Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Stocksauer. Stinkwütend.


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

"Schaffe mir Recht, Gott!" Erbarme dich meiner, Gott der Gerechtigkeit und Gnade!

Aus dem Genesisbuch, das wir auch 1. Mose nennen, aus dem 22. Kapitel:

1 Nach diesen Geschichten versuchte Gott Abraham und sprach zu ihm: Abraham! Und er antwortete: Hier bin ich. 2 Und er sprach: Nimm Isaak, deinen einzigen Sohn, den du lieb hast, und geh hin in das Land Morija und opfere ihn dort zum Brandopfer auf einem Berge, den ich dir sagen werde. 3 Da stand Abraham früh am Morgen auf und gürtete seinen Esel und nahm mit sich zwei Knechte und seinen Sohn Isaak und spaltete Holz zum Brandopfer, machte sich auf und ging hin an den Ort, von dem ihm Gott gesagt hatte. 4 Am dritten Tage hob Abraham seine Augen auf und sah die Stätte von ferne. 5 Und Abraham sprach zu seinen Knechten: Bleibt ihr hier mit dem Esel. Ich und der Knabe wollen dorthin gehen, und wenn wir angebetet haben, wollen wir wieder zu euch kommen. 6 Und Abraham nahm das Holz zum Brandopfer und legte es auf seinen Sohn Isaak. Er aber nahm das Feuer und das Messer in seine Hand; und gingen die beiden miteinander. 7 Da sprach Isaak zu seinem Vater Abraham: Mein Vater! Abraham antwortete: Hier bin ich, mein Sohn. Und er sprach: Siehe, hier ist Feuer und Holz; wo ist aber das Schaf zum Brandopfer? 8 Abraham antwortete: Mein Sohn, Gott wird sich ersehen ein Schaf zum Brandopfer. Und gingen die beiden miteinander. 9 Und als sie an die Stätte kamen, die ihm Gott gesagt hatte, baute Abraham dort einen Altar und legte das Holz darauf und band seinen Sohn Isaak, legte ihn auf den Altar oben auf das Holz 10 und reckte seine Hand aus und fasste das Messer, dass er seinen Sohn schlachtete. 11 Da rief ihn der Engel des Herrn vom Himmel und sprach: Abraham! Abraham! Er antwortete: Hier bin ich. 12 Er sprach: Lege deine Hand nicht an den Knaben und tu ihm nichts; denn nun weiß ich, dass du Gott fürchtest und hast deines einzigen Sohnes nicht verschont um meinetwillen. 13 Da hob Abraham seine Augen auf und sah einen Widder hinter sich im Gestrüpp mit seinen Hörnern hängen und ging hin und nahm den Widder und opferte ihn zum Brandopfer an seines Sohnes statt. 14 Und Abraham nannte die Stätte »Der Herr sieht«. Daher man noch heute sagt: Auf dem Berge, da der Herr sich sehen lässt. (Genesis 22,1-14)

Noch einmal: Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Das werden wir nämlich brauchen -- Gnade und vor allem: Friede -- wenn wir das durchstehen wollen, heute, mit diesem furchtbaren Predigttext.

"Schaffe mir Recht Gott!" -- und dann das! Ich muss gestehen: Ich bin stocksauer.

Schockiert. Stocksauer und stinkwütend.

Und deshalb muss das wohl heute ein "Rant", eine Wutrede, werden, denn etwas anderes habe ich nicht auf Lager.

Schockiert. Stocksauer und stinkwütend.

Sauer auf Gott und wie er sich hier aufführt. Sauer auf das, was er hier von seinem Abraham verlangt. Nicht nur, dass er es überhaupt für nötig hält, einen Glaubens- oder Liebesbeweis von diesem Mann einzufordern. Hat es denn nicht gereicht, dass Abraham alles hinter sich ließ nur auf das Wort seines Gottes hin, dass er aufbrach ins Ungewisse, ohne irgendwelche Sicherheiten? Hat es denn nicht gereicht, dass er alles auf eine Karte setzte und den Versprechen Gottes vertraute: Ein Land. Ein Volk. Segen für die ganze Welt? Hat es denn nicht gereicht, dass er jahrelang von einem Ort zum anderen zog, stets auf der Suche, stets im Hoffen, stets im Warten -- und das immer lauter werdende Ticken der biologischen Uhr im Ohr, denn weder Abraham noch Sarah wurden ja jünger bei der ganzen Reise? Hat es denn nicht gereicht, dass er so lange aushielt, bis endlich der verheißene Nachkomme da war -- immer noch nicht zahlreich wie die Sterne und die Sandkörner am Meer, aber immerhin mal einer? Ein Anfang. Eine Chance zumindest, dass das alles doch noch wahr werden könnte.

Nein.

Gott will einen Glaubensbeweis. Und was für einen. Das schlägt dem Fass den Boden aus! Gott will ein Leben! Gott will ein Kind. Vergiss einmal für einen Augenblick die Tatsache, dass an diesem Kind die ganze lange Verheißungsgeschichte Gottes hängt. Vergiss einmal den Umstand, dass mit dem Sterben dieses Kinds all die Jahre des Glaubens, des Hoffens, des gehorsamen Nachfolgens, des Aushaltens, auf einen Schlag zunichte sein werden. Ja, dass alles macht die Geschichte noch schlimmer, aber das braucht es alles gar nicht um schockiert, entsetzt und zutiefst angewidert zu sein von dem, was Gott hier verlangt: Ein Kind! Ein Kind soll sterben für Gott.

"Schaffe mir Recht, Gott!" ???

Man hätte es ja wissen können. Man hätte ja ahnen können, dass am Ende doch wieder alles nur auf so etwas hinausläuft. Dass es am Ende doch wieder nur um Macht und Eigennutz geht. Kein Haar besser als das, was man der menschlichen Geschichte kennt! Kein Haar besser als das, was man von anderen Gottheiten so erzählt bekommt. Am Ende scheren sich alle die Mächtigen doch keinen Deut um das Wohl irgendeines kleinen Menschen. Am Ende ist es ihnen allen doch egal, wie es einem da geht, und wer da jetzt wie leben kann oder überhaupt leben darf--solange sie bekommen, was sie gerade wollen. Man kennt das doch. Man sieht das tausendfach in der Geschichte. Ach was, das reicht gar nicht aus. Millionenfach sieht man es. Und nicht nur damals, in vergangenen Zeiten, in irgendwelchen unaufgeklärten Gesellschaften. Hier und jetzt: Du brauchst nur die Nachrichten einschalten, dann siehst du es rund um die Welt. Und wenn du Nachrichten bekommen könntest von dem, was hinter manchen verschlossenen Haustüren geschieht, dann würdest du die gleichen Muster auch hier vor unserer Haustür entdecken. Auch hier in Nebringen. Ich bin mir ziemlich sicher, hier im Raum sitzen heute Menschen, die haben das selbst schon erlebt: dass andere, mächtigere sich mit Gewalt nehmen, was sie gerne hätten, ohne sich um dich und dein Wohlergehen zu scheren.

Das macht mich wütend. Rasend wütend. Stocksauer und stinkwütend.

Wütend, dass es so etwas gibt in dieser Welt. Wütend, dass Menschen hier und anderswo so etwas erleben müssen.

Wütend, dass Gott jetzt hier auch noch in diese Kerbe schlägt. Kein Haar besser als die anderen! Wie soll ich denn da noch von Liebe reden? Von Heil? Von: "Wir haben Hoffnung."? Was soll ich denn heute denen erzählen, die hier sitzen und denen man Gewalt angetan hat? Dass Gott auch nicht besser ist? Was soll ich Ellas Eltern erzählen, die heute ihre Tochter hier zu Gott bringen, zur Taufe? Was meinen eigenen Kindern? Was soll ich Ella erzählen, die heute hier getauft wurde? Verlass dich auf Gott und vertrau ihm dein Leben an--kann halt sein, er ist ein (verzeiht mir den Ausdruck, zumal in der Kirche, aber mir fällt gerade kein besserer ein) Arschloch?

Ich bin entsetzt. Schockiert. Stocksauer und stinkwütend.

Auf Gott. Wer das jetzt nicht ist, hat wohl vorher nicht richtig zugehört. Hat den Text nicht verstanden oder was da passiert. Hat vielleicht reflexartig diesem Gottesbild einen heiligen Schutzanstrich verpasst, weil ja nicht sein kann, was nicht sein darf. Und Gott ist doch immer gut, oder? Hier geht es doch nur um Treue und gehorsame Nachfolge, um Glauben und Vertrauen, oder? Sind wir schon so abgestumpft von unserer kaputten Welt, dass uns das nichts mehr ausmacht, wenn ein Kind hier sterben soll?


Ihr Lieben, den Gott, von dem hier erzählt wird, erkenne ich nicht wieder. Er passt nicht zu dem, was ich über Gott zu wissen glaube. Er passt nicht in mein Koordinatensystem von Liebe und Gerechtigkeit, Güte und Barmherzigkeit. Er passt nicht zu dem, was ich in Jesus Christus zu erkennen glaubte. Da passt rein gar nichts mehr zusammen, wenn er hier kommt und das Leben eines Kindes verlangt.

Ihr Lieben, dieser Text passt sehr gut zu dem, was die Menschen seiner Zeit erwarteten. Der alles fordernde Gott, dem selbst ein Kinderleben zu opfern ist, er passt ins Bild all dessen, was man in der damaligen Welt von Gottheiten erzählt bekommt und glaubt. Und leider, leider, leider passt der Text auch sehr gut zu dem Gottesbild, das heute noch viele Menschen mit sich herumtragen. Der allmächtige, grausam fordernde, unbarmherzig uninteressierte Gott, dem es nur um sich selbst geht. Für die Menschen seines zeitlichen Umfelds ist der Beginn dieses Texts nicht schockierend, nicht aufwühlend und unangenehm, sondern ganz einfach das, was man von einer Gottheit von vorn herein erwarten müsste.

Für die Menschen seines zeitlichen Umfelds ist das Ende des Texts eine aufwühlende Überraschung. "Der Herr sieht", nennt Abraham am Ende die Stätte und dann reden alle von dem "Berg, da der Herr sich sehen lässt." In dieser Geschichte haben sie damals etwas ganz Neues an Gott entdeckt. Unerwartet. Nie dagewesen. Herzergreifend anders, als alles, was man erwartete. Gott will nämlich gar kein Menschenopfer. Gott will nämlich gar nicht das Leben eines Kindes. In die gewohnten Gewaltsysteme dieser Welt schaltet Gott sich ein -- nicht als ein noch Stärkerer, noch Mächtiger, sondern als einer, der das ganze erwartbare Gefüge durcheinanderbringt. Gott schaft Ersatz. Er zeigt einen Ausweg. Er setzt sich ein für einen ganz anderen Ausgang der Geschichte. Den hatte keiner auf dem Radar. Ich vermute, auch Abraham nicht. Der scheint ja am Anfang gar nicht überrascht, als er loszieht, um Isaak zu opfern. "So ist das eben mit den Göttern", denkt er sich vielleicht seufzend noch. Die Überraschung für ihn kommt am Ende. Der große Aha-Moment: Gott lässt sich sehen. Und er ist anders. Anders als die anderen. Anders als das, was man kennt. Anders als die Mächte und Machtstrukturen dieser Welt. Anders als die Götter, von denen man sich erzählt. Anders als alles, was man erwartet.

Ihr Lieben, ich kann das Gottesbild des Textanfangs nicht verteidigen. Ich weiß nicht, ob Gott wirklich jemals von Abraham verlangte, sein Kind umzubringen. Es passt nicht zu dem, was ich von ihm kenne; worauf ich vertraue. Vielleicht war es auch einfach nur Abraham, der Gott so zu kennen glaubte, wie seine Zeit es ihn lehrte und der hörte, was er glaubte, hören zu müssen. Ich weiß es nicht.

Was ich kann, ist gemeinsam mit euch dahin schauen, wo man entdecken kann, wie Gott wirklich ist. Das Ende des Texts bietet Ansätze dazu--"da der Herr sich sehen lässt." Da finde ich nicht den, der umbarmherzig Menschenleben verlangt, sondern den, der sich selbst für seine Menschen einsetzt.

Ihr Lieben, als einer, der Jesus Christus nachfolgen möchte, schaue ich auch darüber hinaus. Dorthin wo sich Gott am allerbesten sehen lässt. Zu eben diesem Jesus, seinem Christus, seinem Sohn, in dem er selbst zu uns kommt. Immanuel. Gott mit uns. Wenn ich ihn anschaue, dann sehe ich keinen unbarmherzigen Machthaber. Wenn ich ihn anschaue, blickt mir die ganze Menschenfreundlichkeit Gottes ins Gesicht. Wenn ich ihn anschaue, sehe ich Liebe und Güte, Gnade, unverdiente Barmherzigkeit. Wenn ich ihn anschaue, dann sehe ich: Gott ist bereit, alles zu geben für uns. Wenn ich ihn anschaue, dann habe ich Hoffnung.

Wenn ich ihn anschaue, dann höre ich Paulus' Worte aus dem 8. Kapitel des Römerbriefs: Der auch seinen eigenen Sohn nicht verschont hat, sondern hat ihn für uns alle dahingegeben – wie sollte er uns mit ihm nicht alles schenken? (Römer 8,32)

Geliebte Gottes in Nebringen,

Wenn ich ihn anschaue, dann werde ich wütend. Nein, nicht um seinetwillen. Im Angesicht seiner Zuwendung zu mir, zu uns, zu seinen Menschen, da begegnet mir nichts, was mich ärgern könnte.

Wenn ich ihn anschaue, dann werde ich wütend, entsetzt und traurig über alle die Menschen, denen immer noch ein falsches Bild von Gott vermittelt wird. Ich werde wütend über alle Ungerechtigkeit, die Menschen gewaltsam aufgedrückt wird und die jede Hoffnung in ihnen ausgelöscht hat. Ich werde wütend über alle Erfahrungen von Gewalt, die Menschen lehren, dass alle nur gegen sie sind und dass sie selbst Gott im besten Fall einfach egal sind. Ich werde wütend über die schändliche Gewalt, die Menschen auch in unserer Kirche erlebt haben und über die, die ihnen vermittelt haben, dass sie in Gottes Nähe nicht Schutz und Sicherheit finden, sondern dass sie da auch noch ausgenutzt und ausgebeutet werden, während Gott anscheinend wegschaut. Ich werde wütend über alle, die heute diese Gottesbilder weitertragen und die bei diesem Text ganz unberührt und salbungsvoll über "gehorsame Nachfolge" reden können. Ihr wisst schon: Nachfolge kann auch Opfer bedeuten. Man muss vielleicht Sonntagmorgens früh aufstehen. Man muss vielleicht mal runterschlucken, was man dem Anderen gerne ins Gesicht sagen würde. Oder sein eigenes Kind töten, damit Gott einen liebhat.

What?

Ich bin wütend über jeden Ort, wo man so über Gott redet. Und wütend auf mich selbst, wo ich vielleicht auch schon zu solchen Gottesbildern beigetragen habe.

Am Ende, wenn ich mich ausgetobt habe mit meinem "Rant", meiner Wutrede, da bleibt mir nur die Hoffnung, das Gebet, dass ich auch heute auf Ihn zeigen kann, auf Christus, dahin "da der Herr sich zeigt". Dass ihr Gott entdeckt, wie er wirklich ist. Überraschend, wohltuend anders. Liebevoll. Zugewandt. Menschenfreundlich. Nett. Das ist es, was ich Ella heute mitgeben möchte. Auf den kann man sich nämlich wirklich verlassen und seine Gegenwart, die er für jeden Tag versprochen hat, tut unendlich gut. Das ist es, was ich euch allen mitgeben möchte. Und was ich mitnehme, für mich selbst.

So ist er wirklich, der Gott, an den ich glaube. Der sich in Jesus Christus zeigt. Der in mir lebt durch seinen Heiligen Geist.

Davon erzähle ich gerne. Dem vertraue ich mich gerne an. Das ist der Grund meiner Hoffnung.

Amen.


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 March 17, 2024  15m