Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Wüstentage


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

1 Da wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, damit er von dem Teufel versucht würde. 2 Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn. 3 Und der Versucher trat herzu und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so sprich, dass diese Steine Brot werden. 4 Er aber antwortete und sprach: Es steht geschrieben (5.Mose 8,3): »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.« 5 Da führte ihn der Teufel mit sich in die heilige Stadt und stellte ihn auf die Zinne des Tempels 6 und sprach zu ihm: Bist du Gottes Sohn, so wirf dich hinab; denn es steht geschrieben (Psalm 91,11-12): »Er wird seinen Engeln für dich Befehl geben; und sie werden dich auf den Händen tragen, damit du deinen Fuß nicht an einen Stein stößt.« 7 Da sprach Jesus zu ihm: Wiederum steht auch geschrieben (5.Mose 6,16): »Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.« 8 Wiederum führte ihn der Teufel mit sich auf einen sehr hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit 9 und sprach zu ihm: Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest. 10 Da sprach Jesus zu ihm: Weg mit dir, Satan! Denn es steht geschrieben (5.Mose 6,13): »Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.« 11 Da verließ ihn der Teufel. Und siehe, da traten Engel herzu und dienten ihm. (Matthäus 4,1-11)

Aus dem Matthäusevangelium, aus dem vierten Kapitel.

Wüste. Da wurde Jesus in die Wüste geführt.

Ich könnte mir schönere Plätze vorstellen, um vierzig Tage zu verbringen. Und die Nächte noch dazu! Da wird die Wüste unwirtlich kalt. Das würde man gar nicht erwarten, nach der Hitze des Tages. Wüste ist harte Kost. Wüste geht an die Substanz. Nur Sand und Steine und Steine und Sand. Nichts von dem, was das Leben schön macht. Nichts von dem, was den Aufenthalt angenehmer machen würde. Nicht einmal das mindeste, was wir im Allgemeinen für notwendig erachten: Ein Dach über dem Kopf? Sowieso nicht. Aber auch keine Nahrung, keine Kraftquelle für jeden neuen, harten Tag. Nur Sand und Steine und Steine und Sand. Die Wüste hat's in sich. Sie treibt dich ans Äußerste. Sie zwingt dich, auf alle deine kleinen Gewohnheiten und Bequemlichkeiten zu verzichten. Die Wüste reduziert dich auf den absoluten, den innersten Kern deiner Existenz. Sie fragt dich, die Wüste: Wer bist du? Wer bist du, wenn du nichts hast? Wer bist du, wenn du nichts leistest? Wer bist du, wenn du nichts tust, Tag und Nacht, Nacht und Tag, wenn deine Welt, die dich einrahmt, in der du dich auskennst, die dir Halt gibt, plötzlich weg ist -- nur noch Sand und Steine und Steine und Sand?

40 Tage. 40 Tage und Nächte. Das ist kein Power-Nap. Keine kurze Auszeit von einem trubeligen Tag. Ein paar Minuten Stille. Eine Tasse Tee. Ein weiches Sofakissen. 40 Tage und Nächte. Du dachtest, die Stille wäre lang, wenn der Pfarrer beim Gebet vorne am Altar steht. Beim Abendgebet an den Freitagen. In den Taizégottesdiensten. Nichts ist das. Nur flüchtige Augenblicke. 40 Tage. 40 Tage und Nächte! Das ist extrem. Das verlangt dir alles ab. Du verlierst die zeitliche Orientierung. Du kannst gar nicht mehr einordnen, wie lange du schon hier bist. Wie lange es noch dauern wird. Tage und Nächte, Nächte und Tage verschwimmen in einander. War da je etwas anderes? Warst du je woanders? Wirst du je herauskommen aus dieser endlosen, zeitlosen Einöde: Sand und Steine und Steine und Sand?

War es nur ein Traum, dass du glaubtest, sie gehört zu haben--diese Stimme vom Himmel: "Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe"? So weit weg. Nur ein leises Ahnen noch, irgendwo, in der Ferne, wo der Horizont den Sand trifft. Und die Steine. War es nur Einbildung, dass Gott zu dir redete? Dass er versprach, bei dir zu sein, alle Tage? Dass er dich angenommen hat, als sein Kind, als Teil seiner Familie. Dass er dir Leben versprochen hat. Sein Leben. Ewiges Leben. Ist das echt passiert?

Wasser. Taufe. Da war was. Du glaubst dich zu erinnern. Oder nicht?

In der Wüste gibt es nichts, woran du das festmachen kannst. Du bist allein mit dir selbst. Allein mit deinen Gedanken. Mit den Fragen.

Sand und Steine. Steine und Sand. Tage und Nächte und Nächte und Tage. Vierzig. Es könnten auch unendlich viele sein. Du weißt es nicht. Was weißt du überhaupt noch?

Die Wüste stellt dich auf die Probe mit ihren 40 Tagen. Sie entreißt dir jede Tarnung. Sie zerbröselt alle Masken. Alle Schutzmechanismen verfliegen im rauen Wüstenwind.

Sand und Steine. Steine und Sand.

Charakter. So nennen wir das, wenn nur noch du übrig bleibst. Wer du wirklich bist. Unverstellt. Unversteckt. Schutzlos zwischen Steinen und Sand.

Vierzig Tage lang.

Andere waren vor dir hier. Die Wüste hat sie geprüft, wie dich auch. Elia ist hier 40 Tage lang gelaufen. Hat seine Frustration und seine Erschöpfung in den Wüstenwind geschrien. Bis er nicht mehr laufen konnte. Nicht mehr laufen wollte. 40 Tage. Das hält doch keiner aus!

Bei Mose und später noch einmal bei Israel mit Mose, da waren es jeweils 40 Jahre. 40 Jahre, Tage und Nächte, hier, bei Sand und Steinen! Das schleift alles ab, was unecht ist.

Noah könnte man noch nennen. Nein, er war nicht hier, wo du jetzt stehst. Aber die endlosen Tage und Nächte unter den noch endloseren, dunkelgrauen Regenwolken--das muss sich angefühlt haben, wie die Wüste hier.

Gedanken. Fragen. Charakter.

Sand und Steine. Steine und Sand.

Und der Diabolos.

So heißt die Figur, aus deren griechischer Bezeichnung wir das Wort "Teufel" gemacht haben. Diabolos. Durcheinanderwerfer.

Dem begegnet man in der Wüste. In den Zeiten, wo alle Gewissheiten hinter Sand und Steinen verschwunden sind. Wo alle Schutzmechanismen versagen. Wo alles, was nicht Wesentlich ist, wegradiert wurde. Wo nur noch die Gedanken bleiben. Und die Fragen.

Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?

Vielleicht gab es das einmal, in der Zeit vor der Wüste... Falls es die gab. So genau weißt du das nicht mehr. Vielleicht gab es mal eine Zeit, in der du das einfach beantworten konntest. Sicher und mit fester Stimme. Gemeinsam mit anderen, in der Kirche, als Bekenntnis, und allein, wenn es jemand wissen wollte, auch.

Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?

Die Wüste hat dir diese Gewissheit genommen. Dein Hals ist rau, deine Zunge trocken. Deine Stimme, wie ein Reibeeisen, verstummt schon nach dem ersten Wort.

Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?

Die Sicherheiten gibt es nicht mehr. Die Gewissheiten sind verblasst. Alles ist wild durcheinander, das Unterste zuoberst und das Oberste zuunterst -- oder andersherum? Was gehört überhaupt wo hin? Du weißt es nicht mehr.

Diabolos. Der Durcheinanderbringer. Hier, in der Wüste.


Jesus.

Um den ging es doch! Der war doch der, der in die Wüste ging!

Hast du gedacht, du seist hier, zwischen all dem Sand und den Steinen?

Wahrscheinlich hast du diesen Ort wiedererkannt. Diese Wüstenzeiten gibt es fast in jedem Leben. Vierzig Tage und vierzig Nächte. Oder länger. Oder kürzer, aber nie fühlt es sich kurz an. Sand und Steine. Steine und Sand.

Jesus geht in die Wüste. Er geht ja oft unsere Wege. Er ist Gott, Mensch geworden. Einer von uns. Immanuel, Gott mit uns. Er setzt sich unseren Wüsten aus--mit ihrer ganzen unendlichen Einsamkeit, weit weg von Gott und Menschen. Nur Sand und Steine. Steine und Sand.

Und der Diabolos. Der kommt mit verlockenden Angeboten. Er bietet die einfachen Auswege. Die schnellen Abkürzungen, raus aus der Wüste. Endlich Leben, Fülle, ein Fest!

Wir wählen ja gerne die Abkürzungen, wenn es ungemütlich wird. Dann bejubeln wir simple Parolen. Dann folgen wir Rattenfängern, die uns die Welt in einfachen Bildern erklären. In wenigen Zeichen auf X, früher Twitter, oder in der Telegramgruppe, mit markanten Bildern, rasend schnell geteilt. Dann wählen wir Parteien, die sofort sagen können, welche Gruppe von Menschen die Schuldigen sind an unserer Misere. Auf wen wir schimpfen können. Wer weg muss.

Diabolos. Der Durcheinanderbringer.

Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?

Für Jesus hat der Diabolos das Passende im Angebot. Und wer genau hinschaut, der merkt gleich, dass er nicht nur unsere Wege in die Wüste geht. Es sind unsere Wünsche, die ihm hier vorgehalten werden. So einen Jesus, den könnten wir nämlich ganz gut gebrauchen. Einen, der aus Steinen Brot macht. Versorgung, Fülle, Segen -- alles so unendlich abrufbar wie hier Sand und Geröll. Gesundheit und Wohlstand, perfekte Umstände und vor dem Supermarkt immer ein freier Parkplatz in der ersten Reihe: Es lebe der Wunscherfüller-Christus. Ein strahlender Held, der sich im Glanz unseres Beifalls sonnt, der vom sich vom Tempel in Engelshände stürzt wie einer unserer Stars beim "stage diving" von der Bühne. Einer, der sich tragen lässt von unserer Begeisterung, während er gleichzeitig alle unsere Wünsche mit einem Wimpernschlag wahr werden lässt. Einer, der alle an Ruhm und Superlativen übertrifft, der uns mit aufwertet, uns, die wir zu ihm gehören. Wir sonnen uns im Glanz seiner Größe und erleben begeisternd sein wunderbares Reich -- ja, stimmt, das hätte ich fast vergessen: Nicht dieses unsichtbare Reich, von dem wir immer gehört haben, das klein beginnt wie ein Senfkorn und irgendwie wächst und irgendwie doch nie wirklich greifbar ist, das mehr in der Hoffnung besteht als in dem, was wir konkret in unserem Alltag wahrnehmen. Nein, nicht dieses armselige Reich eines Wüstenchristus! Alle Reiche der Welt auf einmal, sie lägen zu seinen Füßen und stünden ihm offen, und uns, die wir mit ihm einzögen in all diese Herrlichkeit. Das wäre doch ein Christus!

Ich komme fast ins Schwärmen, wenn ich mir das ausmale. Ich vergesse schon fast den Sand und die Steine vor Verzückung.

Das, das wäre doch eine Sache! Und mit der kleiner werdenden Kirche wäre es auch vorbei, das kann ich euch sagen. Wir müssten uns nicht verstecken, mit diesem Christus, der für alle attraktiv wäre, für alle unwiderstehlich. Jeder würde kommen wollen zu dieser Kirche, zu diesem Herrn!

Diabolos. Der Durcheinanderbringer. Das unterste zuoberst und das oberste nach unten und du weißt nicht mehr, was wo hingehört. Was wirklich wichtig ist. Was am Ende zählt.

Was ist dein einziger Trost im Leben und im...

Ach bleib mir mit deinen morbiden Gedanken weg! Wer will denn ständig ans Sterben denken. Ich will leben! Ich will das auskosten, was ich hier haben kann! YOLO -- man lebt nur einmal. Jetzt oder nie. Nach mir die Sintflut. Hinein ins Vergnügen. Und raus, nur raus aus der Wüste!


Dies.

Dies ist mein geliebter Sohn...

Dies ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen habe!

Ob er diese Worte noch im Ohr hatte? Ob er sich erinnerte, nach all dem Sand und den Steinen, nach endlos ineinander verschwimmenden Tagen und Nächten?

Jedenfalls bleibt er klar. Er schafft das, was Tausende vor ihm und Abertausende nach ihm, was ich... so oft nicht auf die Reihe kriege. Er behält den Durchblick. Er weiß, was das Wesentliche ist. Seine Stimme ist fest. Seine Botschaft ist klar.

Der Mensch lebt nicht vom Brot allein, sondern von einem jeden Wort, das aus dem Mund Gottes geht.

Du sollst den Herrn, deinen Gott, nicht versuchen.

Du sollst anbeten den Herrn, deinen Gott, und ihm allein dienen.

Und der Diabolos verschwindet. Die wirren, schwirrenden Gedanken, das wilde Durcheinander, die entsetzliche Leere der Gedanken.

Weg.


Stattdessen: Engel.


Taufe.

Da war doch was. Vor der Wüste.

Fünfzig Prozent meines letzten Konfijahrgangs hatten als Taufspruch Psalm 91,11-12. "Denn er hat seinen Engeln befohlen, dass sie dich behüten auf allen deinen Wegen, dass sie dich auf den Händen tragen und du deinen Fuß nicht an einen Stein stoßest." Fünfzig Prozent. Kein anderer Vers wird auch nur annähernd so oft gewählt wie dieser. Und ich kann die Eltern verstehen, die das für ihr Kind auswählen.

Der Diabolos kannte ihn auch, diesen Psalmvers. Gerade noch war er es, der ihn im Munde führte. Als könnte er das anbieten.

Jetzt ist er weg. Und die Engel sind da.

Gott hält sein Versprechen doch. Auch wenn es in den Wüstenzeiten des Lebens oft so unwirklich erscheint. Wie ein ferner Traum. War es überhaupt jemals wahr?

Ja. War es. Ist es.

Gott hält sein Versprechen.

Jesus ist in der Wüste. Engel dienen ihm. Und der Durcheinanderbringer ist verschwunden.


Sand und Steine. Steine und Sand. Endlose Tage und Nächte. Alle Bequemlichkeiten und Sicherheiten unendlich weit weg. Ich werde da oft ungeduldig. Wenn nur die Wüste schon voller Engel wäre! Dann wäre die Durststrecke endlich vorbei. In meiner Ungeduld falle ich immer wieder auf den Durcheinanderbringer herein. Auf seine schnellen, einfachen Lösungen. Die Abkürzungen, die angeblich aus der Wüste führen. Bis die Engel kommen, bin ich oft schon weg.

Sand und Steine. Steine und Sand. Wenn ich das nächste Mal in der Wüste stehe, will ich versuchen, im rauen Wüstenwind diese Stimme zu hören. Weit weg, ganz leise, aber doch da: Das Versprechen, das Gott mir gegeben hat. "Ich bin bei euch, alle Tage, bis an der Welt Ende." Bei euch. Immanuel. Gott mit uns. Auch in der Wüste. Lange bevor ich überhaupt nur einen Fuß in die endlose Weite von Sand und Steinen gesetzt habe, war er schon da.

Sand und Steine. Steine und Sand. Vierzig Tage und Nächte sind mir immernoch unfassbar lang.

Aber mir ist etwas eingefallen. Mitten in der Leere der Wüste:

"Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mir, sondern meinem getreuen Heiland Jesus Christus gehöre."

Das. Das ist mein Trost im Leben und im Sterben.

Und an jedem Wüstentag.

Amen.


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 February 18, 2024  15m