Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Das Großgedruckte


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Aus dem Exodusbuch, dem 2. Buch Mose, aus dem 20. Kapitel:

1 Und Gott redete alle diese Worte: 2 Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe. 3 Du sollst keine anderen Götter haben neben mir. 4 Du sollst dir kein Bildnis noch irgendein Gleichnis machen, weder von dem, was oben im Himmel, noch von dem, was unten auf Erden, noch von dem, was im Wasser unter der Erde ist: 5 Bete sie nicht an und diene ihnen nicht! Denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifernder Gott, der die Missetat der Väter heimsucht bis ins dritte und vierte Glied an den Kindern derer, die mich hassen, 6 aber Barmherzigkeit erweist an vielen Tausenden, die mich lieben und meine Gebote halten. 7 Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht missbrauchen; denn der Herr wird den nicht ungestraft lassen, der seinen Namen missbraucht. 8 Gedenke des Sabbattages, dass du ihn heiligst. 9 Sechs Tage sollst du arbeiten und alle deine Werke tun. 10 Aber am siebenten Tage ist der Sabbat des Herrn, deines Gottes. Da sollst du keine Arbeit tun, auch nicht dein Sohn, deine Tochter, dein Knecht, deine Magd, dein Vieh, auch nicht dein Fremdling, der in deiner Stadt lebt. 11 Denn in sechs Tagen hat der Herr Himmel und Erde gemacht und das Meer und alles, was darinnen ist, und ruhte am siebenten Tage. Darum segnete der Herr den Sabbattag und heiligte ihn. 12 Du sollst deinen Vater und deine Mutter ehren, auf dass du lange lebest in dem Lande, das dir der Herr, dein Gott, geben wird. 13 Du sollst nicht töten. 14 Du sollst nicht ehebrechen. 15 Du sollst nicht stehlen. 16 Du sollst nicht falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten. 17 Du sollst nicht begehren deines Nächsten Haus. Du sollst nicht begehren deines Nächsten Frau, Knecht, Magd, Rind, Esel noch alles, was dein Nächster hat. (2. Mose 20,1-17)

"So", denkt jetzt wahrscheinlich der eine oder andere. "Ich habe es mir doch gedacht. War ja auch zu schön, als das Reden von Gottes Beistand und seinen Versprechen, von Leben und Fülle, von Geschenk und unendlicher Liebe. Irgendwo musste doch der Haken sein. Und siehe da: Kaum ist die Taufe vorbei, da kommt schon das Kleingedruckte." So kennen wir das schließlich. "Gesundes Misstrauen" nennt unsere Welt das. Man bekommt schließlich selten etwas ganz uneigennützig geschenkt. Was auf den ersten Blick großartig aussieht, hat oft einen Haken. Manchmal kommt der erst viel später heraus, wenn man dann plötzlich doch gezwungen wird, das seitenlange Kleingedruckte zu studieren, das sonst keiner liest. Viele sind da schon ganz schön auf die Nase gefallen.

Ist das nicht, was auch hier passiert? Mit großen Versprechen wird man geködert. Am Ende ist dann Gott wohl doch einer, der vor allem fordert: Du sollst. Du sollst. Du sollst nicht. Bedingungen. Paragraphen. Kleingedrucktes.

Lässt sich das heute schon so viel gepriesene Leben als Geschenk von Gott am Ende nur mit ganz viel Arbeit und Mühe, mit Hingabe und Aufgabe, vor allem all dessen, was schön ist und Spaß macht, erkaufen? Haben wir uns am Ende über den Tisch ziehen lassen? Sind wir gar einem Knebelvertrag auf den Leim gegangen oder in so eine Abofalle getappt, aus der man dann nie wieder herauskommt?

"Natürlich nicht.", sage ich euch, und, klar, als Pfarrer muss ich das ja auch sagen, denn im Bild von der Abofalle bin ich dann wohl der zwielichtige Haustürverkäufer, der gerade noch das Blaue vom Himmel herunter versprochen hat und dich dann nach der Unterschrift gnadenlos abzockt. Ich hoffe eben, dass ihr mir alle zumindest soweit vertraut, dass ihr noch ein paar Minuten dableibt und mir erlaubt, euch zu zeigen, dass mein "Natürlich nicht!" keine faules Herauswinden eines Schwindlers ist, sondern seinen Grund genau in dem Text findet, aus dem der ganze Verdacht überhaupt erst kam. Weil wir das Wichtigste nämlich gerne überlesen.

Das Großgedruckte.

Hier ist es noch einmal, langsam, zum Mitdenken, und ohne viele lange Paragraphen:

Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.

Ohne diesen Satz kann man das, was folgt, gar nicht verstehen. Er nimmt uns mit hinein in den Zusammenhang der Worte, die Gott hier spricht. Wir begegnen in Gedanken einem Volk auf der Wanderung, in der Wüste. Unterwegs von Ägypten, wo sie Sklav:innen waren, rechtlos und hilflos, in ein Land, das Gott ihnen versprochen hat. Zwischenstation am Berg Sinai. Begegnung mit Gott, der redet. Mit Gott, der ihnen zusichert, sie für immer als sein Volk zu sehen, immer zu ihnen zu halten, an ihrer Seite zu stehen. Die Zukunft liegt vor ihnen: Segen, Freiheit, unbegrenzte Möglichkeiten.

Alleine haben sie es dorthin nicht geschafft. Im Gegenteil: Auf sich selbst gestellt wären sie immer noch in Ägypten. Sie müssten immer noch als Sklav:innen schuften. Alleine kommt man da nicht raus. Kein Sklavenaufstand, den die mächtige ägyptische Staatsmacht nicht schnell unterdrückt hätte. Bis... Gott sich an ihre Seite stellte. "Ich bin..." hat er schon einmal gesagt--damals, zu Mose, am brennenden Busch in der Wüste, als er ihn beauftragte, Israel aus Ägypten zu führen. "Go down, Moses", singen die Schüler:innen und Konfis heute noch, "way down in Egyptland. Tell old Pharaoh: Let my people go!" "Ich bin...", so hat Gott sich damals vorgestellt: "Ich bin, der ich bin. Ich bin für euch da." Ein Gott, der für die Rechtlosen, die Unterdrückten da ist -- unvorstellbar damals! "Ich bin für euch da", sagt Gott und macht seinem Namen alle Ehre. Er tut alles, um Israel aus Ägypten zu befreien. Am Ende teilt er sogar das Meer, um ihren Ausgang zu sichern. Wenn sie jetzt unterwegs sind in eine gesegnete Zukunft, hat ihre Freiheit nur einen einzigen Grund: Gott.

Der Gott der Freiheit.

Das ist das Großgedruckte, das über allen weiteren Worten steht. Sollte Gott diese Freiheit, in die er sich selbst so sehr investiert hat, jetzt wieder einschränken wollen?

Wer in der Überschrift, sozusagen, Gott als den Gott der Freiheit wiedererkennt, der hört alles, was folgt, mit anderen Ohren. Dem, der hier redet, liegt Freiheit am Herzen. Was folgt, ist dann nicht mehr und nicht weniger als ein Rahmen, in dem Freiheit gelingen kann. Was folgt, sind die Leitlinien des Gottes der Freiheit für ein gelingendes Leben in dem Land, in das er seine Leute führt. Dort, wo sie sich in Zukunft frei entfalten können. Dass es dafür Raum gibt, das garantieren diese Leitlinien als Lebensgrundlage. Leben in Freiheit soll sich nur an dem Gott der Freiheit festmachen -- das ist das erste Gebot. Sein Anliegen, Leben, Freiheit und Freude, soll nicht von Dritten für eigene Zwecke missbraucht werden -- das zweite. Jeder darf leben, sich entfalten--nicht nur arbeiten und existieren. Das dritte Gebot (das Feiertagsgebot) garantiert, was wir "Work-Life-Balance" nennen: Zeiten der Ruhe und der Erholung. Keiner wird nur ausgebeutet. Das Vierte, "die Eltern ehren" (an erwachsene Kinder gerichtet, wohlgemerkt!) sorgt dafür, dass auch die Alten, die keine große Leistung mehr beitragen können, nicht unversorgt bleiben. Niemand muss um sein Leben fürchten (fünf), um die Integrität seiner Familie (sechs), oder um seinen Besitz (sieben, neun, zehn). Keiner muss befürchten, verleumdet zu werden und dadurch zum Opfer zu werden (acht). Wo man ohne alle diese Befürchtungen leben kann, da wird Freiheit möglich. Warum?

Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.

Ich war nie in Ägypten. Ich war nie ein Sklave -- Gott sei Dank! Aber weil ich einer seiner Menschen bin, liegt Gott auch meine Freiheit am Herzen. Wer in seinen Geboten nur Gängelung und Bevormundung sieht, der verkennt seine guten Absichten mit uns. Wer meint, hier über den Tisch gezogen zu werden, der übersieht, dass Gott von Anfang an nur das Beste für uns will. Dafür hat er sich längst schon mit ganzer Kraft eingesetzt, bevor wir überhaupt nur einen einzigen Schritt tun. Für Israel begann die Geschichte mit der Befreiung aus Ägypten. Für uns, für Rosie und Lia, für dich und für mich mich, beginnt die Geschichte mit seinem Versprechen, seiner Zusage an uns, schon ganz am Anfang in der Taufe: "Fürchte dich nicht. Ich habe dich erlöst. Ich habe dich bei deinem Namen gerufen. Du bist mein." Und: "Ich bin bei dir alle Tage, bis an der Welt Ende."

Ich bin der Herr, dein Gott, der ich dich aus Ägyptenland, aus der Knechtschaft, geführt habe.

Der Gott der Freiheit. Meiner Freiheit.

Das ist das Großgedruckte.

Wo wir das groß schreiben und groß machen, da entdecken wir Gottes Gebote als das was sie sind: Geschenke, für unsere Freiheit, für ein Leben, für Zukunft.

"Simchat Tora" heißt das Fest, das in Israel bis heute einmal im Jahr gefeiert wird. "Die Freude über die Weisungen Gottes". Feierlich werden die reich verzierten Schriftrollen mit dem Text der Mosebücher, mit den Geboten Gottes, aus ihrem Schrein genommen und in einer großen Prozession mitten durch die Gemeinde getragen. Alle sind schick angezogen. Die Räume sind geschmückt. Die Kinder bekommen Süßigkeiten. Es wird gelacht und gegessen, gesungen und getanzt. Ein großes Freudenfest, das den Gott der Freiheit und seine lebensfördernden Leitlinien feiert.

Da wird das Großgedruckte ganz groß.

Leider ist "Simchat Tora" nicht immer nur ein ungetrübtes Freudenfest. Gestern, als man es wieder feierte, wurde die Feierlaune überall im Land durch Alarmsirenen gestört. Innerhalb weniger Stunden wurden tausende von Raketen auf das kleine Land abgefeiert. Bewaffnete Kämpfer drangen in Städte ein, verübten Gräueltaten und entführten viele Menschen. Die Welt hält den Atem an und wir beten heute auch für das kleine Land Israel.

Freiheit ist kein Automatismus. Freiheit ist kein dauernd anhaltender Zustand. Freiheit ist immer wieder hart umkämpft, weil Menschen immer wieder Gottes gute Leitlinien links liegen lassen und die eigenen Interessen zum alleinigen Maßstab machen.

Wohl dem Menschen -- um mit dem heutigen Psalm zu sprechen -- der stattdessen die Worte des Gottes der Freiheit als Geschenk annimmt und sein Leben danach ausrichtet. Wohl dem, der das Großgedruckte liest und über alles stellt.

Wo wir das tun, da winken Freiheit und Zukunft.

Auch uns.

Amen.



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 October 8, 2023  11m