Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Nach Hause tanzen


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unserem Herrn!

Auf dem Heimweg beginnt sie zu tanzen. Sie kann sich nicht mehr halten. So unbändig ist ihre Freude. Ihre Zehen beginnen zu wippen. Ihre Füße verlassen den gewohnten Trott. Ihr Herz beginnt zu hüpfen. Ihr Mund beginnt zu singen. Jubel bricht aus ihr heraus. Sie kann gar nicht mehr anders.

Aus dem Samuelbuch, dem ersten, aus dem zweiten Kapitel:

1 Und Hanna betete und sprach: Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn, mein Horn ist erhöht in dem Herrn. Mein Mund hat sich weit aufgetan wider meine Feinde, denn ich freue mich deines Heils. 2 Es ist niemand heilig wie der Herr, außer dir ist keiner, und ist kein Fels, wie unser Gott ist. 3 Lasst euer großes Rühmen und Trotzen, freches Reden gehe nicht aus eurem Munde; denn der Herr ist ein Gott, der es merkt, und von ihm werden Taten gewogen. 4 Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke. 5 Die da satt waren, müssen um Brot dienen, und die Hunger litten, hungert nicht mehr. Die Unfruchtbare hat sieben geboren, und die viele Kinder hatte, welkt dahin. 6 Der Herr tötet und macht lebendig, führt ins Totenreich und wieder herauf. 7 Der Herr macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht. 8 Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche, dass er ihn setze unter die Fürsten und den Thron der Ehre erben lasse. Denn der Welt Grundfesten sind des Herrn, und er hat die Erde darauf gesetzt. (1. Samuel 2,1-8a)

Auf dem Heimweg beginnt sie zu tanzen. Die Füße bewegen sich im Rhythmus des ihres Lieds. Oft sind diese Füße diesen Weg schon gegangen. Meist waren sie nicht so beschwingt. Hanna erinnert sich genau, wie schwer der Weg ihr oft gefallen ist. Einmal im Jahr hinauf zum Heiligtum. Ein fröhliches Ereignis eigentlich. Zeit für Feiern und für die Begegnung mit Gott, der ja, wie er es immer versprochen hatte, mitten unter seinen Leuten wohnte. Alle freuten sich immer schon lange auf dieses Fest. Nur Hanna nicht. Wo alle sich glücklich versammelten, war sie immer die Außenseiterin. Sie merkte genau, wie die Blicke der anderen sie streiften. Wie sie schnell wegschauten. Wie sie tuschelten, hinter vorgehaltener Hand.

Das letzte Mal getanzt hatte sie damals, bei ihrer Hochzeit. Da war sie jung und glücklich mit Elkana, ihrem Mann. Sie freute sich auf die Zukunft. Auf eine Familie. Auf lachende Kinderstimmen. Gehört hat sie die nie. Hanna bekam keine Kinder. Ob das einen Grund hatte? Ob Gott sie nicht mochte, aus irgendeinem Grund? Waren Kinder nicht Zeichen seines Segens, so fragten sich andere hinter vorgehaltener Hand. Warum wohl die Hanna keine Kinder bekommt?

Elkana hat zweimal geheiratet. Das war damals nichts Außergewöhnliches. Ob es klug war, das kann man hinterfragen. Oft genug führten diese Familienkonstellationen zu Zank und Rivalitäten. Elkanas Haushalt war da keine Ausnahme. Peninna, die zweite Frau, bekam nämlich Kinder. Sie war sichtbar gesegnet. Bei jeder Gelegenheit ließ sie Hanna spüren, dass sie etwas Besseres war. Jedes Jahr auf dem Weg zum Fest waren mehr fröhliche Kinderstimmen rund um Peninna. Um Hanna war es still. Zu still. Grausam still.

Irgendwann hielt sie es nicht mehr aus. Im Heiligtum schüttet sie Gott ihr verzweifeltes Herz aus. "Herr Zebaoth, wirst du das Elend deiner Magd ansehen und an mich gedenken...". Und Gott hört. Gott hört! Er hat Hanna doch nicht vergessen! "Der Herr gedachte an sie", erzählt der Bericht des Samuelbuchs, "und Hanna ward schwanger." Gott hört! Gott hört! In Hannas Sprache, auf Hebräisch heißt das "Sch'mu El". Samuel. So nennt sie den Jungen, den Gott ihr schenkt. Dass er sogar einmal einer der ganz Großen in Israel sein wird, das ahnt sie noch nicht. Aber dankbar ist sie. So dankbar, dass sie ihren Jungen schon als Kind wieder in Gottes Heiligtum bringt. Dort soll er bleiben. Er soll Gott gehören. Gott hat ja Hanna nicht vergessen. Gott hört! Hanna ist glücklich.

Auf dem Heimweg beginnt sie zu tanzen. Gott hat Großes an ihr getan. An ihr, der Außenseiterin, über die sich andere den Mund zerrissen. Gott steht nämlich immer auf der Seite der Opfer.

"Der Bogen der Starken ist zerbrochen, und die Schwachen sind umgürtet mit Stärke. Die da satt waren, müssen um Brot dienen, und die Hunger litten, hungert nicht mehr. Die Unfruchtbare hat sieben geboren, und die viele Kinder hatte, welkt dahin. Der Herr tötet und macht lebendig, führt ins Totenreich und wieder herauf. Der Herr macht arm und macht reich; er erniedrigt und erhöht. Er hebt auf den Dürftigen aus dem Staub und erhöht den Armen aus der Asche."

"Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn!" Hanna ist nicht die einzige, die singt in den Erzählungen der Bibel. Viele andere haben den Gott erlebt, der sich auf die Seite der Schwachen, der Armen, der Außenseiter stellt. Viele andere haben ihn besungen. Miriam. Deborah. Maria. Meist waren es Frauen -- da sollten wir Männer uns schon unsere Fragen stellen. Meist waren es Frauen, sicher auch, weil die damalige Gesellschaft sie von vornherein in die Reihe derer stellte, die benachteiligt waren. Machtlos. Oft auch schutzlos. "Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn!" konnten sie singen, weil sie erlebten, dass Gott das nicht einfach stehen ließ. Sie fanden ihn auf ihrer Seite. Nicht nur mit-leidend, sondern lebensverändernd. In ihm fanden sie Hoffnung und Zukunft.


Auch ihr Heimweg war ganz anders, als sie gekommen waren. Wieder sind es Frauen, die unterwegs sind. Vorher, in den frühen Stunden des Tages, war ihnen der Weg noch unendlich weit erschienen. Ihre Füße waren schwer. Ihre Augen voller Tränen. Ihre Herzen voller Dunkelheit und Verzweiflung. Den ganzen Sabbat, den Samstag, hatten sie so verbracht. Da konnten sie nur warten, durften ja nichts tun. Jetzt wollten sie endlich ihrem Freund noch die letzte Ehre erweisen. Am Freitag, vor zwei Tagen, hatten seine Feinde ihn umgebracht. Schnell hatte man ihn vor Beginn der Sabbatruhe noch in ein Felsengrab gelegt. Zurück blieben seine schockierten Anhänger:innen. Sie konnten es noch gar nicht wahrhaben. Was ist hier passiert? Nie hat sich die Dunkelheit so greifbar angefühlt. Nie schien Gott so fern, so wenig existent. Jesus ist tot! Alle Hoffnung vorbei. Mit diesen schweren Gedanken waren sie an sein Grab gekommen.

Sie haben ihn nicht gefunden.

Der schwere Stein war weggewälzt.

"Was sucht ihr den Lebenden bei den Toten?" fragten die Engel sie dort. "Er ist nicht hier, er ist auferstanden."

Er ist wahrhaftig auferstanden!

Ihr Heimweg war ganz anders, als sie gekommen waren. Ob sie auch gesungen haben? Auch getanzt?

Wir stehen im Morgen. Aus Gott ein Schein durchblitzt alle Gräber. Es bricht ein Stein. Erstanden ist Christus. Ein Tanz setzt ein.

Ein Tanz, der um Erde und Sonne kreist: der Reigen des Christus, voll Kraft und Geist. Ein Tanz, der uns alle dem Tod entreißt.

Halleluja, Halleluja, Halleluja, es bricht ein Stein. Halleluja, Halleluja, Halleluja, ein Tanz setzt ein.


Ich bin ein schlechter Tänzer. Meine Töchter könnten da viel drüber erzählen. Körperkoordination ist nicht meine Form von Intelligenz. Ich hab sogar eine Tasse bekommen, auf der "terrible dancer" steht. "Furchtbarer Tänzer".

Macht nichts. Ich tanze trotzdem. Manchmal ganz allein, wo es keiner sieht. Oder gerade vor meinen Töchtern, die das dann lustig finden.

Besonders juckt es mich in den Tagen vor Ostern in den Beinen. Der Pfarrer ist allen anderen da ja ein Stück voraus: Während wir noch in der Passion die Leiden Christi bedenken, muss ich schon die Ostergottesdienste vorbereiten. Allein wenn ich die Liedtitel lese, kann ich mich kaum noch zurückhalten: "Auf, auf mein Herz, mit Freuden, entdeck, was heut geschieht!" "Gelobt sei Gott im höchsten Thron, samt seinem eingebor'nen Sohn, der für uns hat genug getan." Und schon bekomme ich es gar nicht mehr aus dem Kopf: "Halleluja, Halleluja, Halleluja!" Meine Zehen beginnen zu wippen. Mein ganzer Körper bewegt sich im Takt. Ich tanze an meinem Schreibtisch.

Halleluja, Halleluja, Halleluja, es bricht ein Stein. Halleluja, Halleluja, Halleluja, ein Tanz setzt ein.

Wie sollte ich mich nicht freuen? Christus ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!


Am Freitag noch habe ich über Gottverlassenheit gepredigt. Über Dunkelheit. Über hoffnungslose Opfer. Die Frauen am Grab spüren das noch in den Knochen. Hanna auf dem Heimweg kann sich noch gut an die schweren Jahre erinnern. Ostern macht das ja alles nicht ungeschehen. Auferstehung wischt das Leid ja nicht einfach weg. Auch heute ist das noch überall auf der Welt sichtbar. Und es ist ja auch gut, dass all das Schwere auch bei Gott nicht einfach in Vergessenheit gerät. Die Botschaft vom Karfreitag bleibt: Gott wertet das Opfer, wertet die Opfer, die Leidtragenden dieser Welt, auf, indem er sich nicht nur an ihre Seite stellt, sondern selbst ihren Platz einnimmt. Gott ist bei den Opfern. Gott ist bei den Hoffnungslosen. Gott ist bei den Gottverlassenen. Gott ist sogar bei den Sterbenden. Er ist einer von ihnen. Er ist "sie alle", so wenig Sinn das grammatisch machen mag.

Aber heute ist Ostern. Heute sehen wir, dass Gott nicht nur mitleidet. Er verwandelt auch. Er erweckt seinen Christus zu neuem Leben. Er überwindet den Tod. Er besiegt das Dunkel. Er macht ein Ende mit der Herrschaft des Bösen. Er ist Hoffnung. Unsere Hoffnung. Wir haben Hoffnung! Was mit Christus begonnen hat, wird die ganze Schöpfung verwandeln. Das ist uns nun gewiss. Denn: Er ist auferstanden! Er ist wahrhaftig auferstanden!

Wenn das kein Grund zum Tanzen ist...


Ob der Luca wohl nachher auf dem Heimweg tanzt? Schließlich hat er heute, am Ostermorgen, am schönsten aller Tauftage, die Heilige Taufe empfangen. Gott hat ihm sein "Ja" zugesagt. Gott hat ihm seine Gegenwart zugesagt -- die Gegenwart des auferstandenen Christus selbst, lebendig durch seine Geistkraft in Lucas Leben. Wenn das kein Grund zum Tanzen ist! Gott hat ihm Leben versprochen -- nicht nur einfache, biologische, zeitlich begrenzte und dem Verfall preisgegebene Existenz auf dieser Welt, sondern: Echtes Leben. Das Leben des Christus selbst. Schon hier und jetzt und dann in Fülle über den Tod hinaus. Wenn das kein Grund zum Tanzen ist!


Wir werden keine Zeit haben, zu schauen, ob Luca tanzt, nachher auf dem Heimweg. Wir werden zu beschäftigt sein, auf unsere eigenen Füße zu achten. Schließlich sind wir doch alle mit derselben freudigen Gewissheit unterwegs: "Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn!" Wir haben doch alle teil an dem, was er versprochen hat. Wir sind doch die Gemeinde des auferstandenen Christus. Wir sind doch die, die durch seine Auferstehung Hoffnung haben. Wenn das kein Grund zum Tanzen ist!

Nach Hause tanzen...

Damit meine ich nicht nur die paar Meter bis ins heimische Wohnzimmer. An Ostern machen wir uns neu bewusst, dass unser ganzes Leben ein Heimweg ist. Schließlich hat der Christus vom leeren Grab uns doch eine große Zukunft versprochen: Ein neues Zuhause. Für immer. Bei ihm. Wir haben Hoffnung:

Euer Herz erschrecke nicht! Glaubt an Gott und glaubt an mich! In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn's nicht so wäre, hätte ich dann zu euch gesagt: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten? Und wenn ich hingehe, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf dass auch ihr seid, wo ich bin. (Johannes 14,1-3)


Bis wir dort sind, werden unsere Füße noch manche Wegstrecke zu gehen haben. Nicht jeder Schritt wird uns leichtfallen. Wenn wir auf ihn schauen, den Auferstandenen an unserer Seite, dann gehen wir wieder beschwingter. Vielleicht beginnen die Zehen zu wippen. Die Füße verlassen den gewohnten Trott. Das Herz beginnt zu hüpfen. Der Mund beginnt zu singen. Jubel bricht aus mir heraus. Ich kann gar nicht mehr anders.

"Mein Herz ist fröhlich in dem Herrn!"

So will ich nach Hause tanzen.

Wenn ihr wollt, dann tanzt doch mit...

Amen.


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 March 31, 2024  15m