Wo steht die Wissenschaft?

Kompakt, zeitgemäß, anregend – Wir machen uns auf die Suche nach den aktuellen Grenzen der Forschung. In 30-minütigen Episoden widmen wir uns je einem Thema, schauen uns an wie in der Öffentlichkeit darüber berichtet wird und wie es tatsächlich hinter den Labortüren aussieht. Neue Episoden immer am letzten Samstag im Monat!

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episode 2: Lebe lang und in Frieden


 „Bleib noch lange gesund!“; „Bleib uns noch lange erhalten!“, so und ähnlich lauten typische Glückwünsche, die man seinen Liebsten übergibt. Grundsätzlich ist der Wunsch nach einem langen Leben einer, der mit unserem Trieb nach Selbsterhaltung tief in uns verankert ist.

Langlebigkeit und im noch größerem Maß die Unsterblichkeit sind zentraler Bestandteil von Mythologie und Religion[1]. In den heutigen Zeiten der Medizin scheinen wir diesem erträumten Ziel immer näher zu kommen. Wie genau wir herausfinden, was uns zu einem langen Leben führt; warum „Anti-Aging“-Produkte definitiv nicht der richtige Weg sind und wie du dein Leben nach den aktuellen wissenschaftlichen Ergebnissen verlängern kannst, erkläre ich in dieser Episode.

Herzlich willkommen, ich bin Lukas und das ist Episode 2: Lebe lang und in Frieden

Werfen wir erstmal wieder einen kurzen in die Geschichtsbücher und schauen den Ursprung der Forschung an. Bereits im 19. Jahrhundert wurde das Alter, das von manchen Menschen erreicht wird als komplexes Merkmal verstanden[2]. Bereits 1842 wurden daher systematisch biologische, gesellschaftliche und demographische Einflüsse untersucht[3]. Wie bereits letzte Woche besprochen hat sich seitdem viel verändert und bessere Versorgung und Verständnis in Bezug auf lebensbestimmende Faktoren wie sauberes Wasser, Ernährung und medizinische Behandlung führen zum Ansteigen der Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten[4]. Damit erreichen größere Teile der Population ein hohes Alter und ermöglicht so die Analyse der Faktoren, die ein langes Leben unterstützen.

Aber erstmal stellt sich die Frage: Warum ist unsere Lebenszeit überhaupt begrenzt? Wäre es für den biologischen Erhalt der Art nicht am effizientesten, wenn das Individuum selbst weiterlebt anstatt sich mit einem so umständlichen Prozess wie der Fortpflanzung beschäftigen zu müssen? Eine mögliche Theorie dafür verweist auf die Evolution[5]: Organismen müssen sich an ihre Umwelt anpassen um zu überleben. Dadurch gibt es einen Druck sich zu verändern, um dadurch eine Überlebensmöglichkeit im Ökosystem zu finden, eine sogenannte „ökologische Nische“. Die Ausnutzung des Individuums seiner Nische bestimmt Überlebenserfolg und je besser ein Organismus an seine Umwelt angepasst ist, umso größer ist dann auch der Erfolg sich fortzupflanzen; soweit zum Grundprinzip der Selektion.

Bei uns Menschen funktioniert dieses System aber nicht: unsere grundsätzliche Versorgung ist gegeben und damit bestimmt das Finden und Nutzen einer ökologischen Nische nicht unsere Lebensdauer. Stattdessen müssen wir uns eine eigene Umgebung  schaffen, in der wir idealerweise in der Lage sind eigene Entscheidungen zu unseren Lebensgewohnheiten zu treffen[6]. Das heißt: jedem Individuum wäre es möglich selbst zu entscheiden über Bildung, Unterkunft, körperliche Aktivitäten, sozialen Umgang, Ernährung, Rausch- und Stimulanzmittelkonsum (Alkohol, Rauchen), medizinischer Pflege, religiöse Identität. Das stimmt natürlich nicht in vollem Ausmaß, aber im historischen Vergleich sind wir diesem idealisierten Zustand so nah wie noch nie.

Das heißt also, nicht die Umgebung gibt unsere Lebensgewohnheiten vor, sondern wir selbst. Logischerweise führt dies zu einer extremen Vielfalt in der Gesellschaft und einer Individualisierung der Lebensgewohnheiten. Und doch scheinen sich darin gewisse Populationen zu finden, die durch ihre Vermehrung eine gewisse evolutionäre Entwicklungsrichtung vorgeben[7], mit dem Ergebnis, dass bestimmte Populationen ein höheres Durchschnittsalter erreichen.

Um exakt darüber reden zu können, was ein langes Leben bedeutet, rein mathematisch gesehen, muss erst definiert werden worüber man redet. Das ist nicht so leicht wie man denkt, da Begriffe oft nicht klar abgegrenzt sind oder schlicht keine allgemeingültige deutsche Übersetzung existiert.

Wie misst man also das Alter, welches eine Person erreichen kann? Als erstes fällt wohl der Begriff „Lebenserwartung“. Dieser ist jedoch bei unserer Zielstellung nutzlos, da er sich darauf bezieht, welches Alter ein Individuum erwartungsgemäß, auf Basis der Population in der es lebt, erreichen wird. Ein theoretisches Beispiel: in einer Gesellschaft sterben 50 % sehr jung und 50 % sehr alt, in einer anderen erreichen 100 % ein mittleres Alter. Beide hätten die gleiche Lebenserwartung.

Wir wollen jedoch, dass jede einzelne Person ein möglichst hohes Alter erreicht. Das heißt, wir legen als Grundlage, dass wir ein maximales Alter erreichen können, dass durch unsere biologischen Voraussetzungen vorgegeben ist und als „Lebensspanne“ bezeichnet wird. Und dann wollen wir, dass jedes Individuum der Gesellschaft in der Lage ist, diese Lebensspanne auszureizen. Dieser Zustand wird dann als „Langlebigkeit“ definiert[8]. Durch die bereits erwähnten Verbesserungen in Versorgung und Verständnis erreichen immer mehr Menschen ein hohes Alter, sodass wir mittlerweile „Langlebigkeit“ oft mit dem Überschreiten eines Alters von 100 Jahren verbinden.

Nun da wir wissen, was mit einem langen Leben gemeint ist müssen wir einen persönlicheren Blick auf das Thema werfen, um zu verstehen wie wir in der heutigen Gesellschaft mit dieser Problematik umgehen.

Abseits der Forschung zu den Fragen des langen Lebens stehen 2 andere im Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Zurecht, denn sie bestimmen maßgeblich die eben erwähnte individuelle Lebensplanung. Daher hier Frage 1: Wie lange willst du eigentlich leben?

Wären wir einfach gestrickt und würden nur nach dem universellen Instinkt der Vermeidung von Tod und Verlängerung des Lebens agieren, wäre die Antwort: „Solange wie irgend möglich.“. Aus der Formulierung lässt sich schon schließen, dass diese von Siegmund Freud aufgestellte These nicht so zutrifft[9]. Ein simples Gegenbeispiel: die Furcht vor bestimmten Lebensbedingungen ist manchmal größer als der Wille zum Überleben[10]. Ein typischeres Beispiel ist, dass wir uns bewusst für Tätigkeiten entscheiden, die die Lebensdauer oder die Dauer des gesunden Lebens verkürzen[11]. Dieses Vorgehen wird als „Time-trade-off“, also als den Austausch von Lebenszeit gegen die Erwartung eines glücklicheren Lebens bezeichnet und findet sich in Sprüchen, wie „Eine Zigarette verkürzt das Leben…“, oder „5 Minuten Lachen am Tag…“ wieder. Nicht zuletzt stellen wir auch Erwartungen an ein hohes Alter, welche dann an unseren Willen geknüpft sind, dieses Alter zu erreichen. Demnach hoffen Menschen mit optimistischen Erwartungen auf ein längeres Leben und richten ihr Leben dann auch eher danach aus, dieses zu erreichen[12].

Die zweite große Frage scheint für viele so persönlich und eine Lösung so greifbar, dass sich darum eine Milliardenindustrie bilden konnte. Denn mit dem Wunsch ein langes Leben zu führen kommt logischerweise auch die Bedingung dass man für möglichst lange Zeit aktiv und gesund bleibt. Denn ein hohes Alter selbst genügt nicht.  Also wird als Gegenstück zum „alt sein“, die Jugend vermarktet und die öffentliche Diskussion dreht sich oft darum, jung zu bleiben, geistig und körperlich. Und dabei heißt körperlich hier nicht nur „die Funktionsfähigkeit deines Körpers betreffend“, sondern schlichtweg „körperliche Erscheinung“. Um Begriffe wie „Anti-Aging“ und „Verjüngung“ konnte sich daher ein ganzer Industriezweig entwickeln, der weniger auf tatsächliche Gesundheit abzielt, als die allgemeine Erscheinung und die persönliche Selbstwahrnehmung. Dieser besteht dann an der Schnittstelle zwischen Pharmazeutika, also Präparate mit medizinischem Nutzen, und Kosmetika mit rein äußerlichem Effekt. Haarmittel, Hautcremes, Injektionsmittel, Mundpflegemittel mit genau diesem Ziel bilden mittlerweile einen Markt der weltweit knapp 47 Milliarden Dollar wert ist und jährlich wächst[13]. Dieser Erfolg lässt sich vielfach erklären, sie sind einfach verfügbar, versprechen Wirkung ohne großen Aufwand, sind weniger reguliert als Medikamente und sind dadurch weniger genau in ihrer Wirkung definiert. Sie lassen sich leicht bewerben und das auch mit Begriffen wie „organisch“ oder „natürlich“. Das Problem dabei ist aber: die Effekte sind nicht direkt sichtbar und Wirkungslosigkeit lässt sich nur schwer nachweisen und noch schwerer lassen sich Konsequenzen für die Vermarktung der Produkte ziehen[14]. Medizinische Effekte, geschweige denn verjüngende Effekte, häufig nicht wissenschaftlich belegt und der Einsatz gilt dann nur auf der Vertrauensbasis, dass ein Langzeiteffekt eintritt, welcher dann natürlich auch mit langfristige Einnahmen für den Hersteller des Produkts einhergeht.

Trotzdem kann bei manchen Produkten eine Wirkung beobachtet werden, so etwa beim Zusatz von Antioxidantien in Hautcremes. Aber dabei muss beachtet werden, ob der Effekt tatsächlich durch eine Veränderung der biologischen Aktivität kommt. Es macht hier also einen Unterschied ob eine Creme die Haut nur vor UV-Strahlen schützt oder aktiv der Haut hilft sich vor UV-Strahlung zu schützen[15].

Am Ende des Tages kann gesagt werden: keine Hautcreme oder Haarshampoo hat eine tatsächliche Wirkung auf den biologischen Zustand deines Körpers. Alles was als „Anti-Aging“ verkauft wird führt nicht zu einem längeren Leben und kann noch viel weniger als medizinische Lösung gegen das Altern gesehen werden.

Wechseln wir stattdessen nach Italien, auf die Insel Sardinien um genau zu sein. Mediterranes Essen, ein Glas Rotwein, gemeinsames Musizieren zum Entspannen, klingt idyllisch. Hier in der Region „Barbagia“ fanden 2004 die Forscher um Michel Poulain und Giovanni Mario Pes ein etwa 10-Mal höheres Aufkommen von Über-Hundertjährigen als in den USA. In ihrer Publikation dazu wurde die Region blau gekennzeichnet und dementsprechend als „blaue Zone“ bezeichnet[16]. Dieser Begriff wurde aufgegriffen von Dan Buettner. Dieser ist zwar selbst kein Forscher aber faszinierte sich für diese Außergewöhnlichkeit. Er gründete die Blue Zone Foundation und begann mit der intensiven Förderung der Forschung rund um dieses Thema.

Ein Jahr später, 2005, stellte er im Magazin National Geographic die Reihe „The Secrets of Long Life” vor, „Die Geheimnisse des langen Lebens” also. Er definierte neben der sardinischen Regionen noch 4 weitere als „blaue Zonen“: die Okinawa-Inseln in Japan, Loma Linda, eine Gemeinschaft der Siebenten-Tags-Adventisten in den USA, die Nicoya-Halbinsel in Costa Rica und die Insel Ikaria in Griechenland. Gemeinsam haben diese neben dem erhöhten Anteil an Menschen, die älter als 100 werden, dass sie kleine, von der Außenwelt abgetrennte Gemeinschaften von wenigen Hunderten bis Tausenden Bewohnern sind. In dieser Gemeinschaft existiert eine besondere soziale Komponente, die auf die Familie und einen engen Freundeskreis fokussiert sind, sowie kulturell verankerten Methoden zur Stressbewältigung und zum Glauben[17].

Daraus folgte das Fazit, dass Langlebigkeit durch einen gewissen, vermarktbaren, Lebensstil bestimmt wird. Diese These brachte Dan Buettner viel Aufmerksamkeit: Bücher, Interviews und Bühnenauftritte, häufig mit dem Aufhänger Leuten zu zeigen, wie sie selbst über 100 Jahre alt werden können. Buettners Prinzipien wurden dann auch in groß angelegten Experimenten in US-amerikanischen Städten getestet, die erste darunter: Albert Lea, Minnesota, 9000 Einwohner. Maßnahmen förderten mehr körperliche Aktivität durch Laufen und Fahrradfahren. Supermärkte schaffen Anreize für gesunde Ernährung durch Bewerbung von Obst, Gemüse und Wasser. Restaurants sollten einen größeren Fokus auf pflanzliche Ernährung legen. In Schulen wurden Süßigkeiten und andere Snacks verboten. Das Ergebnis: Menschen lebten gesünder. Verlängerung der mittleren Lebenserwartung um etwa 3 Jahre, mittlere Abnahme des BMI um 14 % und eine Abnahme der Kosten im Gesundheitswesen um 40 %[18]. Ob diese Schritte auch genau die sind, die zur Existenz der blauen Zonen führen ist fragwürdig, jedoch zeigt sich, dass es nur kleine, meist logische Schritte in die richtige Richtung brauch um einen positiven Effekt zu erreichen.

Daher bleibt der Ansatz Buettners nicht ohne Kritik, da die gezogenen Rückschlüsse oft nur auf oberflächlichen Beobachtungen beruhen und sich nicht auf die zugrunde liegende Faktoren konzentrieren. Daher gilt es nun allgemein gültigere Ursachen aufzudecken. Eine Hypothese entstand bereits 1996 durch Anna Maria Herskind, James Vaupel und weiteren Forschenden, nach welcher die Ursachen für Langlebigkeit zu etwa 25 % genetisch sind. Ermittelt wurde dies anhand von 2872 Zwillingspaaren, manche eineiig, manche zweieiig. Eineiige Zwillinge sind genetisch identisch, sollten also bei 100 % genetischem Einfluss dasselbe Alter erreichen, genau umgekehrt bei zweieiigen Zwillingen. Stattdessen fand man Zustand dazwischen, aus dem sich herleiten ließ,  wie sehr genetische und nicht-genetische Faktoren das erreichbare Alter beeinflussen[19].

Es gibt also keine genetische Konfiguration, die Langlebigkeit bedingt, aber ein Beitrag besteht. Um die exakten Gene zu finden kann man die genetischen Unterschiede junger und alter Individuen einer Population untersuchen oder Modellorganismen gezielt nach einer hohen Lebensspanne selektieren[20]. Dabei wurde eine Vielzahl an möglichen Regionen gefunden, zu den meisten herrschen verschiedene Ergebnisse. Hier will ich kurz 3 Regionen vorstellen, deren Einfluss kaum mehr angezweifelt werden kann: APOE, FOXO3, CHRNA3/5

APOE[21] kodiert für ein Strukturprotein, das am Transport von Fetten im Blut beteiligt ist. Eine Variation im Gen wurde mit einem verringertem Abbau der kognitiver Fähigkeiten im Alter[22], sowie einem niedrigeren Risiko für Alzheimer[23] und koronaren Herzkrankheiten verknüpft[24].

CHRNA3/5[25] kodieren für Teile eines Transmitterrezeptors im Hirn. Genetische Variationen beeinflussen die Wirkung von Nikotin und damit möglicherweise dessen Abhängigkeitspotential[26]. Im Zusammenhang dazu stehen dann das mit dem Tabakkonsum verbundene Auftreten von Lungenkrebs[27] und chronischen Lungenerkrankungen[28].

Der Einfluss von FOXO3 wurde erstmals erstmals 2009 von der Kieler Forschungsgruppe um Almut Nebel und Friederike Flachsbart in Deutschen über 100-Jährigen nachgewiesen [29]und popularisiert als das „Methusalem- oder Langlebigkeits-Gen“. Die Varianten, welche den Effekt hervorrufen bestimmen den Level an entstehendem Protein über einen komplexen Mechanismus[30], welcher auf der zellulären Stressreaktion auf Nährstoffmangel beruht. Eine Verringerung der Nährstoffversorgung und Wachstumsstimulanzien gehen dabei in ein komplexes System von Zellstress und Zellüberleben über[31].

Vielleicht ist euch aufgefallen: alle 3 Gene besitzen eine sehr direkte Verbindung zu einem für uns sehr logischen Prozess für langes Leben: Verlust der Denkfähigkeit, Anfälligkeit für Tabakkonsum und die Ernährung. Der letzte Punkt ist äußerst interessant, da die Ernährung einen großen Einfluss auf unsere Lebensdauer zu haben scheint und gleichzeitig einer der Aspekte unseres Lebens ist, den wir selber bestimmen können. Die Forschung um die Bedeutung der Ernährung wird vorangetrieben durch Linda Partridge am Kölner Max-Planck-Institut für Biologie des Alterns. Dabei wird typischerweise von Modellorganismen ausgegangen und dann vorgearbeitet zum komplexen System Mensch[32]. Dabei zeigt sich ein besonderes Muster in der Art und Weise wie wir essen sollten. Eine Kalorienrestriktion, also Verringerung der Aufnahme an Nährstoffen ohne Verringerung von Vitaminen und Mineralstoffen, verlängert nachweislich die gesunde Lebensspanne in verschiedenen Lebewesen und lässt sich auch auf den Menschen anwenden. Dabei wird die Zeit und Häufigkeit der Mahlzeiten untersucht. Es zeigt sich eine starke Abhängigkeit von den natürlichen Rhythmen des Körpers, hauptsächlich vom Tag-Nacht-Rhythmus; demnach scheinen kurzzeitige Fastenperioden ab 16 Stunden, teilweise sogar die Reduktion auf eine Mahlzeit am Tag positive Effekte zu haben[33]. Das Gegenteil zeigte sich bei der Aufnahme großer Mahlzeiten zu später Uhrzeit, welche in einem höheren Blutdruck und einer verringerten Ausschüttung des Sättigungshormons Leptin resultierten, sowie den natürlichen Cortisol-Rhythmus beeinflussten[34].

Um als kurz die verschiedenen untersuchten Einflüsse auf ein langes Leben zusammenzufassen: Dan Buettner konzentriert sich auf die Erklärung durch den Lebensstil und gesellschaftliche Ursachen, Anna Maria Herskind legte den Grundstein zur Untersuchung der genetischen Ursachen und Linda Partridge sucht nach dem Einfluss unserer Ernährung. Jetzt fehlt nur ein Faden mit tatsächlich hilfreichen Maßnahmen.

Das war jetzt eine ganze Menge geballtes Wissen, aber wenn ihr aufgepasst habt: es gibt wenige Überraschungen. Es scheint sich zu bestätigen, dass das was wir für ein gesundes Leben halten grundsätzlich der effizienteste Weg ist ein langes und gesundes Leben zu führen. Es ist leicht die Ursachen für ein langes Leben in denen Genen der anderen unbeeinflussbaren Faktoren zu suchen, aber wieder und wieder wird gezeigt, dass die Faktoren mit dem größten Einfluss ebenjene sind, die wir durch unsere Lebensführung bestimmen können.

In einer US-amerikanischen Studie aus dem letzten Jahr wurden 5 spezifische Faktoren benannt, die alle dazu beitragen könnten ein längeres Leben zu ermöglichen. Die mögliche Verlängerung der Lebenserwartung von über 50-Jährigen wird beziffert mit 14 Jahren für weibliche bzw. 12,2 Jahren für männliche Individuen bei Einhaltung aller 5 Faktoren[35]. Diese Berechnung basiert aber nur auf einem mathematischen Modell, lässt sich also nicht mit diesen exakten Zahlen ins echte Leben übertragen. Trotzdem zeigen sich eindeutige Trends, die ich euch nun kurz vorstellen möchte. Wer also auf einen praktischen Leitfaden gehofft hat, darf nun mitschreiben:

Der Faktor mit dem größten Einfluss ist: das Rauchen. Tabakkonsum ist einer der klarsten Risikofaktoren für eine Reihe an Krankheiten, darunter Lungenkrebs[36], chronische Lungenerkrankungen, Diabetes[37], Erkrankungen im Herz-Kreislauf-System[38].

Als zweitwichtigster Faktor wurde körperliche Aktivität bestimmt. Selbst kurze Spaziergänge haben einen positiven Effekt und maximale Effekte zeigen sich schon ab 5 Stunden mittlerer körperlicher Aktivität pro Woche. Die Wirkung wird hier vor allem über die Funktionsfähigkeit des Herz-Kreislauf-Systems[39] und des Stoffwechsels[40] vermittelt.

An dritter Stelle folgt die Einhaltung eines Normalgewichts. Dabei wurde als Messgröße der BMI herangezogen, welche in sich selbst mit Vorsicht genossen werden muss, da sie die Gesundheit des Körpergewichts nur mit der Körpergröße beschreibt. Jedoch können massive negative Folgen erst ab einem BMI über 30, und damit der Einordnung als adipös, erwartet werden. Auch hier sind die Folgen hauptsächlich wirksam auf das Herz-Kreislauf-System und den Stoffwechsel[41], zudem ist Adipositas ein Risikofaktor für Brustkrebs[42].

Weiterhin von Bedeutung ist der vierte Faktor: eine ausgewogene, vollwertige Ernährung. Dabei wurde hier auf einen Index zurückgegriffen, welcher nach aktuellen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen aufgestellt wird[43]. Das wenig überraschende Ergebnis lautet: gute Ernährung führt zu einem längeren Leben. Auch wenn die Orientierung an diesem groben Index nur wenig Spielraum zu Diskussion der Ursachen des Effekts zulässt. Dafür lohnt sich der Blick in die direkte an Ernährung und langem Leben und die bereits erwähnte Kalorienrestriktion. Ohne die Versorgung mit essentiellen Stoffen einzuschränken wirkt eine Reduktion der Kalorienaufnahme um 20-40% am effizientesten und verringert Risikofaktoren für Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems, Krebs und Diabetes[44].

Als fünfter Faktor wurde hier der Alkoholkonsum definiert. Überraschenderweise wird bei Verzicht auf Alkohol eine geringere Lebenserwartung errechnet, als bei täglichem Konsum von bis zu 15 g reinem Alkohol am Tag. Zum Vergleich: ein Glas Wein (15 %) mit 100 ml oder eine Flasche Bier (4,5 %) mit 330 ml enthalten etwa 12 g. Jedoch muss hier klar gesagt werden, dass die Studie nur direkte Auswirkungen des Alkohols auf den Körper betrachtet ungeachtet der komplexeren Risiken. In Kritik zu diesem Ergebnis steht die Untersuchung der „Global Burden of Disease“-Studie, welche genau diese Risiken untersuchte, die Auswirkungen durch Unfälle, erhöhtes Risiko von Krebs und Lebererkrankungen einbezog und auch die gesellschaftlichen Schäden durch Alkohol abschätzte. Dadurch geht der vermeintliche positive Effekt des Alkohols verloren und man lebt unterm Strich ohne Alkohol am längsten[45].

Wir sehen also, dass das Thema immer noch genauso komplex ist, wie im Jahr 1842 und trotz aller Forschung immer noch Uneinigkeiten bestehen. Manches ist aber mittlerweile unbestritten: Rauchen schadet nachhaltig, Bewegung tut gut und eine ausgewogene Ernährung ebenso. Also gönne ich mir heute noch einen langen Spaziergang und etwas Gemüse zum Knuspern. Mein Körper wird es mir hoffentlich danken.

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 March 28, 2019  26m