Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Krippenspiel


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Ah, der Heilige Abend. Endlich kommen wir zur Ruhe. Die Weihnachtsgeschenke sind gepackt, die letzten Besorgungen erledigt, der Braten ist im Ofen und wir sitzen bei Kerzenschein in der Kirche und singen die altvertrauten Lieder. Das haben wir jetzt auch gebraucht--diesen Schritt zurück vom Alltag, hinein in die Besinnlichkeit und Ruhe, warm eingepackt in die beruhigenden Traditionen, die schon Generationen vor uns durchgetragen haben. Ein Abend, einer wenigstens, an dem wir uns nicht mit den Problemen der Welt auseinandersetzen müssen. An dem es einfach Weihnachten sein darf, warm und hell und gemütlich, mit Freude in den Gesichtern und Lachen, mit einem guten Essen und Kerzen und Musik und mit Friede im Kreis der Familie. Das haben wir gebraucht. Das haben wir uns gewünscht. Das muss jetzt sein. Auch wenn es nur ein Abend ist.

Denn wenn wir dann hinausgehen, irgendwann, hier aus der Kirche oder nachher vom gemütlichen Familienfest, dann ist ja schnell genug wieder dunkel um uns her. Da bläst uns nicht nur der winterliche Sturmwind um die Ohren, sondern die ganze unsägliche Welt in ihrem Dauerkrisenmodus gleich mit. Da flattert der ganze, kitschige Traum von weißer Weihnacht sofort davon, angesichts der ungelösten Klimakrise. Da herrscht der Krieg in der Ukraine und im Nahen Osten, da steigen die Preise schneller als unser Konto sich nachfüllt, da ist Corona schon wieder präsent. Selbst die Kirche, dieses "Schiff, das sich Gemeinde nennt", in dem Christ:innen seit zwei Jahrtausenden schon ganz viele Höhen und Tiefen durchsegelt haben--selbst die Kirche scheint der Sturm ganz schön ins Schlingern zu bringen: Wieder haben im letzten Jahr viele Menschen die Kirche verlassen. Die Ressourcen werden weniger (die Pfarrer auch), die gesellschaftliche Bedeutung schwindet. Da weht uns ganz schön was um die Nase! Und doch sind wir das alles ja auch schon wieder gewohnt und zucken bei vielem nur noch mit den Schultern--resigniert vielleicht. Abgestumpft gegenüber dem, was der Sturm der Welt da so heranbläst: Die Pandemie haben wir überstanden. Der Kältewinter des letzten Jahres war letztlich doch nicht so schlimm, wie erwartet. Die Nachrichten von Krieg kennen wir alle schon. Das reißt uns alles schon gar nicht mehr vom Hocker und doch lässt es auch nie zu, dass unser Puls in normale Regionen sinkt. Wir sind gefangen, in diesem Weltensturm. Wir fühlen uns ohnmächtig gegenüber all den Krisen. Wir können doch soweiso nichts tun. Wir sind--so die Diagnose des Apostels Paulus in seinem Brief an die Galater vor bald 2.000 Jahren schon--Sklaven der Mächte der Welt. Ausgeliefert. Ohnmächtig. Hilflos.

Halt!

Bevor uns jetzt der Krisensturm auch noch den Weihnachtsabend wegpustet, muss doch nun endlich die Hoffnungsbotschaft kommen. Und da ist sie, mitten heraus aus dem, was hier geschieht. Mitten heraus aus dem Galaterbrief des Apostels Paulus, der gerade noch diese deprimierende Diagnose gestellt hatte. Aus dem 4. Kapitel:

4 Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, 5 auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen. 6 Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! 7 So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott. (Galater 4,4-7)


Da ist sie, die Botschaft, die wir heute genauso brauchen wie die Menschen damals. Egal wie ausgeliefert wir uns fühlen, wir sind nicht hilflos. "Wir haben Hoffnung", sagt ein Pfarrer hier aus der Nähe immer wieder. Wir haben Hilfe:

Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.

Er ist die Hilfe. Er ist die Hoffnung.

Die Zeit ist erfüllt. Das Maß ist voll. Gott steigt hinein in den tosenden Sturm der Weltkrisen, hinein in die hilflos ausgelieferte Menschheit und er setzt dem allem das entgegen, was kein Sturm, keine Macht der Welt, kein Imperium, kein Virus, keine Hyperinflation, kein Krisenjahr--was nichts und niemand überwinden kann: Weil niemand damit gerechnet hat, dass Gott so handeln würde. Weil niemand damit rechnen konnte, dass Gott so handeln würde. Gott steigt ein in das große Spiel, in das Gezerre der Mächte und der Krisen, aber er macht das Spiel nicht mit. Seine Antwort ist nicht die, die man vermutete hätte. Er kommt nicht mit einem Donnerschlag. Er haut nicht mit eiserner Faust all das Chaos kurz und klein. Im Spiel der Mächte und Gewalten ist er nicht einfach der Noch-Mächtigere, Noch-Gewaltigere, der mit denselben Waffen kämpft, nur halt besser und stärker. Er ist nicht der, der alle übertrumpft. Nein, das was jetzt kommt, hatte keiner auf dem Radar.

Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.

Er ist die Hilfe. Er ist die Hoffnung.

Ein Kind.

Geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan.

Da taucht am Heiligen Abend gleich die Krippenszene vor unserem inneren Auge auf. Maria, über das Kind gebeugt. Der treue Josef hält nebendran die Wacht. Nur Paulus, der hat nicht daran gedacht. Der kannte sie ja auch noch nicht, die romantischen, handgeschnitzten Tiroler Krippenfiguren, die uns so vertraut sind. Als Lukas irgendwann seine Weihnachtsgeschichte mit Hirten und Engeln auf dem Feld aufschreibt, ist der Galaterbrief schon seit Jahren verschickt. Geboren von einer Frau, hebräisch jelûd ’iššah, der "Weibgeborene", ist in den jüdischen Schriften ein gebräuchlicher Ausdruck. Immer wenn er auftaucht, geht es um den Menschen in seiner ganzen begrenzten Wesensart, den sterblichen, vergänglichen Menschen.

Geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan--das ist der Clou an dem, wie Gott sich in das Getümmel stürzt: Er haut nicht drauf. Er macht sich klein. Er begrenzt sich. Er setzt sich dem allen aus. Er nimmt alles auf sich, was uns hier um die Ohren fliegt. Er macht es mit. Er nimmt es an sich. An sich. Er macht uns frei. Er "kauft uns los", sagt Paulus. Die Sklaven der Mächte der Welt. Er macht uns frei.

Er ist die Hilfe. Er ist die Hoffnung.

Ein Kind.

Er macht uns frei.


Geliebte Gottes in Tailfingen,

Wenn das hier, wie viele meinen, die "Weihnachtsgeschichte nach Paulus" ist, dann gibt es keine Hirten darin. Keine Engel. Keine Krippe. Nicht einmal Josef und Maria. Nur: Ein Kind.

Und wir tun gut daran, beim Lesen dieses Textes aufzuräumen im Stall, der sich vor unsere inneren Augen drängt, wenn wir am Heiligen Abend von diesem Kind hören, denn die Figuren, die hier zu Paulus nicht hergehören, verstellen uns sonst am Ende noch die Sicht auf das Wesentliche, um das es hier geht. Dann stehen wir da wie der Ochs und der Esel und begreifen gar nicht, was vor unseren Augen geschieht. Also, weg einmal mit allem, was dem im Weg steht:

Ein Kind. Nur ein Kind.

Wenn Paulus vom Kind redet, denkt er nicht an ein hilfloses Neugeborenes. Er hat kein süßes Windelbaby mit großen Augen vor sich, das irgendwann dann nicht mehr so süß riecht und dann darauf angewiesen ist, dass es jemand frisch wickelt. Das irgendwann Hunger bekommt oder müde wird und dann nicht mehr goldig lächelt, sondern "grätig" wird und schreit. Wenn Paulus vom Sohn redet, dann nicht von einem unmündigen Kind, das auf die Hilfe der Erwachsenen angewiesen ist. Davon hat Paulus auch schon geredet. Gerade in den Versen vorher, da hat er uns als unmündige Kinder bezeichnet. Als die, die nicht selbst für sich sorgen können. Als die, die nicht selbstbestimmt leben können. Und das mündete dann in seiner Weltdiagnose: "Sklaven der Mächte dieser Welt."

Wenn Paulus hier vom Sohn Gottes redet, dann ist das der krasse Gegensatz zu diesen unmündigen Kindern. Den der Sohn, der hier kommt, ist der Erbe. Der, der nun frei entscheidet über das, was er von seinem Vater empfangen hat. Das Kind ist der Mündigste in der ganzen Geschichte überhaupt. Nur er ist wirklich frei.

Als die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn.

Wer den Text aufmerksam liest, wird viel mehr entdecken, als die "Weihnachtsgeschichte nach Paulus." Der Apostel fasst hier Weihnachten, Kreuz und Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten alles in einem zusammen. Er rollt das ganze "Christus-Ereignis", wenn man so will, in Einem auf. Er schaut von hinten her auf die ganze Jesus-Geschichte, von seiner Gegenwart aus und von der seiner Leser. Er schaut sich die Sache vom Ergebnis her an und kommt zu einer absolut verblüffenden Feststellung: Durch dieses Kind, durch den Sohn, den Gott hier sendet, hat sich an uns etwas verändert:

Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und unter das Gesetz getan, auf dass er die, die unter dem Gesetz waren, loskaufte, damit wir die Kindschaft empfingen.

Die Kindschaft empfangen...

Wir nennen das heute, in unserer Alltagssprache: Adoption. Und damit kenne ich mich gut aus. Zehn Jahre ist es her: Am 11. Dezember 2013 hielten meine Frau und ich den endgültigen, unwiderruflichen Adoptionsbeschluss für unsere jüngste Tochter Pia in der Hand. Und kurze Zeit darauf--das hat mich fast am meisten beeindruckt: Eine neue Geburtsurkunde. Da standen dann wir als Eltern drin. Für mich war das damals eine Predigt, für mich ganz persönlich. Ich habe ganz viel über Gott gelernt in diesem Moment und in der langen Zeit davor, bis zu diesem Tag hin. Darüber, was es heißt, dass Gott mich zu seinem Kind macht. Das ist es doch, was Paulus hier berichtet. In seiner "Weihnachtsgeschichte" gibt es am Ende nicht nur ein Gotteskind, sondern ganz viele:

Weil ihr nun Kinder seid, hat Gott den Geist seines Sohnes gesandt in unsre Herzen, der da ruft: Abba, lieber Vater! So bist du nun nicht mehr Sklave, sondern Kind; wenn aber Kind, dann auch Erbe durch Gott.


Wenn nachher nach dem Gottesdienst Familie Fischer gemütlich im Pfarrhaus miteinander Weihnachten feiert, sagt die elfjährige Pia genauso selbstverständlich "Papa" zu mir, wie meine beiden leiblichen Töchter auch. Da gibt es keinen Unterschied. Das geht bis in die feinsten rechtlichen Details hin: Auf meiner Steuererklärung steht Pia ganz selbstverständlich in der gleichen Liste wie meine leiblichen Töchter. Und wenn es eines Tages ans Erben geht, bekommt sie ganz selbstverständlich gleich viel ab wie die anderen beiden.

Das ist es, was Adoption bedeutet: Die Pia, die in eine andere Familie geboren wurde, ist jetzt mein Kind.

Das ist es, was passiert, wenn Gottes Sohn kommt: Ich bin jetzt Gottes Kind.

Das ist die Hilfe. Das ist die Hoffnung.

Nicht nur ein Kind. Sondern ganz viele, die sagen dürfen: "Abba. Papa. Mein lieber Vater."

Das macht uns frei.


Geliebte Gottes in Tailfingen,

Wenn wir jetzt irgendwann diesen Paulusbrief zuschlagen und es dann Weihnachten wird bei uns, dann räumen wir unsere vertraute Krippe wieder ein. Wir stellen Ochs und Esel dazu--nein, das sind nicht wir. Maria und Josef, die Hirten, die Weisen, die Engel. Und in der Mitte von allen: Das Kind. Die Hilfe. Die Hoffnung.

Geliebte Gottes in Tailfingen,

Wenn wir das tun--zumindest vor unserem inneren Auge--, oder wenn ihr nachher hier in der Kirche oder zu Hause im Wohnzimmer die Krippe mit dem Kind betrachtet, dann lasst uns daran denken, dass nicht nur in der Krippe ein Gotteskind liegt, sondern ganz viele andere darum herumstehen.

Nicht Sklaven, sondern Kinder.



Dazu ist er gekommen.

Die Hoffnung. Die Hilfe.

Er macht uns frei.

Das ist das wahre Krippenspiel.


Geliebte Gottes in Tailfingen,

Wenn dann irgendwann das Weihnachtsessen gegessen und die Geschenke ausgepackt sind, wenn das Fest gefeiert ist und wir weitergehen in die nächste Zeit--wenn wir die Tür zum Alltag aufmachen und uns der Sturm um die Ohren heult, dann lasst uns hinausgehen nicht mit hochgezogenen Schultern und eingezogenenem Genick, nicht gebeugt und gebeutelt, sondern mit erhobenem Kopf und mutigem Blick, als die, die wir sind: Befreite. Kinder Gottes. Das kann uns keiner nehmen.


"Zur Freiheit hat Christus uns befreit!", ruft Paulus uns zu (Galater 5,1). "So steht nun fest, und lasst euch nicht wieder zu Sklaven machen."

Ich glaube: Wenn wir das hören, und danach leben, dann ist es wirklich Weihnachten geworden.

Amen.


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 December 24, 2023  14m