Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Schluss jetzt!


Aus dem Prophetenbuch des Hesekiel, alte Worte aus einer Zeit der Krise. Die Feinde stark und unbesiegbar, die Führenden des Volkes im Exil, die ständige Bedrohung der übermächtigen Armee der Babylonier lauert am Horizont. Wie konnte es soweit kommen? Was ist passiert mit Gottes Volk? Wie konnte Gott das zulassen? Während die einen grübeln und mit ihrem Schicksal hadern, geht Hesekiel auf die Straße und spricht. Worte im Namen Gottes. Keine leichte Kost. Aus dem Prophetenbuch des Hesekiel, aus dem 22. Kapitel:

23 Und des Herrn Wort geschah zu mir: 24 Du Menschenkind, sprich zu ihnen: Du bist ein Land, das nicht gereinigt wurde, das nicht beregnet wurde zur Zeit des Zorns, 25 dessen Fürsten in seiner Mitte sind wie brüllende Löwen, wenn sie rauben; sie fressen Menschen, reißen Gut und Geld an sich und machen viele zu Witwen im Lande. 26 Seine Priester tun meinem Gesetz Gewalt an und entweihen, was mir heilig ist; sie machen zwischen heilig und unheilig keinen Unterschied und lehren nicht, was rein oder unrein ist, und vor meinen Sabbaten schließen sie die Augen; so werde ich unter ihnen entheiligt. 27 Die Oberen in seiner Mitte sind wie reißende Wölfe, Blut zu vergießen und Menschen umzubringen um ihrer Habgier willen. 28 Und seine Propheten streichen ihnen mit Tünche darüber, haben Truggesichte und wahrsagen ihnen Lügen; sie sagen: »So spricht Gott der Herr«, wo doch der Herr gar nicht geredet hat. 29 Das Volk des Landes übt Gewalt; sie rauben drauflos und bedrücken die Armen und Elenden und tun den Fremdlingen Gewalt an gegen alles Recht. 30 Ich suchte unter ihnen, ob jemand eine Mauer ziehen und in die Bresche vor mir treten würde für das Land, damit ich's nicht vernichten müsste; aber ich fand keinen. 31 Darum schüttete ich meinen Zorn über sie aus, und mit dem Feuer meines Grimmes machte ich ihnen ein Ende und ließ so ihr Tun auf ihren Kopf kommen, spricht Gott der Herr. (Hesekiel 22,23-31)


Eine Mauer sollte man bauen. Eine große starke, unüberwindliche Mauer, die allem zu trotzen bereit ist. Eine Mauer, die eine klare Linie zieht. Eine Mauer, die klare Kante zeigt: Bis hierher und nicht weiter! Hier ist jetzt Schluss. Hier ist die Grenze erreicht. Hier geht hört es endgültig auf.

Eine Mauer, nicht gegen die übermächtigen Feinde von außen. Dabei sind es doch die, gegen die man immer zuerst Mauern gebaut hat. Dicke, hohe, feste Mauern. In Babylon, der Hauptstadt der damals größten Weltmacht, sind sie so breit, dass obendrauf vier Streitwagen nebeneinander herfahren können. Schon von weitem wird jedem Angreifer klar: Keine Chance. Diese Stadt ist uneinnehmbar. Niemand ist in der Lage, dieses Bollwerk zu überwinden. Bis hierher und nicht weiter!

Bis vor wenigen Jahrhunderten, bis weit in die Neuzeit, waren Mauern der Stolz jeder Stadt, die etwas auf sich hielt. Mauern stehen für Sicherheit, für Schutz vor allem, was schaden könnte. In der deutschen Sprache spricht man bis heute von einem "umfriedeten Gelände", wenn es eine klare Grenze gibt. Der "Friedhof", den wir immer noch kennen, ist wörtlich zunächst einmal einfach ein Platz mit einer Begrenzungsmauer. Selbst wenn die in ihrer Ausführung eher symbolisch ist -- das Signal ist klar: Möge draußen auch noch so viel Chaos herrschen, hier drin ist es friedlich. Die Mauer ist die Grenze. Bis hierher und nicht weiter!

Eine Mauer sollte man bauen, findet Hesekiel und er hat dabei gar keine äußeren Feinde im Blick. Es ist ja auch naiv, die Welt in so einfachen Kategorien erklären zu wollen -- schwarz und weiß. Draußen und drinnen. Bedrohlich und schädlich sind immer nur die anderen, "die da draußen", gegen die man sich abgrenzen muss. Oft genug wird der Schaden mitten drin angerichtet, mitten unter uns, direkt vor unserer Nase. Oft genug mischen wir selbst dabei mit. Die Mauer, die der Prophet sich wünscht, steht nicht gegen Babylon. Sie soll gegen alles stehen, was seinem Volk von innen schadet. Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Eine Mauer sollte man bauen, findet Gott. Das ist der Anspruch, mit dem Hesekiel auf die Straße geht. Er vertritt da nicht seine eigene Meinung, seine persönlichen Moralvorstellungen. "Des Herrn Wort geschah zu mir." Des Herrn Wort "geschieht" immer in der Bibel. Es wird nicht nur einfach gehört, gelesen oder wahrgenommen. Es geschieht. Wenn Gott redet, ist es immer ein Ereignis. Wenn Gott redet, bewegen sich Dinge. Des Herrn Wort ist immer ein Kraftereignis.

Eine Mauer sollte man bauen, findet Gott. Eine Linie ziehen, klare Kante zeigen gegen das, was die Welt in den Ruin treibt:

Gegen Habgier und Besitzneid -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen die Gier, die Menschen, zu Kollateralschäden macht -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen Gewalt und Mord und Totschlag-- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen die grassierende Gleichgültigkeit gegenüber Gott und dem Schicksal der Mitmenschen -- ja, der ganzen Schöpfung, möchte man sagen-- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen die Heuchelei, die bösem Handeln noch einen guten Anstrich verpasst -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen die Lüge und die Verführung der Menschen -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen falsche Visionen, gegen Gerüchte und Fake News -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen Fremdenfeindlichkeit und Herzlosigkeit-- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen die Ausbeutung der sozial Schwachen -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen Rechtsbeugung und Missbrauch -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Man sollte eine Mauer bauen, findet Gott -- dicke rote Linien, klare Kante, und ich bin mir sicher, er findet es immer noch, auch heute, mehr als 2.500 Jahre später. Man muss gar kein alttestamentlicher Prophet mit langem Gewand und wallendem Bart und vor Leidenschaft blitzenden Augen sein. Es liegt auf der Hand, wenn man nur mit offenen Augen durch diese Welt geht. Wir werden ja selbst nicht müde, es zu sagen: Es braucht die klare Linie. Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Die ganze Liste des Hesekiel könnte man vermutlich eins zu eins auf heute übertragen und man müsste wahrscheinlich noch einiges hinzufügen.

Gegen die Zerstörung unserer Lebensgrundlagen -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen Hassparolen und Hetze -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Gegen ein System, das unseren Wohlstand auf der Ausbeutung der ärmeren Menschen dieser Welt aufbaut -- eine Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Wenn in unserem Land wieder Israelflaggen verbrannt werden, wieder Hakenkreuze geschmiert, wenn Friedhöfe und Gedenkstätten und Stolpersteine, die an das Grauen der Vergangenheit erinnern sollen, geschändet werden, dann wünsche ich mir diese Mauer: Schluss jetzt! Bis hierher und nicht weiter!

Man sollte eine Mauer bauen, findet Gott und er findet es immer noch -- denn diese Mauer gibt es nicht.

"Ich suchte unter ihnen, ob jemand eine Mauer ziehen und in die Bresche vor mir treten würde für das Land [...]; aber ich fand keinen."

Und dann wird es ganz still.


Es ist ganz leicht, sich in Rage zu reden, wenn es um den Zustand unserer Welt geht. Es ist ganz leicht, mit dem Finger zu zeigen und die Schuldigen an den Pranger zu stellen: "Die da". "Die da oben". "Die da drüben". "Die da draußen". Natürlich sind es immer die anderen.

Hesekiel schaut sich um in seinem Land. Auch er zeigt zuerst auf die, die Verantwortung haben: Die Fürsten sind "wie brüllende Löwen" und die Oberen "wie reißende Wölfe." Die, die eigentlich verpflichtet wären, für andere da zu sein, bedienen nur ihre eigenen Interessen. Die hohe Geistlichkeit kommt nicht besser weg: Priester und Propheten sind selbst zu Handlangern des Bösen geworden und profitieren mit vom herrschenden Unrecht. "Die da oben" haben ganz viel Dreck am Stecken, findet Hesekiel.

Aber das Bild ist damit noch nicht komplett. Der so oft beschworene "einfache Mann von der Straße", die vielzitierte "schweigende Mehrheit", alle die, die nicht das große Sagen haben -- sie sind nicht einfach Opfer des Systems. Schonungslos legt der Prophet den Finger in die Wunde: Das ganze Volk hat Schuld auf sich geladen. Alle sind sie mitbeteiligt an Unrecht und Unterdrückung, an Ausgrenzung und Ausbeutung. Alle.

Es fällt uns leicht, die Schuld bei anderen zu sehen. Ein ehrlicher Blick auf unsere Welt zeigt ein Bild, das uns zu mehr als bloßen Opfern macht: Wir alle haben Anteil an der Welt, wie sie ist. Wir alle sind Teil des Systems, das andere klein macht und ausbeutet, das Neid und Habgier befeuert, das Menschen in Abhängigkeit und Elend treibt und jede Zukunftshoffnung raubt.

"Ich suchte unter ihnen, ob jemand eine Mauer ziehen und in die Bresche vor mir treten würde für das Land [...]; aber ich fand keinen."

Und dann wird es ganz still.


Es gibt keine Mauer in diesem Prophetenwort, in deren Schatten man sich verstecken könnte. Schonungslos kommt ans Licht, dass jeder von uns schuldig ist. Wir stehen da, im gleißenden Licht der Gerechtigkeit und sehen uns ertappt, ohne eine Möglichkeit, der Wahrheit noch weiter auszuweichen.

Man sollte eine Mauer bauen, meint der Prophet, und wenn sich jemand fände, diese Mauer endlich zu bauen, dann wären wir alle draußen, vor der Mauer.

"Schluss jetzt!", sagt Gott. "Bis hierher und nicht weiter."


Ihr Lieben,

Es gibt keine schönen Worte in diesem Prophetentext. Kein Happy End. Und keinen Raum zum Ausweichen. In der großen Krisensituation seiner Zeit hat Hesekiel eine einfache Erklärung für das Grauen, das seinem Volk begegnet: An allem dem, meint er, sind wir selbst schuld. Wir haben es selbst über uns gebracht mit unserem Handeln. ALs Gott eine Mauer bauen wollte, als Gott dem Unheil Einhalt gebieten wollte -- Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter -- da war keiner da, der auf der Seite der Gerechtigkeit gestanden hätte. "Darum schüttete ich meinen Zorn über sie aus", so hat Hesekiel Gott verstanden, "und mit dem Feuer meinems Grimmes machte ich ihnen ein Ende und ließ so ihr Treiben auf ihren Kopf kommen."

Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!


Ihr Lieben,

was bleibt uns übrig, wenn Gott in unserer Zeit so zu handeln beginnt?

Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!


"Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!" sagt Gott und er meint den furchtbaren Zustand dieser Welt, alle Ungerechtigkeit, alles Unheil und Leid, das wir gegenseitig übereinander bringen. "Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!" sagt Gott und er ist schon lange nicht mehr bereit, das noch weitergehen zu lassen. "Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!" sagt Gott und er zieht eine rote Linie. Er baut eine Mauer. Er zeigt klare Kante. Er zeigt, dass er es ernst meint. Bitter ernst. So ernst sogar, dass er es zur Chefsache macht. Er selbst steigt hinein in diese Welt und beginnt, aufzuräumen mit dem Unrecht. Er fängt an, Schluss zu machen, mit dem, was übel ist und etwas Neues zu schaffen, einen "umfriedeten Bereich". "Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen", sagt er mit der Stimme seines Sohnes Jesus Christus. "Das Reich Gottes ist jetzt mitten unter euch." Und dieses Reich Gottes, anders als alles, was wir selbst hervorgebracht haben in dieser Welt, ist "Friede und Gerechtigkeit und Freude." "Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!" sagt Gott. Eine neue Zeit ist angebrochen und mitten drin hat Gott eine dicke Linie gezogen, eine klare Kante quer durch die Geschichte, an diesem Kreuz, an das er sich selbst hängen lässt. "Siehe, das ist Gottes Lamm, welches der Welt Sünde trägt!" "Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!" sagt Gott und liefert sich dem Bösen aus und besiegt es, ein für alle Mal, indem er es mithinein nimmt in den Tod und aus diesem Tod aufersteht zum Leben.

"Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!" sagt Gott zu dir und zu mir und wir hören es heute nicht als das Damoklesschwert des drohenden Endgerichts, sondern als Chance und als Einladung eines gnädigen Gottes. "Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen", sagt er uns mit der Stimme seines Sohnes Jesus Christus. "Tut Buße! Kehrt um!" Das ist es, was "bis hierher und nicht weiter" für uns heißt -- das Gott uns die Chance eröffnet, nicht in unser aller Verderben zu rennen, sondern kehrt zu machen und eine neue Richtung einzuschlagen. "Schluß jetzt" sagt er zu Gewalt und Drohung, zum Horizont der Vernichtung und zu der ganzen verdammten Zukunftslosigkeit. "Schluß jetzt!", sagt er und er setzt dem allem Gnade entgegen und Liebe und seine unendliche, unbegreifliche Menschenfreundlichkeit, die uns in Christus entgegenkommt.

"Schluß jetzt! Bis hierher und nicht weiter!" sagt Gott, wenn wir uns heute zu Recht ertappt fühlen und uns Vorwürfe machen, wenn unsere Schuld uns den Atem raubt und zu zerquetschen droht. "Schluß jetzt" sagt Gott und behutsam, liebevoll legt er uns seine Hände auf die Schulter und richtet uns auf. Behutsam, liebevoll schaut er uns in die Augen, bietet uns Brot an und Wein zur Stärkung und dann hören wir die schönsten Worte, die ein Mensch überhaupt hören kann:

Schluß jetzt!

Deine Sünde ist dir vergeben.

Sie hat dich bis hierher gebracht, aber sie hat nicht weiter Anrecht an dir.

Du gehörst zu mir. Du gehörst nicht mehr dem Bösen.

Da hat Christus nämlich eine Mauer gebaut.

Und ich habe "umfriedeten Raum."

Amen.










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 November 22, 2023  15m