Queerantine

Ein Blog und Podcast zum späten, lesbischen Erwachen einer Mittdreißigerin.

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Episode 3: Wie nimmt man Abschied?


Inhaltswarnung: Im Beitrag thematisiere ich Trennung, Depressionen, Antidepressiva und Selbstzweifel.

Zum Ende meiner Mutterkur Anfang 2019 habe ich mir drei Ziele vorgenommen. Ich wollte eine Krone als Tattoo, das mich an die Königinnen der Mutterkur erinnert und daran, wie stark ein Mensch sein kann. Dass man alles schaffen kann, wenn man sich aktiv dafür entscheidet, dass es das Richtige ist. Ich wollte einen Job finden, in welchem ich glücklich werde. Einen Job, in dem ich zeigen kann, zu was ich fähig bin und einen Job, in dem ich als das akzeptiert werde, was ich bin. Und ich wollte eine Beziehung finden, in der ich glücklich werde. In der ich als die Person wahrgenommen werde, die ich bin. Eine Liebe, die versucht zu verstehen, was mich dazu gemacht hat, was ich heute bin und eine Liebe, der ich ausreiche.

Noch vor drei Wochen dachte ich, dass ich all diese Ziele erreicht habe. Doch belog ich mich offenbar selbst. Als ich mit meiner Ex-Partnerin ihre zukünftige Heimatstadt besuchte, schrieb mich ein alter Freund an, der sich freute, mich so glücklich zu sehen. Weil ich Positives ausstrahlte. Er freute sich, dass mein Weg mich hierhin geführt hat. Er wünschte sich, dass es nicht nur auf ihn so wirkt, sondern auch so ist. Und ich schrieb ihm, dass ich so glücklich bin, wie noch nie in meinem Leben. Well, that didn’t age well, i guess.

Der lange Weg

Wenn ich auf die Zeit nach der Mutterkur zurückblicke, sehe ich, was ich alles geschafft habe. Ja, ich habe mich tätowieren lassen und sehe jedes Mal bei einem Blick auf meinen Unterarm die Stärke, die auf mich wartet, wenn ich an mich glaube. Ich habe mich dazu überwunden, zu daten, in der Hoffnung, dass ich die wahre Liebe finde. Ich habe selbstbewusst eine Hand ergriffen, in der Hoffnung, dass sie mich hält. Ich habe meinem Ex-Mann erzählt, dass ich eine Frau getroffen habe, mit der ich eine Beziehung eingehen möchte. Ich habe gesehen, wie sein Herz das zweite Mal bricht. Ich habe meinen Kindern davon erzählt, dass mein Ex-Mann und ich uns scheiden lassen. Ich habe gesehen, wie weitere Herzen brechen. Ich habe mich auf die Suche nach einem Job begeben und eine Arbeit gefunden, die mich glücklich macht. Und ich habe es schließlich geschafft, eine eigene Wohnung zu finden, um einen neuen Lebensabschnitt zu beginnen. Ich habe dafür gesorgt, dass sowohl meine Kinder als auch ich selbst therapeutische Begleitung finden, um das Leben aushalten zu können. Ich habe in meinem letzten Jahr so viel erledigt und so vieles geschafft, dass ich eigentlich zufrieden sein sollte. Zufrieden damit, dass ich trotz aller Hürden Stärke bewiesen habe.

Heute frage ich mich, wie um alles in der Welt ich es geschafft habe, neben all diesen Aufgaben und ToDos eine Beziehung aufzubauen. Denn all das habe ich geschafft, während ich ganz nebenbei noch an einer Depression litt, die sich seit Jahren ungefragt in mein Leben drängt.

Eine Depression, die ich nur ertragen konnte, da ich Antidepressiva nahm, um die Gefühle und Emotionen zu ertragen, die all diese Ereignisse in meinem Leben mit sich brachten. Eine Depression, die dafür sorgte, dass die erste echte Liebe meines Lebens scheiterte.

Vom Scheitern

Vor rund fünf Jahren outete sich Elliot Page bei einer nicht nur für mich sehr emotionalen Rede. Er sprach davon, dass er müde sei. Müde davon, sich zu verstecken. Dass er Jahre darunter gelitten hat, sich nicht zu outen. Dass sein Geist, seine seelische Gesundheit und seine Beziehungen darunter litten.

Damals sah ich dieses Video und es löste in mir eine Reihe von Gefühlen aus. Stellt euch vor, ihr lebt ein Leben lang mit der Gewissheit, dass etwas in eurem Leben fehlt und ihr dieses Etwas braucht, um existieren zu können. Genau so fühlte ich mich. Ja, mein Ex-Mann war ein großartiger Partner, der mich in meiner damals schwersten Zeit begleitete und immer zu mir hielt. Er sieht auch heute noch etwas in mir, das dafür sorgt, dass er meinen Weg begleiten möchte. Und der Grund dafür sind nicht nur unsere Kinder. Er kennt meinen Weg und er sieht, was für ein Mensch ich bin. Er sieht, dass ich genug bin.

Bei meiner Veteranenlesbe ist das offenbar leider nicht so. Ich habe trotz all der Veränderungen in meinem Leben versucht, ihr gerecht zu werden, doch waren meine Kapazitäten schnell erschöpft. Das liegt nicht nur an den vielen Ereignissen des letzten Jahres, sondern natürlich auch am Alltag mit Kindern, der zwar erfüllend, aber auch kräftezehrend ist. Ich weiß, dass das Leben mit einem depressiven Partner nicht einfach ist. Ich habe es selbst erlebt. Ich weiß, dass es dafür Geduld braucht und vor allem Verständnis. Verständnis für die Krankheit und die Konsequenzen, die diese mit sich bringt.

Ich dachte, dass sie dieses Verständnis hat, doch aufgrund unserer sehr unterschiedlichen Lebensläufe sprechen wir zwei unterschiedliche Sprachen der Liebe – und was bringt es, wenn nur eine Person gewillt ist, die Fremdsprache des anderen zu lernen? Bei all den Forderungen ihrerseits kamen meine eigenen Wünsche zu kurz und das sehe ich jetzt. Dadurch, dass ich meine Forderungen herunterschluckte, konnte ich ihr nicht die Liebe geben, die sie verdient hat. Kompromisse sind in Ordnung, aber letztendlich wollen wir doch alle dafür geliebt werden, wer wir sind, ohne uns für einen Menschen verbiegen zu müssen.

Ich kämpfe seit Jahren gegen die Dunkelheit in mir und ihre Worte haben diese wieder ausgegraben. Im ersten Moment war ich still. Doch mein Kopf fragte mich, welche Liebe dieser Welt mein Leben begleiten kann, wenn diese es nicht geschafft hat.

Ich schrieb ihr zum Abschied einen Brief, welchen ich unterschiedlichen Menschen in meinem Leben gezeigt habe. Jede und jeder Einzelne hat mir gesagt, dass ich mich darin zu klein mache, aber das ist es nun einmal, was ich gelernt habe, um zu überleben. Ich komme entgegen und verliere mich dabei selbst. Sie sagte mir, dass sie den Brief noch nicht lesen kann, da sie neben ihrem Schmerz nicht noch meinen ertragen könne. Und in diesem Moment verstand ich, dass sie nie wirklich begriffen hat, welch unglaubliche Kraft ich aufwendete, damit sie sich geliebt fühlt, da ich trotz meinem Schmerz zumindest versuchte, ihren zu ertragen.

Die Kinder

Ursprünglich wollte ich einige Monate nach meinem Umzug den Kindern erzählen, dass sie meine Partnerin und nicht nur irgendeine Freundin ist. Diesen Zeitpunkt habe ich mit ihr gemeinsam gewählt, obwohl ich das schon viel früher erklären wollte. Dieser Kompromiss nagte über die Monate an mir, da ich als Mutter meinen Kindern stets erkläre, wie wichtig mir Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit sind. Ich fühlte mich wie in den Jahren zuvor, in denen ich verstecken musste, dass ich lesbisch bin. Ich merkte, dass nicht nur die Antidepressiva meine Emotionen blockierten, sondern auch diese für mich gigantische Lüge in meinem Leben.

Ich wollte immer, dass die Kinder sehen, wie eine glückliche Partnerschaft aussehen kann. Ich wollte, dass sie die Liebe sehen und spüren können, die von uns ausgeht. Stattdessen erfuhren sie von der Partnerschaft, als es um die Trennung ging.

Mein Sohn verstand im ersten Moment nicht, was es bedeutete, dass sie meine Partnerin war, da er das Konzept einer liebevollen Partnerschaft zwischen zwei Erwachsenen aus Büchern, aber nicht aus seinem Leben kannte. Als ich ihm das erklärte, wurde ihm schnell bewusst, was eine Trennung bedeutet. Schließlich hatte er eine solche rund zwei Monate zuvor bei meinem Auszug erlebt. Ich habe also nicht nur meinem Ex-Mann im vergangenen Jahr das zweite Mal das Herz gebrochen, sondern auch meinem Sohn. Und das waren die schwersten Minuten meines Lebens.

Doch es war auch ein Moment in meinem Leben, der für einen Neubeginn steht. Ich erklärte ihm die Unterschiede einer Liebe zu Kindern und einer Liebe zwischen Erwachsenen. Ich erklärte ihm, warum ich diese Wahrheit so lange verborgen hielt. Ich wollte ihn schützen, ich wollte, dass die schlimmen Momente und die vielen Veränderungen in seinem Leben nicht überwiegen und ihn überrumpeln, so wie bei mir. Ich wollte, dass er die Frau in meinem Leben erst als Menschen kennenlernt, bevor er sie vielleicht als Bedrohung in der Familienbande sieht. Ich war vollkommen offen zu ihm. Ich erzählte ihm, dass ich jemanden suchte, der nicht nur mich, sondern auch die beiden Knirpse glücklich machen kann. Ich erzählte ihm von meinem ersten Date. Ich erzählte ihm, wie es sich anfühlte, die Veteranenlesbe zu treffen und wie es sich anfühlte, das erste Mal in meinem Leben wirklich zu lieben.

Und schließlich erzählte ich ihm, dass ich lesbisch bin. Ihr könnt euch nicht vorstellen, was für ein überwältigender Moment das für mich war. Ich fühlte für einen kurzen Moment, dass der Ballast abfiel. Ich fühlte mich, als hätte ich gerade das Coming-Out vor der gesamten Welt hinter mir. Ich fragte ihn, ob das für ihn schlimm sei und er schaute mich an, als hätte ich gerade die unnötigste Frage gestellt, die jemals ein Mensch formuliert hat. Er sagte mir, dass er möchte, dass ich glücklich bin.

Und das möchte ich auch. Ich möchte, dass meine Kinder glücklich sind und dass ich es bin. Ich möchte glücklich sein, weil ich verstanden werde. Ich möchte glücklich sein, weil die kommende Liebe meines Lebens meinen bisherigen Weg sieht und versteht. Ich möchte glücklich sein, weil ich den Alltag aushalten kann. Ich möchte glücklich sein, weil ich dafür geliebt werde, wer ich bin. Und ich möchte geliebt werden, weil sich die andere Person dafür entscheidet, dass ich es wert bin, geliebt zu werden.

Denn ich möchte glauben, dass ich genug bin.

Das Titelbild wurde freundlicherweise von Gabbie Mara zur Verfügung gestellt. Es zeigt Anne Lister und Ann Walker aus der Serie Gentleman Jack.

Mehr Kunst von Gabbie findet ihr bei Instagram.


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 August 4, 2020  n/a