Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Irdene Gefäße


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

6 Denn Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. 7 Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. 8 Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. 9 Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. 10 Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. (2. Korinther 4,6-10)

Aus dem zweiten Korintherbrief, aus dem vierten Kapitel.

Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten.

So gerne würde ich heute über dieses Licht reden. Über das, was leuchtet und glänzt. Über den, der erschienen ist (Epiphaniaszeit, ihr erinnert euch?) und der die ganze Herrlichkeit Gottes aufleuchten lässt. Hier bei uns. Das Evangelium heute morgen erzählt von seiner Verklärung. Die Hüllen fallen. Einen Moment lang sehen die Jünger, die ihn begleiten, wer er in Wahrheit ist. Der Mund bleibt ihnen offen stehen. Sie können es gar nicht fassen. Einen Moment lang leuchtet ungefiltert die ganze blendende Herrlichkeit Gottes auf, der selbst zu uns Menschen gekommen ist und dieses Leuchten in unsere Dunkelheit bringt. Darüber würde ich gerne reden.

Aber so einfach ist das nicht.

Ich spüre noch den Stein in meiner Hand. Den Stein, den ich gestern auf dem Friedhof in Tailfingen abgelegt habe. Gestern, am Holocaust-Gedenktag. Beim Gedenkgottesdienst, am Grab der 75 KZ-Häftlinge. Miteinander standen wir da, schweigend. Wir haben uns erinnert, dass das Dunkle, das Böse, nicht in abstrakter Ferne ist. Ganz nahe ist es immer wieder, auch hier bei uns, auch in einem kleinen Dorf im Gäu. Die 75, die dort begraben liegen, sind nur ein Teil derer, deren Leben hier zerbrochen ist.

Wir sind von allen Seiten bedrängt. Uns ist bange. Wir leiden Verfolgung. Wir werden unterdrückt. Und, ja, noch mehr als bei Paulus, wir kommen auch um.

Es könnten ihre Stimmen sein, die wir hier hören.

Irdene Gefäße.

"Wir haben diesen Schatz in irdenen Gefäßen", schreibt Paulus und ich würde so gerne heute über diesen Schatz reden. Über die "überschwängliche Kraft von Gott" und alles, was sie bewirken kann. Über Furchtlosigkeit und Unverzagtheit, über Beistand und Schutz.

Über das Licht in der Finsternis.

Aber so einfach ist das nicht.

Nicht in der Woche, in der die große Studie aufgedeckt hat, wie vielen Menschen auch in unserer Kirche Gewalt angetan wurde. Wie viele Grenzen überschritten wurden. Wie viele darunter zu leiden hatten und haben. Wie viele Brüche und Verletzungen da entstanden sind. Und wie oft sich keiner um sie kümmerte, sondern alles schnell unter eine Decke gekehrt wurde, und oft ganz schnell mit dem frommen Mantel des Vergeben-müssens verbrämt. Erstickt, ohne Rücksicht auf die Schmerzen. Drei Tage haben wir sie nun, die Studie, und wir stehen da und wissen erst einmal gar nicht, was wir sagen sollen. Was wir sagen können und dürfen angesichts der Scherben. Die Zahlen auf einem Papier, auf einer Internetseite, auf meinem Bildschirm--sie lassen uns nur beginnen zu ahnen, wie viel da zerbrochen wurde. Wie viel da in Trümmern liegt.

Wir sind von allen Seiten bedrängt. Uns ist bange. Wir leiden Verfolgung. Wir werden unterdrückt.

Es könnten ihre Stimmen sein, die wir hier hören.

Irdene Gefäße.

Ich würde gerne noch einmal das Epiphaniaslicht auf sie leuchten lassen und den loben, der da kommt mit hellem Schein. "Jesus ist kommen, die Quelle der Gnaden. Komme, wen dürstet und trinke, wer will. Holet für euren so giftigen Schaden, Gnade aus dieser unendlichen Füll."

Und vom Morgenstern würde ich reden, der aus der Nacht aufgeht.

Aber so einfach ist das nicht.

Die Predigthilfen zu diesem Text erscheinen mir seltsam wenig hilfreich in diesem Moment. Viele davon reden irgendwann von "Kintsugi". Vielleicht habt ihr davon schon einmal gehört: Von dieser japanischen Tradition, die Scherben eines Keramikgefäßes zu nehmen und wieder zusammenzusetzen. Nicht einfach mit Kleber. Die Meister des Kintsugi füllen die Brüche und Ritzen mit Gold. Aus dem, was zerbrochen ist, entsteht ein Kunstwerk--schöner, als je zuvor. Berührende Bilder von dem, was Gott mit den Zerbrüchen unseres Daseins machen kann.

Aber so einfach ist das nicht.

Diese schnellen Bilder reichen nicht in dieser Woche. Sie nehmen nicht ernst, woran wir uns erinnern. Sie nehmen die Stimmen derer nicht ernst, deren Leben zu einem Scherbenhaufen gemacht wurde. Sie nehmen auch die nicht ernst, die heute hier sitzen und die mit einstimmen könnten in das, was die anderen sagen. Was sie klagen:

Wir sind von allen Seiten bedrängt. Uns ist bange. Wir leiden Verfolgung. Wir werden unterdrückt.

Irdene Gefäße.

Zerbrechlich. Fragil. Mit Sprüngen und Rissen, mit Abbrüchen. Mit Scherben.

Irdene Gefäße.

Wer hier nur vom Licht redet, der nimmt sie nicht ernst. Wer die Zerbrüche ausklammert, um schneller bei der guten Nachricht zu landen, der tut den Zerbrochenen noch einmal aufs neue Gewalt an.

Wir sind von allen Seiten bedrängt. Uns ist bange. Wir leiden Verfolgung. Wir werden unterdrückt.

Irdene Gefäße.

Wir. Wir.

Paulus reiht sich mit ein in die, die das klagen müssen. Er darf das, im Gegensatz zu manchen anderen, die die wahren Opfer auch noch klein machen, in dem sie sich selbst als die Opfer darstellen. Paulus hat das alles tatsächlich am eigenen Leib erfahren. Er weiß um die Zerbrüche und Scherben.

In einem Brief, der darauf abzielt, Fragen an sein Apostelamt, an seine Berufung gar, zu beantworten, zählt er sie auf. Er sieht eine gewisse Logik darin, dass ihm, dem Apostel, solches Leid begegnet. Er sieht sich selbst mit hineingenommen in das Sterben Jesu Christi, in seine Leiden. Für Paulus ist dieses Leid in gewisser Weise sogar eine Bestätigung seiner eigenen Berufung.

Es wäre mehr als zynisch, das, was Paulus hier für sich selbst sieht, als Übertragung jetzt anderen Menschen aufzudrücken, die Leid erfahren haben. Die zerbrochen wurden. Gar noch zu suggerieren, das Leiden könnte etwas Gutes sein. Noch einmal neue Gewalt an den Opfern wäre das.

Trotzdem lässt mich Paulus' Reden vom Leiden des Christus heute einen trostvollen Gedanken finden. Auch im Blick auf Christus hätte ich ja heute viel lieber vom Erscheinen des Gottessohns gepredigt. "Jesus ist kommen, Grund ewiger Freude!" Ich hätte gerne seine Herrlichkeit aus dem Evangeliumstext von seiner Verklärung aufleuchten lassen. Oder, noch besser, gar von seiner herrlichen Auferstehung berichtet, die selbst das tiefste Todesdunkel ein für alle Mal überwindet.

Aber so einfach ist das ja nicht.

Wenn ich nun heute hier zur Seite blicke, zum Kreuz hin, in das schmerzverzerrte Gesicht des leidenden Christus, dann entdecke ich--wie Paulus--eine Gemeinschaft der Leidenden. Dann begegnet uns dort am Kreuz der eine, der in Schmerz und Leid und Tod nicht ferne ist und nie ferne war. Dann sehe ich dort den einen, der immer auf der Seite der Opfer stand. Der keinen mit seinem Scherbenhaufen alleine lässt. Der sich selbst den Zerbrüchen des menschlichen Daseins in aller ihrer Grausamkeit aussetzt, der sich den Täter:innen ausliefert und der in keinem Augenblick der Geschichte jemals auch nur einen Ort des Grauens unbesetzt ließ. Es könnte seine Stimme sein, die wir hier hören:

Wir sind von allen Seiten bedrängt. Uns ist bange. Wir leiden Verfolgung. Wir werden unterdrückt.

Irdene Gefäße.

Einer von den vielen. Einer von denen, die leiden. Einer von denen, die zerbrochen wurden.

Christus. Immanuel. Gott an der Seite der Opfer.

Nur wer ihn leiden sieht, kann ihn verstehen.

Gott steht immer auf der Seite der Schwachen.

Das ist es, worüber wir heute reden müssen.


Ich werde immer von der Hoffnung reden. Das habt ihr sicher schon begriffen. Ich bin unendlich dankbar, dass es Licht in diesem Text gibt. Ganz behutsam will ich versuchen, es leuchten lassen. Das Reden von der Hoffnung darf das Leid der Zerbrochenen nicht kleinreden, nicht überdecken. Und doch muss es leuchten.

In dem Bewusstsein, dass es leicht ist, zu reden, wenn man selbst kein Opfer ist, wage ich es, von diesem Licht zu reden und bete, ja, hoffe eben, dass etwas davon genau da ankommt, wo so viel Zerbruch schon stattgefunden hat. Es ist gewagt, das heute als Pfarrer einer Kirche zu tun, in der so viele Menschen gerade nicht den sicheren Raum gefunden haben, den es hier für jeden geben sollte. Mein Gebet, meine Hoffnung, im Vertrauen auf Gottes heiligen Geist, ist, dass das heute jemand hört und zu unterscheiden vermag zwischen einer beschädigten Kirche und dem Christus, dem wir zu folgen trachten. Ich kann meine Kirche hier nicht verteidigen. Ich kann nur demütig für Christus sprechen, dem die Leidenden immer am Herzen lagen. Mit ihm bitte ich euch heute:

Schaut auf das Licht in diesem Text: Ein heller Schein, der aus der Finsternis leuchtet. Gott ist es, der ihn leuchten lässt. Er ist der Einzige, der das kann.

Das Licht, das Hoffnung spendet, leuchtet "in unseren Herzen", schreibt Paulus. Wir, uns--er spricht als einer von denen, die zu leiden haben. Irdene Gefäße, zerbrechlich, beschädigt, unansehlich geworden. Gottes Licht leuchtet mitten darin auf. Im Zentrum gerade auch des Leidens, da ist dieser Schatz zu finden. Gott ist da. Licht, wo sonst alles dunkel wäre. Wo so viel gesprungen ist, geborsten, wo es Scherben gibt, wo Leben zerstört wurde, wo Verletzung und Enttäuschung alle Freude erstickt haben, wo andere sich erdreistet haben, alles Schöne zu rauben--da leuchtet es auf:

Bei Gott ist Hoffnung.

Da findet Paulus "Gottes überschwängliche Kraft". Da begegnet ihm der, der nicht nur sein Leiden teilt, sondern auch sein Leben teilen will. Gott ist da, wo sonst nichts mehr bleibt. Er kann trösten. Er will aufrichten. Er vermag es, da Leben zu schaffen, wo andere alles zertrampelt haben.

Das ist der Gott, an den ich glaube. Das ist der Gott, von dem eine herzzerreißend unzulängliche Kirche trotz allem Zeugnis zu geben hat--Evangelium--, mit einem gewissen Trotz daran festhaltend, um seiner Gnade willen.


Mehr kann ich nicht sagen. Nur hoffen. Und beten.

Dass du das Lebenslicht leuchten siehst. Dass du die Hoffnung findest. Geborgenheit. Und Liebe.

Dass du eines Tages, durch Gottes Barmherzigkeit, den ganzen Text mit Paulus sprechen kannst:

6 Denn Gott, der da sprach: Licht soll aus der Finsternis hervorleuchten, der hat einen hellen Schein in unsre Herzen gegeben, dass die Erleuchtung entstünde zur Erkenntnis der Herrlichkeit Gottes in dem Angesicht Jesu Christi. 7 Wir haben aber diesen Schatz in irdenen Gefäßen, auf dass die überschwängliche Kraft von Gott sei und nicht von uns. 8 Wir sind von allen Seiten bedrängt, aber wir ängstigen uns nicht. Uns ist bange, aber wir verzagen nicht. 9 Wir leiden Verfolgung, aber wir werden nicht verlassen. Wir werden unterdrückt, aber wir kommen nicht um. 10 Wir tragen allezeit das Sterben Jesu an unserm Leibe, auf dass auch das Leben Jesu an unserm Leibe offenbar werde. (2. Korinther 4,6-10)


Das kann ich hoffen.

Und, dass sein Geist uns alle nicht verlässt, sondern Veränderung bringt unter uns.

Die brauchen wir.

Erbarm dich, Herr.

Amen.


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 January 28, 2024  14m