Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Nicht nur Poster und Herzchen


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Geliebte Gottes in Gäufelden,

Ich will heute ganz offen und ehrlich mit euch reden:

Wenn der Apostel Paulus in der neuen Jahreslosung schreibt, "Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!" (1. Korinther 16,14), dann denkt er nicht an einen romantischen Abend mit der Liebe deines Lebens. Das Bild, das er uns vor Augen malen will, gehört nicht ans Ende eines kitschigen Liebesfilms, wenn sie sich umarmen, als die Sonne untergeht und dort ausgeblendet wird, wo wir uns denken können, wie es weitergeht. Paulus malt auch keine Herzchen an den Rand des Briefs, den er an schreibt -- an die Gemeinde in der griechischen Hafenstadt Korinth, Mitte des ersten Jahrhunderts nach unserer Zählung. Mit dieser Vorstellung möchte ich gleich als allererstes aufräumen. Denn, ob wir wollen, oder nicht, sie wird uns begleiten in diesem Jahr, diese Jahreslosung mit diesem einen, eigentlich ganz simplen Satz: "Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!" Man könnte davon ausgehen, dass Gott da vielleicht seine Hand im Spiel hatte bei der Auswahl dieser Losung -- und selbst wenn man das nicht will, ist das ein Bibelwort, das uns sicher gut tut in dieser Zeit. Ich muss die Losung gar nicht als christliche Version eines Jahreshoroskops lesen. Ich kann mich ja einfach selbst entscheiden, gemeinsam mit ganz vielen Christ:innen dieses Jahr 2024 unter diese Überschrift zu stellen.

Wenn wir das tun, Geliebte Gottes, dann schlage ich vor, dass wir hier und heute entscheiden, wie wir mit diesem Satz umgehen. Ich sehe da nämlich mehrere Möglichkeiten: Wir können ihn auf seicht-romantische Poster drucken, mit Sonnenuntergang und Umarmung und ganz vielen Herzchen. Mit anderen Worten, wir können uns selbst in einer schönen Zweierbeziehung da hineinschreiben, mit einer romantischen Liebesvorstellung, die erst vor ungefähr 250 Jahren in Mode kam und dem Apostel zu seiner Zeit völlig unbekannt war. Oder, wir können die Jahreslosung ernst nehmen. Das wäre mein Vorschlag. Aber ich muss euch warnen: Das wird harte Arbeit. Wir werden nicht nur einmal daran scheitern, dieses Jahr. Poster und Herzchen sind deutlich einfacher. Überlegt es euch gut.

Seid ihr dabei?

Dann also los: Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen!

Eigentlich ist damit doch alles gesagt. Wir müssen nur noch loslegen, oder?

Ein einziges Substantiv steht im Zentrum des Satzes: Liebe. Und schon hat jeder so seine Vorstellung, was darunter zu verstehen ist.

Geliebte Gottes, "ernst nehmen" beginnt damit, dass wir merken: Dieser Satz steht nicht auf einem Plakat. Dieser Satz ist Teil eines Briefs, eines längeren Texts. Er hat einen Zusammenhang und die Kapitelnummer 16 deutet darauf hin, dass da schon einiges gesagt ist. Auch zum Thema Liebe.

"Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen" steht nicht zufällig in diesem 16. Kapitel. Dieser Satz ist zentraler Teil des Briefschlusses. Hier bindet der Apostel den Sack zu. In wenigen Worten bringt er noch einmal auf den Punkt, was er zuvor 16 Kapitel lang an vielen konkreten Lebenssituationen durchexerziert hat. Man könnte behaupten, der ganze Brief laufe auf diesen Satz hinaus:

Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.

Das fordert uns heraus, das Hauptwort "Liebe" nicht einfach mit unseren eigenen Ideen zu füllen, sondern erst einmal ernsthaft nachzuschauen, was denn zu diesem Thema bereits gesagt ist. Das ist der erste Schritt, dem dieses Jahr noch viele weitere folgen müssen: Ein Schnelldurchgang durch den restlichen Brief, gewissermaßen. Also: Let's go!

Die Menschen, an die Paulus schreibt, sind ihm persönlich gut bekannt. Korinth, die Hafenstadt, liegt im Süden Griechenlands. Wer die Karte so ungefähr vor sich sieht, kann sich die Peloponnes, diese große Halbinsel ganz im Süden des Landes, wie eine Art überdimensionierte Hand mit vielen Fingers vorstellen. Wenn man dieses Bild nimmt, dann liegt Korinth auf dem Handgelenk: an der engsten Stelle, die die Halbinsel mit dem Balkan verbindet. Der Isthmus von Korinth, diese Landenge, ist an der schmalsten Stelle nur 6,4 Kilometer breit. Auf beiden Seiten, im Osten und im Westen: ein Hafen. Und dazwischen: Korinth. Weil es damals viel einfacher war, die Waren, die man auf dem Mittelmeer transportierte, nicht um die ganze Peloponnes herumzufahren, lud man sie auf einer Seite Korinths aus den Schiffen aus und auf der anderen wieder ein. Da war richtig was los, in Korinth.

Paulus ist dort gewesen. Auf seiner zweiten Missionsreise machte er Station in Korinth und gründete--wie konnte es anders sein--eine Gemeinde. Seither ist er weiter gereist. Er wohnt jetzt gerade in Ephesus, auf der anderen Seite des ägäischen Meers, dort, wo sich heute die Türkei befindet. Der Kontakt zu seinen Freund:innen in Korinth ist nie abgebrochen. Aus gutem Grund: das Gemeindeleben ging ja weiter. Andere hatten die Stelle des Paulus eingenommen. Nicht immer stimmte das, was sie erzählten, mit dem überein, was Paulus gesagt hatte. Nicht immer waren sie sich untereinander einig. Lager bildeten sich. Manche hielten es mit Paulus--zumindest mit dem, an was man sich von ihm erinnerte. Andere waren eher Fans von Apollos, oder von Petrus, dessen Meinung man aus der Ferne gehört hatte. Wer besonders fromm war, grenzte sich von allen diesen Lagern ab. "Ich halte es mit Christus." Da ist man auf der sicheren Seite. Glücklicherweise hat Christus ja immer eine Meinung, die meiner eigenen verblüffend ähnlich ist. Da hat sich in zwei Jahrtausenden wenig geändert, glaube ich manchmal zu beobachten.

Wie dem auch sei, es ist Zeit für eine Klärung. Zeit einen Brief an den Gründer. Was wir heute lesen, ist die Antwort des Apostels. Und der kommt mit dem Thema "Liebe". Zumindest bietet er das an. Er könnte nämlich auch anders: "Was wollt ihr? Soll ich mit dem Stock zu euch kommen oder mit Liebe und sanftmütigem Geist?", schreibt er im 4. Kapitel. Es kann einen schon aufregen, was hier passiert. Man könnte gleich dreinschlagen. Was der Apostel hier anbietet, ist etwas anderes: Er sieht sich als Vater der Gemeinde -- das Bild der Mutter verwendet er übrigens auch. Er fühlt sich mit den Korinthern aufs engste und unauflöslich verbunden, wie Eltern mit ihrem Kind. Die Vaterbeziehung, die Jesus selbst vorlebt, wird hier zum Maßstab für die Beziehung des Apostels zur Gemeinde.

Wenn das Liebe ist, Geliebte Gottes in Gäufelden, dann wird das herausfordernd 2024: Über alles trennende, über alles, was uns stört, nervt, aufregt und von anderen Menschen abstößt, in unserem Umgang miteinander immer zuerst den Christus zu sehen, der uns unauflöslich als Kinder Gottes, als Geschwister im Glauben, miteinander verbunden hat.

Zum Mitnehmen: Liebe ist Verbundenheit.

Das zweite Mal kommt Paulus auf die Liebe zu sprechen, als er sich im 8. Kapitel mit einer komplizierten Frage aus dem damaligen Kulturkreis beschäftigt. Für uns ist die heute gar nicht so einfach nachvollziehen: Es geht um den Verzehr von Fleisch, das im Zusammenhang mit rituellen Handlungen der dortigen Religionen zur Schlachtung kam. Das war eine gängige Sache und für viele Menschen das einzige Fleisch, das sie sich überhaupt leisten konnten. Die Frage war nur: Darf man das als Christ:in bedenkenlos? Macht man sich damit nicht eins mit denen, die an irgendwelche Götzen glauben? In Korinth gab es verschiedene Meinungen zu dem Thema. Auch für Paulus ist es nicht leicht, aufzulösen. Drei ganze Kapitel widmet er dieser Frage. Und mittendrin dann die Feststellung: "Wenn jemand meint, er habe etwas erkannt, der hat noch nicht erkannt, wie man erkennen soll. Wenn aber jemand Gott liebt, der ist von ihm erkannt." (1.Ko 8,2-3)

Paulus spielt hier nicht Liebe gegen Wahrheit aus. Liebe und Wahrheit sind untrennbar miteinander verbunden. Aber einfach nur das Richtige zu wissen, reicht nicht aus. Die Frage ist vielmehr, wie gehe ich mit diesem Wissen um? Oder noch besser: Wie gehe ich mit anderen um, die das anders sehen? Nur der hat die Wahrheit wirklich voll begriffen, der sich zuallererst selbst von Gott geliebt weiß. So geliebt, dass er diese Liebe auch an andere weitergibt. Wer liebt, gibt Gottes Liebe Raum. Auch, und gerade dann, wenn es um die Wahrheit geht. Wenn die nämlich durchgeboxt wird, ohne Rücksicht auf Verluste und Verletzungen, da bleibt die Liebe auf der Strecke. Und die Wahrheit deshalb auch.

Liebe tritt da einen Schritt zurück. Liebe entscheidet, nicht auf Kosten anderer durchzusetzen, was man selbst für richtig hält. Liebe beschränkt sich, um des anderen willen.

Zum Mitnehmen: Liebe ist rücksichtsvolle Weisheit im Umgang miteinander.

Schließlich kann man den Korintherbrief nicht lesen, ohne irgendwann -- im 13. Kapitel, genauer gesagt -- bei einem der bekanntesten Texte der Bibel zu landen. Wir (nicht Paulus) haben ihm seit langem den Titel "Das hohe Lied der Liebe" verpasst. Ich lese ihn euch vor:

Die Liebe ist langmütig und freundlich, die Liebe eifert nicht, die Liebe treibt nicht Mutwillen, sie bläht sich nicht auf, sie verhält sich nicht ungehörig, sie sucht nicht das Ihre, sie lässt sich nicht erbittern, sie rechnet das Böse nicht zu, sie freut sich nicht über die Ungerechtigkeit, sie freut sich aber an der Wahrheit; sie erträgt alles, sie glaubt alles, sie hofft alles, sie duldet alles. (1.Ko 13,4-7)

Das, Geliebte Gottes, ist der Maßstab, an dem wir unseren Umgang mit der Jahreslosung messen lassen müssen.

Allein mit diesem Text könnte man sich ein ganzes Jahr beschäftigen. Das würde heute hier den Rahmen sprengen. Vielleicht reicht es auch, heute zusammenfassend zu sagen: die Liebe ist vollkommen. Allein die vierfache Wiederholung des Wortes "alles" im letzten Vers lässt daran keinen Zweifel: Die Liebe erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, duldet alles.

Geliebte Gottes, wie viel "alles" seid ihr bereit, 2024 zu ertragen?

Zum Mitnehmen: Liebe ist vollkommen.


Das ist der Sack, den Paulus am Ende seines Briefes zu macht. Er fasst noch einmal zusammen, was er vorher einzeln durchbuchstabiert hat: "Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark!" (1.Ko 16,13). Seid wachsam. Seid glaubensfest. Seid mutig. Seid stark. Vier Imperative. Vier Anweisungen die es in sich haben. Und dann kommt die fünfte, die ist ganz anders formuliert:

"Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen."

Geliebte Gottes, Liebe kann man nicht befehlen. Liebe kann man auch nicht machen. Schon gar nicht, wenn hier schon wieder das Wort "alles" auftaucht. "Alle eure Dinge" -- das ist von einer Absolutheit, von so einer universellen Größe, an der wir nur eines können: Scheitern. Die Liebe in ihrer Vollkommenheit, in ihrem alles umfassenden Anspruch an unserer Leben, ist mehr, als wir Menschen fähig sind zu geben. Und doch werden wir ihr nur gerecht, wenn wir bereit sind, uns auf den Weg zu machen. Liebe ist ein Weg, nicht das Ziel, an den wir uns angekommen wissen. Lieben kann man nur, wenn man bereit ist, daran auch zu scheitern. Wer meint, die Liebe im Griff zu haben, das alles irgendwie zu meistern, der hat es bereits vermasselt.

"Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen."

Geliebte Gottes, 2024 werden wir alle an dieser Aufgabe scheitern--das muss uns von Tag 1 klar sein. Aber nur wer sich auf den Weg macht, nur wer bereit ist, zu fallen und wieder aufzustehen, der kann beginnen, zu lieben.

Liebe kann man nicht meistern und nicht machen. Aber man kann ihr begegnen. Gott selbst ist die Liebe und nirgends begegnet sie uns klarer, größer und reiner als in Jesus Christus, seinem Sohn. Wer sich von als von ihm geliebt erfährt, der kann beginnen, diese Liebe weiterzugeben. Liebe ist ein Geschenk Gottes. Liebe kann man sich nur schenken lassen. Wer sich von als von ihm geliebt erfährt, der kann in seiner Liebe wachsen.

Geliebte Gottes,

Diese Jahreslosung ist riskant und herausfordernd. Wer sie ernst nehmen will, der muss sich darauf einstellen, am Ende des Jahres Buße zu tun über die vielen Momente, wo wir dem "alles" nicht gerecht geworden sind. (Und auch da wird uns wieder neu die vollkommene, vergebende Liebe Gottes in Christus begegnen und uns aufrichten).

Geliebte Gottes,

Diese Jahreslosung ist eine Einladung zum Abenteuer. Wer sie ernst nimmt und sich auf den Weg macht, der kann am Ende staunen über das, was die Liebe ist und was sie macht: viel mehr, als wir uns heute schon ausmalen können. Das passt auf kein Poster der Welt.

Deshalb:

Alle eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.

Amen.


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 January 1, 2024  14m