Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Die Tor macht weit


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Geliebte Gottes in Tailfingen/Nebringen,

Noch einmal der Psalm, dieser Psalm, der Vierundzwanzigste, den wir wie jedes Jahr am 1. Advent miteinander beten. Heute ist er auch der Predigttext -- der ganze Psalm, nicht nur der Ausschnitt, den wir als Gebet gesprochen haben. Hört also noch einmal, und während ihr hört, schließt vielleicht die Augen und lasst die Bilder des Psalms auf euch wirken. Schließt die Augen und hört und betet mit, im Stillen.


Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist,
der Erdkreis und die darauf wohnen.
Denn er hat ihn über den Meeren gegründet
und über den Wassern bereitet.

Wer darf auf des Herrn Berg gehen,
und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?
Wer unschuldige Hände hat
und reinen Herzens ist,
wer nicht bedacht ist auf Lüge
und nicht schwört zum Trug:
der wird den Segen vom Herrn empfangen
und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils.
Das ist das Geschlecht, das nach ihm fragt,
das da sucht dein Antlitz, Gott Jakobs.

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr Zebaoth; er ist der König der Ehre.


Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.

Die Tür bleibt zu!

Macht hoch die Tür...

Die Tür bleibt zu!


Die Tür bleibt zu, denn es ist kein Moment für offene Türen. Nicht jetzt, und eigentlich niemals. Wer seid ihr eigentlich, dass ihr denkt, die Tür würde einfach so offenstehen? Da könnte ja jeder kommen und einfach hereinspazieren. Wer weiß, wer da alles meint, herein zu dürfen, und sich dann auf dem Sofa breitmacht, ohne vorher die Schuhe abzustreifen, und den Kühlschrank leerfuttert, und alle restlichen Lieblingskekse auf den Kissen verkrümelt, während er Netflix monopolisiert. Als wäre er hier zuhause! Als wäre das hier alles seines und als hätte er Anspruch auf das alles. Wo sind wir denn hier?

Die Tür bleibt zu.

Überhaupt wäre das nochmal schöner, wenn jeder hier reinkönnte, als sei er dem Hausherrn mindestens ebenbürtig. Als wäre man auf Du und Du, auf Augenhöhe miteinander. Als habe man Brüderschaft getrunken und eine fortbestehende Sandkastenfreundschaft, auf Dauer angelegt. Was bildet ihr euch eigentlich ein?

Die Tür bleibt zu.

Lasst mich das noch einmal klarstellen, unmissverständlich, damit hier jeder seinen Platz kennt und weiß, auf welche Seite der Tür er gehört:

Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist,
der Erdkreis und die darauf wohnen,
denn er hat ihn über den Meeren gegründet
und über den Wassern bereitet.


Die Erde ist des Herrn. Was denkt ihr eigentlich, wer bei ihm einfach reinspazieren darf?

Die Tür bleibt zu.

Sicher, gelegentlich mag sie sich ja öffnen, wenn einer oder eine kommt, die würdig sind, die heiligen Hallen zu betreten. Einer oder eine, ihm sicher nicht ebenbürtig, aber zumindest so, dass es noch akzeptabel ist, dass so jemand eintritt. Die werfen sich dann drin auch nicht rüpelhaft aufs Sofa und machen erstmal ein kühles Helles auf. Die treten respektvoll ein. Sie streifen die Schuhe ab und schleichen auf sauberen Socken weiter. Sie klopfen höflich an der Wohnzimmertüre und setzen sich nur, wenn sie dazu aufgefordert wäre. Die wissen, wie man sich hier zu benehmen hat. Für die mag die Tür ja aufgehen.

Macht hoch die Tür, die Tor macht...

Stopp! Täuscht euch nicht: Die Tür bleibt zu.


Wer darf auf des Herrn Berg gehen,
und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?
Wer unschuldige Hände hat
und reinen Herzens ist,
wer nicht bedacht ist auf Lüge
und nicht schwört zum Trug:
der wird den Segen vom Herrn empfangen
und Gerechtigkeit von dem Gott seines Heils.


Er ist gerecht, ein Helfer wert;
Sanftmütigkeit ist sein Gefährt,
Sein Königskron ist Heiligkeit,
Sein Zepter ist Barmherzigkeit;
All unsre Not zum End er bringt,
Derhalben jauchzt, mit Freuden singt:
Gelobet sei mein Gott,
Mein Heiland groß von Tat.


Macht hoch die Tür...

Die Tür bleibt zu!


Wir stehen draußen und schauen uns an, bedröppelt und stumm. Die Tür bleibt zu.

Wir stehen da wie abgelehnte Asylbewerber, wie vergessen und nicht abgeholt. Wir stehen da, wie die, die im Sport immer als letztes in die Mannschaft gewählt wurden -- und nicht einmal das. Die Tür bleibt zu. Und wir sind draußen. Wir stehen da wie Ausgeschlossene, wie Aussätzige, wie die Allerletzten, Abschaum der Gesellschaft. Wir stehen da wie Bettler, denen man die Tür vor der Nase zugeschlagen hat. Wir stehen da wie Rollstuhlfahrer vor der Schlossbergtreppe. Wir wissen nicht weiter. Die Tür bleibt zu.

Die Tür bleibt zu und wir sind draußen.

Wir stehen da und schauen uns an und die Ratlosigkeit steht auf unseren Gesichtern.

Wer darf auf des Herrn Berg gehen,
und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?

Wir haben gesucht. Wir haben lange gesucht. Wir haben gesucht bei den Starken und Schönen, bei den Mächtigen und bei den Einfachen auch. Wir haben beim Pfarrer gesucht und beim Bürgermeister und beim Bundeskanzler und beim Papst. Wir haben gesucht, nach bestem Wissen und Gewissen und jeden Stein umgedreht auf unserer Suche. Und wir haben keinen gefunden. Keinen mit unschuldigen Händen und reinen Herzens. Keinen mit einer weißen Weste. Keiner, der keinen Dreck am Stecken hat. Wer uns sagt, er habe noch nie gelogen, der log uns in diesem Moment direkt ins Gesicht. Wir haben keinen gefunden. Nicht einen.

Wer darf auf des Herrn Berg gehen,
und wer darf stehen an seiner heiligen Stätte?

Die Antwort ist auf unseren ratlosen Gesichtern eingebrannt. Niemand. Niemand darf kommen, wenn das die Bedingungen sind.

Keinem von uns wird geöffnet werden.

Wir stehen da wie der Hund, den man vor der Metzgerei angeleint hat. "Wir müssen draußen bleiben", steht dort auf dem Schild und daneben eine Strichzeichnung mit unserem Gesicht.

Die Tür bleibt zu.

Macht hoch die Tür...

Die Tür bleibt zu!


O wohl dem Land, o wohl der Stadt,
So diesen König bei sich hat.
Wohl allen Herzen insgemein,
Da dieser König ziehet ein.
Er ist die rechte Freudensonn,
Bringt mit sich lauter Freud und Wonn.
Gelobet sei mein Gott,
Mein Tröster früh und spat.


Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.

Eine Tür hat zwei Seiten: Drinnen und draußen.

Wer ist draußen? Wer ist drin?

Macht hoch die Tür...


Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.
Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!
Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr Zebaoth; er ist der König der Ehre.


Plötzlich sind wir die auf der Innenseite der Tür. Der Schlüssel steckt auf unserer Seite. Wir haben die Klinke, wo draußen nur ein Knauf ist.

Die Tür ist zu.


Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!


Plötzlich sind wir die Besuchten. Wir, die wir niemals kommen dürften. Wir, die wir gerade noch verzweifeln wollten, weil der Weg verbarikadiert und verrammelt war.

Er kommt. Er kommt zu uns.


Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!


Wer ist der König der Ehre?

Täuscht euch nicht! Er ist es selbst. Du traust deinen Augen nicht. Er hat sich aufgemacht -- zu uns! Er, zu dem keiner kommen kann. Er, der weit über allem steht. Er, der alles gemacht hat, dem alles gehört. Er der Allmächtige selbt, der Schöpfer des Himmels und der Erde. Er, der Unfassbare, unendlich und weit über alles, was ich verstehen und begreifen kann. Unfassbar groß. Unbegreiflich erhaben. Unerreichbar heilig. Unendlich weit weg von uns, die wir bedröppelt draußen bleiben müssen aus der Gegenwart dessen, der Himmel und Erde regiert.

Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist,
der Erdkreis und die darauf wohnen.


Wer ist der König der Ehre?
Es ist der Herr, stark und mächtig, der Herr, mächtig im Streit.
Es ist der Herr Zebaoth -- mächtiger Kommandeur der Himmelsheere --; er ist der König der Ehre.


Er ist es wirklich der kommt. Wo wir nicht kommen können, hat er sich aufgemacht.

Er kommt. Er eilt.

Er durchblitzt die unendliche Weite, die uns von ihm trennt.

Er durchschreitet das Sternenmeer.

Er durchbricht die Wolken.

Er setzt seinen Fuß auf die Erde.

Er kommt. Er eilt. Er rennt auf uns zu wie der Christus der Moritzkirche (wer bei meiner Investitur da war, weiß wovon ich rede).

Wo wir nichts haben, was die Trennung überwindet, da hält ihn nichts von uns fern.

Er kommt. Er eilt.

Advent heißt "Ankunft", hab ich mal gehört -- hat man mir in der Kirche erzählt, jedes Jahr sogar, als ob es eine spannende, neue Information sei.

Er kommt.

Er ist schon ganz nahe.


Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!



Im Bild des Psalms zieht er als siegreicher Held auf dem Zionsberg ein, in den Tempel dort, wo seine Gegenwart sich niederlässt und von wo er die Welt regiert. "Jerusalemer Tempeltheologie" nennen wir das und fragen uns, ob es nicht sogar ein Ritual gab, indem die Priester mit der Bundeslade diesen Einzug des Allerhöchsten nachvollzogen haben. Solche Götterprozessionen sind aus der Antike reichlich bekannt. Ob es die auch in Jerusalem gab, wissen wir am Ende gar nicht so sicher. Vorstellbar wäre es schon.

Er kommt...

Wo er, der mächtige Herr kommt, da gibt es kein Halten mehr. Türen und Tore, selbst die mächtigsten Portale mit den dicksten Flügeln -- sie werden nicht geöffnet, sie heben sich nach oben weg. Sie machen den Weg frei, als sei da nichts gewesen. Freie Bahn für den König! Freie Bahn für den Herrn der Herren!


Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!



Macht hoch die Tür, die Tor macht...

Die Tür bleibt zu!


Wie jetzt, denkst du, aber ich muss dich noch einmal stoppen in deinem Überschwang. Denn das Bild aus dem Psalm mit der "Jerusalemer Tempeltheologie" passt nur begrenzt auf das, was uns hier im Advent begegnet. Schließlich ist es nicht so, als käme hier der Herr mit seinen Heerscharen und alles, was sich ihm in den Weg stellt, Tür und Tor und Riegel und Balken würde nur so wegfliegen vor ihm. So kommt er ja nicht zu uns, gewaltig und mächtig, sondern ganz im Gegenteil: Gott lässt sich so ein auf unsere Welt und unser Leben, dass er klein wird. Ein Kind. Einer von uns. "Sanftmütigkeit ist sein Gefährt", haben wir doch gerade gesungen.

"Siehe, ich stehe vor der Tür und klopfe an", sagt der Christus, in dem er zu uns kommt, in einem der Texte aus der Offenbarung.

Er reißt nicht einfach alles nieder. Er drängt sich nicht mit Macht in dein Leben.

Er kommt ganz sanft und klopft. Du hast die Klinke in der Hand. Du hast die Macht, zu sagen, was undenkbar scheint:

Die Tür bleibt zu!


Die Gründe dafür könnten ganz vielfältig sein. Vielleicht hast du zu viel anderes um die Ohren. Vielleicht ist dir das Religiöse schon lange verdächtig oder es sagt die überhaupt nichts mehr. Vielleicht hast du keine Lust, irgendwelche Gestaltungsräume in deiner Lebensführung mit anderen zu teilen. Vielleicht gibt es ganz andere Gründe als die, die mir eingefallen sind, warum du sagen könntest:

Die Tür bleibt zu!


Aber, was, wenn du sie aufmachen würdest?

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!



Was wenn du seine Einladung hören würdest in diesem Advent? Sein Klopfen, bei dir an deiner Tür?

Er ist herbeigeeilt, um bei dir zu sein, um dir zuzuhören, für dich da zu sein, dich zu begleiten. Er will dir seine Liebe schenken -- ja, sich selbst.

Was wenn du ihm aufmachen würdest?

Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!



Dann würde er einziehen, der Schöpfer, der Heiland, der Tröster. Dann würde er hereintragen, was er mitgebracht hat von so weit, hierher zu dir:

Heil und Leben.

Freude und Wonne.

Gerechtigkeit und Barmherzigkeit.

Sanftmut und Geduld.


All unsere Not zum End er bringt.

Dann wärst du drinnen. Und er auch.


Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch,
dass der König der Ehre einziehe!



Das ist nicht nur ein Psalm. Das ist eine Einladung. An dich.

Du hast die Klinke in der Hand.

Wirst du ihm aufmachen?

Wirst du dich freuen können?

Wirst du mit singen?


So kommt der König auch zu euch,
Ja, Heil und Leben mit zugleich.
Gelobet sei mein Gott,
Voll Rat, voll Tat, voll Gnad.


Ich wünsche es dir. Und er wünscht es dir auch.

Amen.


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 December 3, 2023  19m