Christoph predigt

Predigten von Pfarrer Christoph Fischer, Gäufelden

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Der mein Gebet nicht verwirft


Gnade mit euch und Friede von Gott, dem Vater, und von Jesus Christus, unsrem Herrn!

7 Der Herr sprach aber zu Mose: Geh, steig hinab; denn dein Volk, das du aus Ägyptenland geführt hast, hat schändlich gehandelt. 8 Sie sind schnell von dem Wege gewichen, den ich ihnen geboten habe. Sie haben sich ein gegossenes Kalb gemacht und haben's angebetet und ihm geopfert und gesagt: Dies sind deine Götter, Israel, die dich aus Ägyptenland geführt haben. 9 Und der Herr sprach zu Mose: Ich habe dies Volk gesehen. Und siehe, es ist ein halsstarriges Volk. 10 Und nun lass mich, dass mein Zorn über sie entbrenne und sie verzehre; dafür will ich dich zum großen Volk machen. 11 Mose wollte den Herrn, seinen Gott, besänftigen und sprach: Ach, Herr, warum will dein Zorn entbrennen über dein Volk, das du mit großer Kraft und starker Hand aus Ägyptenland geführt hast? 12 Warum sollen die Ägypter sagen: Er hat sie zu ihrem Unglück herausgeführt, dass er sie umbrächte im Gebirge und vertilgte sie von dem Erdboden? Kehre dich ab von deinem glühenden Zorn und lass dich des Unheils gereuen, das du über dein Volk bringen willst. 13 Gedenke an deine Knechte Abraham, Isaak und Israel, denen du bei dir selbst geschworen und verheißen hast: Ich will eure Nachkommen mehren wie die Sterne am Himmel, und dies ganze Land, das ich verheißen habe, will ich euren Nachkommen geben, und sie sollen es besitzen für ewig. 14 Da gereute den Herrn das Unheil, das er seinem Volk angedroht hatte. (Exodus 32,7-14)

Aus dem Exodusbuch, dem zweiten Mosebuch, aus dem 32. Kapitel.

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft.

Gelobt sei Gott...

Außer, wenn er nicht da ist.

Wenn er gar nicht empfangsbereit ist für meine Gebete.

Wenn er mich allein lässt.

In der Wüste.


So haben sie sich nämlich wohl gefühlt--das große Volk, dass dort zu am Fuß des Sinai in der Wüste lagert. Ihr erinnert euch sicher: Gott hat sie aus Ägypten geführt. Eine lange Geschichte: Sklaverei, die Unterdrückung durch den Pharao, die Verzweiflung, dem allem ausgeliefert zu sein. Dann kam Gott ins Spiel. Völlig untypisch für alles, was man in der Antike über Götter zu wissen glaubt, gibt sich da einer dem Mose in der Wüste zu erkennen: Ich bin der Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Ich bin für euch da. Mit der Kraft dieses Gottes an seiner Seite tritt Mose dem mächtigen Pharao entgegen--so lange, bis er endlich überzeugt ist: Lass mein Volk ziehen! Es geht los, hinaus aus Ägypten, dann--das große Wunder!--durchs Rote Meer. Gott führt sein Volk hinaus. Gott geht selbst voran, in der Wolken- und Feuersäule, und Mose, der Mann Gottes hinterher. Gott teilt selbst das Meer, dass alle trocken durchziehen können (alle, außer die Feinde, die ihnen hart auf den Fersen waren). Gott sorgt selbst für sie, schenkt Wasser in der Wüste, Manna vom Himmel. Er führt sein Volk. Hierher, zum Sinai. Er begegnet ihnen auf diesem Berg. Er schließt einen Bund mit ihnen für alle Zeiten. Er schenkt Verheißung und Segen. Er ruft Mose, stellvertretend für das ganze Volk, auf den Berg zu sich herauf, ganz in seine Nähe.

Und das war's dann.

Seither ist Funkstille.

Seither hat man von Gott nichts mehr gehört.

Und von Mose auch nicht.

Vierzig Tage lang schon.

Mitten in der Wüste.


Da sitzen sie jetzt. Was sollen sie tun? Wo sollen sie hin? Wie soll es weitergehen? Die Wüste ist ein unheimlicher Ort, wenn man orientierungslos ist. Die Wüste wird zur Krise. Manche wünschen sich schon nach Ägypten zurück. Andere sehen schon ihr Ende gekommen. Und keiner löst das alles auf.

Wüste. Krise. 40 Tage lang.

Die Zahl 40 taucht immer wieder in solchen Momenten in den Erzählungen der Bibel auf. 40 Tage hat Noahs Familie in der Arche ausgeharrt, während draußen der Regen fiel und die Fluten tobten. Ob das jemals noch einmal anders werden würde? 40 Tage sind eine lange Zeit. 40 Tage fastet Jesus in der Wüste. Am Ende wird er vom Bösen versucht. Die ganze Bandbreite. Dem ist man ausgeliefert in dieser 40er-Zeit. 40 Tage sind lang. Nervenzehrend. Zermürbend. Fragt meine Schüler: Selbst vierzig Minuten können wie eine Ewigkeit scheinen. 40 Tage in der Wüste--in Israel ahnt man ja noch gar nicht, dass es am Ende 40 Jahre sein werden.

40 Tage allein. Keiner zum Reden. Keiner da, der klare Antworten gibt. Keiner, der die Krise auflöst. Keiner, der sagt: "Wir haben Hoffnung."

40 Tage Funkstille.


Kann man es ihnen wirklich verdenken, dass sie irgendwann selbst nach einer Lösung gesucht haben? Sie haben sich schlicht und einfach bei dem bedient, was sie kannten. Sie hatten es in Ägypten gelernt und eigentlich bei allen Völkern in ihrem Umfeld: Wenn man keinen Gott findet, mit dem man reden kann, dann schafft man sich eben einen. Ein Symbol zumindest. Das tun sie, mitten in der Wüste. Man lernt ihre Not verstehen, wenn man sieht, wie viel ihnen das wert ist. Sie sind bereit, ganz schön viel herzugeben, um wieder einen Ansprechpartner zu haben. Ihr Besitz, das Gold, das sie schmückte, wird zum Rohstoff ihres neuen Gottes. Was uns heute seltsam erscheint, ergibt in ihrem Umfeld durchaus Sinn: Das goldene Kalb, ein junger Stier eigentlich, ist Zeichen für Schönheit und Wert und Stärke. Ein Gott, genau wie sie ihn zu brauchen glauben. Endlich ist da eine Lösung. Grund, zu feiern. Das Ende der Krise?

Hören wir doch auf, über die, die da ums goldene Standbild tanzen, die Nase zu rümpfen. Schließlich kennen wir ihre Situation doch selbst zur Genüge! Sind wir nicht auch mitten in der Wüste? Zumindest fühlt es sich manchmal so an. Krisen kennen wir zur Genüge. Corona, Krieg, Klima, Ukraine, Israel und Gaza. Es scheint gar kein Ende zu nehmen. Und längst sind es viel, viel mehr als nur 40 Tage. Wir sind doch quasi im Dauerkrisenmodus. Und ohne einen, der da spricht. Der klare Lösungen hat. Der uns den Weg heraus zeigt aus dieser Wüste. Den Weg nach vorn, ins gelobte Land, das wir uns erhoffen. Längst basteln viele von uns doch auch an den einfachen Lösungen. Wir fallen auf einfache Parolen herein. Wir glauben Gerüchten aus dem Internet, die vorgeben, uns die Welt zu erklären. Wir machen Schuldige aus, an denen angeblich alles hängt. Wir setzen unsere Hoffnung auf selbstgebaute Werte. An jeder Ecke findet man goldene Kälber!


Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.

Wenn man doch einen zum Reden hätte!


Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.


Szenenwechsel.

Oben auf dem Berg ist Mose. Der hat 40 Tage in Gottes Gegenwart verbracht. Die Zeit verging wie im Flug. Hier könnte man ewig bleiben. Er hat einen Ansprechpartner. Den besten, den es überhaupt geben kann.

Obwohl...

Als Gott Mose aus seinen erbaulichen Gedanken reißt, als wir endlich beim heutigen Predigttext angekommen sind, da kann man sich genauso an dem Gottesbild reiben, wie unten, bei den tanzenden Israeliten. Ich bin da ganz ehrlich: Der Text stößt mir sauer auf! Der Gott, der sich aus Zorn zur Vernichtung hinreißen lässt, der jenseits all seiner Bünde und Verheißungen nicht mehr "sein Volk", sondern nur noch "dieses Volk" kennt, der ist mir fremd. Der hat so wenig mit dem zu tun, was ich an Jesus Christus gesehen habe. Ich zucke zusammen bei dieser Vorstellung. Ich kann sie nicht verteidigen, auch wenn sie in der Bibel steht. Ich kann sie nur wahrnehmen und zur Kenntnis nehmen, dass die Menschen damals Gott so erlebt haben. Und, so vermute ich, nicht wenige heute auch noch.

Mose geht es wohl genau so. Und der traut sich was. Der redet ganz unverblümt mit Gott: So geht das nicht! Das kannst du doch nicht machen! Du kannst doch nicht einfach alles ignorieren, was du versprochen hast! Du machst dich doch zum Gespött der Völker! Du hast doch versprochen, bei uns zu sein und uns zu segnen. Nicht nur uns selbst. Auch denen, die vor uns waren. Abraham hast du Segen für seine Nachkommen verheißen. Bist du nicht mehr der Gott Abrahams?

Mose betet.

Ganz anders, als wir uns das vorstellen. Kein auswendig gelernter Text. Keine wohlformulierte, salbungsvolle Liturgie. Da singt niemand "Kyrie" und keiner antwortet: "Herr, erhöre uns!" nach jeder Bitte. Das ist kein Fürbittgebet in fünf Abschnitten, das dann unter Glockenklang ins "Vater unser" mündet.

Mose knallt Gott seinen ganzen Frust hin. Er schüttet sein Herz aus. Er argumentiert. Er schimpft. Er klagt. Er erinnert.

Gott hält das aus.

Beten darf das.

"Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott", meint unser Reformator Johannes Brenz -- und wir sollten vielleicht einen Augenblick lang einmal die Kategorien vergessen, die er dann gleich mit anfügt ("Bitte und Fürbitte, Dank und Anbetung"), weil wir dann gleich wieder an die kirchlichen Formen denken, die uns so vertraut geworden sind. (Schon vor Jahren haben die Konfis übrigens festgestellt, dass mindestens die Klage in dieser Aufzählung völlig fehlt.)

Das Gebet ist ein Reden des Herzens mit Gott. Beten heißt, mit Gott ins Gespräch kommen. Beten heißt, ihm alles sagen zu dürfen. Alles. Nicht nur das wohlformulierte, kirchentaugliche. Alles.


Bringt's das überhaupt? "Funktioniert" beten denn, werde ich immer wieder gefragt.

Vielleicht muss man da erst einmal drüber nachdenken, was mit "funktionieren" denn gemeint ist.

Meistens geht es da um "Gebetserhörung". Ich bringe meine Wünsche vor Gott und dann soll er gefälligst tätig werden. Er weiß ja jetzt, was ich brauche. Wenn er alles kann und es gut mit mit mir meint--dann mal los! So müsste Gebet doch "funktionieren" wird da oft unterstellt. Und die, die meinen, Gott verteidigen zu müssen, finden dann oft einfache Erklärungen für alle die Momente, in denen es nicht "funktioniert". Vielleicht hast du irgendwas falsch gemacht. Vielleicht war nicht genügend Glaube da. Vielleicht läuft irgendwas in deinem Leben schief und du müsstest das erst mal in Ordnung bringen. Jedenfalls muss es irgendwie an dir liegen, wenn Gebet nicht "funktioniert". Ich frage mich manchmal, was solche Menschen zu Jesus gesagt hätten, der im Garten Getsemane betet, kurz bevor er verhaftet wird: "Lass diesen Kelch an mir vorüber gehen."

Im Gespräch mit meiner Frau oder mit meinen Kindern fällt mir immer wieder auf, dass ich Dinge sage und mein Gegenüber am Ende dann trotzdem macht, was es will. Nicht immer scheint das, was ich sage, zu "wirken". In anderen Gesprächen ist das anders: Wenn ich beim Bäcker nach fünf Brezeln und einem Laib Bauernbrot verlange, bekomme ich in der Regel genau das: Fünf Brezeln und einen Laib Bauernbrot. Da "funktioniert" mein Reden ganz anders. Man könnte daraus schließen, dass es mehr "bringt", mit dem Bäcker zu reden, als mit meiner Frau. Ich rede immer noch gerne mit ihr. Weil Reden doch viel mehr ist als bestellen und bekommen.

Reden setzt mich in Beziehung. Reden macht etwas mit unserem Miteinander -- in den meisten Fällen gäbe es gar kein Miteinander, wo wir nicht miteinander reden. Reden hilft mir, zu verstehen. Zuallererst mich selbst. Ich lerne ganz viel, indem ich es ausspreche, mit einer anderen Person darüber rede. Es hilft ganz viel, Dinge aussprechen zu können. Wie oft sitzen bei mir im Pfarrbüro Menschen, die einfach froh sind, dass ihnen jemand zuhört--selbst wenn ich gar nicht auf wundersame Weise mit der Auflösung aller ihrer Probleme antworten kann. Das Gespräch mit anderen verändert mich. Es macht etwas mit mir.

Mit anderen Reden zu können, macht Freude. Es erleichtert mich. Es verändert mich. Es tut mir gut, Dinge sagen zu können. Es hilft mir, mich selbst und andere besser zu verstehen. Ich lerne, im Reden. Ich entlaste mein Herz, wenn ich unangenehmes loswerden kann. Uns Schwaben sagt man dafür ja ein besonderes Faible nach: Im "Brudla" sind wir Weltmeister. Aber selbst da hilft es mir mehr, das aussprechen zu können, als es in mich hineinzufressen.

Bringt's das überhaupt? "Funktioniert" beten denn?

Mit Gott kann ich über alles reden. Nein, er ist kein Wunsch-Automat, in den man oben ein Gebet hineinwirft und unten eine Wunscherfüllung herauszieht. Aber er ist da. Er bietet sich immer als Gesprächspartner an. Er interessiert sich für das, was ich ihm sage. Er hört zu, wenn ich ihm mein Herz ausschütte. Es wird ihm nicht zu viel, wenn ich klage. Im Reden mit ihm wird in mir wieder groß, was mich die Wüste schon fast vergessen ließ: Wir haben Hoffnung.

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.


Gott lässt mit sich reden. Dass es ein echtes Gespräch ist, kann ich hier bei Mose entdecken. Am Ende "gereute den Herrn das Urteil, das er seinem Volk angedroht hatte". Gott hört nicht nur stumm zu und tut dann, was er schon immer wollte. Er ist kein unbewegtes Gegenüber, das mir halt erlaubt, einmal alles zu sagen, damit es gesagt ist. Dann könnte ich auch zu einer Wand reden. Oder mit ChatGPT. Gott geht ganz echt mit uns ins Gespräch. Das finde ich großartig. Grund genug, dieses Gespräch immer wieder zu suchen. Nicht nur hier im Gottesdienst. Sondern überall im Leben. In allen Situationen.

Ganz besonders in der Wüste. Und nicht erst nach 40 Tagen.

Es lohnt sich immer.


Die Wüstenzeit ist dadurch nicht automatisch zu Ende. Die Wünsche sind nicht alle erfüllt. Einfache Lösungen sind oft weiterhin nicht aufzufinden. 40 Tage sind immernoch eine lange Zeit--und vierzig Jahre sowieso. Aber es hat sich etwas verändert: Ich bin nicht mehr allein mit meiner Krise. Ich habe Gott an meiner Seite. Ich kann mit ihm reden. Und mit ihm zu reden verändert zuallererst mich. Manchmal dann auch die anderen Dinge.

Gelobt sei Gott, der mein Gebet nicht verwirft noch seine Güte von mir wendet.

Amen.


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