FA: Genau. Trotzdem…

HW: Was heißt da trotzdem?

FA: Dein Schnarchen schränkt meine Lebensqualität immer noch mehr ein, als…

HW: Oh, mein Gott! Du bist ja besessen von dem Schnarchen!

FA: Wenn Du die ganze Nacht kein Auge zu getan hättest, dann würde das Deine Perspektive vielleicht auch verschieben?

HW: Wie? Meinst Du, dann könnte ich wie Du, auch nur die ganze Zeit daran denken, dass alles genauso läuft, wie Du das geplant hast?

FA: Ach, soll das heißen, ich bin ein Kontrollfreak?

HW: Wie lange diskutieren wir schon?

FA: 12 Minuten.

HW: Und wieviel Champagner habe ich getrunken?

FA: 0,4 Liter.

HW: Euer Ehren, die Beweisführung ist beendet!

FA: Du behauptest, meine Fähigkeit zur Planung und zur Organisation wirkt sich auf Dein Leben einschränkend aus?

HW: Na ja, wenn ich mich nur zwei Minuten verspäte, dann jammerst Du, dass Du jetzt den ganzen Tagesplan umwerfen musst.

FA: Aber das liegt doch auf der Hand!

HW: Wenn ich mich im Restaurant auf einen anderen Stuhl setze, als Du Dir das vorgestellt hast, dann wirst Du unruhig.

FA: Ist das ein Problem? Das ist doch kein Opfer, sich gegenüber zu sitzen, statt über Eck?

HW: Wenn ich das grüne Hemd anziehe und es passt nicht zu Deinem Kleid, dann musst Du Dich umziehen!

FA: Aber Du trägst sonst verlässlich nur weiße Hemden oder schwarze T-Shirts.

HW: Aber ist es wichtig, dass wir farblich harmonisieren, wenn wir uns beim Starbucks Kaffee holen und ich sowieso im Auto warte?

FA: Das sind eher gestalterische Prinzipien!

HW: Auf jeden Fall schränkt Dein Kontrollwahnsinn mein Leben leicht um ein Vielfaches mehr ein, als meine Atemgeräusche vielleicht Deinen Schlaf.

FA: Atemgeräusche? Darf ich das beim Wettbewerb „Euphemismus des Jahrzehnts“ einreichen? Das ist, als hätte Hitler den Zweiten Weltkrieg „Modernisierung der Grenzkontrollen“ genannt!

HW: Ist ja klar! Selbst beim Thema Schnarchen kommst Du auf Hitler. Warum bist Du eigentlich so besessen vom Dritten Reich? Denkst Du, die hätten so einer Erbsenzählerin wie Dir einen guten Posten gegeben?

FA: Wie bitte? Nein. Das ist nicht aus Sympathie mit den Faschisten. Das ist mehr wissenschaftliche Neugier.

HW: Ach, Du beschäftigst Dich gerne mit Dingen, die Dich abstoßen?

FA: Ja. Natürlich. Sonst wäre ich wahrscheinlich schon längst lesbisch.

HW: Ach, Männer stoßen Dich ab?

FA: Nein, durchaus nicht. Nicht alle Männer…

HW: Ah! Nicht alle Männer! Nur Männer, die nicht die ganze Nacht im Bett liegen, ohne sich zu bewegen oder ohne zu atmen.

FA: Nur Männer, die mein Vertrauen missbrauchen und mir die ganze Zeit etwas vorlügen.

HW: Ich habe Dir die ganze Zeit etwas vorgelogen? Hast Du schon einmal in Deinem Tagebuch gelesen?

FA: Hast Du?

HW: Oh, ja! Du hast es ja extra im Bad aufgeschlagen liegen gelassen, damit ich es lese. Das würde Frau Proper nämlich sonst nie machen.

FA: Das ist eine Unterstellung.

HW: Ach? Und warum hast Du dann „Wieder kein Orgasmus“ mit Marker angestrichen? Mit Marker, der im Dunklen leuchtet?

FA: Weil ich genauso ein Recht habe auf sexuelle Befriedigung wie Du.

HW: Aber natürlich! Aber da kann man doch auch darüber reden! Du bist doch neurotisch!

FA: Und Du bist narzisstisch!

HW: Mir reicht’s! Ich beende dieses Trauerstück!

FA: Aha. Du beendest also die Beziehung?

HW: Du sagst es! Schluss mit diesem Wahnsinn! Ich ziehe aus!

FA: Aber Du brauchst nicht ausziehen.

HW: Warum nicht? Siehst Du ein, dass Du verrückt bist?

FA: Nein. Aber das ist meine Wohnung.

HW: Wie. Oh. Stimmt. Na, dann gehe ich halt nach Hause.

FA: Mach‘ das. Es war mir keine Freude.

HW: Mir auch nicht. Das war die schlimmste Beziehung in meinem ganzen Leben!

FA: So geht’s mir auch! Die furchbarsten 24 Stunden, an die ich mich erinnern kann!

HW: Ach. 24 Stunden erst?

FA: 23 Stunden und 35 Minuten.

HW: Da! Siehst Du! Da ist wieder Dein Kontrollzwang!

FA: Und tschüss, mein Lieber! Leb‘ wohl! Vielleicht solltest Du ‚mal nachschauen, ob es noch Luftschutzsirenen gibt. Weiß ich jetzt gar nicht. Aber Dein Schnarchen trägt auf jeden Fall weiter. Da könnte man von einem Ort aus ein ganzes Bundesland warnen.

HW: Du bist so unerträglich! Ich kann gar nicht verstehen, was ich an Dir einmal attraktiv fand!

FA: Wahrscheinlich hast Du auch meine Kontoauszüge gelesen. Wie mein Tagebuch.

HW: Wenigstens kann ich lesen. Du kannst ja nur auf Dein Smartphone starren.

FA: Und schlecht singen.

HW: Und lausig kochen.

FA: Und Du bist schlecht im Bett.

HW: Und Du bist… Ich weiß nicht…. Du bist….

FA: Psychopathologisch.

HW: Genau! Das wollte ich sagen.

FA: Siehst Du? Ich kann immer noch…

HW: …meine Sätze vollenden.

FA: Weil unsere Seelen einfach…

HW: …im gleichen Takt schlagen.

FA: Du sagst es.

HW: Du bist wie ich.

FA: Und ich bin wie Du.

HW: Ich liebe Dich immer noch!
FA: Ich Dich auch!

HW: Auf das perfekte Paar, Du Kontrollnazi!

FA: Auf uns, Du impotenter Stinkebär!

HW: Wie? Du findest, ich stinke?

FA: Wie Schwefelwasserstoff.

HW: Das reicht. Ich bin raus.

FA: Na, endlich.

HW: Ciao, Irmgard.

FA: Ich heiße Gisela.

HW: Wie auch immer…


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 February 21, 2019  22m