Queerantine

Ein Blog und Podcast zum späten, lesbischen Erwachen einer Mittdreißigerin.

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Episode 6: Worte


Worte besitzen eine unglaubliche Kraft. Sie können dafür sorgen, dass wir uns wohlfühlen. Sie können dafür sorgen, dass wir in Erinnerung schwelgen. Sie können dafür sorgen, dass wir uns verstanden fühlen. Sie können dafür sorgen, dass wir verletzt werden.

Nicht immer weiß man im Voraus, was bestimmte Worte bei einem anderen Menschen auslösen. Man mag es sich ausmalen, aber letztendlich muss man das Ergebnis des Gesagten abwarten. Wir können sowohl positive als auch negative Reaktionen auf unsere Worte erhalten. Und manchmal eben auch gar keine – was für den Worteschwinger die schwierigste und vermutlich unbefriedigendste Art der Antwort darstellt.

Statt Worten nutzen viele Menschen auch Taten. Beides sind beliebte Werkzeuge, um beispielsweise Liebe auszudrücken. Nicht umsonst gibt es unzählige Beiträge über Taten, die mehr als Worte aussagen. Nicht alle Menschen sprechen auf beide Werkzeuge gleich an und nicht alle Menschen haben Zugriff auf beide Werkzeuge, um sie im Alltag zu verwenden.

Meine Worte

In den letzten Wochen habe ich sehr viel über die Kraft der Worte nachgedacht. Vor allem in Bezug darauf, wie ich sie verwende. Das geschriebene Wort ist für mich sehr viel einfacher als das ausgesprochene Wort, da mir mehr Bedenkzeit bleibt, um all die möglichen Reaktionen, die diese hervorrufen könnten, zu bedenken. Ich bin ein großer Fan des geschriebenen Wortes, da ich hier meine Gefühle und Gedanken sehr viel besser formulieren kann als im spontanen Gespräch. Ich möchte mein Gegenüber nicht mit unbedachten Aussagen verletzen, was natürlich schlicht nicht möglich ist, da jeder Mensch eine andere Hintergrundgeschichte hat und entsprechend auch jeder Mensch anders auf gesprochene oder geschriebene Worte reagiert.

Durch meinen persönlichen Hintergrund fehlt mir das Werkzeug der Taten, um meine Emotionen zu verdeutlichen. Ich habe schlicht nie gelernt, wie man Gefühle auch zeigen kann, weshalb ich mich immer auf das Werkzeug der Worte fokussiert habe.

Und das beherrsche ich scheinbar recht gut. Ich kann Menschen durch das geschriebene Wort das Gefühl geben, geliebt zu werden. Ich kann Menschen durch das geschriebene Wort die Kraft geben, die sie brauchen, um weiterzumachen. Ich kann Menschen durch meine Worte meine Emotionen vermitteln – auch ohne das Werkzeug der Taten. Doch reicht das?

Meine Briefe

Bei meinem Umzug vor ein paar Monaten bin ich auf alte Briefe gestoßen. Briefe, die an mich gerichtet sind, erscheinen mir oft oberflächlich. Sie gehen selten in die Tiefe, vermitteln Witz, aber keine Emotion. Doch letzten Endes wurden diese Briefe für mich geschrieben und ich weiß es zu schätzen, dass sich irgendwann einmal jemand Mühe gegeben und versucht hat, meinen Tag mit ein paar Buchstaben zu verschönern. Ich weiß schließlich wie es ist, wenn man eines der beiden Werkzeuge nicht ganz beherrscht und bin die letzte Person auf der Welt, die deswegen jemandem einen Vorwurf machen würde.

Ich höre bei meinen eigenen Briefen oft, dass sie Menschen berühren. Und genau das ist natürlich mein Ziel, da ich weiß, dass ich das auf andere Art und Weise nur sehr schwer kann, da meine Sprache der Liebe vor allem durch Worte definiert wird. Ich möchte, dass sich Menschen durch meine geschriebenen Worte gesehen und verstanden fühlen, nebenbei auch meine Gefühle besser verstehen und bestenfalls durch meine Schnörkelei etwas Stärke tanken können.

Meine Liebesbriefe

In meiner Jugend schrieb ich meinen ersten echten Liebesbrief an ein mir vollkommen unbekanntes Mädchen, mit dem ich nicht ein einziges Wort, wohl aber Blicke, gewechselt hatte. Ich begegnete ihr mehrmals in einem Hotel im Urlaub und entschloss mich irgendwann, dass ich ihr einen Brief schreiben möchte. In einem abgelegenen Hotel im Norden Teneriffas ein Blatt Papier zu finden, gestaltete sich bereits schwierig, doch war ich nicht von der Idee abzubringen, dass ich zumindest mit ein paar Sätzen versuchen wollte, ihr den Urlaub zu versüßen. Ich schrieb den Brief, warf ihn in das Postfach ihres Zimmers, wie auch immer ich damals die Zimmernummer herausgefunden hatte, und flog mit dem Flugzeug nach Hause.

Ich erhielt niemals eine Antwort. Überraschung. Vermutlich haben die Eltern den Brief gelesen und ihn weggeworfen, da aus geschriebenen Worten natürlich nicht die unscheinbare Absenderin ersichtlich wurde.

Doch ich ließ mich nicht aufhalten. ICQ war geboren. Und ja, natürlich kenne ich auch heute noch meine damalige Nummer. Chats waren auf einmal im Trend und ich belegte ununterbrochen die Telefonleitung, um zumindest ein wenig Kontakt mit der Außenwelt aufzunehmen, da die Kommunikation in der echten Welt eine gruselige Vorstellung war. Das Internet hingegen war ein willkommener Ort für eine introvertierte Jugendliche, die sich anders nicht mitteilen konnte.

Ich schrieb danach viele Briefe. Briefe voller bedeutungsschwangerer Sätze, um meine Zuneigung auszudrücken. Viele Worte, um das zu vermitteln, was ich durch Taten nicht zeigen konnte. Ich hörte Reaktionen „du kannst wirklich sehr gut schreiben, wie du schon festgestellt hast“, oder „woher nimmst du diese Worte, …“, oder „ich frage mich, ob andere mich auch so sehen können wie du das tust“ oder auch ein schlichtes „du kannst ganz gut schreiben“. Danke, Basti. Stets zu Diensten.

Meine Sprache

Das gesprochene Wort hat mir immer etwas Angst gemacht. Durch fehlendes Selbstbewusstsein war zudem meine Stimme früher eher leise und unaufdringlich. Dann kam die Mutterkur. Ich wurde damit konfrontiert 60 neue Menschen gleichzeitig kennenzulernen. Für einen Menschen mit wenig ausgeprägten sozialen Akkus eine echte Herausforderung. Doch meisterte ich diese. Nicht mit Bravur, aber ich war stets bemüht. Ich erhielt meine Stimme zurück und gewöhnte mich langsam wieder daran, diese auch zu nutzen.

Es begann mit dem Arzt vor Ort, der nicht bedachte, was seine Worte bei Frauen auslösen könnten, die nicht ich sind. Ich fühlte mich verantwortlich, was dazu führte, dass ich das erste Mal in meinem Leben eine Autoritätsperson herausforderte. Und es funktionierte.

Bei meinen darauf folgenden Dates hörte ich immer wieder, wie großartig sie meine Stimme fanden. Manche wollten mir mit den Ohren zuzwinkern, falls das ginge. Andere fanden, dass meine Tonlage doch etwas serienkillermäßig ist. Okay. Andere hatten Angst, dass die Stimme dafür sorgt, dass durch diese in einem Streit keine Widerworte möglich sind. Wieder andere, die nicht für Komplimente bekannt waren, streichelten mein Ego damit, dass meine Stimme sie im positiven Sinne ziemlich fertig macht. Das alles mag gut für mein Selbstbewusstsein gewesen sein, ja, aber nicht sonderlich hilfreich, wenn ich gerade noch mitten in der Selbstfindungsphase war und herauszufinden versuchte, wie ich diese scheinbar großartige Stimme zu meinem Werkzeug der Taten umfunktionieren könnte.

Natürlich habe ich mein Leben nicht ohne das gesprochene Wort verbracht, doch änderte sich meine Stimme mit dem Coming-Out. Sie änderte sich mit dem Finden meines Selbst.

Doch dieses Selbst erklärt sich eben nicht von selbst. Wenn man Jahrzehnte damit verbringt, sich selbst zu finden, braucht man danach selbstverständlich auch noch etwas Zeit, um damit umgehen zu können. Inzwischen war ich vielleicht eine Meisterin des geschriebenen Wortes, doch ich wollte auch lernen, meine Gefühle durch Taten greifbar zu machen.

Denn ich befand mich inzwischen in meiner ersten Beziehung, die mir das erste Mal in meinem Leben die Sprache verschlug. Die Beziehung startete tatsächlich mit einer Tat, die etwas mechanisch gewirkt haben mag, da ich es damals noch nicht gewohnt war, dieses Werkzeug zu nutzen. Die vermeintlichen Demonstrationen meiner Liebe in vorherigen Beziehungen waren ebenso unbeholfen. Was daran lag, dass mir der Zugang zu meinem Selbst damals noch fehlte. Doch diesen hatte ich inzwischen und ich war bereit dazu, etwas Neues zu lernen, aus Angst, die Beziehung zu verlieren, wenn ich es nicht tat.

Spoiler: wie wir wissen, hat das nicht ganz geklappt. Im Nachhinein ist es natürlich immer einfach zu sagen, dass ich schlicht zu langsam war, das neue Werkzeug der Taten zu erlernen oder auch nur ansatzweise zu begreifen. Vielleicht war ich auch überwältigt von der Intensität meiner Gefühle, die mich zugleich in meinem Handlungsspielraum einschränkte. Nüchtern betrachtet war es vermutlich naiv von mir anzunehmen, dass ich in so kurzer Zeit so viel Neues würde lernen können, wenn ich doch vorab Jahrzehnte brauchte, um die Grundlagen zu verstehen.

Denn wenn die Grundlagen fehlen, dann gestaltet sich der Start sehr viel schwieriger. Während andere diese Grundlagen aus ihrer Kindheit mitgenommen haben, musste ich sie mir hart erarbeiten. Und auch heute bin ich noch lange nicht über den Anfängerkurs hinaus. Ich weiß, dass ich viel Arbeit vor mir habe, aber ich bin gewillt, dazuzulernen.

Und bis ich mein Ziel erreiche, muss ich mich wohl oder übel auf die Worte verlassen, die andere Menschen mit Liebe erfüllen, während ich selbst auf eben jene warte.

Das Titelbild wurde freundlicherweise von Vic Macioci aka vic_cricket_mac zur Verfügung gestellt. Regen erzeugt bei mir ein wohliges, vertrautes Gefühl. Mein Ziel war es immer, dass meine Worte bei anderen Menschen dasselbe schaffen.

Mehr Kunst von Vic findet ihr auf ihrer Website oder bei Instagram.


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 September 4, 2020  n/a