Queerantine

Ein Blog und Podcast zum späten, lesbischen Erwachen einer Mittdreißigerin.

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Episode 5: Carol


Diese Episode dreht sich um den Film und das Buch Carol, und enthält Spoiler zum Inhalt und Ende.

Carol, der Film, oder auch The Price of Salt, die Buchvorlage von Patricia Highsmith, haben mein Leben auf unterschiedliche Weise beeinflusst.

Ich sah den Film vor meiner Mutterkur, vor meiner ersten Beziehung zu einer Frau. Damals konnte ich, ehrlich gesagt, den Hype darum nicht ganz verstehen, was vermutlich daran lag, dass ich die Liebe, die im Film porträtiert wird, zum damaligen Zeitpunkt nicht kannte.

Der Film dreht sich um die Liebe zweier Frauen, die sich an unterschiedlichen Punkten in ihrem Leben befinden. Therese befindet sich in einer Beziehung zu einem Mann, den sie nicht liebt, aber mit ihm zusammen ist. Carol befindet sich inmitten eines Scheidungsprozesses und trifft auf Therese, was beider Leben verändert.

Schicksal

Ihr kennt diese Menschen, die sagen, dass die Buchvorlage meist besser als ein Film ist, und nun, meistens haben diese Menschen recht. Es ist kaum möglich, innerhalb von zwei Stunden all die Details eines Charakters, dessen Gedanken und Gefühle sowie die Hintergründe, die in einem 400 seitigen Buch niedergeschrieben wurden, zu erfassen.

Im Buch ist Therese sehr viel selbstbewusster. Schon früh ist sie sich bewusst, was sie für Carol empfindet. Schon früh wird klar, dass die Begegnung in der Spielwarenabteilung schicksalhaft war.

Nachdem ich damals den Film gesehen habe, fühlte ich mich vor allem Therese verbunden. Sie war in ihrer Findungsphase und traf einen Menschen in ihrem Leben, der dieses komplett umkrempelte. Doch sie traute sich nicht, ihre Gefühle zu kommunizieren.

Mitten in der Beziehung zu meiner ersten Frau sah ich den Film erneut, allein. Ich verstand plötzlich, was Therese empfand. Ich verstand ihre Angst, dass sie das Glück verlieren könnte. Und doch änderte sich etwas. Ich identifizierte mich inzwischen mehr mit Carol, da ich mich ebenfalls inmitten einer Scheidung befand. Ich verstand ihre Zurückhaltung gegenüber Therese. Ich verstand ihre Angst davor, verletzt zu werden.

Die Liebe

Ich war hin- und hergerissen zwischen diesen beiden Figuren, die sich doch beide nur der Liebe hingeben wollten und beide durch ihr Leben davon abgehalten wurden, genau das zu tun. Und das kannte ich. Ich verknüpfte den Film mit meinem damaligen Leben und sah, dass ich zu Carol geworden war. Ich traute mich nicht, mich der Liebe komplett hinzugeben, da die Verpflichtungen in meinem Leben mich betäubten.

Die Liebe zwischen zwei Frauen in den 1950er Jahren unterscheidet sich natürlich von dem, was wir heute erleben, doch fühlte ich, dass auch mein Umfeld meine Euphorie bremste. Teilweise fühlte ich mich ob all der Hürden in meinem Leben wie gelähmt. Es war schwer zu ertragen, dass ich nicht einfach lieben konnte, weil die Menschen in meinem Leben es schwer machten, die Liebe als das anzuerkennen, was sie war. Mein Anker.

Und doch war und bin ich trotz all der Hindernisse eine hoffnungslose Romantikerin. Ich glaube an die Kraft der Liebe. Schließlich habe ich sie inzwischen erlebt. Ich glaube daran, dass die wahre Liebe alles überwinden kann.

Ich habe mir versucht einzureden, dass die Liebe, die ich empfunden habe, deshalb so stark war, weil sie in einer Beziehung zu einer Frau stattfand. Doch reicht es natürlich nicht lesbisch zu sein. Ich hatte einige Dates und habe Anziehung gefühlt, ja, aber keine Liebe.

Als ich damals beim ersten Date meiner folgenden Beziehung aus dem Zug stieg, war das für mich ein ähnlich schicksalhafter Moment wie die Begegnung zwischen Carol und Therese in der Spielwarenabteilung. Ich erblickte sie und spürte eine Verbundenheit, wie ich sie noch nie gespürt habe. Noch während des Dates schrieb ich meinen Freunden, dass ich nicht nur verknallt bin. Es war viel mehr. Und das ist für mich übrigens definitiv nicht üblich, da ich bezogen auf die Liebe immer skeptisch war.

Eine Freundin meinte einmal zu mir, dass Beziehungen, die auf der Liebe auf den ersten Blick basieren, zum Scheitern verurteilt wären. Doch woran liegt das? Liegt das daran, dass die Gefühle zu schnell zu intensiv werden? Dass wir zu wenig Zeit haben, um uns bewusst zu werden, was hier gerade passiert? Dass wir dieses Gefühl meist nicht kennen und damit nicht umgehen können? Dass wir überfordert sind?

Ich weiß, dass das zumindest bei mir so war. Die Liebe war wie Sauerstoff – und ich hoffe, dass ihr jetzt das zugehörige Lied zu diesen Worten im Kopf habt. Ich war vollkommen überwältigt davon. Überwältigt davon, dass ich in der Lage war, so zu fühlen. Überwältigt davon, dass eine andere Person mich so lieben konnte. Was bei mir dazu führte, dass die Angst, dieses Gefühl zu verlieren, immer dominanter wurde. Ich redete mir ein, dass ich diese Liebe nicht verdient habe und war zugleich süchtig nach dem Gefühl, das ich mein Leben lang nicht kannte.

Und das ist natürlich ein Problem, da ich mir nicht vorstellen kann, jemals wieder eine Beziehung einzugehen, die diese Intensität nicht mit sich bringt. Hell yeah oder hell no. Doch wie wahrscheinlich ist das? Wie wahrscheinlich ist es, dass die intensivste Liebe des Lebens, die 33 Jahre auf sich hat warten lassen, sich irgendwann noch einmal zeigen wird? Ich möchte mich mit weniger nicht zufrieden geben.

Begegnungen

Ich las das Buch The Price of Salt nach meiner Trennung, da meine Exfreundin beim Abschied meinte, ich solle das tun. Ich kannte den Film und wusste, worauf es hinauslaufen würde, doch war mir nicht bewusst, wie sehr mich das Buch verletzen würde.

Therese und Carol waren füreinander bestimmt. Liebe auf den ersten Blick. Gefühle, die beide kaum aushielten. Aber aushalten wollten, trotz all der schwierigen Umstände im Leben, denen sie sich stellen mussten.

Das Ende des Buches entspricht dem Film. Doch wird sehr viel deutlicher, was Therese fühlt, da uns das Buch Einblick in eben jene Welt gewährt. Therese ist auch im Buch bei einer Feier, in der sie realisiert, was Carol ihr bedeutet. Ich zitiere.

„Die Schauspielerin sah sie wortlos an, mit lächelnden Augen über der Flamme ihres Feuerzeugs. Und als sie den Kopf neigte, um ihre eigene Zigarette anzuzünden, wusste Therese plötzlich, dass Genevieve Cranell ihr nie etwas bedeuten würde, nichts, was über die halbe Stunde auf der Cocktailparty hinausging, dass die Erregung, die sie jetzt verspürte, nicht anhalten würde und nie wieder, nirgends aufs Neue entfacht werden konnte. Woher wusste sie das? Therese starrte die gerade Linie der blonden Augenbrauen hinter dem Rauch der Zigarette an, doch die Antwort war dort nicht zu finden. Und ein Gefühl der Tragik, fast des Bedauerns, erfüllte Therese.“

Patricia Highsmith, Carol oder Salz und sein Preis, 2015, Seite 396

Und schließlich kommt es zu eben jener finalen Szene, die auch im Film dargestellt wird. Ich zitiere.

„Sie blieb im Eingang stehen und blickte suchend zu den Leuten an den Tischen in dem Raum, in dem jemand Klavier spielte. Das Licht war gedämpft, und zuerst fand ihr Blick sie nicht, denn sie saß halb verborgen im Schatten hinter der Bar, dem Raum zugekehrt. „…“ Carol hob langsam die Hand und fuhr sich durch die Haare, links und rechts, und Therese lächelte, weil es eine für Carol typische Geste war und weil sie Carol liebte und immer lieben würde. Oh, anders als früher, denn sie war eine andere als früher, und es war, als würde sie Carol noch einmal kennenlernen, und doch war es Carol und niemand anders. Es würde immer Carol sein, in tausend Städten, tausend Häusern, in fremden Ländern, die sie gemeinsam bereisen würden, im Himmel und in der Hölle. Therese wartete. Und als sie im Begriff stand, auf sie zuzugehen, sah Carol sie, schien sie für einen Augenblick ungläubig anzustarren, während Therese zusah, wie das bedächtige Lächeln langsam von Carols Gesicht Besitz ergriff.“

Patricia Highsmith, Carol oder Salz und sein Preis, 2015, Seite 399

Beide erkannten, dass die Liebe es wert ist, für sie zu kämpfen. Da die Liebe uns dorthin hebt, wo wir hingehören. Und auch jetzt hoffe ich, dass ihr das passende Lied dazu im Kopf habt.

The Price of Salt wurde von Patricia Highsmith nach einer Begegnung mit einer Frau geschrieben, die der Begegnung von Therese und Carol ähnelte. Doch entwickelte sich ihre Geschichte nicht so wie die der beiden Hauptdarstellerinnen.

Es sollte Wunschdenken bleiben. Und auch, wenn weder Patricia Highsmith noch ich diese romantische Szene erleben durften, die am Ende von Carol beschrieben wird, haben wir sie doch alle verdient. Aber ich trauere nicht darum, dass ich sie nicht erlebt habe. Ich kann mich glücklich schätzen, dass ich zumindest für eine kurze Zeit in meinem Leben die wahre Liebe spüren konnte. Denn dieses Glück haben nicht viele Menschen.

Die Liebe und alles, was sie begleitet, macht uns verletzlich. Doch dieses Risiko sollten wir eingehen. Und ich werde mich dem nicht verwehren. Denn ist es nicht das schönste Gefühl der Welt zu lieben und zugleich geliebt zu werden?

Das Titelbild wurde freundlicherweise von Agnes aka margaritabonitafantastike zur Verfügung gestellt.

Mehr Kunst von Agnes findet ihr bei Instagram oder bei Youtube.


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 August 23, 2020  n/a