Y Politik-Podcast | Lösungen für das 3. Jahrtausend

Politik bedeutet schon immer Probleme anzugehen. Aber das dritte Jahrtausend braucht neue Lösungen. Diese stellen Tanja Hille & Vincent Venus im Y Politik-Podcast vor – nicht neutral, niemals perfekt und doch immer optimistisch. Damit Du nicht nur mit neuen Gedanken aus der Folge gehst, kriegst Du jedes Mal noch was Handfestes zum Mitnehmen: von Alternativen zum Wahl-o-Maten, über den besten politischen Kinderfilm bis zu Deutsche Bahn-Hacks. Der Podcast für alle, die Helmut Schmidts Spruch “Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen” für genau so blöd halten, wie er später auch.

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episode 44: New Work? Viva Betriebsrat!


Warum wir in Zeiten von New Work Betriebsräte gründen sollten

New Work verspricht Mitbestimmung auf allen Ebenen. Doch wenn es hart auf hart kommt, stehen ArbeitnehmerInnen schutzlos da. Nur Betriebsräte ermöglichen es Angestellten, Ihren ChefInnen auf Augenhöhe zu begegnen – notfalls vor Gericht. In Folge 44 erklären wir, warum Betriebsräte so unerlässlich sind und trotzdem reformiert werden müssen.

Digitale Arbeitsweisen und Tools ermöglichen es immer mehr ArbeitnehmerInnen, selbst zu bestimmen, wann und wo sie arbeiten wollen. In selbstorganisierten Teams und Unternehmen mit flachen Hierarchien können sie sogar über Richtungsentscheidungen oder Gehälter mitentscheiden. Die schöne neue Arbeitswelt verspricht Selbstbestimmung und Mitbestimmung.

Gleichzeitig haben jedoch immer weniger Unternehmen einen Betriebsrat, der eine institutionalisierte und rechtlich-verankerte Mitbestimmung in Betrieben sichern würde. Braucht es denn Betriebsräte überhaupt noch in Zeiten von New Work? In dieser Folge meinen wir JA und fordern eine Renaissance der Betriebsräte.

Denn Betriebsräte setzen sich nicht nur für die Belange der Arbeitnehmerschaft ein, sondern haben Rechte und Pflichten, die eine Zusammenarbeit mit dem Arbeitgeber auf Augenhöhe ermöglichen. Die Grundlage dafür sind Gesetze wie das Betriebsverfassungsgesetz. Vor 100 Jahren wurde der Grundstein für diese Gesetze und eine erstmalig gesetzlich vorgeschriebene Vertretung der ArbeitnehmerInnen in den Betrieben hart erkämpft. Wir sollten diese nicht leichtfertig über Bord werfen. Wir meinen: In modernen Unternehmen sollten andere Formen der Beteiligung nicht die Betriebsräte ersetzen, sondern beide miteinander verbunden werden.

New Work und Betriebsräte

Die New Work-Bewegung gründet auf den Ideen von Frithjof Bergmann. Er ist ein österreichischer-amerikanischer Philosoph und reiste in den 60ern und 70ern viel durch die sogenannten Ostblockländer. Seine Erkenntnis war: Der Sozialismus funktioniert nicht, aber der Kapitalismus in der vorherrschenden Form ebenfalls nicht.

Daraus entstand die Idee, dass Arbeit nicht als Lohnarbeit begriffen werden sollte, sondern als Selbstverwirklichung. Man solle in erster Linie nicht mehr arbeiten gehen, um Geld zu verdienen, sondern um einen Sinn zu verfolgen. Die drei wichtigsten Werte der New Work-Bewegung sind Selbstständigkeit, Handlungsfreiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft. Die Digitalisierung befeuerte dieses Konzept des Arbeitens, da sie orts- und zeitunabhängiges sowie selbstständiges Arbeiten ermöglicht.

Es gibt allerdings auch kritikwürdige Aspekte der New Work-Bewegung, wie beispielsweise eine zunehmende Selbstausbeutung. In Start-Ups arbeiten die Angestellten 10 % mehr als im Durchschnitt, tragen dabei oft mehr Verantwortung und verdienen dafür 7 % weniger. Außerdem schlecht: Die Erwartung immer erreichbar zu sein und das zunehmende Verschwimmen von Privatleben mit Beruflichen.

Betriebsräte könnten sich mit den Arbeitsbedingungen und Anliegen der Beschäftigten auseinandersetzen und positive Änderungen verhandeln. Doch leider sind Betriebsräte gerade in diesen New-Work-Arbeitskontexten Mangelware. Insgesamt gibt es nur in 10 % aller privatwirtschaftlichen Betrieben ab 5 Beschäftigten einen Betriebsrat. Dabei hat ein Betriebsrat starke Mitbestimmungsrechte und kann z.B. mitentscheiden bei Einstellungen, Gehältern oder der Einführung von Software. Da New Work eben nicht automatisch eine “schöne neue Arbeitswelt” ist, brauchen auch diese Unternehmen eine gewählte Interessenvertretung.

5 Schritte zur Stärkung von Betriebsräten
  1. Verstehe den Unterschied zwischen Betriebsräten und freiwilligen Mitbestimmungsrechten Der wichtigste Unterschied ist, dass Betriebsräte gesetzlich verankert sind im Betriebsverfassungsgesetz. Das heißt, dass ihre Rechte und Pflichten fest definiert sind und sie ihre Mitbestimmungsrechte im Äußersten auch gerichtlich durchsetzen können. Eine Arbeit auf Augenhöhe mit dem Arbeitgeber ist dadurch gewährleistet, auch wenn es mal unangenehm oder konfliktreicher wird. Jede andere Form der Beteiligung ist eine coole Sache, aber absolut abhängig vom Wohlwollen des Arbeitgebers.
  2. Begreife die Notwendigkeit von Betriebsräten in modernen Zeiten Insbesondere durch die Digitalisierung und dem Aufkommen neuer Arbeitsformen werden Betriebsräte wichtiger denn je. Sie können beispielsweise mitbestimmen, wann neue digitale Tools sinnvoll sind und zur Arbeitserleichterung eingesetzt werden – und sie verhindern, falls sie die Angestellten überwachen können. Auch bei einem anderen wichtigen Thema der Arbeitswelt im Wandel können Betriebsräte mitbestimmen: Umstrukturierungen und Weiterbildungen.
  3. Passen wir die Betriebsratsgesetze an New Work an Die Betriebsratsarbeit ist nicht perfekt. Es gibt beispielsweise noch Hürden im Betriebsverfassungsgesetz, wenn man dezentral arbeitet. Denn Sitzungen des Betriebsrates, der Betriebsversammlungen und die Fassung von Beschlüssen sind bislang nicht digital möglich, sondern nur mit eigener physischer Anwesenheit. Das passt nicht zur Realität moderner Unternehmen. Darüber hinaus wird auch immer wieder das Arbeitszeitgesetz mit den vorgesehenen elf Stunden Ruhezeit als überholt angesehen. Hier ist man jedoch auch als Betriebsrat in einem Zwiespalt zwischen der Ermöglichung von Flexibilität und dem Verhindern von gesundheitsschädigenden Arbeitsverhältnissen.
  4. Gründet Betriebsräte oder lasst euch in den Betriebsrat wählen Unternehmen und MitarbeiterInnen kommen in der digitalen Transformation voran, wenn sie gemeinsame Sache machen und ihr Geschäft und die Arbeit gemeinsam gestalten. Deshalb: Gründet Betriebsräte auch bei euch. Bereits fünf Beschäftigte reichen aus, um einen Betriebsrat ins Leben zu rufen und das ist nicht so kompliziert, wie man vielleicht denkt. Außerdem könnt ihr euch bei der Gründung eines Betriebsrates Hilfe von einer Gewerkschaft holen.
  5. Betriebsräte der Digital-Unternehmen, Start-Ups und New-Work-Bereichen: vernetzt euch! Leider gibt es gerade in neuartigen Unternehmen immer weniger Betriebsräte und diese stehen auch noch vor besonderen Herausforderungen. Es gibt wenig Erfahrung mit Betriebsräten und dabei auch Vorbehalte. Umso wichtiger ist es, sich gegenseitig zu unterstützen und auszutauschen. Entweder mit eurer Gewerkschaft oder anderen Betriebsräten, die ihr kennt. Schreibt bei Interesse auch gerne an Tanja Hille via tanja@ypolitik.de. Sie ist Betriebsratsvorsitzende in ihrem Unternehmen.
Weitere Infos aus dem Podcast zum Thema New Work und Betriebsrat
  • Die französische Autorin Mathilde Ramadier hat in 12 Berliner Start-Ups gearbeitet und darüber ein Buch geschrieben. In ihrem Artikel “Wir sind eine Familie? Bullshit!” hat sie fünf Lügen der schönen Start-Up-Welt erfasst.
  • ArbeitnehmerInnen wollen mehrheitlich die Digitalisierung mitgestalten und gestärkte Rechte für Betriebsräte. Das hat die Studie “Zeit für ein Update” von Stefan Kirchner herausgefunden.
  • “Noch keinen Betriebsrat? Wähl dir einen!”, ein Erklärfilm zum Gründen von Betriebsräten von ver.di.
  • Der Verein “Mein Grundeinkommen” zeigt, wie in Zeiten von New Work starke Mitbestimmung verankert werden kann. Dank Holokratie und Vereinsmitgliedschaft für Angestellte hat die Belegschaft großen Einfluss auf das Geschick der Organisation. Der Gemeinwohlbilanz-Check gibt 9/10 Punkten im Bereich “Innerbetriebliche Mitentscheidung und Transparenz”.
  • Zum Thema Zukunft der Arbeit haben wir in Folge 42 vorgeschlagen, dass wir nur noch zwei Tage die Woche arbeiten.


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 March 16, 2020  49m