Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Noch ein Schritt


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Mir tun die Füße weh.

Jeder Schritt ist eine Qual. Ich hebe das Bein und die Muskeln schmerzen. Ich setze den Fuß auf und die Knie zittern. Sicher habe ich schon Blasen in meinen Wanderschuhen.

Noch ein Schritt.

Ich schwitze. Die Sonne sticht herab, selbst in der kühlen Luft hier oben. Der Schweiß läuft mir in die Augen und irritiert mich.

Noch ein Schritt.

Mir bleibt die Luft weg. Ich keuche wie eine Dampflokomotive und bekomme doch nicht den Sauerstoff, den ich brauche. Es sticht in meiner Seite.

Noch ein Schritt.

Ich habe Durst. Meine Kehle ist ganz ausgetrocknet. Mir ist flau im Magen. Ich brauche Wasser. Brauche Zucker.

Noch ein Schritt.

Ich schaue nach oben. Die Sonne blendet vom strahlend blauen Himmel. Der Weg ist steil und will kein Ende nehmen. Da oben, eine Kuppe, da sieht man nicht mehr, wie er weitergeht, aber man ahnt schon, seit den letzten solchen Erhebungen, dass dahinter nicht gleich das ersehnte Ziel liegt, sondern wahrscheinlich nur ein Absatz und dann ein neuer Hang. Vielleicht noch steiler wie dieser hier.

Noch ein Schritt.

Ich strauchle. Der Bergpfad ist hart. Keine weiche Wiese, sondern Steine. Große, die meine Schritte aus dem Takt bringen, wenn ich drüber steigen muss. Kleine, die unter meinem Gewicht am Rand des schmalen Pfades wegrutschen.

Noch ein Schritt.

Ich brauche eine Pause. Schon wieder.

Noch ein Schritt.

Ich will nicht mehr. Was machen wir hier eigentlich? Warum tue ich mir das eigentlich an?


Mein Vater war immer ein begeisterter Bergwanderer. Alle Familienurlaube meiner Kindheit haben wir in den Alpen verbracht. Ich habe seine Begeisterung nicht geteilt--ganz sicher nicht als Teenager. "Die Berge sehen auch von unten schön aus.", habe ich damals schon gesagt. Und: "Wozu mühsam aufsteigen, wenn man hinterher nur wieder hinunter geht?"

Alles, was ich heute hier schon beschrieben habe, kenne ich aus eigener Erfahrung. Ich habe es oft genug zum Ausdruck gebracht, wenn ich missmutig hinterhertrottete.

Noch ein Schritt.

Ich will nicht mehr.


Zeitreise.

Irgendwo im Mittelmeerraum. Das genaue Jahr weiß ich nicht. Es könnte so um 80 nach Christus gewesen sein.

Sie stellen sich dieselben Fragen.

Sie fühlen sich so, wie ich auf der Bergtour.

Noch ein Schritt.

Ich will nicht mehr.


Lange ist es her.

80 Jahre vielleicht. Da stand plötzlich ein Engel auf einem Feld, irgendwo in Judäa, in einsamer Nacht. Nur ein paar Hirten und Schafe waren da, aber was die Hirten hinterher berichteten, hat Kreise gezogen. "Fürchtet euch nicht!", so sagte die Lichtgestalt. "Fürchtet euch nicht. Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr!" Und nachdem die Menge der himmlischen Heerscharen um sie herum das Lob Gottes erklingen lassen hatte, zogen sie los und fanden alles so, wie sie es gehört hatten: Maria, Josef, die Krippe, das Stroh. Und das Kind. Jesus. Christus, der Herr. "Fürchtet euch nicht!" Alle wunderten sich und die Begeisterung war noch lange zu spüren.

Lange ist es her.

50 Jahre vielleicht. Das Kind ist längst groß geworden. Ein Mann. Einer wie viele, und doch ganz besonders. Er fühlt sich von Gott berufen. Er wandert durchs Land und er hat eine Botschaft für alle: "Kehrt um! Das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen!" So wie er redet keiner von Gott. Er redet überhaupt nicht nur. Er handelt, so dass jeder sehen kann, dass hier Gott am Werk ist. Blinde sehen, Lahme gehen. Von auferstandenen Toten hat man gehört und der Sturm auf dem aufgepeitschten See gehorcht ihm aufs Wort. "Wer ist dieser Mann?", fragen sich viele erstaunt, weil er sie begeistert, mitreißt. Und manche haben es längst kapiert: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!"

Lange ist es her.

Die Begeisterung ist dem Entsetzen gewichen, als sie ihn schnappten und ans Kreuz nagelten, und dann: dem Staunen, ungläubig zuerst, dem Jubel aus tiefstem Herzen, als sie begriffen, was sie den Frauen zuerst nicht geglaubt hatten. Die waren völlig aufgelöst vom Grab zurück gekommen, hatten wirres Zeug erzählt vom weggerollten Stein, von der leeren Grabhöhle und wieder einer Lichtgestalt. Wer sollte daraus schlau werden? Dann stand er plötzlich selbst mitten unter ihnen: "Friede mit euch!" und die Freude kannte keine Grenzen mehr. Die Freude hat den ganzen Erdball erschüttert. Sie waren wie ausgewechselt. Nichts konnte sie aufhalten. Ungläubiges Gelächter nicht. Verfolgung nicht. Gefängnis nicht. Selbst die Todesstrafe nicht. Sein Geist trieb sie vorwärts. Sie mussten es allen erzählen, was sie gesehen hatten: "Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!"

Lange ist es her.

Keiner weiß mehr so genau, wo der weggerollte Stein liegt. Wo Jesus ist, weiß man auch nicht so genau. Sie kennen die alten Geschichten. Sie wissen vom Engel auf dem Feld, vom gestillten Sturm und vom leeren Grab. Man hat es ihnen von klein auf erzählt, wie er zum Himmel fuhr, zu seinem Vater. Wie er den Geist sandte an seiner Statt und die Bewegung den ganzen Erdkreis erfasste. Und: Wie er sein Versprechen gab, dass er wiederkommen würde. Wieder bestätigt von leuchtenden Gestalten: "Dieser Jesus, der von euch ging und in den Himmel aufgenommen wurde, wird ebenso wiederkommen, wie ihr ihn habt zum Himmel hingehen sehen." (Apostelgeschichte 1,11). Wann das sein würde, haben die Engel nicht gesagt. Jesus selbst hat nur in Rätseln darüber geredet. Keiner kenne den Tag, noch die Stunde, meinte er. Nur eines war immer klar: Bald.

Lange ist es her.

Wie bald ist bald?

Sind 50 Jahre nicht genug? 50 lange, anstrengende Jahre? Längst ist die Begeisterung des Anfangs den Durchhalteparolen gewichen. Die Zeit ist lang. Die Zwischenzeit ist schwer. Die Umwelt reagiert keineswegs enthusiastisch auf die Botschaft vom auferstandenen Christus. Seine Nachfolger sind Häme ausgesetzt. Ausgegrenzt werden sie. Bei vielem dürfen sie nicht mitmachen. Angefeindet hat man viele, verfolgt, manche gar getötet. 50 Jahre lang. Bald? Wie bald ist bald?

Noch ein Tag.

Ich kann nicht mehr.


Zeitreise zurück.

Lange ist es her.

Wie bald ist bald nun eigentlich wirklich? Reichen zwei Jahrtausende immer noch nicht?


Lange ist nämlich auch vieles andere her.

Die mitreißenden Jesusgeschichten aus Jungschar und Religionsunterricht. Wie wunderbar er doch ist, dieser Jesus.

Lange ist es her.

Die Nächte am Lagerfeuer auf den Freizeiten. Gitarre und Lieder, die unter die Haut gingen. Du fühltest dich Gott ganz nahe.

Lange ist es her.

"Ich glaube an Gott, den Vater, ... und an Jesus Christus, seinen eingeborenen Sohn, unseren Herrn.", hast du damals gesagt, bei deiner Konfirmation. Und du hast es gemeint. Das Vertrauen auf ihn, in der Gemeinschaft der Glaubenden, sollte dich tragen, ein Leben lang.

Lange ist es her.

Von denen, die damals mit dir vor dem Altar standen und das bekannt haben, sind viele nicht mehr da. Manche leben nicht mehr. Sehr viel mehr davon tauchen einfach nicht mehr auf. Sie sehen keine Notwendigkeit, diesem Glauben in ihrem Leben noch sichtbar Ausdruck zu verleihen. Keiner weiß, ob sie ihm überhaupt noch Raum einräumen. Anderes ist wichtig geworden im Leben. Vieles davon verständlich, und auch attraktiv. Vielleicht würde es dich auch mal reizen. Manche belächeln dich, weil du immer noch zur Kirche gehst. Weil du das noch nicht aufgegeben hast, wie so viele vor dir.

Es ist nicht einfach, da immer konsequent deinen Weg zu gehen. Du hast ja auch deine Fragen. Und deine Interessen. Der Weg ist lang und die Schritte werden schwerer...

Lange ist es her.

Du hast dich wählen lassen, zum Kirchengemeinderat. Du warst bereit, deine Energie mit einzubringen. Dinge zu verändern. Neues zu starten. Jetzt würde es wieder aufwärts gehen, in der Kirche, auch hier am Ort.

Aber die Mühlen mahlen langsam. Viele, viele Stunden hast du in Sitzungen verbracht. Hast über Themen geredet, die bei keinem für Begeisterung sorgen: Über Haushalt und Datenschutz, über Corona und Abstände und wie viele Kubikmeter Luft ein Sänger verbraucht, über bauliche Details und Bezirkssynoden, über Läuteordnungen und den Wirkungsgrad der Kirchenheizung, und immer wieder darüber, was alles nicht mehr geht, was alles anders wird, was alles reduziert werden muss in der Zukunft. So lange liegt er zurück, der hoffnungsvolle Anfang.

Noch ein Schritt. Noch ein Tag.

Wie lange kann das noch weitergehen?


Zeitreise.

Ein Brief ist gekommen. Auch das ist lange her, aus heutiger Sicht und wir wissen gar nicht so genau, wer in damals geschrieben hat. Den Text, den haben wir. Aus dem 12. Kapitel des sogenannten "Hebräerbriefs":

12 Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie 13 und tut sichere Schritte mit euren Füßen, dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde. 14 Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung, ohne die niemand den Herrn sehen wird, 15 und seht darauf, dass nicht jemand Gottes Gnade versäume; dass nicht etwa eine bittere Wurzel aufwachse und Unfrieden anrichte und viele durch sie verunreinigt werden; 16 dass nicht jemand sei ein Hurer oder Gottloser wie Esau, der um der einen Speise willen sein Erstgeburtsrecht verkaufte. 17 Ihr wisst ja, dass er hernach, als er den Segen ererben wollte, verworfen wurde, denn er fand keinen Raum zur Buße, obwohl er sie mit Tränen suchte. 18 Denn ihr seid nicht zu etwas gekommen, das man anrühren konnte und das mit Feuer brannte, nicht zu Dunkelheit und Finsternis und Ungewitter.22 Sondern ihr seid gekommen zu dem Berg Zion und zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem, und zu den vielen tausend Engeln und zur Festversammlung 23 und zu der Gemeinde der Erstgeborenen, die im Himmel aufgeschrieben sind, und zu Gott, dem Richter über alle, und zu den Geistern der vollendeten Gerechten 24 und zu dem Mittler des neuen Bundes, Jesus, und zu dem Blut der Besprengung, das besser redet als Abels Blut. 25 Seht zu, dass ihr den nicht abweist, der da redet. (Hebräer 12,12-18.22-25a)


Der hat leicht reden.

Stärkt die müden Hände. Stärkt die wankenden Knie. Tut sichere Schritte mit euren Füßen.

Der kennt ja unsere Blasen nicht, unser Zittern und Keuchen. Der kennt unseren flauen Magen nicht, das Herz, das rast und die Sonne, die blendet.

Der hat leicht reden.

Soll der doch mal unseren Weg gehen -- die ganze lange Strecke.

Stärkt die müden Hände. Stärkt die wankenden Knie. Tut sichere Schritte mit euren Füßen.

Ha!

Noch ein Schritt.

Ich will nicht mehr.


Der, der da schreibt, der sieht den Weg von hinten her. Der schaut nicht, wo wir herkommen. Der schaut nicht auf den ganzen, steilen, steinigen Pfad, der noch vor uns liegt.

Der, der da schreibt, der schreibt vom Ende des Wegs. Vom Ziel, zu dem wir unterwegs sind. Von dem, was wir immer wieder aus den Augen verlieren, wenn die nächste steile Kuppe uns den Blick versperrt.

Er malt uns das Ziel neu vor Augen, damit wir es da sehen. Und weil es DAS Ziel ist, das eine, das sich menschlichem Begreifen nie völlig erschließt, gebraucht er Bilder. Vertraute Bilder für die damals, aus den Geschichten des Ersten Testaments. Von Esau erzählt er, den der Duft eines Linsengerichts so sehr verlockte, dass er vom Weg abkam. Und vom Volk Israel, das mit Mose auch lange unterwegs war, steinige und heiße Wüstenwege, und dann dieser Berg im Sinai, der vor ihnen aufragt, mit Gottes Gegenwart um ihn her. Das sind die Bilder, die hier unser Ziel beschreiben.

Ihr seid zum Zionsberg gekommen.

Zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem.

Viele tausend Engel.

Eine Festversammlung.

Wie unser Mitarbeitendenfest am 26. Januar, nur unendlich viel schöner und größer.

Gott selbst ist da und alle, die uns vorangegangen sind auf dem steilen, steinigen Weg.

Jesus erwartet uns, voll Liebe und Leben und voller Versöhnung.


Stärkt die müden Hände. Stärkt die wankenden Knie. Tut sichere Schritte mit euren Füßen.

Er lohnt sich nämlich, dieser anstrengende Weg--jeder einzelne Schritt, der dich fragen lässt, ob du nicht besser aufhören solltest. Er lohnt sich, dieser Weg, weil das Ziel alles mehr als wettmacht. Es lohnt sich, dieses Ziel vor Augen zu haben, wenn die Muskeln schmerzen und die Lunge brennt.

Noch ein Schritt.

Es lohnt sich, das Bein zu heben.

Noch ein Schritt.

Am Ziel wartet Gott auf dich.

Noch ein Schritt.

"Wir haben Hoffnung", so würde ich überschreiben, was der Briefschreiber uns hier vorträgt.

Noch ein Schritt.

Siehst du, wie weit wir schon gekommen sind?

Noch ein Schritt.

Du bist nicht alleine unterwegs. Wir sind ja auch da. Wir sind gemeinsam auf diesem steilen Pfad. Wir helfen uns auf. Wir helfen uns weiter. Wir stützen und tragen uns, wo es nötig ist. Wir sind, das habe ich von meinen katholischen Geschwistern gelernt, "das wandernde Gottesvolk."

Noch ein Schritt.

Er ist ja auch dabei. Hat er das nicht versprochen? Von Anfang an? Bei uns zu sein, bis ans Ende der Welt? (Das haben wir noch nicht erreicht auf diesem Weg.) Er ist da. Und sein Geist auch. So kann er uns doch Kraftquelle sein.

Noch ein Schritt.

Immer wieder lädt er uns zur Stärkung ein. In seinem Wort. An seinem Tisch. In allem, wo wir ihn entdecken, wenn wir die Augen nicht nur auf den schwierigen Pfad richten.

Noch ein Schritt.

Darum stärkt die müden Hände und die wankenden Knie und tut sichere Schritte mit euren Füßen, dass nicht jemand strauchle wie ein Lahmer, sondern vielmehr gesund werde. Was lahm wird, kommt nicht ab vom Weg, sondern wird heil!

Noch ein Schritt.

Jagt dem Frieden nach mit jedermann und der Heiligung.

Noch ein Schritt.

Seht drauf, dass niemand die Gnade versäume.

Noch ein Schritt.

Schaut, dass da keine Bitterkeit Wurzeln schlägt.

Noch ein Schritt.

Und ein Blick nach vorne: Wir haben Hoffnung. Gott selbst ist unser Ziel.

Noch ein Schritt.

Und ein Blick zur Seite: Immanuel. Gott mit uns. Gott selbst ist unser Begleiter.

Noch ein Schritt.

Und noch einer. Und noch einer. Und noch einer.

So geht's. Wer hätte das gedacht?

Noch ein Schritt.

Stärkt die müden Hände. Stärkt die wankenden Knie. Tut sichere Schritte mit euren Füßen.

Noch ein Schritt.

Der, der das gute Werk in uns begonnen hat, wird es auch vollenden.

Noch ein Schritt.

Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende.

Noch ein Schritt.

Das geht ja schon viel leichter. Fast beschwingt schon.

Noch ein Schritt.

So macht sogar mir das Wandern Spaß!

Noch ein Schritt.

Und die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes bleibt mit uns allen.

Amen.


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 January 14, 2024  16m