Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0436: Dungeons & Dragons


Ich war schon kurz nach Markt-Einführung in Deutschland begeisterter Rollenspieler. Dungeons & Dragons, wir hatten ja sonst nichts. Und die Diskussion, die damals auch in Deutschland stattfand, ob dieses Pen-und-Paper-Spiel schlechten Einfluss auf die Spieler hat, war hitzig. Ähnlich wie der Tumult um heutige Computerspiele.

Download der Episode hier.
Beitragsbild: By Diacritica – Own work, CC BY-SA 3.0, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=12225034
Opener: „Tom Hanks – best ever scene“ von Time Shield
Closer: „The Big Bang Theory 6×23 – Dungeons and Dragons.“ von OnlyBigTheory
Musik: „Der untersetzte Elekrtiker“ von KELLER12 / CC BY-NC-SA 3.0

+Skript zur Sendung
Neulich in der New York Times war ein interessanter Artikel über Dungeons & Dragons. Und die Hetzkampagne, die es am Anfang dagegen gab. Weil das ein schönes Beispiel dafür ist, wie Medien so funktionieren und wie wichtig Recherche oder Sachkenntnis im echten Leben sind, habe ich ‘mal ein bisschen weitergestöbert.

Ihr wisst alle, was Dungeons & Dragons ist, oder? Von Big Bang Theory oder Community? Falls nicht, hier ganz kurz erklärt. Bei Dungeons und Dragons führt ein Spielleiter mit dicken Regelbüchern beliebig viele Mitspieler durch eine Fantasy-Welt. Für jeden Pups gibt es eine Regel, um jedes Ereignis kann man würfeln. Wie kampf- oder kommunikationsorientiert das Spiel ist, liegt an der jeweiligen Gruppe Menschen. Im Prinzip erzählt man gemeinsam eine Geschichte. Und das Spielmaterial sind minimal Papier, Bleistift und Würfel. Alles findet in den Köpfen der Beteiligten statt.

Heutzutage freuen sich Eltern, wenn ihre Kinder D&D spielen. Sitzen sie wenigstens nicht die ganze Zeit vor dem Computer. Und sie verbringen Zeit mit anderen, echten Menschen in ihrem Alter. Fantasy-Rollenspiele werden mittlerweile sogar in der Psychotherapie und der Pädagogik eingesetzt.

Aber in den Achtzigern waren sie des Teufels. Und sind es für christliche Fundis noch immer. Die Zeugen Jehovas schreiben z.B. „Dungeons and Dragons ist von dem Gedankengut Satans, des Teufels durchsetzt, der schon immer Habgier, Gewalttätigkeit und Dämonismus gefördert hat.“
Und die Christian Assemblies schreiben: „Spiele wie “Dungeons and Dragons” sind von böser Natur und verursachen Schäden an den Seelen unserer Kinder. In D&D entwickeln die Spieler imaginäre Charaktere und werden tief in die Fantasiewelt des Spiels hineingezogen. Manche Teenager haben sich selbst so stark mit diesen Charakteren identifiziert, daß sie Selbstmord begingen, als diese Charaktere starben.“

Man sollte nicht unerwähnt lassen, dass in diesen Kreisen auch Pokemon, Harry Potter oder die Sims als gefährlich eingestuft werden. Aber zurück zur Hetzkampagne. Angefangen hat alles mit D&D 1974, als Gary Gygax das Spiel in Amerika auf den Markt brachte.

Das interessierte erst einmal nur eingefleischte Tabletop-Spieler. Also Menschen, die mit kleinen Spielfiguren echte oder erfundene Konflikte nachstellen. Aber als das Regelwerk die Colleges in Amerika erreichte, wurde D&D zum größten Boom in der Spielewelt seit Monopoly.

Das saßen also junge Menschen stundenlang zusammen, redeten wirres Zeug miteinander, würfelten und versetzten sich in die Rolle von mittelalterlichen Recken. Und begegneten Drachen, Orks, Dämonen und bösen Zauberern. Das war für die damalige Elterngeneration ausgesprochen unverständlich.

Einer dieser jungen Menschen war James Dallas Egbert, der Dritte. Ein Wunderkind. Mit 13 die High School gepackt, mit 16 mitten im Informatik-Studium. Wahrscheinlich ständig von den Eltern unter Druck gesetzt und, wie viele der Wunderkinder, richtig unglücklich.

Und der verschwand plötzlich. War weg. Die Eltern waren zu Recht besorgt. Und weil an Dollars kein Mangel herrscht im Hause Egbert, verpflichtete man einen bekannten Privatdetektiv namens William Dear. Und der fand im Zimmer von James Dallas die Regelbücher von Dungeons und Dragons.

Und hörte von dann an nicht auf, jedem Reporter seine Theorie ins Mikrofon zu sprechen. Dungeons und Dragons, da verkleiden sich die Jungs und Mädels als Ritter und Hexer und Monster. Und dann laufen die durch die Keller des Colleges und hauen sich. Das ist gefährlich. James Dallas sei da so in seine Rolle aufgegangen, dass er wahrscheinlich immer noch als Kleriker verkleidet in den Kellern herumirrt. Wo er zweifelsohne verhungern wird. Ein Opfer dieser dämonischen Fantasyspiele!

Das wurde groß überall veröffentlicht. Als James Dallas unversehrt wieder auftaucht, druckt das nur die New York Post in einem kleinen Fünfzeiler. Statt D&D zu spielen hatte der schwer depressive Jugendliche versucht, sich umzubringen. Mit Schlaftabletten und selbst hergestelltem PCP.

Das interessierte aber weiter keinen. Die Geschichte hatte so für Aufsehen gesorgt, dass die Schriftstellerin Rona Jaffe gleich einen Roman daraus bastelte. „Mazes und Monsters“ hieß der. Nach einer wahren Geschichte, wie bei der Erstauflage auf dem Cover prangt. Der Überraschungserfolg 1981. Und deswegen wurde das auch prompt verfilmt.

Im wirklich grottigen Film „Mazes und Monsters“ spielte Tom Hanks die Rolle von James Dallas Egbert III. Kein Witz. Im Film kommt er dann am Ende in die Klapse. Mit seinen großen braunen Augen. Tränchen im Gesicht. Aber er kann nur noch D&D sprechen.

Bis Mitte der Achtziger ging diese Kampagne. Und nicht ein Artikel ist zu finden, in dem jemand mal tatsächlich ein Regelbuch in die Hand genommen hätte! Es ist haarsträubend!

Vor allem zwei Quellen tauchen immer und immer wieder auf:

Zum einen Pat Pulling, die ganz alleine eine Eltern-Organisation gegründet hatte mit dem Namen „Bothered about D&D“, kurz BADD. Und die behauptete, ihr Sohn sei Opfer des Rollenspiels geworden. Erst war er ganz normal, aber dann hat der Spielleiter den „Fluch des Irrsinns“ gegen ihn ausgesprochen. Einen leibhaftigen Zauberspruch! Und seitdem konnte er nicht mehr aus seiner Rolle schlüpfen. Weswegen er sich letzten Endes das Leben nahm.

Sie hat sich dann den Titel „Expertin für Jugendkultur“ verliehen und wurde sogar mehrfach von amerikanischen Gerichten als Sachverständige verpflichtet! Nie fragte jemand nach, wie sie zu diesem Titel kam. Wie auch heute noch, alles voller sogenannter „Experten“!

Und die andere Quelle war ein Psychologe aus Chicago namens Thomas Radecki. Der behauptete steif und fest in jede Kamera und jedes Mikrofon hinein, dass es mindesten 46 Fälle von Selbstmord wegen D&D in den USA gegeben habe.

Das zeitgleich zu der ganzen Hexenjagd mehrere Studien erschienen, die das Gegenteil belegten, das fand in den Medien nicht statt. Und die American Association of Suicidology oder das Center for Disease Control, sind ja jetzt keine öminösen Quellen.

Und dieser ganze Ami-Hype schwappte dann auch über den Teich. Als 1983 das Spiel endlich auch in einer deutschen Version auf den Markt kam, importierten wir die Diskussion gleich mit. Auch die abschätzigen Zitate von vorhin sind von deutschen Seiten.

Der Erfolg des deutschen Konkurrenzklons „Das Schwarze Auge“, beruhte auch darauf, dass das Marketing immer betonte, hier gehe es nicht um Gewalt. Und es gäbe keine Dämonen oder irgendwas Satanisches im System. Götter, so wie bei D&D, gäbe es auch nicht.

„Das Schwarze Auge“ vermarktete sich gezielt als zivilisiertere, deutschere, kinderfreundlichere Variante. War ja auch nicht von den „Wizards of the Coast“, sondern, ganz brav, von Schmidt Spiele und Droemer Knaur.

So konnten drei Menschen dem Image des Fantasy-Rollenspiels so schaden, dass es heute noch angeschlagen ist. Ohne jemals das Spiel auch nur angeschaut, geschweige denn gespielt zu haben. Denn man irrt nicht in Verkleidung durch Kellerräume wie Tom Hanks im Film. Man sitzt an einem Tisch, albert rum und isst Pizza. Aber das interessierte keinen.

Erinnert schon sehr stark an die Diskussion um Computerspiele, oder? Ob wohl dieser Wolfgang Schmidbauer, der überall herumschreibt, jemals z.B. GTA gespielt hat? Glaub’ ich nicht…


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 May 3, 2016  14m
 
 
curated by karyenda in Rollenspiel-Themenfolgen | January 26, 2019