„Wir haben im Juni 2019 mit dem Ziel angefangen, einen Austausch
zwischen Juden und Muslimen bundesweit zu initiieren, nicht zuletzt um
Antisemitismus vorzubeugen oder abzubauen“, konstatierte der Präsident
des Zentralrats der Juden, Dr. Josef Schuster, als er Anfang 2020 eine
erste Bilanz zog. Das Projekt „Schalom Aleikum“ des Zentralrats der
Juden stellt den jüdisch-muslimischen Dialog in den Mittelpunkt und
organisiert bundesweite Dialogveranstaltungen – obwohl nicht wenige
Vertreter der jüdischen Gemeinschaft in Deutschland die Frage umtreibt,
warum ausgerechnet Juden auf Muslime zugehen sollen. Sind doch
Übergriffe von Muslimen auf Juden für viele ein gravierendes Problem.
Folglich seien Muslime in der Pflicht, der Gewalt Abhilfe durch Dialog
zu schaffen. Doch der Zentralrat der Juden tut bewusst, was auf
muslimischer Seite organisatorisch schwieriger ist, nämlich: Als
zentrale politische Vertretung von Juden in Deutschland, einen
landesweiten Dialog mit einer anderen religiösen Minderheit zu starten.
Der Name „Schalom Aleikum“ ist Programm: Die hebräische Grußformel
„Schalom Alejchem“ und das arabische „Salaam Aleikum“ meinen dasselbe –
„Friede sei mit Dir“.
Im jüdisch-muslimischen Gespräch
„offen und ehrlich“ zu sein, ist nach Daniel Botmann, dem
Geschäftsführer des Zentralrats der Juden, die Grundvoraussetzung für
sein Gelingen. „Schalom Aleikum“ versteht sich grundsätzlich als ein
Projekt zur Prävention von Antisemitismus und Radikalisierung. Neben
verbindenden Themen werden auch ganz offen Probleme, wie eben Judenhass
unter Muslimen, angesprochen. Radikalisierte fallen jedoch nicht unter
die Adressaten von „Schalom Aleikum“. Als ein Präventions- und zugleich
als ein Dialogprojekt auf Augenhöhe wird „Schalom Aleikum“ von der
Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und
Integration, Staatsministerin Annette Widmann-Mauz, gefördert.
Der
Dialog findet bewusst abseits der Funktionärsebene und direkt in der
Zivilgesellschaft statt. Solche Teilnehmer bringen sich anders als
Amtsträger in ein Gespräch ein: mit der ganzen Person und ohne eine
positionsbedingte Agenda. Diesen Stimmen gibt „Schalom Aleikum“ durch
seine Medienwirksamkeit eine signifikante Reichweite. Durch die
Umsetzung und Verbreitung von Beispielen gelungenen Dialogs entzieht es
den Nährboden für Ressentiments und Radikalisierung in der Gesellschaft.
Seine Reichweite gewinnt das Projekt auch durch das Zusammenbringen von
Juden und Muslimen auf Basis von grundlegenden Gemeinsamkeiten: Bei der
Auftaktveranstaltung in Berlin diskutierten jüdische und muslimische
Startup-Unternehmer unter anderem die Frage, ob ihre
Religionszugehörigkeit eine Rolle bei ihren unternehmerischen
Aktivitäten spielt.
In Würzburg trafen jüdische, muslimische und
christliche Familien zu einem Trialog zusammen. Die Teilnehmer redeten
u. a. über Vorurteile gegenüber Juden und Muslimen im Netz. In Leipzig
tauschten sich Frauen über ihre Rolle und ihre Identität als Muslimas
oder Jüdinnen aus. In Osnabrück sprachen jüdische und muslimische
Seniorinnen und Senioren über ihre Erfahrungen in der Bundesrepublik.
Klar wurde dabei: Auch diese Menschen mit ihren zum Teil dramatischen
Einwanderungsbiographien sind ein Teil von Deutschland.
Warum ist der jüdisch-muslimische Dialog in dieser Form überhaupt notwendig und welche Stimmungsbilder gibt es bei den Teilnehmern und Gästen von „Schalom Aleikum“? Dieser Frage wurde durch die eigens vom Projekt durchgeführten Umfragen nachgegangen. Aufgrund der geringen Fallzahl waren diese zwar nicht repräsentativ, zeigten dennoch bemerkenswerte Tendenzen auf. Eine zentrale Rolle spielte die Verfügbarkeit von Wissen über Juden und Muslime in der Gesellschaft.
Im Oktober 2019 fand eine einmonatige Online-Erhebung statt, an der über 200 Personen teilnahmen, darunter 39 Prozent muslimisch und 29 Prozent jüdisch. Ein Großteil der Befragten erhielt zwar eine ausführliche Schulbildung in Bezug auf das Christentum (65 Prozent), jedoch nur eine geringe auf das Judentum (28 Prozent) und fast gar keine (9 Prozent) in Bezug auf den Islam. Ebenso zeigte es sich, dass Juden und Muslime (zusammen 48 Prozent) häufiger diskriminiert werden, als es im Schnitt in der Gesamtgesellschaft der Fall ist. Eine repräsentative Bevölkerungsumfrage der Forsa Gesellschaft für Sozialforschung unter 1.012 Personen in ganz Deutschland bestätigte diese Tendenzen.
BildungDie
Wissensdefizite im schulischen Bereich machte „Schalom Aleikum“ bei
einer eigenen Veranstaltung zum Thema. Bei der Dialogplattform in Köln
lag der Fokus auf dem Phänomen Antisemitismus an deutschen Schulen.
Damit sind einerseits die jüdische und muslimische Lehrerschaft und
andererseits jüdische Schüler konfrontiert. Ein wesentlicher Teil des
Konzepts für die Diskussion war eine digitale qualitative Befragung von
Kölner Lehrkräften im Vorfeld zu Antisemitismus an Schulen. Leider wurde
antisemitisches Verhalten zum Teil auch innerhalb des Lehrerkollegiums
festgestellt. Methoden und Konzepte für den Umgang mit Antisemitismus
fehlen – darüber bestand bei der Podiumsdiskussion der Lehrer Einigkeit.
Ebenso sollte Antisemitismus auch viel stärker in den Lehrbüchern
thematisiert werden.
Im Jahr 2020 wird das Projekt entsprechend
vermehrt Schülerinnen und Schüler in den Blick nehmen und bietet für
diese überwiegend digitale Workshops zur Sensibilisierung für aktuelle
Formen des Antisemitismus an. Ziel ist es, mithilfe von erfahrungs- und
lebensweltorientierten Methoden, Antisemitismus, vor allem aktuellen
Erscheinungsformen, präventiv entgegenzuwirken und eventuell vorhandene
Ressentiments abzubauen. Der Schwerpunkt liegt auf der
Auseinandersetzung mit Antisemitismus im Netz und in sozialen
Netzwerken. Die Workshops sollen zudem Begegnungen zwischen jüdischen
und muslimischen Jugendlichen ermöglichen, die den Dialog stärken
sollen. Die Formen solcher netzorientierter Begegnungen werden zur Zeit
ausgearbeitet.
Im Projekt entstehen wichtige Ressourcen, um das
Wissen um Juden und Muslimen in Deutschland zu stärken. Aus dem Dialog
jüdischer und muslimischer Seniorinnen und Senioren in Osnabrück
entstand ein Booklet unter dem Titel „Mutige Entdecker bleiben“. Neue
Themen, Akteure und Gespräche sollen in weiteren Publikationen
dazukommen.
Den Dialog auch ins Netz zu tragen, ist ein
zentrales Anliegen von „Schalom Aleikum“. Besonders junge Menschen
tummeln sich in virtuellen Räumen und begegnen dort ungefiltert
Antisemitismus und Rassismus. Das Projekt brachte Blogger und
Netzaktivisten zu Workshops beim Zentralrat der Juden zusammen. Die
Teilnehmer diskutierten darüber, was zu tun sei, um mit unterhaltsamen,
aber sachlich korrekten Beiträgen Hass-Mails und Fake News über Juden
und Muslime zu entkräften. Daraus entstand ein kurzer Film, der auf dem
Facebook-Auftritt von „Schalom Aleikum“ einsehbar ist.
Zukunft
Das
Projekt geht jetzt in die zweite Runde: Nach zahlreichen erfolgreichen
Dialogveranstaltungen wird dieses Kernformat 2020 fortgesetzt –
deutschlandweit mit beispielsweise jüdischen und muslimischen
Journalisten, Sportlern, Studierenden und Geistlichen. Im Februar traf
sich bereits die LGBTIQ-Szene bei der Auftaktveranstaltung in Berlin.
Über das Jahr finden wieder soziologische Erhebungen statt. Durch die
umfängliche digitale und klassische Öffentlichkeitsarbeit wird die
Reichweite des Projektes kontinuierlich ausgebaut und das Netzwerk des
Projektes stetig vergrößert. Über 1.000 Personen erreichte „Schalom
Aleikum“ im Jahr 2019 bei den Live-Veranstaltungen. In den Zeiten der
Corona-Krise denkt das Projekt-Team des Zentralrats der Juden aktuell
verstärkt an diverse digitale Projekte.
Eine beträchtliche
Anzahl jüdischer und muslimischer Teilnehmer und Gäste sind heute feste
Partner von „Schalom Aleikum“ und gehören zum wachsenden Netzwerk des
jüdisch-muslimischen Dialogs. Dieser wirkt und hat, so ist zu hoffen, in
einer nicht erst seit „Halle“ und „Hanau“ stark polarisierten
Gesellschaft eine Zukunft.
www.schalom-aleikum.de
Das
erste Buch der Reihe „Schalom Aleikum“ mit dem Titel: „Mutige Entdecker
bleiben. Jüdische und muslimische Senioren im Gespräch“ ist im Verlag
Hentrich & Hentrich erschienen (ISBN 978-3-95565-369-9)