Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Und sei unser Gast


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Lasst euch mitnehmen in eine Erzählung aus dem Lukasevangelium:

36 Es bat ihn aber einer der Pharisäer, mit ihm zu essen. Und er ging hinein in das Haus des Pharisäers und setzte sich zu Tisch. 37 Und siehe, eine Frau war in der Stadt, die war eine Sünderin. Als die vernahm, dass er zu Tisch saß im Haus des Pharisäers, brachte sie ein Alabastergefäß mit Salböl 38 und trat von hinten zu seinen Füßen, weinte und fing an, seine Füße mit Tränen zu netzen und mit den Haaren ihres Hauptes zu trocknen, und küsste seine Füße und salbte sie mit dem Salböl. 39 Da aber das der Pharisäer sah, der ihn eingeladen hatte, sprach er bei sich selbst und sagte: Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin. 40 Jesus antwortete und sprach zu ihm: Simon, ich habe dir etwas zu sagen. Er aber sprach: Meister, sag es! 41 Ein Gläubiger hatte zwei Schuldner. Einer war fünfhundert Silbergroschen schuldig, der andere fünfzig. 42 Da sie aber nicht bezahlen konnten, schenkte er's beiden. Wer von ihnen wird ihn mehr lieben? 43 Simon antwortete und sprach: Ich denke, der, dem er mehr geschenkt hat. Er aber sprach zu ihm: Du hast recht geurteilt. 44 Und er wandte sich zu der Frau und sprach zu Simon: Siehst du diese Frau? Ich bin in dein Haus gekommen; du hast mir kein Wasser für meine Füße gegeben; diese aber hat meine Füße mit Tränen genetzt und mit ihren Haaren getrocknet. 45 Du hast mir keinen Kuss gegeben; diese aber hat, seit ich hereingekommen bin, nicht abgelassen, meine Füße zu küssen. 46 Du hast mein Haupt nicht mit Öl gesalbt; sie aber hat meine Füße mit Salböl gesalbt. 47 Deshalb sage ich dir: Ihre vielen Sünden sind vergeben, denn sie hat viel geliebt; wem aber wenig vergeben wird, der liebt wenig. 48 Und er sprach zu ihr: Dir sind deine Sünden vergeben. 49 Da fingen die an, die mit zu Tisch saßen, und sprachen bei sich selbst: Wer ist dieser, der auch Sünden vergibt? 50 Er aber sprach zu der Frau: Dein Glaube hat dir geholfen; geh hin in Frieden! (Lukas 7,36-50)

Schau mal wer da kommt! Wer ist sie? Das ist doch die... Hast du auch gehört, dass die... Und der Jakob hat mir erzählt, dass sie... Die ganze Stadt kennt die Frau, die da kommt. Das Leben, das sie führt ist Gesprächsthema bei den Leuten. Man weiß über sie Bescheid. Man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand. Eine Sünderin. Lukas, der Erzähler, beteiligt sich nicht am Klatsch und Tratsch. Er geht nicht in die Details, was da alles schief läuft in ihrem Leben. Er bezeichnet sie einfach mit dem Begriff, der das Wesentlich sagt: Eine Sünderin. Eine, die nicht so lebt, wie sie sollte. Eine, die vorbeilebt an dem, was sein könnte, was Gott ja angelegt hat in dem Leben, das er ihr geschenkt hat. Die die Chancen verpasst, die Gott ihr geschenkt hat. Das ist es doch, was Sünde ist. Und bei ihr scheint es ziemlich offensichtlich zu sein.

Weißt du das eigentlich so genau? Wer kennt den wirklich die Details. Vieles ist ja doch nur Hörensagen. Du hast dir etwas zusammengereimt. Jeder meint, noch etwas mehr zu wissen. Geschichten haben es ja so an sich, das sie wachsen, wenn man sie weitererzählt. Über sie hat man schon ganz viel erzählt. Was davon wahr ist, und was vielleicht nur erfunden, das weiß längst keiner mehr genau. Du hast auch kein Interesse daran, das zu hinterfragen. Du kennst sie nicht wirklich, aber du willst sie auch nicht kennenlernen. Wenn man nur oft genug hört: "eine Sünderin", dann schleicht sich das als absolute Wahrheit ein und jeder ist davon überzeugt. Keiner will mehr etwas mit ihr zu tun haben. Sie ist ausgeschlossen. Ausgegrenzt. Kein Teil der Gemeinschaft. Eine Sünderin.

Wer ist sie? Du weißt Bescheid, wer sie ist. Vielleicht hast du jetzt gerade schon ein ganz konkretes Bild vor Augen. Oder einen Namen im Kopf. Einen Sünder. Eine Sünderin.

Mit ihr hättest du dich nicht an den Tisch gesetzt. Man lässt ja schließlich nicht jeden einfach ins Haus. Tischgemeinschaft hat etwas intimes, etwas von Nähe -- in der alten orientalischen Gesellschaft noch viel mehr. Normalerweise isst man im Kreis der Familie. Wer dazu geladen wird, für den ist es eine große Ehre. Wer dazu sitzen darf, steht unter dem Schutz des Gastgebers. Und wenn der dann zum Anfang des Mahls das Brot bricht und den Segen spricht, dann sitzt Gott selbst mit am Tisch und der Eingeladene ist mit hineingenommen in die Gemeinschaft der Menschen untereinander und mit Gott.

Mit ihr hättest du dich nicht an den Tisch gesetzt. Hier sitzen schließlich anständige Leute. Respektable Menschen, die ihr Leben in Verantwortung vor Gott führen und versuchen, das Beste daraus zu machen. Fromme Menschen, denen Glaube mehr bedeutet als eine Kirchenmitgliedschaft auf dem Papier und die ihn selbstverständlich als Teil ihres Alltags leben. Menschen, über die man auch Bescheid weiß -- aber im positiven Sinn. Sie sind ehrbar und angesehen. Mit ihnen kann man sich sehen lassen. Hier eingeladen zu sein ist in der Tat eine Ehre: Ein Zeichen, dass man dich für ehrbar und respektabel hält.

Pharisäer sitzen hier am Tisch. Die haben in der Kirche oft schlechte Karten und für manchen klingt es fast so, als sei es schlecht, ein Pharisäer zu sein. Dabei liegt das fern von der Wahrheit. Die Pharisäer sind schließlich die Anständigen im Lande. Eine Art Protestbewegung haben sie gegründet: Es ist ihnen ein Graus, wie wenig Gottes Gebote im Alltag der Menschen noch beachtet werden. Sie wollen anders sein. Besser. Konsequent nach Gottes Wort leben. Sie sind überzeugt, dass es keine besseren Leitlinien für das Leben und die Welt gibt, als das, was Gott gesagt hat. Also beschäftigen sie sich damit. Sie lesen die Schriften. Sie kennen Gottes Gebote. Sie achten sehr genau darauf, sich an alles davon zu halten. Sie verbessern ihre Welt, indem sie bei sich selbst anfangen: Eine Gemeinschaft ist entstanden, überall im Land. Eine Gemeinschaft von Menschen, die gut und aufrichtig leben. Und Jesus.

Jesus sitzt mit am Tisch. Der passt da eigentlich auch gut dazu, zu den Frommen und Anständigen, findest du. Schließlich teilen wir ja alle dasselbe Anliegen. Deshalb hast du ihn eingeladen: "Komm, Herr Jesus, sei unser Gast!" Hast du in dem Moment wirklich damit gerechnet, dass er zusagt? Oder war das nur eine höfliche Formel, weil man das halt so sagt, bei den Anständigen und Frommen: "Komm, Herr Jesus, sei unser Gast!"? Jedenfalls sitzt er jetzt hier, mitten unter deinen Gästen und du tust dein Möglichstes, um ein guter Gastgeber zu sein. Du bist höflich und zuvorkommend, du bedienst ihn als ersten und du schaust aufmerksam hin, was er tut, dein besonderer Gast. Er fühlt sich offensichtlich wohl hier bei dir und den deinen und ist gerne gekommen um mit euch zu essen und zu reden über Gottes Reich, über Gottes Frieden.

Schau mal, wer da kommt! Sie hast du bestimmt nicht eingeladen. Das wäre dir im Traum nicht eingefallen! Sie gehört doch nicht hierher. Das ist ja peinlich, sie in diesem Kreis zu sehen. Was, wenn Jesus von dir denkt, dass du in solchen Kreisen verkehrst. Leider warst du nicht schnell genug. Bevor du reagieren kannst, ist sie schon da. Sie steht am Tisch. Sie steht vor Jesus, deinem liebsten Gast. Du verstehst nicht, was hier geschieht. Du schaust nur stumm zu, wie sie dasteht und weint. Die Tränen tropfen auf seine Füße. Sie kniet sich hin. Sie trocknet seine Füße mit ihren Haaren. Eine kostbare Flasche hat sie in der Hand. Als sie den Stöpsel zieht, duftet es wunderbar im ganzen Raum. Dir stockt der Atem. Wo hat sie das her? Das muss ein Vermögen gekostet haben! Stumm siehst du, wie sie ihm die Füße salbt. Du verstehst nicht, was hier geschieht. Aber es regt dich auf. Du bist wütend, weil der schöne Abend ruiniert ist. Sie sollte gar nicht hier sein!

Vielleicht springst du auf, um sie rauszuwerfen. Doch Jesus kommt dir zuvor. Er lächelt sie an. Er ist freundlich zu ihr. Er erweist ihr seine Liebe. Er tut, als sei sie eine Freundin. Eine geschätzte Gästin. Ein wertvoller Mensch unter all den Frommen und Anständigen. Weiß er denn nicht...? Ob du dich in ihm getäuscht hast? "Wenn dieser ein Prophet wäre, so wüsste er, wer und was für eine Frau das ist, die ihn anrührt; denn sie ist eine Sünderin."

Und dann schaut er dich an. Jetzt spricht er zu dir, mit Worten, die du verstehen kannst. Er redet von Liebe. Von deiner Liebe zu Gott und von ihrer. Und von Gottes Liebe. Was er sagt, ist keine Gleichmacherei. Er sagt nicht: "Wir sind doch alle Sünder." Er kennt dich ja und deinen Willen, aufrecht zu leben. Was er sagt ist: Gott hat uns alle lieb. Es durftet nach Vergebung im Raum und du begreifst, vielleicht, dass du ihn unterschätzt hast. Dass du Gott unterschätzt hast. Seine Liebe geht viel weiter als nur bis zu den Frommen und Anständigen. Sie gilt nicht nur denen aus dem inneren Kreis, denen, die sie irgendwie auch verdient haben. Die sich ihrer würdig erweisen. Gott, der vergibt, öffnet seine Liebe, öffnet Herz und Arme für die, die nicht mit am Tisch sitzen. Die keiner einladen würde. So wie sie.

"Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast!" Nie hättest du damit gerechnet, dass am Ende auf einmal er der Gastgeber sein würde. Er ist es, der hier austeilt und einschenkt: Nicht nur Brot und Wein, sondern Vergebung und Liebe und Friede. Dir, den Deinen und auch ihr. Du hättest sie nie eingeladen. Er tut es ganz selbstverständlich. Und wie reich wurde sie beschenkt.

Fast bist du ein kleines bisschen neidisch. Sie bekommt so viel von ihm. Und du?

"Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast!" Wenn du es zulässt, dass ihr die Rollen tauscht -- das er der Gastgeber wird und dein Tisch der seine --, dann gehst du nicht leer aus, das ist gewiss! Er ist ja da. Er ist ja da, bei dir und teilt aus: Vergebung, Liebe und Friede. Du bekommst eine Menge davon ab: Genug für alles, was du brauchst. Mehr noch: Wenn du es zulässt, dass er sie einlädt -- hier bei dir, an deinem Tisch, dass es nicht nur um dich geht, sondern er dein Herz öffnet auch für sie, für die andere -- dann bekommst du an diesem Tag: eine neue Freundin. Eine neue Schwester. Der Kreis wird größer um deinen Tisch und es ist genug für alle da! Dann wird dein Fest erst ein richtiges Fest--größer und schöner, als du es hättest vorbereiten können.

Er kann das schon. Das passiert, wenn man ihn einlädt: "Komm, Herr Jesus, sei du unser Gast." Da muss man mit vielem rechnen. Da machen sich Friede, Vergebung und Liebe breit.

Wenn alle fröhlich um den Tisch sitzen, wenn das Geschirr klappert und die Gläser klirren und frohes, zufriedenes Geplapper den Raum füllt, dann sitzt sie auf einmal mitten drin. Sie lächelt selig.

Du kennst sie gar nicht, fällt dir da auf. Eigentlich weißt du ganz wenig über sie. Vielleicht nicht einmal ihren Namen. Setz dich neben sie! Sprich sie an! Lern sie kennen! Schau sie an als von Gott geliebten Menschen, wie du es vorher bei Jesus gesehen hast. Vielleicht erzählt sie dir ihre Geschichte und du staunst noch einmal neu über die Liebe, die sie von Gott erfuhr. Geh hin! Sag: "Eine Freundin von Jesus ist auch meine Freundin." Sag nicht: "Lass mich in Frieden!", sondern: "Friede mit dir!"

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, wird reichlich da sein für euch beide und eure Herzen und Sinne bewahren in Christus Jesus, unserem Herrn!

Amen.


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 August 20, 2023  12m