Und niemals vergessen

Den 1. FC Union Berlin gibt es seit 1966. Fußball in Köpenick und Oberschöneweide noch viel länger. Episode für Episode erzählen wir uns von Begebenheiten aus Geschichte von Union Berlin. Um niemals zu vergessen: Eisern Union!

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episode 18: Wie das Wort "Stasi-Schwein" die Karriere von Klaus Korn beendete


1970 eskaliert ein hitziges Derby zwischen dem 1. FC Union und dem BFC Dynamo auf dem Platz. Im Anschluss werden in einem politisch motivierten Verfahren Spieler und Funktionäre von Union bestraft, doch niemand so hart wie Verteidiger Klaus Korn. Seine Fußball-Karriere wird mit einem Mal beendet.Quellen:

Ein besonderer Dank geht an Matze Koch, der die maßgeblichen Quellen in diesem Fall entdeckt und ausgewertet hat.

  • Buch “Immer weiter – ganz nach vorn” von Matthias Koch, 1. Auflage 2014 
  • Buch “Und niemals vergessen – Eisern Union!” von Jörn Luther und Frank Willmann (1. Auflage, 2000)
  • Klaus Korn, Wikipedia
  • Klaus Korn auf immerunioner.de
  • Zeitstrahl über alle Ereignisse, die bisher im Podcast “Und niemals vergessen” behandelt wurden
Skript:

Für die an der Affäre Zimmermann Beteiligten der SG Union Oberschöneweide ging es persönlich glimpflich aus. Schlecht ging dagegen die Geschichte aus, die ich heute erzählen möchte. Sie handelt davon, wie ein Spiel gegen den BFC Dynamo im Jahr 1970 die Karriere von Union-Verteidiger Klaus Korn beendete.

Karriere bis 1970

Klaus Korn wurde am 12. Mai 1942 geboren, spielte im Junioren-Alter bei der BSG Einheit Weißensee und Vorwärts Berlin. Über die BSG Motor Weißensee kam er 1964 zum TSC Berlin, dessen Fußballabteilung ab 1966 den 1. FC Union Berlin bildete. Er hatte immer wieder mit Verletzungen zu kämpfen. Deshalb stand er nämlich 1968 auch nicht im FDGB-Pokal-Finale gegen den FC Carl Zeiss Jena. Aber in 4 Pokalspielen davor war er dabei. 1969 spielte er nach dem Abstieg dann 29 der 30 Ligaspiele und war somit am direkten Wiederaufstieg in die Oberliga beteiligt. Zur Saison 1970/71 spielte Klaus Korn also wieder mit dem 1. FC Union erstklassig, wechselte allerdings auf die Linksverteidiger-Position.

Das Derby gegen den BFC Dynamo

Am 10. Spieltag kam es zum Spiel von Union beim BFC Dynamo. Die Partie wurde am 28. Oktober auf einen Mittwoch um 14.30 Uhr im Sportforum angepfiffen und ging 1:1 aus. Union führte 1:0 durch das Tor von Meinhard Uentz. In der 85. Minute kam der BFC Dynamo durch einen Elfmeter zum Ausgleich. Die wohl sowieso schon hitzige Partie eskalierte dann etwas.

Die Neue Fußballwoche vom 3. November 1970 schreibt dazu:

„Warum ist Union-Trainer Ulrich Prüfke beim Strafstoß aufs Feld gerannt? Warum hat der BFCer Frank Fleischer nach einem geahndeten Foul so aufbrausend reagiert? Wieso glaubte Unions Peter Pera, Schiedsrichter Bader beleidigen zu können? Wieso hat sich Unions Wolfgang Wruck um den Sportgruß gedrückt?“

Klaus Korn sagte im Interview mit Matze Koch dazu:

„Nach dem Abpfiff sind wir alle zusammen unter Gebrabbel vom Platz gegangen. Meine Mitspieler Peter Pera und Rainer Ignaczak waren auch involviert. Aber den BFC hat nur meine Bemerkung oder Beleidigung interessiert.“

Was soll passiert sein? Hören wir dazu noch einmal Klaus Korn selbst:

„Es war während des Spiels, lange vor dem Elfmeter zum 1:1. Der BFC-Spieler, um den es ging, war Rechtsaußen Ralf Schulenberg. Er hat mich provoziert, und ich habe kämpferisch dagegen gehalten. Fußballerisch war der Schulenberg ein linker Hund. Das wusste jeder in der Oberliga. Und ich war auch kein Feiner. Wir haben uns schön beharkt. Ich habe ‚Stasi-Schwein‘ zu ihm gesagt, vielleicht ein- oder zweimal. Das haben weder die Zuschauer noch der Schiedsrichter gehört. Schulenberg teilte dies nach dem Spiel offensichtlich gleich Manfred Kirste mit, dem damaligen Clubsekretär des BFC Dynamo.”

Dieser Sekretär teilte Klaus Korn nach eigener Aussage im Kabinengang mit, dass er wohl nie wieder Fußball spielen würde.

Das stimmte zwar im Ganzen, aber zunächst spielte Klaus Korn sein 57. Oberligaspiel gegen Stahl Riesa am 18. November. Beim darauffolgenden Spiel gegen Hansa Rostock am 28. November taucht er allerdings nicht mehr auf. Er steht noch im Schema der Aufstellung im Programmheft, ist aber nicht mehr im Kader. Geschrieben wird darüber im Prinzip nicht. Es werden lediglich Sperren gegen die drei Unionspieler Rainer Ignaczak, Peter Pera und Klaus Korn erwähnt. Und in der Hinrundenbilanz der Neuen Fußballwoche steht etwas „Disziplinlosigkeiten einiger Spieler. Sie führten zu Sperren, in einem Fall (Verteidiger Korn) sogar zum Ausschluss aus dem Klub.“

Die Verhandlung

Zwischendurch gab es die Verhandlung vor dem Sportgericht. Oder wie es beim Deutschen Fußballverband hieß vor der Rechtskommission des DFV der DDR. Die fand am 27. November 1970, also einen Tag vor dem Heimspiel gegen Rostock statt. Sie dauerte von 14 Uhr bis 17.10 Uhr. Das Urteil wurde 18.40 Uhr gesprochen. Anwesend waren während der Verhandlung insgesamt 35 Personen. Davon 10 vom 1. FC Union Berlin und 8 vom BFC Dynamo. Verhandlungsführer war Karlheinz Benedix, der von 1954 bis 1989 Vorsitzender der Rechtskommission gewesen war.

Ich konzentriere mich jetzt nur auf die Vorwürfe gegen Klaus Korn und nicht gegen andere Union-Spieler oder Offizielle. Gleich vier Spieler vom BFC gaben an, Beleidigungen von Klaus Korn gehört zu haben. Er soll nach einem Zweikampf zu Fall gekommen sein und seinen Gegenspieler wutentbrannt „du Stasivieh“ zugerufen haben. Korn weist diese Anschuldigungen laut Protokoll zurück, kann sich aber an die genauen Äußerungen nicht erinnern. Er will aber weder „Stasi-Vieh“ noch „Dynamo-Schwein“ gerufen haben.

Ein Vertreter Unions spricht für Korn und sagt: „Korn ist ein bewusster Staatsbürger, er hat eine gute politische Grundhaltung und sollte schon Kandidat der Partei werden.“ Die Vorwürfe des BFC werden als „politische Verleumdung“ bezeichnet.

Vom DFV-Generalsekretär kassiert der Union-Vertreter eine Rüge für „unkritisches Verhalten“.

Interessant ist, dass Union von den Vorwürfen gegen Klaus Korn erst in der Verhandlung erfährt, denn der Bericht des BFC ging nur an die Rechtskommission des DFV.

Das Urteil gegen Klaus Korn lautete: 1 Jahr Sperre für jeglichen Spiel- und Sportverkehr. Also genau bis zum 26. November 1971. Außerdem erhielt Union die Auflage, einen Vereinsausschluss von Klaus Korn zu prüfen. Die Entscheidung darüber musste Union anschließend dem DFV vorlegen.

Der Theorie nach hätte Union Klaus Korn nicht aus dem Verein ausschließen müssen, aber wir müssen davon ausgehen, dass der politische Druck auf die Klubführung um Günter Mielis so groß war, dass es kaum eine andere Option gab. Korn sagte dazu: „Ich weiß nicht, wie Günter Mielies wirklich gegenüber dem DFV aufgetreten ist und ob man sich so etwas erlauben konnte.“ Man kann darüber spekulieren, dass es besonders perfide war, diese Entscheidung auch noch Union zu überlassen. Seit dem 30. November war Klaus Korn jedenfalls kein Leistungssportler mehr beim 1. FC Union Berlin.

Im Verfahren wurde übrigens kein BFC-Spieler bestraft.

Klaus Korn ist danach zu einem Anwalt gegangen. Der soll ihm aber geraten haben, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Und er solle froh sein, nicht ins Gefängnis gekommen zu sein. Das war auch das Grundmotiv von Klaus Korn. Er wollte auf keinen Fall ins Gefängnis. Das lässt sich um so besser verstehen, wenn man weiß, dass seine Frau ab 1961 eine zehnjährige Haftstrafe wegen Republikflucht absitzen musste. Außerdem gab es eine polizeiliche Anzeige wegen mündlicher Hetze und Staatsverleumdung gegen ihn, wobei laut seiner Akte aus dem MfS keine strafrechtlichen Maßnahmen nur aufgrund von Zeugenaussagen nicht eingeleitet werden konnten.

Als Einordnung für diese Strafe hilft vielleicht noch ein Brief von Erich Mielke. Der Minister für Staatssicherheit hatte sich beim DTSB-Chef Manfred Ewald über „diffamierende Schmähungen“ der Unionfans beschwert, die das Team des BFC Dynamo als „Mörder“ bezeichnet und „Nieder mit der Bullen-Elf“ gerufen hätten. Das sei durch Unionspieler begünstigt worden, die ihre BFC-Gegenspieler als „Stasi-Vieh“ und „Dynamo-Schweine“ bezeichnet hätten.

Günter Mielis sagte über das Urteil: „Das war ein politisches Urteil – zumal die gehässigen Beleidigungen durch die Dynamo-Spieler ungeahndet blieben. Einzelne Spieler und Funktionäre von Union erhielten zusätzlich Missbilligungen und Verwarnungen, aber die Laufbahn von Klaus Korn war brutal beendet worden.“

Laut Mielis hätten sich die BFC-Spieler später für ihre Aussagen entschuldigt: „Sie seien von der BFC-Leitung dazu gedrängt worden. Am Beschluss änderte sich jedoch nichts. Das war politisch bedingt. Man konnte sich dagegen nicht wehren.“

Meinhard Uentz sagte zu der Verhandlung: „Für Klaus und uns ist eine Welt zusammengebrochen. Der Verhandlungsführer war für seine Schärfe bekannt. Die Argumentation war sehr einseitig. Widerspruch konnte nicht eingelegt werden. Das war der krasseste Fall der Einflussnahme in meiner Laufbahn. Das wurde von den Zeitungen totgeschwiegen. An diese Thematik traute sich kein Journalist mehr ran.“

Danach

Klaus Korn arbeitete weiter im Kabelwerk Oberspree, wurde aber nach eigener Aussage von der EDV in den Vertrieb versetzt. Nach einem halben Jahr wechselte er zum Kombinat Werkzeugmaschinenbau 7. Oktober. Dort wurde er Spielertrainer bei der BSG Motor Weißensee.

1975 beendete das Ministerium für Staatssicherheit den Operativ-Vorgang und hörte damit vorerst auf, Klaus Korn gezielt zu überwachen. Er sei während „der gesamten Zeit seiner operativen Beratung in politischer Hinsicht nicht negativ in Erscheinung“ getreten.

Später spielte er bei Kabelwerk Oberspree und stieg mit dem Klub sogar in die zweitklassige DDR-Liga auf, wo er auf dem heutigen Mellowpark-Gelände 1979/80 spielte. Klaus Korn spielte trotz Vereinsausschluss immer wieder auch für die Traditionsmannschaft des 1. FC Union. 1988 trat er im Vorspiel des FDGB-Finals an, in dem die Traditionsteams von Union und Jena zum 20-jährigem Jubiläum des Finals von 1968 gegeneinander antraten.

1988 stellte er einen Ausreise-Antrag, nachdem seine Frau von einem Besuch in der Bundesrepublik nicht zurückgekehrt ist. Am 8. November 1989 durfte er nach Westberlin ausreisen.

Quellenlage

Zu diesem Fall gibt es im Prinzip keine medialen Quellen, auf die man zurückgreifen kann. Der Fall wurde nicht medial begleitet. Und die Medien wären auch nicht glaubwürdig gewesen, wie wir ja schon anhand der Affäre Zimmermann aus der letzten Episode sehen konnten. Außerdem hatte sich Klaus Korn so weit zurückgezogen, dass es auch keine nennenswerten Interviews mit ihm gibt.

Der Dank für das Ausgraben von Quellen gilt im Prinzip alleine Matze Koch. Der hat für sein Buch „Immer weiter – ganz nach vorn“ nicht nur die Akte von Klaus Korn beim Ministerium für Staatssicherheit bekommen (das dauert Monate), sondern dort auch das Protokoll der Sportgerichtsverhandlung gefunden. Der Nordostdeutsche Fußballverband als Rechtsnachfolger des DFV besitzt laut eigenen Aussagen keine Akten dieser Verhandlungen. Die hat wohl der Vorsitzende Karlheinz Benedix alle mit nach Hause genommen. Ob der noch lebt und was mit den Akten ist — keine Ahnung.

Und Matze Koch hat den heute 77-jährigen Klaus Korn ausfindig gemacht und ihn interviewen können. Das Interview ist kurz vor Redaktionsschluss des Buches noch zustande gekommen. Ich kann mir vorstellen, dass es für ihn nicht immer einfach gewesen sein muss, sich mit den Alt-68ern zu treffen. Die erzählen dann von den guten alten Zeiten und für ihn waren sie eben nicht gut. Aber er ist auf jeden Fall wieder bei den Treffen dabei. Ohne Matze Koch wüssten wir also nur die groben Fakten, aber nicht die Details zum Fall. Ich habe noch mit Matze telefoniert und er sagt, dass das wohl die spannendste Recherche für sein Buch war.

On Air:

Daniel Roßbach Sebastian Fiebrig Die Musik wurde von David erstellt und die Logos von Steffi entworfen. Der Podcast beruht auf dem Konzept des famosen Geschichts-Podcasts Zeitsprung von Daniel Meßner und Richard Hemmer. Danke für alles!

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 September 8, 2019  42m
 
 
curated by DoMay in Union Berlin Podcasts | September 8, 2019