Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Hahnenschrei


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

54 Sie ergriffen [Jesus] aber und führten ihn ab und brachten ihn in das Haus des Hohenpriesters. Petrus aber folgte von ferne. 55 Da zündeten sie ein Feuer an mitten im Hof und setzten sich zusammen; und Petrus setzte sich mitten unter sie. 56 Da sah ihn eine Magd im Licht sitzen und sah ihn genau an und sprach: Dieser war auch mit ihm. 57 Er aber leugnete und sprach: Frau, ich kenne ihn nicht. 58 Und nach einer kleinen Weile sah ihn ein anderer und sprach: Du bist auch einer von denen. Petrus aber sprach: Mensch, ich bin's nicht. 59 Und nach einer Weile, etwa nach einer Stunde, bekräftigte es ein anderer und sprach: Wahrhaftig, dieser war auch mit ihm; denn er ist auch ein Galiläer. 60 Petrus aber sprach: Mensch, ich weiß nicht, was du sagst. Und alsbald, während er noch redete, krähte der Hahn. 61 Und der Herr wandte sich und sah Petrus an. Und Petrus gedachte an des Herrn Wort, wie er zu ihm gesagt hatte: Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. 62 Und Petrus ging hinaus und weinte bitterlich. (Lukas 22,54-62)

Aus dem Lukasevangelium, aus dem 22. Kapitel.

Ging hinaus.

Und weinte.

Bitterlich.

Den höhnischen Hahnenschrei in den Ohren.

Wo ist die Hoffnung jetzt?


Wir haben Hoffnung. So bin ich angetreten, vor 119 Tagen.

Wir haben Hoffnung. Das habt ihr immer wieder gehört. Ich habe es -- das hatte ich ursprünglich gar nicht geplant -- in jede einzelne Predigt hier eingebaut. Immer wieder. (Na ja, bis auf eine. Da hieß es: "Bei Gott ist Hoffnung").

Wir haben Hoffnung. Das habe ich euch versprochen. Besonders für heute, für Laetare, für dieses "Klein-Ostern" mitten in der so ernsten Passionszeit.

Wir haben Hoffnung.

Wo ist die Hoffnung jetzt?

Siehst du sie irgendwo?


Draußen weint einer. Bitterlich.

Als höhnisch der Hahn schreit.


Dabei hat alles so verheißungsvoll angefangen. Es ist noch gar nicht so lange her. Da war er Fischer, am See Genetsaret. Wie seine ganze Familie -- sein Vater und dessen Vater vor ihm. Sein Bruder auch. Ein Fischer, ein Arbeiter, ein Kleinunternehmer, der oft von der Hand in den Mund lebte. Nicht immer ein besonders erfolgreicher dazu. Besonders an jenem Tag -- an jenem Morgen, als sie sich eine ganze Nacht lang abgemüht hatten. Vergeblich. All ihr Können, alle ihre Erfahrung, alle Tricks, die sie irgendwo noch auf Lager hatten -- nichts hatte genützt. Die Netze blieben leer. Die ganze Nacht lang. Es stand zu befürchten, dass die Mägen auch leer bleiben würden. Und als sie so da saßen, frustriert und fertig, als sie verbittert den Dreck einer ergebnislosen Nacht aus ihren Netzen puhlten, da betrat er das Ufer. Er, der alles verändert hat. Sie kannten ihn noch nicht, damals. Vielleicht hatten sie schon von ihm reden gehört. Schon dort drängte eine Menge sich um ihn, weil er so anders, so fesselnd von Gott sprach, wie keiner, den sie sonst kannten. Und nachdem er ihre Boote als Plattform gebraucht hatte, schickte er sie hinaus, auf eine noch sinnlosere Fahrt -- bei Tag, ins Tiefe: Nur der Sohn eines Zimmermanns konnte so eine Idee haben! Am Ende begannen die Netze zu reißen und zwei Boote drohten zu sinken unter der Last des phänomenalen Fischfangs. Und als er Simon, den Fischer aus Kapernaum, dann beruft, da ändert sich das ganze Leben: "Fürchte dich nicht! Von nun an wirst du Menschen fangen!" Die Netze voller Hoffnung, so hatte alles angefangen. Simon, der Menschenfischer.

Der ist bei ihm gewesen. Ganz nah dran an Jesus. An der Hoffnung.

Der ist bei ihm gewesen. Einer von denen.

"Mensch, ich bin's nicht."


Jetzt weint er. Draußen. Bitterlich.

Den höhnischen Hahnenschrei in den Ohren.

Wo ist die Hoffnung geblieben?


Damals, nach dem Fischzug, war er immer ganz vorne mit dabei. Von allen Fischern, die sich rufen ließen an diesem Tag, ist er der, den Jesus persönlich anspricht. Als dann die Zahl der Nachfolger im engsten Zirkel -- Ihr wisst schon: Die, die wir "Jünger" nennen. -- komplett war, da zählt der Evangelist sie auf und er beginnt ganz selbstverständlich so: "Simon, den er auch Petrus nannte, ...". Wenn Jesus die Menge fortschickt und selbst einige aus dem Zwölferkreis, wenn er hineingeht in den Raum, wo die tote Tochter des Jairus liegt, da nimmt er Petrus selbstverständlich mit. Wenn er auf den Berg geht um zu beten (und keiner ahnt noch etwas von Mose und Elia und dem offenen Himmel, den sie dort sehen werden), da ist Petrus einer der wenigen an seiner Seite. Oft genug sind die Begleiter Jesu im Evangelium einfach "Petrus und die, die bei ihm waren." Wenn Jesus in Gleichnissen über seine Nachfolger redet, fühlt sich Petrus als erster angesprochen. Wenn sich um Jesus etwas ereignet, ist Petrus der erste, der es kommentiert. Wenn Jesus Hilfe braucht bei der Vorbereitung des Passahmahls, da schickt er natürlich Petrus. Er ist immer in der ersten Reihe. Er ist die Identifikationsfigur für alle, die Jesus folgen. Wenn man an die Jünger denkt, denkt man an Petrus. Keiner ist näher dran am Geschehen. Keiner ist näher dran am Messias.

"Frau, ich kenne ihn nicht."


Jetzt weint er. Draußen. Bitterlich.

Den höhnischen Hahnenschrei in den Ohren.

Wo ist die Hoffnung geblieben?


Wenn es einen Höhepunkt gab in seiner Karriere, dann hängt der gar nicht mit einer der spektakulären Wundergeschichten zusammen. Dass der Höhepunkt eher unauffällig in einem der vielen Gespräche passiert, das zeugt davon, wie gut er seinen Jesus kannte. Er sah nicht nur, was so plakativ für die Massen wirkte. Er ließ sich nicht nur begeistern, wenn Jesus einen seiner ganz großen Auftritte hinlegte. Nach all der intensiven Zeit mit Jesus hatte er den Durchblick. Er wusste, worum es hier wirklich ging. Während andere noch rätselten, wie sie diesen Prediger aus Galiläa einsortieren sollten, hatte er es begriffen. "Du bist der Messias Gottes." Nach der Erzählung des Lukasevangeliums geschah das vor der großen Offenbarung Christi auf dem Taborberg. Vor Mose und Elia und dem offenen Himmel. Lange bevor jeder es hätte wissen können. Er hat es schon kapiert: "Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes", heißt es im Matthäusevangelium. Dort wird auch berichtet, dass Jesus ihn von da an "Petrus" nannte. Den "Fels". "Darauf", so Jesus, "will ich meine Gemeinde bauen."

Petrus. Der Fels. Aussicht auf eine Gemeinde, die nun schon 2.000 Jahre gehalten hat. Hoffnung.

Petrus. Der Fels. Der Jesus-Checker. Der, mit dem großen Glaubensbekenntnis. Mit der Christus-Erkenntnis.

"Frau, ich kenne ihn nicht."

Petrus. Der Fels.

"Mensch, ich bin's nicht."


Jetzt weint er. Draußen. Bitterlich.

Den höhnischen Hahnenschrei in den Ohren.

Wo ist die Hoffnung geblieben?


Es gibt gewiss keine biblische Figur (außer Jesus natürlich) über die ich so oft gepredigt habe, wie über Petrus. Es gibt keinen, der mich in gleicher Weise immer wieder anspricht und fasziniert. Wahrscheinlich, weil ich mich ganz oft wiederzuerkennen glaube in diesem Fischer vom See Genetsaret. In seiner Begeisterungsfähigkeit. Seiner Faszination mit Jesus. In seiner großen Klappe auch. Selbstsicher tritt er auf. Zielstrebig ist er mit Jesus unterwegs. Ergebnisorientiert. Das zeichnet ihn aus. Er lebt seine Berufung. Er geht voran. Er wird zum Vorbild, zum Beispiel für andere. Die Tiefe seiner Christuserkenntnis sucht ihresgleichen. Ich lese seine biografischen Spuren und denke mir immer wieder: Ich will mehr sein wie dieser Mann, mit dem ich manche Charaktereigenschaften teile.

Deutlich weniger rede ich davon, wie sehr ich mich auch in seinen Schwächen wiederfinde. Steiler Start, hoffnungsvoller Aufbruch, große Worte -- und am Ende fehlt die Kraft zum Durchhalten. Am Ende hat es nicht gereicht. Am Ende hat er alles versiebt. Es tut weh, das zu sagen, aber oft hätte ich mit ihm hinausgehen können in die Nacht.

Und weinen. Draußen. Bitterlich.

Den höhnischen Hahnenschrei in den Ohren.

Wo ist die Hoffnung geblieben?

Die Hoffnung, von der wir so gerne reden -- er und ich.

Wo ist sie jetzt?


Ich bin so froh, dass es Menschen wie Petrus gibt. Dass die Evangelien nicht nur voll sind mit geistlichen Überfliegern, mit Menschen, die's immer drauf haben. Die alles schaffen, was sie sich vorgenommen haben. Die sicheren Schrittes mutig im Glauben vorwärts gehen, ohne je zu straucheln. Ohne sich je Fragen zu stellen. Ohne je zu zweifeln. Ohne je nachzulassen, oder müde zu werden. Ich bin so froh, dass es Raum gibt im Evangelium für Menschen wie Petrus. Und mich. Die nicht nur straucheln, sondern so richtig voll auf die Schnauze fallen.

Die weinen. Draußen. Bitterlich.

Den höhnischen Hahnenschrei in den Ohren.

Ich bin so froh, dass Platz ist für diese Menschen. Für mich. In der Geschichte von Jesus. Ganz nah bei ihm. Berufen, sogar.

Hat Jesus das nicht gewusst? Hat er sich verschätzt bei Petrus? Oder bei mir?


Damals, am See: Schon damals hatte Petrus bemerkenswert viel Einsicht. Als er ankommt am Ufer, schwitzend, nass, außer sich vor Staunen, als er keuchend das zum Bersten gefüllte Netz aus dem Boot hievt, da sieht er Jesus, den Grund seines unerwarteten Fischfangs. Und er sieht sich, nass und dreckig und weit weg von irgendeiner Art von perfektem Glaubenshelden. "Herr, geh weit weg von mir!", so fällt er Jesus zu Füßen. "Ich bin ein sündiger Mensch."

Und er hat recht. Wie gar nicht selten.

Ich bin ein sündiger Mensch.

So unvollkommen.

Keine Hoffnung.

Nur Grund zum Weinen. Draußen. Bitterlich.

Als höhnisch der Hahn schreit.


Schon damals, hat ihn Jesus wieder aufgerichtet. Er schaut ihn an und er sieht etwas ganz anderes. Die ganze unendliche Gnade Gottes liegt in seinem Blick. Nein, er hat nichts übersehen. Er hat bestimmt gar nichts falsch eingeschätzt. Sein Blick ist einfach nur weiter. Anders. Voll Liebe und Güte und Barmherzigkeit. "Fürchte dich nicht.", sagt er zum pudelnassen Petrus. "Fürchte dich nicht. Von nun an wirst du Menschen fangen."

Ich bin so froh, dass es Petrus gibt. Von Anfang an ist er ein leuchtendes Beispiel für Gottes Gnade mit unvollkommenen Menschen. Wie mir.

Von Anfang an ist er ein Zeichen der Hoffnung.


Jetzt ist er draußen. Weinend. Bitterlich.

Hat er die Gnade Gottes verschenkt? Die riesengroße zweite Chance, die Jesus ihm gegeben hat? War alles umsonst, was Gott in ihn investiert hat?

Wo ist die Hoffnung jetzt.


Geliebte Gottes in Nebringen,

Die Hoffnung ist da, wo sie immer war.

Christus ist unsere Hoffnung.

Eine andere haben wir nicht.

Eine andere brauchen wir auch nicht.

Christus ist unsere Hoffnung.


Man kann jetzt über diesen Text hinausschauen. Laetare, "Klein-Ostern", legt es nahe, das zu tun.

Man kann ein kleines Stück zurückblättern. Wenige Verse nur. Da hat Jesus angekündigt, was hier am Feuer passieren würde. Zu Petrus, der einmal mehr ein Mann der großen Worte war -- "Herr, ich bin bereit, mit dir ins Gefängnis und in den Tod zu gehen." -- spricht er ernste Worte. "Der Satan hat begehrt, euch zu sieben wie Weizen", sagt er. "Ich aber habe für dich gebeten, dass dein Glaube nicht aufhöre." Und dann fallen sie schon, die Worte der Hoffnung. Worte, die Petrus da nicht verstanden hat. Worte, an die er sich auch jetzt gerade nicht erinnern kann, als er verzweifelt draußen weint, bitterlich. Worte, die später zurückkehren werden. Dann wird es klar werden, dass bei Jesus immer Hoffnung war: "Und wenn du dereinst dich bekehrst,...", sagt Jesus. Nicht: "Falls...". Nicht "Vielleicht". "Wenn du dereinst dich bekehrst,", sagt Jesus, "so stärke deine Brüder."

Da ist die Hoffnung.

Da wo sie immer war.

Christus ist unsere Hoffnung.


Man könnte ein Stück vorwärtsblättern. Bei Lukas kommt dann irgendwann der zweite Teil seines Evangeliums. Die Apostelgeschichte. Mit Pfingsten ganz am Anfang. Da staunt man dann, wen Gott am allerdeutlichsten gebraucht, als er seinen Geist sendet. Als "Gemeinde" geboren wird. 3.000 Menschen bekehren sich an diesem Tag in Jerusalem, berichtet Lukas. Nachdem Petrus gepredigt hat--von Christus, der Hoffnung.

Er weiß nämlich, wieder ganz neu, wo die Hoffnung zu finden ist.

Es gibt nur einen Ort. "Nur einen Namen", sagt er in seiner Pfingstpredigt. Wer den anruft, der wird gerettet.

Christus. Er ist die Hoffnung.


Das könnte man jetzt alles nachlesen. Aber vielleicht muss man das gar nicht. So dunkel nämlich der heutige Predigttext scheint, die Hoffnung verlöscht auch darin nicht.

Ich bin's nicht.

Ich kenne ihn nicht.

Ich bin's nicht.

Während Petrus noch redet, kräht der Hahn. So hat es Jesus vorausgesagt.

Petrus geht hinaus und weint bitterlich.


Der Hahn, der da krähte, sitzt seither oben auf unserer Kirchturmspitze. Seit Jahrhunderten verewigen Christ:innen dort diesen Hahn. Nicht als Hohn, der unseren Schmerz noch schlimmer macht. Nicht als Zeichen der Schande, des Versagens. Nicht das Zeichen, das unsere Fehlerhaftigkeit überführt.

Der Hahn ist kein zufälliges Element in der Geschichte. Der Hahn kündigt immer den Morgen an. Das Ende der Nacht. Das Licht, nach der Dunkelheit. Für Christ:innen aller Jahrhunderte ist der anbrechende Morgen das Zeichen für den einen Morgen geworden, der alles verändert hat: den Ostermorgen nämlich. In wenigen Wochen feiern wir deshalb auch in das Licht des anbrechendes Tages hinein: Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden! Finsternis, Sünde, Hölle und Tod sind besiegt. Überwunden. Sie haben keine Macht mehr, wo Gott triumphiert. Alles wird neu! Alles verändert sich! Gnade und Barmherzigkeit erleuchten die Nacht auch des dunkelsten Versagens.

Das kräht der Hahn in unsere Nacht hinein. In unsere Schwachheit. In unseren Unglauben. In unser stolperndes, stammelndes, überhaupt nicht perfektes Christsein hinein.

Das kräht der Hahn:

Wir haben Hoffnung.

Christus ist unsere Hoffnung.

Es gibt keine Nacht, keine Schwäche, keine Sünde, kein Versagen, das diese Hoffnung auslöschen kann.

Das ist der Hahnenschrei:

Wir haben Hoffnung!


Und Gott selbst wischt alle unsere Tränen ab. Auch die bitterlichsten.

Amen.


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 March 10, 2024  17m