Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Als stünde es schon vor der Tür


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn.

Sie kommen. Man kann sie noch nichts sehen, aber der Schrecken, der ihnen vorausgeht, liegt schon fast greifbar in der Luft. So viel hat man von ihnen schon gehört. So viele furchtbare Berichte. So viele schreckliche Bilder löst allein die Nennung ihres Namens schon in den Köpfen aus. Würdest du im Jerusalem des 8. Jahrhunderts vor Christus leben, dann wüsstest du auch sofort, von wem ich rede: Die Armee des neuassyrischen Großreichs ist auf dem Vormarsch. In nur wenigen Jahren haben sie sich gefühlt schon fast die ganze Welt unterworfen. Kleine und große Reiche mussten sich ihnen geschlagen geben. Ihrer überlegenen militärischen Stärke war keiner gewachsen. Eine wahre Höllenmaschinerie kommt da auf das kleine Israel zu: Streitwagen und Reiter kommen, gepanzerte Lanzenträger, Speerwerfer, leicht- und schwergepanzerte Bogenschützen und Schleuderer. Pioniereinheiten bahnen den Weg für die großen Maschinen--Rammböcke und Belagerungstürme. Schwere Setzschilde zum Schutz der Bogenschützen. An guten Tagen in günstigem Terrain rückt die Armee 20-25 Kilometer weit vor. Und die Angst eilt ihnen weit voraus.

Nicht nur die Schreckensnachrichten reichen in die Ferne. Mit bloßem Auge kann man in Israel sehen, wie sich förmlich die ganze Welt unterwerfen muss: Das Libanongebirge im Norden, über dem der selbst im Sommer schneebedeckte Gipfel des Hermon bis weit nach Israel leuchtet, ist braun geworden. Wo einst saftige, grüne Wälder standen, haben sie alles abgeholzt für ihre Kriegsmaschinen. Nichts kann sich ihnen in den Weg stellen.

Sie kommen.

Und die Angst macht sich breit.

Zum Glück sind wir nicht im Jerusalem des 8. Jahrhunderts vor Christus!


Sie kommen.

Auch bei uns sind Kriege und Konflikte auf dem Vormarsch. Wer hätte es gedacht, noch vor wenigen Jahren, dass uns der Krieg in Europa so nahe rücken würde? Werden wir mit hineingezogen? Sind wir das vielleicht schon? Gibt es überhaupt noch Chancen auf Frieden oder ist alles, was wir in fast 80 Jahren ununterbrochenen Friedens für selbstverständlich genommen haben, für immer verloren?

Sie kommen.

Sie kommen klein und unscheinbar. Unsichtbar, und gerade das macht sie so gefährlich. Beim letzten Mal kamen sie aus China, die Viren, die wir nicht kontrollieren konnten. Wie hatten wir immer gelächelt über die Chines:innen mit ihren Masken. Keiner hätte gedacht, dass es bei uns passieren könnte -- oder auf der ganzen Welt. Dass wir Schulen schließen und Ausgangssperren beachten müssen, dass wir Masken tragen und uns nur zaghaft aus der Ferne grüßen. Dass wir Massenimpfungen brauchen, mit Hilfe der Bundeswehr, und uns tagelang die Finger wundwählen und wundklicken, bis wir einen Termin bekommen. Seit drei Jahren wissen wir, dass wir nicht sicher sind vor solchen Gefahren. Wer weiß, wann und wo das nächste Virus kommt.

Sie kommen.

Die neuen Gesetze, zu Heizung und Energie, zu Verkehr und Klima. Sie kommen und viele haben sie zum Feindbild erkoren. Andere sehen eher anderes kommen: Unumkehrbare Veränderungen an unserer Welt, in der viele Kipppunkte schon längst überschritten sind. Niemand glaubt mehr daran, dass wir das Ziel von höchstens 1,5 Grad Erwärmung noch erreichen können. Während das hier viele mit den Achseln zucken lässt, versinken anderswo schon ganze Inseln im Meer. In ganz Europa häufen sich die Unwetterereignisse. Wie wird die Welt aussehen, in der ich mein Alter verbringe? In die meine Enkel:innen hineingeboren werden?

Sie kommen.

Die Geflüchteten, denen Krieg und Not und Terror ihre Heimat geraubt haben. Sie kommen, manchmal auf lebensgefährlichen Routen und viele von ihnen schaffen es gar nicht erst bis in unsere Nähe. Vor den Augen der Welt ertrinken sie im Mittelmeer oder verschwinden in Folterlagern in Libyen. Andere schaffen es nach Europa und sind angekommen an ihrem Hoffnungsort. Und jetzt? Da will man sie uns vor die Nase setzen, hier in unseren Dörfern. Das ist doch die Höhe! Da proben wir gleich den Aufstand und bedrohen den Landrat und tun alles, damit unsere kleine Umgebung auf keinen Fall berührt wird von der Not anderer Menschen. Jeder ist sich schließlich selbst der Nächste.

Sie kommen.

Die vielen Veränderungen, die man als Einzelner kaum noch überblicken kann. Die Angst eilt ihnen voraus. Die Unsicherheit, die Fragen--alles, was dazugehört, wenn das gewohnt "Normale" in Frage gestellt wird. Und mit ihnen kommen die Abwehrreaktionen, die einfachen Antworten, das Geschrei der Proleten vom Stammtisch. Mit ihnen kommt mein persönliches großes Schreckgespenst:

Sie kommen, die rechten Parteien und viel zu viele Menschen in Deutschland fallen schon wieder auf sie rein. Als hätten wir nichts gelernt aus der Geschichte! Die ewig gleichen Lügen der ewig gleichen Bauernfänger funktionieren schon wieder und wenn ich die aktuellen Umfragen sehen, stockt mir der Atem und mir wird angst und bang um mein Land, um meine Nachbarn und Freunde, um unsere Welt!

Sie kommen.

Und die Angst macht sich breit.

Ich könnte noch lange weitermachen. Auch vor der Kirche macht das alles ja nicht halt. Sie kommen, die Pfarrpläne aus Stuttgart, die zähen Verhandlungen darüber, wie viel Kirche wir uns überhaupt noch leisten können, wie viele Gebäude und Gottesdienste, wie viele Pfarrer:innen überhaupt noch übrig bleiben am Ende und wo. Für Burladingen ist das gerade eine ernsthafte Frage, die bis nächstes Frühjahr ausgehandelt und beschlossen werden muss. 9 Pfarrstellen fallen weg, hier im Kirchenbezirk Balingen. Ich selbst werde in den Herbstferien umziehen, weil schon in der letzten Runde vor sechs Jahren beschlossen wurde, dass meine Stelle hier ein Ende hat.

Sie kommen.

Und die Angst macht sich breit.

Wo soll das noch enden? Was sollen wir denn machen? Wer kann uns noch helfen?


In Jerusalem hört man die Stimme des Propheten. Das ist nichts Neues: Er hatte viel zu sagen in den letzten Jahren. Falls das Volk nicht umkehrt zu Gott, den es mehr oder weniger vergessen hat, werde genau das geschehen, was jetzt am Horizont steht -- hat er seit langem vorausgesagt. Jetzt spricht er wieder. Will er jetzt triumphieren? Uns allen sein "Ich hab's euch doch gesagt" unter die Nase reiben?

Wer ihn kennt, wird hellhörig, als er diesmal seine Stimme erhebt. Denn das ist es, was er zu sagen hat -- aus dem 29. Kapitel des Jesajabuchs:

17 Wohlan, es ist noch eine kleine Weile, so soll der Libanon fruchtbares Land werden, und was jetzt fruchtbares Land ist, soll wie ein Wald werden. 18 Zu der Zeit werden die Tauben hören die Worte des Buches, und die Augen der Blinden werden aus Dunkel und Finsternis sehen; 19 und die Elenden werden wieder Freude haben am Herrn, und die Ärmsten unter den Menschen werden fröhlich sein in dem Heiligen Israels. 20 Denn es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, und es werden vertilgt werden alle, die darauf aus sind, Unheil anzurichten, 21 welche die Leute schuldig sprechen vor Gericht und stellen dem nach, der sie zurechtweist im Tor, und beugen durch Lügen das Recht des Unschuldigen. 22 Darum spricht der Herr, der Abraham erlöst hat, zum Hause Jakob: Jakob soll nicht mehr beschämt dastehen, und sein Antlitz soll nicht mehr erblassen. 23 Denn wenn sie sehen werden die Werke meiner Hände – ihre Kinder – in ihrer Mitte, werden sie meinen Namen heiligen; sie werden den Heiligen Jakobs heiligen und den Gott Israels fürchten. 24 Und die, welche irren in ihrem Geist, werden Verstand annehmen, und die, welche murren, werden sich belehren lassen. (Jesaja 29,17-24)


Wer ihn kennt, traut seinen Ohren kaum. Was er sagt, das klingt so unwahrscheinlich. Was er sagt, das klingt nach... Hoffnung!

Das hat man schon lange nicht mehr gehört in Jerusalem. Hier reden alle nur noch von der Bedrohung. Die Angst wird breitgetreten. Der Schrecken breitet sich aus. Wer es doch noch wagt, von Hoffnung zu reden, der wird als naiv abgetan. Als weltfremder Spinner verlacht. Oder als Lügner an den Pranger gestellt.

Hoffnung!

Das hört man viel zu selten in unserer Welt. Die Medien jedenfalls berichten kaum davon. Mit Hoffnung kann man keine Wähler gewinnen. Mit Hoffnung kann man die Menschen nicht in die Arme der Extremen treiben. Was keine Bedrohung ist, wird notfalls auch mit Lügen zu einer aufgebauscht. Hoffnung? Wer will denn Hoffnung? Die Angst dreht ihre Runden und wer ihr nicht das Wort redet, sondern Hoffnung hat, der lebt wohl in einer rosaroten Märchenwelt.

Hoffnung!

Das hört man viel zu selten, finde ich, in unserer Kirche. Klar, auch da sind die Herausforderungen groß. Reformen sind nötig und es scheint, als brächen sie alle gleichzeitig über uns herein. Keiner hat die nobelpreisverdächtigen Antworten auf die Fragen, vor denen wir stehen. Realismus ist gefordert. Und den Gürtel enger schnallen. Aber wo sind die Christ:innen der Hoffnung? Wo sind die, die mitten all dem laut von einer Kirche träumen, die auch in Zukunft stark ist und mutig vom Evangelium redet, weil sie doch Christus in ihrer Mitte hat?

Hoffnung!


"Sie kommen!", ruft Jesaja und die Veränderungen, von denen er redet, sind ganz anderer Art. Von neuen grünen Bäumen auf den braunen, kahlen Hängen des Libanon redet er. Von fruchtbaren Feldern, wo jetzt nur noch Steine wachsen. Von Elenden, die sich freuen, und Bitterarmen, die feiern können. Jesaja malt ein Bild einer ganz anderen Welt vor die Augen seiner Zuhörer. Ein Bild einer großen Erneuerung.

Wo Blinde sehen und Taube hören, da wird schnell klar, dass es sich hier nicht um ein politisches Programm zur Weltverbesserung handelt. Was Jesaja beschreibt, geht über die Grenzen des menschlich Möglichen hinaus. Nur Gott kann diese Veränderung bringen. Gott wird die Veränderung bringen, ist, was Jesaja sagt. "Es ist noch eine kleine Weile". Habt Geduld. Haltet aus. Hofft. Gott wird die Dinge wenden.

Grün und Blühen, Freude und Lachen, Sehen und Hören (und Staunen) -- sie kommen!

Und Hoffnung macht sich breit.


Sind wir als Christ:innen denn nicht Hoffnungsmenschen par excellence? Was Jesaja hier sagt, findet sein Echo in den Worten dessen, auf den sich unser Glaube gründet. Als Jesus von Nazareth durch die Lande zieht, ist das seine Botschaft: "Kehrt um und glaubt an das Evangelium -- glaubt an die gute Nachricht: Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen." Das ist das Eine, was er findet, dass die Menschen hören müssen. Gottes Reich ist nahe herbeigekommen. Das Reich Gottes, von dem er redet, leuchtet in mindestens genauso plastisch bunten Bildern vor den Augen seiner Zuhörer auf, wie damals bei Jesaja:

Frieden, Gerechtigkeit und Freude -- sie kommen.

Und Hoffnung macht sich breit.


Was dann geschieht, lässt uns den Atem stocken. Seit 2.000 Jahren können viele es gar nicht glauben, und für uns, die wir darauf vertrauen, ist es der Grund, warum wir überhaupt hier sind -- warum wir uns Christ:innen nennen und warum Kirche zwei Jahrtausende voller Höhen und Tiefen überstanden hat: Der, der hier vom Reich Gottes schwärmt und den damals schon viele für einen weltfremden Spinner halten, den sie schließlich sogar hinrichten, weil er ihnen nicht ins Programm passt -- dieser Christus, er ist auferstanden! Wahrhaftig auferstanden.

Das ändert alles. Grundsätzliches alles. Für immer und alle Zeiten. Denn mit dem auferstandenen Christus hat Gott die Tür für das kommende Gottesreich aufgestoßen. Wir schauen auf ihn und wissen: Es gibt Hoffnung! Das sind viel mehr als bunte Bilder, die uns durchhalten lassen. Friede, Gerechtigkeit und Freude; Gottes Reich des ewigen Lebens in Fülle, es ist angebrochen in diesem Christus, und wir sind heute schon ein Teil davon. Ja, ich weiß schon, dass die Vollendung dieses Gottesreichs noch aussteht, bis er kommt an seinem Tag. Und das niemand weiß, wann der ist und zweitausend Jahre Warten schon ganz schön lange sind.

Aber das ändert nichts am Grundsatz: Christ:innen sind Menschen, die aus der Hoffnung leben. Wir können hinter die Tatsache, dass Gott durch die Auferstehung Christi die ganze Welt für immer verändert hat, nie wieder zurück. Wir können gar nicht anders, als zu hoffen! Für Menschen, die auf diesen Christus vertrauen, hat sich der Blick auf die Welt für immer gewandelt:

Gottes Reich kommt!

Und Hoffnung macht sich breit!


Auch wenn wir wissen, dass vieles von dem, was es dazu noch an Veränderung braucht, nur durch Gott selbst geschehen kann, wissen wir uns seither zu seinem Reich gerufen. Wir sind seine Hände und Füße in der Welt. Wir sind die, die die Hoffnung hineintragen müssen, die danach leben und handeln müssen, weil wir die sind, die wissen, was kommt. Christ:innen nehmen durch ihr Leben fröhlich vorweg, was Gott noch tun wird. Das sollte etwas ändern, im Großen, wie im Kleinen. In unserem Umgang miteinander. In unserer Begegnung mit den Menschen um uns her. In unserem Einsatz für alle Geschöpfe Gottes, für die ganze Welt, die er uns anvertraut hat. In unserem Denken und Reden genauso wie in unserem Handeln. Möge die Hoffnung uns Mut machen, auch wenn andere um uns herum Parolen in Bürgerversammlungen gröhlen und seltsame Fahnen im Garten hissen.

Unsere Lebensgrundlage heißt: Gottes Reich kommt!

Und Hoffnung macht sich breit!


Mit Jesaja habe ich den Glauben nicht aufgegeben, dass Hoffnung ansteckend sein kann und die Menschen um uns herum berührt. Das "die, die in ihrem Geist irren" noch "Verstand annehmen" können, und die, die nur jammern, sich "belehren lassen". Auch das ist Hoffnung. Hoffnung auf Gottes Geist, der mehr tun will, als ich selbst mir da vorstellen kann.

Und so mache ich es zu meinem Gebet -- immer wieder neu -- was mir mein Jesus vorgebetet und vorgelebt hat und verleihe meiner Hoffnung Ausdruck, wenn ich aus tiefstem Herzen sage:

Dein Name werde geheiligt.

Dein Reich komme.

Dein Wille geschehe, wie im Himmel und auf Erden.


Als stünde es schon vor der Tür!

Ich bin gewiss, dass das mehr als ein rosarotes Märchen ist. Ich bin gewiss:

Friede, Gerechtigkeit, Freude und Lachen, Sehen und Hören (und Staunen) und Gottes ewiges Reich...

Sie kommen!

Und Hoffnung macht sich bei mir breit.

Möge sie mein Leben prägen.

Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in Christus Jesus. In dieser Hoffnung.

Amen.


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 August 27, 2023  15m