Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Wenn das so ist, dann gehe ich!


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Geliebte Gottes in Nebringen/Tailfingen,

Wie gut es tut, wieder Gottesdienst miteinander zu feiern: als Gemeinschaft miteinander vor Gott zu stehen; in neuen und alten Liedern miteinander Gott zu loben; zu wissen, wir sind in seiner Gegenwart. Wir kommen zu Gott und wir bringen vor ihn, was uns beschäftigt. Wir dürfen ihm alles sagen--nicht nur das Gute und Schöne. Gott hört auch unsere Klage. Er hört selbst in der Stille in das hinein, was wir nie laut vor den anderen sagen würden. Bei ihm wissen wir uns gut aufgehoben: "Meine Hoffnung und meine Freude! Meine Stärke, mein Licht! Christus, meine Zuversicht, auf dich vertrau ich und fürcht mich nicht." Und dann antwortet er ja auch: Gott redet zu uns durch sein Wort. Er gibt uns Zuspruch, Kraft und Mut. Er richtet uns wieder auf, wenn wir am Boden sind. Gesegnet gehen wir am Ende nach Hause. Möge Gottes Wort auch heute zum Licht auf unserem Wege werden. Aus dem Buch des Propheten Amos, aus den ältesten schriftlich festgehaltenen Passagen unserer Bibel, aus dem 5. Kapitel:

21 Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen – 22 es sei denn, ihr bringt mir rechte Brandopfer dar –, und an euren Speisopfern habe ich kein Gefallen, und euer fettes Schlachtopfer sehe ich nicht an. 23 Tu weg von mir das Geplärr deiner Lieder; denn ich mag dein Harfenspiel nicht hören! 24 Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach. (Amos 5,21-24)

Ups.

Wartet mal. Hab ich aus Versehen den falschen Text mitgebracht?

Mal nachschauen. Nein! Amos, 5,21-24. Stimmt.

Hm.


Bam!

Das kommt jetzt unerwartet. Ein richtiger Stimmungskiller: "Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen..."

Ich. Gott redet da persönlich--in der Stimme eines Propheten, wohlgemerkt. Die waren ja immer so eine Art "Sprachrohr" für Gott, damit sein Wort für uns Menschen hörbar wird.

"Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen..."

Way to crash a party.

So bringt man jede Party zum Stocken: Eine schäumende Wutrede. Ein "Rant", würden meine Töchter sagen. Eine Totenklage sogar, wenn man den Zusammenhang liest, gleich über ein ganzes Volk!

Boah!

Muss das jetzt echt sein?

Wenn das so ist, dann gehe ich!


Gerade noch war es ein fröhliches Fest. Zu Gottes Ehre, wohlgemerkt. Von weit her sind sie gekommen. Sie haben sich Zeit genommen für Gott. Er war wichtiger als das, was sie sonst hätten tun können. Sie haben den Weg auf sich genommen und sie haben etwas Kostbares mitgebracht: Speisen. Getränke. Tiere zur Schlachtung. Alles nicht zum Eigengebrauch, wohlgemerkt. Für Gott. Nur für Ihn. Mit ihren Opfern wollen Sie ihm ihre Dankbarkeit zeigen. Sie wollen ihn gnädig stimmen, damit er ihre Bitten hört. Sie wollen ihm zeigen, wie wichtig er ihnen ist. Ein Lob Gottes, nicht nur in ihren fröhlichen Liedern, sondern auch in ihren Gaben. Es fühlt sich ganz besonders an--"heilig" könnte man sagen--dieser Moment, wenn der Priester mit dem mitgebrachten Opfer an den Altar tritt. Er bringt Gott das Opfer dar. Und dann kehrt er zurück zu denen, die gekommen sind. Er bringt einen Segen mit. Ein Versprechen Gottes. Ein Wort der Hoffnung, dass Gott sie nicht vergessen hat. Dass er ihre Gebete erhören wird.

Bam!

Mittenrein platzt einer, der überhaupt nicht zu der fröhlichen Feier passt. Keiner hat ihn eingeladen. Keiner hat ihn nach seiner Meinung gefragt. Da steht er jetzt, verschwitzt und "verstrubbelt". Wild sieht er aus, wie er daher kommt, viele Kilometer zu Fuß, aus einem anderen Land sogar, damals, aus dem Nachbarland Juda. Den ganzen Weg ist er gegangen, nur um hier die Stimmung zu kippen. Gott ist sauer!

Was denkt der eigentlich, wer er ist! So eine Anmaßung!

Sein Ruf eilt ihm ja voraus. Es ist nicht das erste Mal, dass er so auftritt. Dabei ist er eigentlich nicht einmal "offiziell" ein Prophet--die gibt es nämlich damals auch, die "offiziellen Propheten". Schafe züchtet er sonst. Und Maulbeerbäume. Vieh und Obstbäume. Der könnte glatt aus Gäufelden kommen! Wäre er doch dort geblieben (nicht in Gäufelden, sondern in Tekoa, wo er herkam.) So etwas will doch keiner hören. Aber ihn hat das Wort Gottes im wahrsten Sinn des Wortes gepackt. Er ist getrieben von Gottes heiligem Zorn. Er hat sich senden lassen, Schafen und Maulbeerbäumen zum Trotz. "Wenn das so ist, dann gehe ich!", hat er gesagt. "Egal, was es mich kostet. Sollen sie doch von mir denken, was sie wollen."


Bam!

Stellt euch vor, er wäre heute gekommen.

Bam!

Die Tür fliegt auf. Alle drehen sich erschrocken um. Der Mesner springt auf, will ihn noch aufhalten. Das geht doch nicht! Mitten im Gottesdienst! Das Lied der Gemeinde verstummt jäh. Die Orgel spielt noch einen Moment weiter, dann stirbt die Musik mit einem kläglichen Ton. Der wilde Fremde hat den Mittelgang schon hinter sich. Den Pfarrer schiebt er unsanft zur Seite, dann keucht er atemlos seinen Spruch heraus. Ein Mikrofon bräuchte er gar nicht, so aufgebracht wie er schreit.

"Ich hasse und verachte eure Feste und mag eure Versammlungen nicht riechen..."

So geht Gottesdienst nicht!

Manche nicken fast unmerklich ein kleines bisschen. "Das hatte ich auch schon gedacht." Der Pfarrer hat wieder nur neue Lieder rausgesucht (oder: zu wenige neue). Die Predigt war viel zu lang. Die Kirche viel zu kalt. Die Bank viel zu unbequem. Die Orgel gehört dringend mal grundgereinigt (in Tailfingen arbeiten wir daran). Der Chor sang heute ziemlich schief. Neulich, im Weihnachtsgottesdienst, haben wir keines von meinen Lieblingsliedern gesungen. 9 Uhr ist viel zu früh am Sonntagmorgen. 10:15 Uhr ist viel zu spät--da ist ja der halbe Tag im Eimer und wir essen sonntags immer um 12 Uhr zu Mittag. Zum Gottesdienst im Grünen gehe ich nicht. Ich brauche schon eine richtige Kirche! Beim Abendmahl gibts immer nur noch Saft! Hast du gesehen, was die eine anhatte? Früher war mehr Lametta!

Bam!

Andere sind völlig entsetzt: Es hat doch niemand das Recht, so über uns zu reden. Das ist unsere Kirche hier und unser Gottesdienst. Der tut uns gut, so wie er ist! Wer maßt sich hier an, es besser zu wissen? Wem steht es zu, zu urteilen über unsere Frömmigkeit? Wer kann denn messen, was "richtiger Gottesdienst" ist--oder gar "richtiger Glaube"? Ob der lauter oder leiser, länger oder kürzer, früher oder später, stiller, liturgischer, fröhlicher, nachdenklicher, traditioneller, progressiver, biblischer, ... oder sonst was zu sein hat? Wer schwingt sich auf zum Richter über alle anderen? Wessen Idee von Gottesdienst ist denn die "richtigere", an der sich andere messen lassen müssen.

Bam!

Du hast ja recht, wenn du das denkst. Aber weißt du, so einfach kommen wir aus der Nummer nicht raus: Klar, bewerten und messen kann man Glauben sowieso nicht. Keiner hat das Recht, über den Glauben des anderen zu urteilen. Oder über dessen Form der Frömmigkeit.

Doch.

Er kann das. Gott darf das. Keiner sonst, aber er schon.

Bam!


Wenn das so ist, dann gehe ich!

Der Satz stammt nicht von aufgebrachten Gottesdienstbesucher:innen.

Wenn das so ist, dann gehe ich!

Der Satz stammt von Gott.

Wenn das so ist, dann könnt ihr eure Gottesdienste alleine feiern. Ohne mich.


Bam!

Man kann sich fürchterlich aufregen über diese Worte. Man kann sie von sich weisen und empört weglegen. Man kann sich zu rechtfertigen versuchen und erklären, warum uns das alles nicht betrifft. Man kann darauf verweisen, dass es doch nicht unser Problem ist, wenn die damals Gott nicht in der richtigen Weise anbeteten. Schließlich hat sich ja seither auch viel verändert. Unser Gottesdienst sieht ja längst ganz anders aus als ein Opferfest auf den Höhen des Nordreichs Israel im achten Jahrhundert vor Christus.

Man kann aber auch versuchen, einmal wirklich hinzuhören. Nicht nur die wild hervorgestoßene Kritik zu hören, sondern nach dem Anliegen Gottes zu suchen. Es könnte ja auch sein Anliegen an uns sein. So ist zumindest die bisherige, fast dreitausendjährige Wirkungsgeschichte des Texts. Andere Propheten haben sich dem angeschlossen. Menschen im Neuen Testament, allen voran Jesus von Nazaret, greifen die Gedanken des Amos auf--wenn er im Tempel die Tische der Händler umstößt und feststellt, man habe aus dem "Bethaus" eine "Räuberhöhle" gemacht (Markus 13,10).

Gottes Idee von "Gottesdienst" ist offensichtlich eine andere, als in der Praxis oft angenommen wird.

Gottes Idee von Gottesdienst hängt nicht an Äußerlichkeiten. Nicht an der korrekten Art, irgendwelche Opfer zu bringen. An Längen und Uhrzeiten, an Liedwahl, Instrumenten und Lautstärke--auch nicht. Sie hängt nicht an Formen und Riten, nicht an Veranstaltungsformaten und Gebäuden. Gott sucht etwas ganz anderes. Was denn?

Beim aufgebrachten Amos werden werden wir fündig:

"Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."

Recht und Gerechtigkeit. Das sind die Kategorien, die bei Gott wichtig sind. Übrigens Kategorien, die Jesus und die Apostel verwenden, wenn es um das "Reich Gottes" geht.

Und plötzlich findet der richtige Gottesdienst gar nicht mehr unbedingt in der Kirche statt.

Recht und Gerechtigkeit. Das ist eine Frage, die sich meist erst außerhalb der Kirchentüren zeigt.


In der Kirche die schönsten Lieder singen und dann nach Hause gehen und über die Geflüchteten schimpfen--das ist kein Gottesdienst.

Ganz bewegt sein von der tollen Predigt, aber im Umgang miteinander im Alltag nur an sich selber denken--das ist kein Gottesdienst.

Miteinander Worte aus der Bergpredigt bedenken, aber im Alltag "Auge um Auge, Zahn um Zahn" fordern--das ist kein Gottesdienst.

In den Fürbitten für die Armen der Welt "Herr, erbarme dich" sprechen, aber dann außer sich sein, wenn Sozialkosten und Klimaschutz dich ein paar Cent mehr kosten--das ist kein Gottesdienst.

Für die Diakonie spenden, und dann nur Billigware von Kindersklaven aus Bangladesh kaufen--das ist kein Gottesdienst.

"Dein Reich komme" beten und dann Parteien wählen, die von einem "Reich" träumen, das alle, die irgendwie anders sind, ausgrenzt--das ist kein Gottesdienst.

Von der Kanzel herunter große Reden schwingen, aber an dem Bettler in der Fußgängerzone wortlos vorbei laufen--das ist kein Gottesdienst.


Ups.

Bam.

Jetzt hab ich mich selbst erwischt.

Ich bin nämlich gar kein Amos, den Gott hierher geschickt hat, aus Tekoa, oder aus Nebringen, oder sonstwo her, um euch die Leviten zu lesen und euch zu sagen, was ihr alles falsch macht. Ich bin ja einer von euch. Einer von denen, denen Kirche hier am Ort wichtig ist und am Herzen liegt, die ganz viel darüber nachdenken und dafür tun und oft doch das aus den Augen verlieren, was Gott hier am allerwichtigsten ist: Ströme von Recht und Gerechtigkeit.

Davon reden wir viel. Dafür beten wir in eigentlich jedem Gottesdienst. Davon singen wir Lieder--auch jetzt gleich, in wenigen Augenblicken. Aber, Geliebte Gottes, es stimmt am Ende schon, was Erich Kästner so eindrücklich von der "Moral" geschrieben hat: "Es gibt nichts Gutes, außer man tut es."

Und das geht leider viel zu oft in der Fülle der oberflächlich dringenden Dinge unter. Auch bei mir. Da muss ich mich an der eigenen Nase packen. Muss die Widersprüche in meinem Leben entdecken und ernst nehmen.

Bam!

Boah!

Wenn das so ist, dann gehe ich!


An diesem Sonntag Estomihi geht es um die Nachfolge, in die uns unser Herr Jesus Christus ruft. Die Menschen, die im damals nachgefolgt sind, haben schnell gemerkt, dass das kein geringer Anspruch ist. "Jesu, geh voran auf der Lebensbahn", heißt ihm dorthin zu folgen, wohin er geht. Sein Weg damals führte nach Jerusalem, hinein in Leiden und Tod. Kein einfacher Pfad, um seinen Schritten zu folgen! Man sollte damit rechnen, dass sein Anspruch heute kein geringerer ist. Die Nachfolge Jesu stellt unangenehme Fragen an mich und meinen Lebensstil. Sie stellt unangenehme Anfragen an vieles, was mir lieb und wertvoll ist. Sie hinterfragt, ob ich wirklich konsequent die richtigen Werte lebe. Und sie deckt schonungslos auf, wie oft ich diesem Anspruch nicht genüge. Manchmal auch durch einen aufgebrachten Amos aus Tekoa.

Nachfolge ist herausfordernd. Nachfolge stellt bohrende Fragen an mich. Wie konsequent lebe ich denn, was ich über meinen Glauben erzähle?

Ich will mich diesem Anspruch Jesu nicht entziehen. Ich weiß, sein Weg ist der beste Weg für mich. Es ist der Weg zum Frieden, zum Leben. Es ist der Weg zu Recht und Gerechtigkeit. Vielleicht braucht es gelegentlich auch einen Fußtritt von Amos, um mich daran zu erinnern. An den, dem ich nachfolge: Dessen Weg selbst zu denen führt, die unter Rechtlosigkeit und Ungerechtigkeit leiden. Er geht dorthin--und will mich mitnehmen, auf dem Weg seiner Gerechtigkeit. Das mehr davon fließt und strömt.

Am Ende führt sein Weg ihn ans Kreuz.

Bam.

Knallhart geht er diesen Weg. Die ganze Rechtlosigkeit und Ungerechtigkeit, das Elend und die Unzulänglichkeiten -- das Versagen der Welt, auch meines: Er setzt sich dem allen aus. Er nimmt das alles auf sich. Am Kreuz begegne ich dem, der selbst aus meiner Ungerechtigkeit Recht und Gerechtigkeit schafft. Ich sehe das Spiegelbild dessen, was ich verfehlt habe, sehe meiner Heuchelei ungeschminkt ins Gesicht und zum ersten Mal sehe ich: Gnade und Barmherzigkeit. "Gott, sei mir Sünder gnädig!" Zum ersten Mal sehe ich das, was ich in Amos' wütendem Rand zu bedrückend vermisse: Evangelium. Gute Nachricht. Wir haben Hoffnung, auch wenn wir's ganz oft vermasselt haben. Zum ersten Mal höre ich diesen Amossatz nicht nur als Kritik unseres ungenügenden Handelns, sondern als Hoffnungswort, als Versprechen, als etwas was Gott auch trotz uns--und, stellt euch vor, sogar mit uns!--noch bewirken kann:

"Es ströme aber das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."

Bam!

Und da will ich mich neu wieder rufen lassen: "Nimm mich mit, Jesus, auf deinen Weg, in deine Nachfolge, mit allem, was sie an Veränderung von mir fordern wird. Mit allem, was es mich kosten wird. Nimm mich mit," bete ich--gemeinsam mit euch jetzt auch gleich: "Nimm uns mit, Herr, hin zu unserem ganz neuem Gottesdienst, dort außerhalb der Kirchentüren, wo du die Welt verändern willst. Lass uns den Weg der Gerechtigkeit gehn! Dein Reich komme, Herr! Und es ströme das Recht wie Wasser und die Gerechtigkeit wie ein nie versiegender Bach."

Wenn das so ist, dann gehe ich! Mit dir. Dir nach!

Amen.


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 February 11, 2024  17m