Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Weder aus noch ein


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Aus dem Königebuch der Bibel, dem ersten, aus dem 3. Kapitel:

5 Und der Herr erschien Salomo zu Gibeon im Traum des Nachts, und Gott sprach: Bitte, was ich dir geben soll! 6 Salomo sprach: Du hast an meinem Vater David, deinem Knecht, große Barmherzigkeit getan, wie er denn vor dir gewandelt ist in Wahrheit und Gerechtigkeit und mit aufrichtigem Herzen vor dir, und hast ihm auch die große Barmherzigkeit erwiesen und ihm einen Sohn gegeben, der auf seinem Thron sitzen sollte, wie es denn jetzt ist. 7 Nun, Herr, mein Gott, du hast deinen Knecht zum König gemacht an meines Vaters David statt. Ich aber bin noch jung, weiß weder aus noch ein. 8 Und dein Knecht steht mitten in deinem Volk, das du erwählt hast, einem Volk, so groß, dass es wegen seiner Menge niemand zählen noch berechnen kann. 9 So wollest du deinem Knecht ein gehorsames Herz geben, dass er dein Volk richten könne und verstehen, was gut und böse ist. Denn wer vermag dies dein mächtiges Volk zu richten? 10 Das gefiel dem Herrn, dass Salomo darum bat. 11 Und Gott sprach zu ihm: Weil du darum bittest und bittest weder um langes Leben noch um Reichtum noch um deiner Feinde Tod, sondern um Verstand, auf das Recht zu hören, 12 siehe, so tue ich nach deinen Worten. Siehe, ich gebe dir ein weises und verständiges Herz, sodass deinesgleichen vor dir nicht gewesen ist und nach dir nicht aufkommen wird. 13 Und dazu gebe ich dir, worum du nicht gebeten hast, nämlich Reichtum und Ehre, sodass deinesgleichen keiner unter den Königen ist zu deinen Zeiten. 14 Und wenn du in meinen Wegen wandeln wirst, dass du hältst meine Satzungen und Gebote, wie dein Vater David gewandelt ist, so will ich dir ein langes Leben geben. 15 Und als Salomo erwachte, siehe, da war es ein Traum. Und er kam nach Jerusalem und trat vor die Lade des Bundes des Herrn und opferte Brandopfer und Dankopfer und machte ein großes Festmahl für alle seine Großen. (1. Könige 3,5-15)

Geliebte Gottes in Bitz/Burladingen,

Bin ich froh, dass ich nicht König bin! Puh! Das wäre ein Alptraum!

Ihr schaut mich an, als hättet ihr euch das anders vorgestellt. Als wäre König oder Königin sein euer größter Lebenstraum! Sicher, wer hat sich nicht als Kind schon einmal vorgestellt, als Prinz oder Prinzessin in einem großen Schloss zu wohnen -- mit riesigem Himmelbett und goldener Krone auf dem Kopf. Und mit ganz vielen Diener:innen natürlich, die einem jeden Wunsch von den Augen ablesen. Im glitzernden Ballkleid mit langer Schleppe durch die Räume zu schweben oder in silberner Rüstung zu Pferd Ritterspiele aufzuführen... Ihr merkt schon, die Bilder, die wir im Kopf haben, mischen wild irgendwelche Klischees aus Märchen und Mittelalter. Als wäre König zu sein ein romantisches Vergnügen!

Salomo könnte uns da eines besseren belehren. Er muss es ja wissen -- schließlich ist er gerade König geworden. Nicht im Mittelalter und nicht im Märchen, wohlgemerkt -- sondern ganz real, in Israel, vor fast 3.000 Jahren. Mit einem Schlag hat das sorglose Dasein eines privilegierten Königssohns ein Ende. Jetzt muss er ran. Verantwortung übernehmen. Jetzt ist er derjenige, zu dem sie alle kommen. Entscheidungen soll er treffen: Entscheidungen zu Konflikten, zur Verteilung von Ressourcen, zur Bewirtschaftung des Landes und zur Viehzucht. Plötzlich soll er sich überall auskennen, vom Management bis zur Agrarwirtschaft. Oberster Richter ist er auch gleich noch. Der Titel klingt nach mehr, als es ist. Unter ihm gibt es kaum andere Richter, und deshalb bringen sie auch alles zu ihm: Vom einfachen Familienstreit bis zur ausgewachsenen Fehde zwischen irgendwelchen Clans. Als ob er davon irgendeine Ahnung hätte! Gleichzeitig soll er als Heerführer seine Gemeinschaft verteidigen, sich mit Strategie und Taktik auskennen, eine Armee nicht nur führen, sondern überhaupt erst einmal irgendwo herbekommen und die Augen überall haben in seinem Reich und an den Grenzen und über die Grenzen hinaus, überall, wo eine Bedrohung auftauchen könnte. Religiöser Führer soll er auch noch sein: Gott im Auge behalten bei alledem. Repräsentieren soll er, im eigenen Land, und natürlich etwas darstellen in den Augen der Völker drumherum. Und irgendwie muss er dabei noch die Gesellschaft zusammenhalten, muss die Wichtigen mit einbeziehen und allen anderen das Gefühl geben, dazu zu gehören und nicht vergessen zu sein.

Ihr denkt, das Wohnen im Schloss entschädigt für das alles? Welches Schloss denn? Wie stellt ihr euch den Lebensstandard eines altorientalischen Stammesführers vor 3.000 Jahren denn vor? Wir reden hier doch nicht von 1.001 Nacht und magisch anmutenden Palästen. Da gibt es keine goldenen Löffel, doch nicht am Ende der Welt, im kleinen Israel!

Bei David, seinem Vater, sah das immer so einfach aus. Der war halt "ein Mann nach dem Herzen Gottes". Dem schien das alles irgendwie zuzufallen--Erfolge und die richtigen Entscheidungen und Gottes "große Barmherzigkeit" noch dazu. Nun ist er nicht mehr da, der König David, und er sitzt auf dem Thron, Salomo, so jung noch für diese große Aufgabe. "Ich weiß weder aus noch ein." Wie soll denn das überhaupt funktionieren? Wie soll ich das alles nur schaffen?

Kennst du das?

Auch wenn ich kein König bin: In dieser Überforderung fühle ich mich Salomo plötzlich ganz nahe. Wenn meine To-Do-Liste immer länger wird. Wenn scheinbar alle ständig etwas von mir wollen. Wenn alle Deadlines schon längst gerissen sind. Wenn mein Nervenkostüm immer dünner wird.

Ich weiß weder aus noch ein.

Kennst du das?

Du hast unendlich viel zu tun. Die Überstunden häufen sich. Die Fristen sind knapp, die Bedingungen schwierig, die Kollegen nicht gerade hilfreich. Zuhause wartet die Familie. Wie schaffst du es, die Balance zu halten zwischen Beruf und Privatleben? Die Kinder müssen betreut werden. Die kranke Oma auch. Selbst die Katze hat ihre Bedürfnisse. Hausaufgaben müssen angeschaut werden. Einer muss zum Fussball, die andere zum Ballett. Die Oma muss zum Arzt. Und wer leert das Katzenklo? Die Rechnungen stapeln sich. Wer soll die bezahlen -- und womit? So viel Monat und so wenig Geld auf dem Konto! Und dazu ständig das Handy, das pingt und vibriert. Noch eine Nachricht. Noch eine Frage. Noch jemand, der irgendetwas von dir will. E-Mails, Benachrichtigungen, Social Media. Immer online. Immer sichtbar. Immer gefordert, etwas zu liefern. Etwas darzustellen.

Ich weiß weder aus noch ein.

Und das ist nur der ganz normale Alltagswahnsinn. Über die richtig schwierigen Sachen reden wir noch gar nicht. Über Verlust und Trennung, über Konflikte und Emotionen. Über schlaflose Nächte und gesundheitliche Probleme. Über die immer zu knappe Zeit. Prioritäten muss man setzen. Irgendwas muss weichen. Nur was? Was ist jetzt dringend? Was ist wichtig? Die Welt wird immer komplexer, nicht nur technisch, sondern in allen ihren Zusammenhängen. Wer soll denn da noch durchblicken? Wie soll man da Entscheidungen treffen?

Ich weiß weder aus noch ein.

Aaaah! Es ist zum Haare raufen!

Halt die Welt an, ich will aussteigen.

Ich weiß weder aus noch ein.

Und der Herr erschien Salomo zu Gibeon im Traum des Nachts, und Gott sprach: Bitte, was ich dir geben soll! (1. Könige 3,5)

Bitte, was ich dir geben soll!

Was würdest du dir wünschen? Was würde dir jetzt helfen? Was bräuchtest du am allerdringendsten?

Bitte, was ich dir geben soll!

Kraft vielleicht. Am besten gleich irgendeine überdurchschnittliche Superkraft, um alles, was ansteht, souverän zu meistern. Als beeindruckender Überflieger, als jemand, den nichts erschüttern kann. David? Ach bitte! Schaut euch Salomo an! Der ist quasi zum König geboren! Und ich, zum Meister meines Alltags. Alle sehen zu mir auf, weil ich das alles spielend bewältige! Nur: Will ich das überhaupt, da überall durchzupowern und immer noch mehr zu leisten?

Zeit wäre gut: Wie oft wünsche ich mir mehr als 24 Stunden am Tag. Aber glaubst du wirklich, die zusätzliche Zeit würde dir mehr Muße und Ruhe und Luft für die anstehenden Aufgaben bringen? Sind wir nicht Meister:innen darin, jede zur Verfügung stehende Minute mit immer neuen Dingen anzufüllen?

Geld und Macht und Ehre würden mir vielleicht in manchen Dingen etwas Luft verschaffen. Unzählige Geschichten, Märchen, Filme und nicht zuletzt das ganz reale Leben haben uns gelehrt, dass dieser Traum selten in Erfüllung geht. Dass Geld und Macht und Ehre auch nicht glücklich machen, sondern immer ihre ganz eigenen Herausforderungen mit sich bringen.

Was macht denn glücklich?

Bitte, was ich dir geben soll!

Sollte ich mir vielleicht einfach Glück wünschen? Ist Glück etwas, was man von außen bekommen kann? Was nicht erst wachsen muss, von innen, aus dem eigenen Erleben heraus?

Bitte, was ich dir geben soll!

In den Märchen geht das meistens schief, wenn jemand einen Wunsch frei hat -- oder auch mehrere. Warum nur?

Bitte, was ich dir geben soll!

Was ist denn wirklich wichtig? Worauf kommt es denn an? Was würde denn wirklich alles ändern?

"So wollest du deinem Knecht ein [hörendes] Herz geben...", bittet Salomo.

Ein hörendes Herz. Nicht Geld. Nicht Macht. Nicht Reichtum und langes Leben. Nicht Zeit und Einfluss und viele Klicks auf deinem Insta-Profil.

Ein hörendes Herz.

Im hebräischen Denken steht das Herz für das Zentrum von Denken und Verstehen, Wille, Emotionen und Gewissen. Das gesamte Innenleben des Menschen findet im Herzen statt. Alles, was es zu tun gibt; alles, wie sich ein Mensch äußert, komt aus dem Herzen.

Ein hörendes Herz will Salomo. Und Gott gefällt dieser Wunsch.

Hören ist eine Außenwahrnehmung. Hörende bleiben nicht auf sich selbst bezogen. Wer hinhört, nimmt erst einmal wahr. Erkennt Nuancen. Weiß um die Welt und die Menschen rundherum. Hört ihre Geschichten. Hat Zeit für sie. Nimmt wahr, was darin mitschwingt, was zwischen den Zeilen mitklingt. Wer hört, kennt die Bedenken. Wer hört, lässt auch Einwände zu. Wenn ich höre, öffne ich die Tür dafür, dass andere manchmal klüger und weiser sind als ich. Sie sehen Zusammenhänge, die mir nicht klar waren. Wer hört, der lernt. Wenn ich höre, wachse ich.

Wer hört, trifft seine Entscheidungen anders, als zuvor. Wer hört, der verlässt sich nicht nur auf sich selbst. Wenn ich höre, nehme ich bewusst an, dass Weisheit eine Rückbindung braucht: an die Welt um mich her, an das Leben, an Gott. Wenn ich höre, mache ich mich abhängig.

Ein hörendes Herz, das ist das genaue, krasse Gegenteil zu der Überfliegerlösung, in der ich selbst souverän alles meistere. Ein hörendes Herz will das gar nicht. Ein hörendes Herz ist zuerst Empfänger, bevor es selbst irgendetwas gibt und tut. Ein hörendes Herz ordnet sich ein, ordnet sich unter, unter die Menschen, für die ich Verantwortung habe; und unter Gott, dessen Weisheit so viel größer ist, als alles, was ich mir selbst ansammeln könnte.

Ein hörendes Herz ist das genaue, krasse Gegenteil zu dem, was unsere Welt so oft prägt. Das Gegenteil von Diskussionen, in denen wir aneinander vorbeireden und uns Positionen um die Ohren hauen. Das Gegenteil von unbarmherzigem Beharren auf dem eigenen Recht. Das Gegenteil von Spaltung und Gräben, von Mißgunst und Machtgehabe. Ein hörendes Herz ist ein Ausdruck von Liebe. Ein hörendes Herz befördert das Leben.

Ein hörendes Herz handelt nicht aus der eigenen Stärke heraus. Nicht aus der Überzeugung, recht zu haben. Ein hörendes Herz beginnt nicht mit der unendlichen To-Do-Liste, sondern mit der Hinwendung zu Gott und der Frage nach dem, was ihm wichtig ist. Ein hörendes Herz kann atmen, weil es nicht nur von einer Aufgabe zur nächsten hetzt. Ein hörendes Herz findet Ruhe und Kraft bei Gott.

"So wollest du deinem Knecht ein [hörendes] Herz geben...", bittet Salomo.

Da fängt es schon an. Ein hörendes Herz ist nicht in mir selbst zu finden. Man kann es nicht machen. Nicht produzieren. Ich kann nicht heute Nachmittag beschließen, ab jetzt einfach mehr zu hören, bevor ich handle. Ein hörendes Herz muss man sich schenken lassen. Schon dass macht abhängig von Gott. Ich muss mich auf ihn verlassen. Ich muss auf ihn vertrauen. Ist es nicht genau das, was "Glaube" bedeutet? Und ist nicht Evangelium, "gute Nachricht" genau, dass ich mich auf ihn verlassen kann?

Bitte, was ich dir geben soll!

Mir hat noch niemand gesagt, ich hätte einen Wunsch frei. Auch Gott nicht.

Oder doch?

Wenn ich eines aus Salomos Traum lernen kann, dann das, dass Gott diesen Wunsch nur zu gerne erfüllt. Wenn ich auf Jesus Christus höre, dann sagt er zu mir: "Bittet, so wird euch gegeben." (Matthäus 7,7) Und der Jakobusbrief im Neuen Testament legt dazu: "Wenn es aber jemandem unter euch an Weisheit mangelt, so bitte er Gott, der jedermann gern und ohne Vorwurf gibt; so wird sie ihm gegeben werden." (Jakobus 1,5). Es ist also nicht nur ein Traum. Das ist Gottes Zusage, die auch mir gilt.

Bitte, was ich dir geben soll!

Und weil ich oft genug "nicht aus noch ein weiß", soll das Gebet des Salomo auch meines werden -- heute und immer wieder, wenn mich das Leben zu überfordern droht:

So wollest du deinem Knecht ein [hörendes] Herz geben.

Amen.


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 August 6, 2023  14m