Queerantine

Ein Blog und Podcast zum späten, lesbischen Erwachen einer Mittdreißigerin.

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Episode 2: Wie lebt es sich eigentlich als Lesbe?


Vorab: Eine Inhaltswarnung. In diesem Beitrag schildere ich den Alltag als homosexuelle Frau, der nicht ganz so rosig aussieht. Es geht um verbale Gewalt, aufdringliche Begegnungen und gefährliche Situationen, die bisher glücklicherweise glimpflich ausgingen. Es werden keine Schimpfworte reproduziert, aber beschriebene Szenen können natürlich gewisse Erinnerungen wach werden lassen.

Um diese Frage zu beantworten, muss uns erst einmal bewusst werden, wie es sich als heterosexuelle Frau in einer Beziehung lebt.

Ich habe rund 20 Jahre in Beziehungen mit Männern verbracht. Kurze Beziehungen, lange Beziehungen, on-off-Beziehungen. Egal mit wem ich meine Zeit verbracht habe, eines hatten alle Beziehungen gemeinsam: Es hat schlicht niemanden interessiert.

Ich konnte Händchen haltend durch die Straßen ziehen und ich konnte meinen Partner küssen, egal in welchem Umfeld ich mich befand. Ich konnte Zuneigung zeigen, ohne dass irgendein Menschen um mich herum das als Aufforderung dazu sah, dies zu kommentieren. Ich konnte mich vom Bahnhof abholen lassen, ohne meine Umgebung auf mögliche Gefahren zu untersuchen. Ich konnte mein Leben leben, ohne die allgegenwärtige Angst, dass das zu Problemen führen könnte.

Einen ersten Einblick in das Leben als Lesbe habe ich vor rund zwei Jahren bekommen, als ich mit einer Freundin in Düsseldorf war. Wir waren zu zweit unterwegs, um unseren Kurzurlaub feierlich abzuschließen. Irgendwann wurde es aber zu viel und wir entschieden uns den Club zu verlassen und über die Kö durch eine große Meute betrunkener Männer durchzumarschieren, um zu unserer Unterkunft zu gelangen. Um ihr und auch mir dabei etwas Mut zu machen, nahm ich ihre Hand. Mir war klar, welches Bild das vermittelt, doch war es mir egal, da ich wollte, dass sie sich sicher fühlt.

Eben jene Handlung schien für einen der Männer so bedrohlich, dass er uns – betrunken und sympathisch wie er war – direkt homophob beleidigte, zugleich aber ein Gespräch mit uns beginnen wollte. Ich, naiv und unwissend wie ich war, versuchte das Gespräch zu lenken, um seine Aggressivität etwas zu mildern. Mir war nicht vollkommen bewusst, in welcher durchaus gefährlichen Situation wir uns befanden. Ich hatte die Polizei im Hintergrund im Blick, die uns musterte und ich versuchte den Betrunkenen durch Worte zu beruhigen. Meine Freundin wiederum verstand offenbar besser, was hier gerade passiert. Er fragte uns, ob wir zusammen sind, er fragte nach persönlichen Details und es fiel mir zunehmend schwer, darauf freundlich zu antworten.

Warum freundlich? Nun, genau das lernen wir Frauen von Anfang an. Bleibe freundlich, um dich nicht in Gefahr zu bringen. Egal mit welcher Respektlosigkeit das männliche Gegenüber dir begegnet. Freundlichkeit ist Sicherheit. Meine Freundin wiederum war sehr direkt und machte ihm klar, dass ihn das alles nichts angeht, griff meine Hand und zog mich in Richtung U-Bahn.

Erst jetzt, nachdem ich mich seit fast 1,5 Jahren in einer Beziehung mit einer Frau befinde und sich die Erlebnisse dieser Art gehäuft haben, ist mir bewusst, wie knapp wir in diesem Moment an Schlimmerem vorbeigeschlittert sind.

Das schöne Leben

Als ich bei meinem ersten Date mit meiner Veteranenlesbe aus dem Zug gestiegen bin, hatte ich nur Augen für sie. Ich nahm ihre Hand und wir verließen den Bahnhof. Bereits auf dem Weg zu ihrer Wohnung nahm ich die Blicke der anderen Menschen um mich herum wahr und war etwas irritiert. Erstmals in meinem Leben fühlte ich mich unsicher, weil ich einem anderen Menschen meine Zuneigung zeigte.

Liebe auf Abstand

Das sollte nur der Anfang sein. Seit März 2019 war ich sehr oft in der Heimatstadt meiner Dame. Jedes Mal, also bei jedem einzelnen Besuch, gab es irgendeinen Zwischenfall, der mich sehr deutlich daran erinnerte, dass Deutschland nicht so tolerant ist, wie es immer behauptet.

Bei fast jedem Besuch holte mich meine Liebste am Bahnhof ab. Bedeutet: Sie nahm mich am Gleis in den Arm und küsste mich zur Begrüßung. Ein Bild, das Menschen eigentlich nicht neu sein sollte – zumindest wenn es sich in dieser Szene um einen Mann und eine Frau handelt. 

Handelt es sich aber um zwei Frauen, dann wird dies nicht nur begutachtet, sondern auch kommentiert. Große Männergruppen sind dabei besonders originell und werfen des Öfteren ein überraschtes „LESBEN“ in den Raum. Manchmal kurbeln sie dafür sogar das Fenster ihres fahrenden Autos herunter – man will ja keine Chance verpassen, diese Feststellung mit der Menschheit zu teilen. Bravo.

Aber hier hört es natürlich nicht auf. Stellt euch vor, ihr lauft verliebt durch die Straße und küsst euren Partner oder eure Partnerin. Kein großes Ding, eigentlich. In meinem Fall wird das mit Knutschgeräuschen eines Mannes kommentiert, der nebenbei seine Freundin an der Hand hält. Oder ein paar ältere Männer rufen euch hinterher, dass sie auch mal wollen. Oder hey, der Klassiker – wie wäre es mit wildem Pfeifen? Sieh es doch als Kompliment. Klar. 

Das müde Leben

Als ich einem Bekannten davon erzählte, dass ich mit meiner Freundin abends im Park war und wir dort, während wir uns geküsst haben, rund fünf (!) Minuten lang von zwei betrunkenen Männern, die rund 10 Meter von uns entfernt saßen, angepfiffen wurden, war die erste Frage: „Warum habt ihr denn nichts gesagt?“. Als ich dann erklärte, dass das in einem schlecht beleuchteten Park schlicht zu gefährlich war, folgte die zweite Frage. Ihr könnt es euch denken: „Was macht ihr denn auch abends in einem Park?“

Ich glaube nicht, dass ihm bewusst war, was er damit sagte. Dennoch ist genau dieses Bild so verankert in all den Köpfen der Menschen, die offenkundig noch nie selbst Opfer von Diskriminierung geworden sind. Warum versuchst du nicht, der Gefahr aus dem Weg zu gehen? Warum lässt du das Küssen nicht bleiben? Warum verhälst du dich nicht so, dass sich keine Angriffsfläche bietet?

Ist das die Lösung? ICH soll keine Angriffsfläche bieten? Warum sprechen wir nicht über das Verhalten der anderen? Warum muss sich das Opfer anpassen? Frauen passen sich ihr gesamtes Leben über an. Wir versuchen aktiv Situationen zu vermeiden, die uns gefährlich werden können. Und das ermüdet.

Ich möchte meine Freundin küssen können, wann immer sie und ich das wollen. Ich möchte keine Kommentare, dass jemand mitmachen will, weil er Lesben so heiß findet. Ich möchte auch nicht vom 1000. Mann gefragt werden, wer von uns beiden der Mann in der Beziehung ist. Ich möchte einfach nur diese Liebe genießen. Und ja, natürlich will ich diese Liebe auch zeigen. Ich würde gerne in die Welt hinausposaunen, wie glücklich ich bin. Und das ohne die Reaktionen der Männer, die uns gerne mal zeigen wollen, wie das richtig geht.

Ich möchte genau so unbeschwert meine Liebe genießen können wie damals, als ich noch mit Männern zusammen war. Ich möchte nah kuschelnd am Strand beieinander liegen. Ich möchte ihre Hand halten und ihr tief in die Augen schauen, wenn wir mit den öffentlichen Verkehrsmitteln fahren – egal, wer um uns herum sitzt. Ich möchte Hand in Hand mit ihr durch eine volle Einkaufsstraße laufen, ohne dass wir dabei auffallen, weil es eben zum Alltag gehört. 

Doch das ist leider nicht möglich.

Der Alltag

Stattdessen laufe ich mit meiner Partnerin durch die Gegend und scanne jederzeit die Umgebung auf die potenziellen Gefahren. Das war nicht immer so. Zu Beginn dieser Beziehung war ich noch sehr naiv. Ich posaunte die Liebe tatsächlich in die Welt, schließlich war es ein hervorragendes Gefühl nach so vielen Lebensjahren endlich erkannt zu haben, dass ich lesbisch bin und dass sich das so unfassbar gut anfühlt. Ich zeigte meine Zuneigung, während meine Veteranenlesbe sich der allgegenwärtigen Gefahr bewusst war und manchmal eher verhalten reagierte.

Ich nahm das zwar wahr, doch nahm ich es nicht sonderlich ernst. Ich bemerkte, dass die Blicke meiner Partnerin in die Ferne abschweiften, um eine Gruppe der anderen Straßenseite zu beobachten. Ich bemerkte, dass sie mich aufforderte, die Straßenseite zu wechseln, aber erst Minuten später wurde mir klar, warum.

Eine Begegnung an einer Bahnhaltestelle war der Wendepunkt. Spät abends, nach dem Besuch einer queeren Bar, konfrontierte uns ein merklich angetrunkener Mann mit unserer offen gezeigten Liebe und ließ nicht von uns ab. Die Szene aus Düsseldorf von ein paar Jahren zuvor wiederholte sich. Doch war ich diesmal in einer Beziehung und es gab keinen schnellen Ausweg. Ich spürte, wie die Anspannung meiner Partnerin sich zu Angst entwickelte. Angst um mich, weil ich die Situation nicht ernst genug nahm und die Gefahr erneut nicht erkannte. Dieses Erlebnis führte zu einem Umdenken bei mir.

Ich verstand nun, dass ich diese Liebe zwar genieße, doch verstand ich auch, dass mein Umfeld das leider nicht tut. Es freut sich nicht mit mir, dass ich glücklich bin. Es versucht mich davon abzubringen. Doch lasse ich das nicht zu. Ich überlege, wo ich die Liebe zeigen kann. Ich plane einen Urlaub und untersuche vorab, ob das Land LGBTQIA-freundlich ist oder uns dort weitere Gefahren drohen. Ich liebe meine Freundin und zeige das, insofern es meine Umgebung erlaubt.

Natürlich wünsche ich mir, dass ich das immer tun kann, aber ich weiß auch, dass das – noch – nicht möglich ist. So traurig mich das auch stimmt. Ich kann nur hoffen, dass sich das irgendwann einmal ändert.

Das Titelbild wurde freundlicherweise von Maya Kern zur Verfügung gestellt. Es zeigt ein lesbisches Paar im Park, was mich sehr an meine frischverliebte Phase der ersten Monate erinnerte, als ich die Menschen um mich herum ignorierte, während meine Partnerin aufmerksam scannte.

Weitere Kunst von Maya findet ihr auf ihrer Website. Einige Designs könnt ihr auch direkt in ihrem Shop bestellen.


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 July 5, 2020  n/a