Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Post vom Himmel


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Geliebte Gottes in Nebringen/Tailfingen,

Die Adresse des Christkinds ist denkbar einfach: An das Christkind, 51777 Engelskirchen. Wer jetzt noch Weihnachtspost hinschicken möchte, muss sich allerdings beeilen. Aufgrund der Postlaufzeiten muss das Schreiben nämlich spätestens 3 Tage vor Heiligabend dort eintreffen, damit zu Weihnachten noch eine Antwort kommen kann. Und die kommt bestimmt, vom Christkindpostamt in Engelskirchen. Das gibt es bereits seit 1985, als bei der Deutschen Post erstmals Briefe auftauchten, die an das "Christkind bei den Engeln" adressiert war. Weil die Mitarbeitenden der Post die kleinen Absender nicht enttäuschen wollten, fanden sie in der oberbergischen Gemeinde Engelskirchen eine Lösung. Dort öffnete eine Mitarbeiterin nämlich die Weihnachtsbriefe und beantwortete sie. Die Christkindpostfiliale war geboren. Längst ist dort die eine Mitarbeiterin nicht mehr alleine --und das ist gut so. Im vergangenen Jahr gingen um die 140.000 Briefe aus 50 verschiedenen Ländern in Engelskirchen ein -- China, Japan, Taiwan, Chile, Brasilien und Togo. In Spitzenzeiten sind das mehr als 12.000 Briefe pro Tag.

Vielleicht sollte ich auch mal einen schreiben. Schließlich könnte es sich durchaus lohnen, den, der da vom Himmel zur Erde kommt, in den Stand der Dinge einzuweihen. Ich würde ihm gerne einmal sagen, mit was wir uns hier alles herumschlagen müssen. Würde ihn um Rat bitten, für das, was mich umtreibt. Und um Hilfe für das, was ich alleine nicht regeln kann -- angefangen von den ganz großen Dingen, wie Krieg in der Ukraine, in Israel und Gaza, im Sudan und anderswo, bis zu den ganz persönlichen, die die Leute um mich her hier beschäftigen. Wenn es von einem geliebten Menschen Abschied zu nehmen gibt, zum Beispiel. Oder wenn wir um Lösungen ringen für die Zukunft der Kirchengemeinden hier in Gäufelden. Beim Christus, der als Kind kam, wären diese Fragen doch sicher gut aufgehoben. Ob die Mitarbeitenden der Deutschen Post da helfen können, da habe ich eher so meine Zweifel.

Nun ist es aber doch so, in den Tagen des Advent und anderswo, das Menschen Post bekommen vom Christus--selbst wenn sie selbst gar nicht nach Engelskirchen geschrieben haben. So berichten jedenfalls die ersten Kapitel der Johannesoffenbarung, dieses rätselhaften Buchs ganz am Ende der Bibel. Sieben Briefe werden dort zitiert, die auf den auferstandenen Herrn selbst zurückzuführen sind. Ganz jenseits von Fragen nach dem Postgeheimnis bekommen wir hier Einblick in das, was er selbst seinen Christ:innen in ihren Gemeinden vor Ort sagen möchte. Solche "Sendschreiben" wurden damals dann in der Gemeinde öffentlich verlesen. So machen wir es heute auch. Hört also den Brief an die Gemeinde in Philadelphia aus dem 3. Kapitel der Johannesoffenbarung:

Und dem Engel der Gemeinde in Philadelphia schreibe: Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu, und der zuschließt, und niemand tut auf: Ich kenne deine Werke. Siehe, ich habe vor dir eine Tür aufgetan, die niemand zuschließen kann; denn du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet. Siehe, ich werde einige schicken aus der Versammlung des Satans, die sagen, sie seien Juden, und sind's nicht, sondern lügen. Siehe, ich will sie dazu bringen, dass sie kommen sollen und zu deinen Füßen niederfallen und erkennen, dass ich dich geliebt habe. Weil du mein Wort von der Geduld bewahrt hast, will auch ich dich bewahren vor der Stunde der Versuchung, die kommen wird über den ganzen Weltkreis, zu versuchen, die auf Erden wohnen. Ich komme bald; halte, was du hast, dass niemand deine Krone nehme! Wer überwindet, den will ich machen zum Pfeiler in dem Tempel meines Gottes, und er soll nicht mehr hinausgehen, und ich will auf ihn schreiben den Namen meines Gottes und den Namen der Stadt meines Gottes, des neuen Jerusalem, das vom Himmel herniederkommt von meinem Gott, und meinen Namen, den neuen. Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt! (Offenbarung 3,7-13)

Geliebte Gottes in Nebringen/Tailfingen,

Wir sind nicht die Adressat:innen dieses Briefs. Das muss uns bewusst sein, wenn wir hier einen Blick in fremde Post werfen dürfen. Dass unser Christus selbst der Absender ist, macht diesen Text auch für uns faszinierend. Gerichtet ist er zunächst an Menschen an einem anderen Ort, in einer anderen, uns fremden Zeit. Das muss man wissen, um ihn zu verstehen. Kommt also mit mir, nach Alaşehir in der Türkei, nahe am ägäischen Meer, damals bekannt unter dem Namen Philadelphia. Kommt mit in eine Stadt in der reichen römischen Provinz Asia, in eine Stadt, in der Christ:innen, unsere Brüder und Schwestern zu damaliger Zeit, sich unter Druck gesetzt sehen. Es ist gar nicht einfach, alle Umstände nachzuvollziehen, die ihnen das Leben so schwer machen: Gesellschaftliche Zwänge, sich der quasi-religiösen Verehrung des amtierenden römischen Kaisers anzuschließen. Religiöse Spannungen zwischen Gruppen mit verschiedenen Meinungen, die Kompromisse im Glauben an Jesus Christus fordern. Daraus resultierend wohl auch ganz materielle Nachteile für die, die standhaft bleiben. Wir können es gar nicht so leicht alles im Detail begreifen, und vielleicht müssen wir das auch gar nicht, denn es gelingt uns auch so ganz gut, nachzuvollziehen, wie der Absender des Briefs die Gemeinde beschreibt: "Du hast eine kleine Kraft.", schreibt er. Das habe ich wohl wahrgenommen. Ich weiß um euch, in euren Umständen. Ich habe euch nicht vergessen. Ich sehe euch wohl. Ihr habt nur wenig Kraft und doch haltet ihr durch. Ihr bleibt treu. Ihr haltet euch an meine Wort. Ihr seid geduldig, auch wenn es schwer fällt. Das ist mir nicht entgangen und ich habe gute Nachrichten für euch. Ich komme bald. Ich komme zu euch, und zwar bald! Ist das nicht toll? Und wenn ich komme, dann ist das eine gute Nachricht: "Wer überwindet," -- wer durchhält -- für den habe ich reichen Lohn. Wer durchhält, den werde ich selber ehren und ihr werdet sehen, wie das Blatt sich wendet und zwar zum Guten für alle die, die sich zu mir bekennen. Deshalb: Haltet durch! Ich komme bald.

Ich höre so viel Liebe in diesen Worten. So viel Zuwendung, so viel Verständnis. Da schreibt einer, dem es am Herzen liegt, wie es seinen Menschen geht. Da schreibt einer, der hinhört und hinschaut, der nicht nur die wahrnimmt, die stark und furchtlos und laut auftreten, sondern gerade auch die Kleinen, die am Boden liegen, die fast keine Kraft mehr haben. Da schreibt einer, dem das Herz blutet, wenn er sie sieht und der mitleidet in allem dem, was ihnen zu schaffen macht. So viel wohltuender Zuspruch. Die Jahreslosung fällt mir wieder ein, auch wenn das schon so lange her ist: "Du bist ein Gott, der mich sieht." Hier kann man ihn entdecken. Sein gütiger Blick auf seine Leute spricht aus jedem seiner Worte. Und welch eine Zusage, welch eine Hoffnung--wieder Hoffnung, merkt ihr was?: "Ich komme bald."

Geliebte Gottes in Nebringen/Tailfingen,

Wenn doch dieser Christus auch einmal einen Brief nach Gäufelden schicken würde--wie gut würde mir das tun. Uns allen. Wie könnten wir das brauchen, gerade jetzt, in dieser Zeit. Das wäre Grund zur Hoffnung, ja!

Und vielleicht tut er das ja auch, in diesem Advent. Vielleicht gerade heute!

Geliebte Gottes in Nebringen/Tailfingen,

Wir sind nicht in Alaşehir, nicht in Philadelphia und haben fremde Post gelesen, die nicht an uns gerichtet war. Doch weil es unser Christus ist der schreibt, weil sein Wort mehr ist als nur situationsgebundenes Menschenwort, und weil wir in den Zeilen seinen Charakter entdecken können, glaube ich, wir dürfen es wagen, in allem dem, was da in uns Resonanz findet, auch einen Brief an uns zu entdecken, hier, im Jahr 2023, im Advent, im oberen Gäu, in Gäufelden--in Nebringen und Tailfingen und Öschelbronn. Ganz unaufgefordert und ohne vorheriges Schreiben von unserer Seite nach 51777 Engelskirchen. Der könnte dann so klingen, dieser Brief, vom selben Christus, nach dem Muster seiner Worte von damals, denn er ist ja derselbe, gestern, heute und in Ewigkeit:

Und an den Engel der Christ:innen in Gäufelden schreibe:

Das sagt der Heilige, der Wahrhaftige, der da hat den Schlüssel Davids, der auftut, und niemand schließt zu. Das sagt der Christus, dessen gekreuzigtes Abbild in euren Kirchen hängt; der, an den zu glauben ihr gemeinsam bekennt. Das sagt der dreieinige Gott, der euch geschaffen hat, der in Christus zu euch kam, der durch den Heiligen Geist in euch wohnt. Das sagt der, dem ihr das "Ehr sei dem Vater" singt und zu dem ihr das "Vater unser" betet. Das sagt der Auferstandene, der mehr ist, als eine historische Figur und mehr als ein liturgisches Bekenntnis, der Lebendige, in Ewigkeit, und deshalb auch 2023 in Gäufelden.

Ich kenne deine Werke. Ich weiß, wie es euch geht. Ich weiß um eure kleine Kraft in einer kleiner werdenden Kirche. Ich kenne die Prognosen, die euch Angst einflößen. Ich weiß um eure Kirche, die kleiner wird und immer älter, um die vielen Menschen in eurem Land, die mit religösem Denken gar nichts mehr anfangen können. Ich sehe die leeren Kirchenbänke und den Schmerz, den euch das bereitet. Ich weiß um die schönen Zeiten, denen ihr nachtrauert. Ich kenne die Programme, die es spätestens seit Corona nicht mehr gibt. Ich weiß, wo ihr nach Mitarbeitenden sucht und keine findet. Ich weiß um geliebte Traditionen, die ihr schmerzlich vermisst. Ich weiß, dass in Nebringen nur 5 beim Abendgebet waren und dass für das Krippenspiel noch eine ganze Reihe von Rollen unbesetzt sind. Ich weiß, dass ihr gerne wieder Bibelentdeckerclub machen würdet, wenn doch nur jemand da wäre, der sich da noch engagieren will. Ich weiß, dass in Tailfingen der Besuchsdienst brachliegt und keine Kinderkirche stattfindet und dass der Posaunenchor dringend wieder eine Chorleitung bräuchte. Und ich weiß, wie euch das frustriert. Ich kenne die Diskussionen und die Befürchtungen, die sich mit dem Strukturwandel der Kirche verknüpfen und mit einer Zusammenlegung der drei Kirchengemeinden in Gäufelden, damit überhaupt noch Kirche stattfinden kann hier in euren Dörfern. Ich habe das alles gesehen. Ihr habt eine kleine Kraft.

Und trotzdem, das sehe ich auch, ihr haltet fest. Ihr macht weiter. Ihr lasst euch nicht unterkriegen. Ihr sagt "Wir haben Hoffnung" und ihr lebt das, trotzig ins Gesicht der Umstände hinein. Ich sehe euch: Ich sehe die Kirchengemeinderät:innen, die sich die Nächte mit SPI-Sitzungen um die Ohren schlagen. Ich sehe die Standhaften, die auch für 5 Leute Abendgebet machen, und André, der die Krippenspielkinder anlächelt, wenn die Hälfte der Stühle im Kreis leer sind. Ich sehe die Treuen, die Woche für Woche Senior:innen aus der Gemeinde zu Hause besuchen. Ich sehe die Bläser, die proben, auch wenn sie nicht wissen, ob und wann sie wieder öffentlich spielen werden. Ich sehe die Mamas, die weiter mit ihren Kindern zum Spielkreis kommen und die Mesner:innen, die auch für ein paar Leute die Kirche schön herrichten und die Organist:innen, die vor 10 Leuten so hingegeben spielen, als wären es 500. Ich sehe die Relilehrer:innen, die sich nicht entmutigen lassen, wenn sich keiner für Gott zu interessieren scheint. Ich kenne die Treuen, die immer kommen, auch wenn keiner mehr neben ihnen in der Reihe sitzt. Und ich weiß um die, die immer dabei sind, in der vordersten Reihe und jetzt, so kurz vor Weihnachten, beinahe umfallen vor Müdigkeit, weil so viel los ist--und die es trotzdem tun.

Du hast eine kleine Kraft und hast mein Wort bewahrt und hast meinen Namen nicht verleugnet.

Und deshalb schreibe ich euch heute, was ich damals nach Philadelphia schrieb: Ich komme bald. Ich komme zu euch. Verliert den Mut nicht und lasst den Kopf nicht hängen sondern, ja, heute, am 2. Advent "erhebt eure Häupter und seht, dass eure Erlösung nach." Geht zuversichtlich in diese herausfordende Zeit, in der Gewissheit, dass ihr mich auch in eurer ungewissen Zukunft immer finden werdet. Hört nicht auf zu sagen, "Wir haben Hoffnung", sondern haltet fest, was ihr habt, denn es krönt euch, glänzend und strahlend hell, auch wenn ihr das nicht sehen könnt.

Haltet durch! Lasst euch nicht darin beirren, meine Kirche zu sein, denn es lohnt sich, am Ende, immer, wenn ich komme und alles wird gut. Das ist doch die Hoffnung, die ihr in mir habt: Am Ende wird alles gut, wird Gott alles verwandeln. Und wenn es noch nicht gut ist, dann ist es noch nicht das Ende und dann gilt ja, was ich euch versprochen habe--allen gemeinsam, und jedem persönlich, in der Taufe: "Siehe, ich bin bei euch, alle Tage, bis an der Welt Ende."


Nein, Geliebte Gottes, diese Zeilen habe ich nirgends aus der Bibel abgelesen. Da steht nur der alte Brief nach Philadelphia. Und doch gilt genau das, was er darin schon geschrieben hat: "Wer Ohren hat, der höre, was der Geist den Gemeinden sagt." Und so höre, so lese ich in den alten Worten ganz neue Zeilen, an uns geschrieben, an mich. Und mit jedem Wort, mit jedem Satz spüre ich die Liebe und die Zuwendung des auferstandenen Christus, die auch mir gilt. Mit jedem Satz fühle ich mich umarmt. Mit jedem Satz wächst meine Hoffnung und steigt meine Freude. Mein gebeugter Rücken wird gerade. Meine durchhängenden Schultern fassen Mut. Ich richte mich auf. Ich fühle mich wie neugeboren. Ich weiß es wieder: Wir haben Hoffnung! Mein gesenkter Blick hebt sich und ich beginne vor mir zu sehen, was ich in seinen Worten höre: Ich komme bald! Erhebt eure Häupter und seht, dass ich euch nicht vergessen habe. Erhebt eure Häupter und seht, dass ich mit euch vorwärts gehe. Erhebt eure Häupter und seht, dass eure Erlösung naht!

Wenn ich die Ohren spitze, um seinen Geist auch heute reden zu hören, dann weiß ich gewiss--und ich hoffe, dass es euch auch so geht: Es ist Christus, der zu mir spricht. Zu uns. 2023, im Advent in Gäufelden. Seine Worte sind Balsam für unsere Seelen. Genau das was wir brauchten.

Auch wenn die Unterschrift am Ende unleserlich bleibt, haben wir genau erkannt, woher diese Worte kommen. Ganz bestimmt nicht aus 51777 Engelskirchen.

Amen.


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 December 10, 2023  15m