Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Weißt du, wie viel Sternlein stehen?


[Fischer] "Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?"

[] Das Lied weckt Kindheitserinnerungen. Wir haben das gesungen, als wir klein waren, abends, vor dem Schlafengehen. Die ruhige Melodie, die Bilder von Sternen und Wolken, von Mücken und Fischen, haben uns eingelullt. Wir haben uns hineingelegt in die Bögen der Melodie, hineingekuschelt in die vertrauten Bilder. Das Lied besingt, dass alles, was existiert, fest in Gottes Hand ist. Er hält seine Hand darüber--und wer in seiner Hand ist, bleibt sicher und geborgen, egal was kommt. "Weißt du, wie viel Kinder frühe stehn aus ihrem Bettlein auf", haben wir gesungen und dann waren wir selbst ein Teil der Bilder. Wir waren selbst Teil derer, die sich in seiner Hand geborgen wissen, "dass sie ohne Sorg und Mühe fröhlich sind im Tageslauf?" In dieser Gewissheit sind wir ruhig eingeschlafen: "Gott im Himmel hat an allen seine Lust, sein Wohlgefallen; kennt auch dich und hat dich lieb, kennt auch dich und hat dich lieb."

[Engele] Der alte Abram zählt keine Sterne mehr. Der Sternenhimmel hat seinen Reiz verloren. Überhaupt lässt er sich nur noch schwer von irgendetwas begeistern. Zu frustrierend ist das Leben geworden. Er ist alt. Lang ist es her, seit er mit seiner Frau und seinen Dienern, mit Kamelen, Schafen und Ziegen -- seinem gesamten Besitz -- die Heimat verließ. Andere mögen damals den Kopf geschüttelt haben, aber für Abram war klar: Gott hat mich gerufen. Gott hat mich erwählt. Ich bin mit Gott unterwegs. Ich weiß zwar auch noch nicht wohin, aber Gott wird es schon wissen. Er wird seine Versprechen erfüllen. Seinen Segen. Ein Land. Und vor allem: Ganz viele Nachkommen! Ein ganzes Volk, durch das die Erde gesegnet werden soll. Vor Abrams innerem Auge müssen diese Verheißungen damals aufgeleuchtet haben wie der schönste Sternenhimmel. Begeistert von Gott war er unterwegs ins Unbekannte. Aber das machte ihm nichts aus. Solange Gott mit ihm war, wollte er gerne vertrauen.

[Fischer] Das ist lange her. Jahre sind vergangen. Viele Jahre. Abram und seine Frau sind alt geworden. Grau. Vielleicht auch etwas gebeugt von der Last der Jahre. Viele Abenteuer haben sie erlebt. Mit Gottes Hilfe haben sie vieles überstanden. Ein Land, eine neue Heimat hat er ihnen geschenkt -- schöner, als sie es sich hätten erträumen lassen. Die Geschichte könnte so ein wunderbares Happy End haben -- wäre da nicht die Sache mit den Nachkommen. Denn nach all den Jahren haben Abram und Sarai immernoch keine Kinder.

[Engele] "Macht nichts", haben sie oft gesagt. Gott weiß schon was er tut. Er handelt, wenn Zeitpunkt gekommen ist. Dann trifft ein, was er zugesagt hat: Ein Kind. Ein Erbe. Der erste von vielen. Gott weiß das schon. Sicher haben viele gelächelt über den kauzigen Abram und seine Marotten. "Lass sie doch", hat Abram lange gemeint. Ganz lange. Aber mit der Zeit haben sich die Fragen auch in sein Herz gebort. Was, wenn Gott doch nicht handelt? Was, wenn das alles nur leere Hoffnung auf nichts war? Was, wenn ich mich damals einfach getäuscht habe. Mit jedem Tag wird Abram älter und Sarai auch. Längst sind sie aus dem Alter heraus, in dem man Kinder bekommt. Ihr Glaube ist zäh und trotzig. Aber die Fragen sind es auch.

[Engele] "Fürchte dich nicht, Abram!", sagt Gott. Nach langer Zeit endlich wieder ein Lebenszeichen von ihm. Abrams Antwort ist bitter. Die Fragen, die so lange unter der Oberfläche brodelten, brechen aus ihm heraus: "Herr, Herr, was willst du mir geben? Ich gehe dahin ohne Kinder!" In Abrahams Nacht leuchten keine Sterne. Da ist das letzte Fünkchen Hoffnung gerade verglommen. Der Glaube, der so lange gehalten hat -- er trotzt nicht mehr. Von Gott kann er nichts mehr erwarten. "Was willst du mir geben, Herr?" So viele verpasste Gelegenheiten. So viele enttäuschte Erwartungen. So viele Hoffnungen, die nicht war wurden. Jede davon hat das leuchtende Licht der Versprechen, auf die Abraham sich verlassen hat, ein bisschen mehr verdeckt. Und jetzt ist es finster.

[Fischer] "Weißt du, wie viel Sternlein stehen an dem blauen Himmelszelt?", singe ich selten, seit ich groß geworden bin. "Weißt du, wie viel Kinder frühe stehn aus ihrem Bettlein auf?", habe ich früher gesungen, aber nun, viele Lebensjahre später, da gibt es auch die Tage, an denen ich am liebsten gar nicht aufstehen würde. Zu groß und drückend ist da manchmal das, was mir tagsüber begegnet. Die Sorgen drücken auf das Leben. Das helle Leuchten der Freude über Gottes Verheißungen schimmert oft nur noch dämmrig durch den dunklen Nebel. Längst habe ich lernen müssen, dass wir nicht immer "ohne Sorg und Mühe fröhlich sind im Tageslauf". Und manchmal verliere ich dann das Leuchten komplett aus den Augen. Dann ist es finster.

[Engele] "Fürchte dich nicht, Abram!", sagt Gott. Und er schickt ihn vors Zelt. Da steht er nun und legt den Kopf in den Nacken. Die Wüstennacht ist still und dunkel. Kein Licht der Zivilisation überlagert das, was sich über Abrahams Kopf abspielt: So viele Sterne. Wie viele das wohl sind? "Weißt du, wie viel Sternlein stehen?"

[Fischer] Abram steht und staunt. Hätte er damals ernsthaft begonnen zu zählen, dann wäre er bis heute noch nicht fertig geworden. Auf 70 Trilliarden schätzen Wissenschaftler die Zahl der Sterne im Universum. Mit so großen Zahlen kann keiner von uns umgehen. "Trilliarden" sind Angaben, die uns schon gar nichts mehr sagen, weil sie viel zu groß sind für unser kleines Hirn. Um die Zahl zu schreiben, braucht man 22 Nullen nach der Sieben. Weißt du, wie viel Sternlein stehen? 70 Trilliarden.

[] Abram steht und staunt. Dass die Sterne nichts mit dem Fortgang seines Lebens zu tun haben, weiß er auch. Er steht und staunt vor dem unendlichen Sternenhimmel. Jedes Pünktchen, das da leuchtet, wird für ihn zu einer Erinnerung an das, was er vergessen hatte: Dass Gott unendlich über das hinaus handeln kann, was wir uns vorstellen können. Gott hat keine Grenzen. Für das, was er tun will, gibt es kein "zu alt" oder "zu lange" oder "zu schwierig" oder "zu viel". Abraham steht da und staunt und wird beleuchtet von der Erinnerung an die Güte und Treue Gottes. Aus der Dunkelheit seines Herzens ist der schönste Sternenhimmel geworden.

[Engele] "Fürchte dich nicht, Abram!", sagt Gott. "Geh hinaus. Sieh gen Himmel und zähle die Sterne."

[] Und Abram glaubt. Mehr braucht es gar nicht. Keine Diskussion. Keine theologische Abhandlung. Keine langen Erklärungen.

[] Gott hat genau gewusst, was Abram brauchte. Er hat für Abram seinen Sternenhimmel angeknipst.

[] "...kennt auch dich und hat dich lieb!"


[Fischer] Weißt du, wie viel Sternlein stehen?

[] "In mir ist es finster", betete Dietrich Bonhoeffer in einem seiner ganz bekannten Gebete. Oft genug habe ich es mitgegebetet. Ich verstehe, was er meint. "In mir ist es finster, aber bei dir ist Licht. Ich bin einsam, aber du verläßt mich nicht. Ich bin kleinmütig, aber bei dir ist Hilfe. Ich bin unruhig, aber bei dir ist Frieden. In mir ist Bitterkeit, aber bei dir ist Geduld. Ich verstehe deine Wege nicht, aber du weißt den rechten Weg für mich."

[] Wer Dietrich Bonhoeffers Lebensgeschichte kennt -- seinen Widerstand gegen die Nazis, seine lange Haftzeit im Konzentrationslager Flossenbürg und dann am Ende diesen völlig sinnlosen Tod ganz kurz vor Ende des Krieges -- wer diese Lebensgeschichte kennt, der bekommt beim Lesen dieser Worte eine Ahnung davon, dass Gott auch damals, in der großen Dunkelheit, in der Eiseskälte des Hasses und der Zerstörung, seine Himmelslichter angeknipst hat.

[] Weißt du, wie viel Sternlein stehen?

[] "...kennt auch dich und hat dich lieb!"


[Engele] Ich glaube nicht, dass Gott seine Zeit damit verbringt, Sterne zu zählen. Ich bin mir sicher, er schaut vielmehr auf uns, auf seine Menschen und auf alle seine Geschöpfe. Auf die, die er liebt. Kleine Punkte, so weit das Auge reicht. Aber der, der um jeden Stern weiß, verliert keinen je aus seinen Augen. Er ist nicht überfordert von der großen Zahl. Jede:r Einzelne ist ihm wichtig. Er kennt dich. Er sieht dich. Er weiß, was du brauchst. Du bist ein Teil derer, die in seiner Hand geborgen sind. Und niemals lässt er dich los.

[] Weißt du, wie viel Sternlein stehen? Er weiß es. Er vergisst es nicht.

[] "...kennt auch dich und hat dich lieb!"


[Fischer] Nie habe ich so viele Sterne gesehen wie damals, in jener Nacht bei Bad Rippoldsau im Schwarzwald. Ich war mit den Pfadis dort. Nach einem langen, lauen Sommerabend kam die Dämmerung und wir legten uns, weil es so schön war, nicht ins von der Tageshitze stickig gewordene Zelt, sondern blieben einfach draußen liegen, im weichen Gras. Gut eingepackt in meinen Schlafsack lag ich dort bequem auf der Wiese und schaute nach oben. Im tiefsten Schwarzwald war unser Zeltplatz weit weg von jeder Art von künstlichem Licht, das sonst oft das Bild des Sternenhimmels überdeckt. Ich lag und schaute nach oben und die Nacht hätte nie ausgereicht, um alles zu zählen, was da über mir funkelte.

[] In jener Nacht lag ich da und hatte eine Ahnung, dass ein Abenteuer vor mir liegen würde. Am Tag zuvor hatte auf einer Wanderung hoch oben in den Schwarzwaldhöhen mein Handy geklingelt und durch alles Rauschen und alle Abbrüche in der äußerst schlechten Verbindung hatte jemand das erste Mal einen Namen in mein Ohr geflüstert, der bald schon Teil meines Lebens sein sollte: Pia war geboren. Zwei Monate später haben meine Frau und ich unsere dritte Tochter dann adoptiert. An diesem Abend auf der Wiese war es noch längst nicht soweit und ich konnte nur ahnen und träumen und hoffen, von dem, was uns da erwarten würde. Vorfreude. Fragen. Vielleicht auch manche Sorgen. Und über dem allen hat Gott seinen Sternenhimmel angeknipst.

[] "...kennt auch dich und hat dich lieb!"

[Fischer] Jetzt stehen wir als Familie wieder vor einem Abenteuer. Nach fünf wunderbaren Jahren hier in Tailfingen heißt es, das wissen viele von euch schon, aufbrechen. Ein neuer Ort, eine neue Stelle. Dass einer der Teilorte meiner nächsten Pfarrstelle auch Tailfingen heißt, ist da vielleicht ein Augenzwinkern Gottes, der ja weiter mit uns geht. Was dort alles auf uns zukommt, das können wir nur ahnen. Vorfreude. Fragen. Und mindestens ein weinendes Auge, wenn wir Albstadt hinter uns lassen. Wir schauen zurück und schwelgen in schönen Erinnerungen. Wir schauen noch vorne und sehen noch nicht viel. Wenn wir nach oben schauen, dann leuchtet da immer noch der Reigen von Gottes funkelnden Sternen. Eine Erinnerung: "...kennt auch dich und hat dich lieb!"


[Engele] Ich weiß nicht, wie du gerade ins Leben schaust. Viele von uns hier sind schon eine ganze Weile auf dieser Erde unterwegs. Wir kennen die Kurven, die das Leben manchmal überraschend mit sich bringt. Wir wissen um die Sorgen, um die schweren Tage, die es immer wieder gibt. Vielleicht hast du auch deinen Anteil von Enttäuschungen erlebt. Was früher hell und fröhlich und unbeschwert war, ist trüber und dunkler geworden.

[] Andere, wie die Konfis, die sich heute vorstellen, starten ja gerade eigentlich erst so richtig durch: Hinein ins Erwachsenwerden. Die Zukunft liegt vor euch. Entscheidungen, Gestaltungsräume. So viel zu entdecken! So viel zu erreichen! Vielleicht geht ihr beschwingt da hinein. Vielleicht auch voller Fragen und Sorgen.

[] Egal wo ihr heute steht: Nehmt euch Zeit für den Blick nach oben. Dort knipst Gott noch immer in jeder dunklen Nacht seinen Sternenhimmel für uns an. Und wenn da über uns mehr funkelt, als wir jemals zählen könnten, dann ist jeder kleine Lichtpunkt am dunklen Firmament eine Erinnerung daran, dass er keinen von uns jemals vergisst.

[] "...kennt auch dich und hat dich lieb!"


[Fischer] Und dann gibt es da noch dieses andere Lied. Ein Schlager. Auch dort kommen Sterne vor: "Ein Stern, der deinen Namen trägt". (Ich kenne so was ja nur, weil meine Mädels dazu Let's Dance auf der Wii gespielt haben.) Vielleicht ist das ja heute viel eher der Song für dich. Vielleicht ist ja nämlich gerade gar nicht so ein Tag, an dem alles trüb und dunkel ist bei dir. Vielleicht ist es sonnig und hell und dein Glaube ist stark und tatenlustig. Wenn oft ein kleines Leuchten ausreicht, um in der dunklen Nacht der Hoffnungslosigkeit wieder Glauben zu wecken -- wie bei Abram -- dann stell dir vor, wie toll es wäre, wenn du heute einer anderen Person ein solches Licht werden könntest. Vielleicht ist gerade die Hoffnung, die dich trägt, die Lichtquelle, die andere brauchen, um die Freude wieder zu finden. Leb deinen Glauben nicht nur für dich! Lass deine Hoffnung leuchten!

[Engele] Weißt du, wie viel Sternlein stehen?

[] Vielleicht bist am Ende du genau der eine davon, den es braucht, damit andere es in der Dunkelheit hören:

[] "...kennt auch dich und hat dich lieb!"

[] Dann wäre das Funkeln am Himmel über Tailfingen noch ein kleines Stückchen schöner.

[] Amen.


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 September 17, 2023  18m