Minutes Before Sunrise

Zwei Menschen. Eine Stadt. Einhunderteins Minuten. Richard Linklaters berühmteste Liebesgeschichte, Minute pro Minute besprochen.

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episode 81: Rotwein


In der 81. Minute versucht Jesse, einen Barkeeper zu überzeugen.

Mit Gast: Haymon Maria Buttinger, der den Barkeeper gespielt hat.

Show Notes
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Interview mit Haymon Maria Buttinger

Ich bin der Haymon Maria Josef Buttinger. Ich bin Schauspieler und hab mir das Filmstudium als Filmrequisiteur finanziert und auch als Requisiteur Karriere gemacht. Mit 33 habe ich diese hingeschmissen um herauszufinden, ob ich es auch vor der Kamera schaffe. Und was ich geschafft habe, habe ich geschafft, was ich nicht gewusst hätte, wenn ich mich nicht überwunden hätte. Zwischen 40 und 46 war ich am Burgtheater und habe eine Nestroy-Nominierung erhalten, indem ich die Tom Waits / Robert Wilson-Version von Woyczek am Volkstheater gesungen und gespielt habe. Das war mein Highlight. Und während meiner Burgtheaterzeit habe ich einen Anruf erhalten, ob ich nicht den Barkeeper in Before Sunrise spielen möchte. Weil… [spricht auf Englisch] …ich habe zwar kein Schulenglisch, aber als ich mit 18 als Hippie unterwegs nach Katmandu war, habe ich vor allem Amerikaner getroffen.  Darum ist mein Englisch auch besser für Film.

Welche Rollen spielst du typischerweise und gerne?

Meine Lieblingsrollen wären Macbeth oder der Bucklige von Notre Dame gewesen. Seit runf 30 Jahren bin ich immer ganz gespannt, was auf mich zukommt. In Michael Pöhlmeiers neuer Uraufführung spiele ich den Lieben Gott, jetzt spiele ich den Tod. Meistens sind es Bösewichte, keine sympathischen Typen, weshalb es mich freut, wenn man mich auch einmal gegenbesetzt.  So wie wenn man bei Klaus Kinski glaubt, er sei der Böse, und es war dann doch jemand anderer. (verstellt seine Stimme) “Dieser nette Nachbar? Das hätten wir uns nie gedacht – der hat die ganze Familie…? Nein! Aber der andere, dieser Herr Buttinger, von dem war ich sicher, er hat die Familie ausgeraubt!”

In Before Sunrise spielst du ja keinen Bösewicht, sondern einen Barkeeper. Wie ist es zu dieser Rolle gekommen?

Damals hatte ich keine Agentur, und jemand hat mich angefragt. Daraufhin habe ich Richard Linklater kurz getroffen. Ein sehr lebhafter Mensch, ein unruhiger Geist. Er hat mich nur kurz angeschaut und war kurz darauf auch gleich wieder weg. Er meinte, dass wir keinen Text brauchen würden und ich fragte ihn, ob es denn eine stumme Rolle sei. “Nein, das schauen wir dann vor Ort.” Das habe ich vorher und auch danach nie erlebt. Ich kam dann in die Bar, wurde dort umgezogen. Das Hemd ist übrigens mein eigenes, das noch aus meiner Requisiteurenzeit stammt.

Du hast in dieser Szene auch einen sehr auffälligen Anhänger um den Hals.

Meine Schwester ist Goldschmiedin. Als ich am Burgtheater gut verdiente, habe ich ihr 2000 Schilling gegeben und ihr gesagt, sie soll mir einen Stierkopfanhänger machen. Ein Jahr später habe ich dieses Teil aus Gold und Edelsteinen bekommen, und meine liebe Schwester verlangte dann nochmals 4000 Schilling dazu, weil es etwas teurer geworden war.

Du wusstest also nichts über diese Rolle?

Ich wusste nur, dass ich einen Barkeeper spiele, und dass es eine kurze Szene in einer Bar sei, welches ein Paar betritt, dass diesen Abend durch Wien wandert. Das mit der Weinflasche wurde mir erst in der Bar gesagt. Die Idee mit dem Handschlag stammt von mir, denn die Amerikaner schienen das Konzept eines Handschlags zur Besiegelung einer Vereinbarung nicht zu kennen. Das Produktionsteam fand das grossartig und hat es eingebaut. Darum schaue ich auch so erstaunt, als Jesse das nicht gleich begreift. Auf das Geld warte ich übrigens immer noch.

Wie viele Takes gab es für diese Szene?

Es gab keine wirklichen Takes. Wir hatten unseren gerade erfundenen Dialog, der zu Beginn noch ganz anders war. Es war jedoch klar, dass er die Weinflasche von mir bekommen würde. Ich mag Ethan Hawke sehr, weil er es schafft, innerhalb dessen, was vereinbart wurde aus dem Bauch heraus zu variieren – ohne den Versuch, alles bis zur Perfektion zu verbessern. Darum gab es drei oder vier Variationen, und das war es auch schon. Sie haben dann noch die zweite Szene in der Bar gedreht, und danach waren wir – wie man das in Wien so tut – in den Stadtheurigen gegangen, sozusagen auf eine Flasche Wein.

Welche Funktion hat der Barkeeper deiner Meinung nach?

Er ist einerseits ein Friedenstifter, ein Versöhner, andererseits aber auch ein Pusher von Alkohol.

Man könnte deine Rolle auch als guten Samariter oder als Opfer einer Gaunerei sehen.

Aber es zeigt sich ja, dass er kein Gauner ist. Er ist ein redlicher, offenheriger Mensch. Man ist überzeugt davon, dass er ihm das Geld schicken wird.

Glaubt der Barkeeper in dem Moment, dass er das Geld wiedersehen wird?

Ich habe das so gespielt, dass ich voll davon überzeugt bin. Darum sage ich auch spasseshalber immer wieder, dass ich das Geld immer noch nicht bekommen habe. Der hat mich doch so angeschaut, dass ich komplett überzeugt war. Ethan Hawke ist auch immer die Rolle – egal, was er spielt. Von Julie Delpy habe ich schon länger nichts mehr gehört, aber ich habe sie in einem blutrünstigen Action-Drama gesehen.

Das war in “Killing Zoe”, eine Rolle, die sie vor “Before Sunrise” gespielt hat. Ich habe die These, dass diese Szene eine Hommage an “Killing Zoe” ist – eine Szene mit viel Rot und einer gewissen Action.

Das kann schon sein. Ich habe mich in Wien damals gut in den Bars ausgekannt, und es hat mich erstaunt, dass sie genau diese Bar ausgesucht haben. Sie ist sehr eng zu drehen. Mit meiner Rockband hatte ich einmal einen Auftritt dort – es war fürchterlich!

Am Ende der Szene schaut dein Charakter den beiden mit einer bitteren Mine nach. Was denkt er dabei?

Einerseits denkt er an die grosse weite Welt. Andererseits an das verliebte Pärchen, das er als Barkeeper so nicht kennt – er hat alle paar Tage eine andere. Von 100 Barkeepern sind vielleicht 2 frisch verliebt. Ein Barkeeper bekommt immer die Geschichten zu hören, wenn jemand leidet. Er ist gleichzeitig der Psychiater und der Drogendealer von verletzten, traurigen Menschen, die bei ihm landen. In dieser Szene ist die Situation umgekehrt: Er ist traurig, weil der Gegenpart so positiv ist. Wehmut vielleicht.

Was mich freut, ist dass mich “Before Sunrise” nun seit Jahrzehnten verfolgt. Wenn man mich auf dem Internet sucht, ist ein gutes Fünftel der Suchresultate auf diesen Film bezogen. Und immer, wenn ich den Ethan Hawke im Fernsehen sehe, erinnere ich mich daran, dass ich mit ihm zusammen gespielt habe.  Dann freue ich mich, wenn er wieder eine gute Rolle bekommen hat und diese gut spielt. Im Gegensatz zum typisch Wienerischen freue ich mich mit anderen, anstatt dass ich mich darüber ärgere, was ich nicht habe.

Was beschäftigt dich heute?

Zwei der Tom Waits-Songs, die ich am Volkstheater gesungen habe, habe ich ins Wienerische übersetzt. Ausserdem arbeite ich an er Modernisierung einiger Lieder von Xaver Maria Gwaltinger,  einer der wichtigsten österreichischen Schauspieler und Sänger.

Wo kann man mehr über dich erfahren?

Irgendjemand hat eine Wikipedia-Seite über mich aufgestellt, und dort gibt es weiterführende Links.

Herzlichen Dank für das Gespräch!

Interview with Haymon Maria Buttinger (English translation)

My name is Haymon Maria Josef Buttinger. I am an actor and I financed my film studies as a film prop master and also made my career as a prop master. When I was 33 I quit to find out if I could make it in front of the camera. And what I did, I did, which I wouldn’t have known if I hadn’t overcome myself. Between 40 and 46 I was at the Burgtheater and got a Nestroy nomination by singing and acting the Tom Waits / Robert Wilson version of Woyczek at the Volkstheater. That was my highlight. And during my time at the Burgtheater I got a call if I would like to play the bartender in Before Sunrise. Because… (switches from German to English) …I don’t have school English, but when I was 18 and travelling to Kathmandu as a hippie, I mostly met Americans.  So my English is better for movies.

Which roles do you typically play? Which do you like to play?

My favourite roles are Macbeth and the Hunchback of Notre Dame. For about 30 years I have always been curious to see what is coming up. In Michael Pöhlmeier’s new premiere I play the Lord, now I play Death. Most of the time I play bad guys, not likeable guys, which is why I’m happy when I’m “counter-cast”.  Like Klaus Kinski: You think he is the bad guy, and then it was someone else. (changes his voice) “That nice neighbour? We would never have guessed – he was the one who killed has the whole family …? No! But the other one, that Mr. Buttinger, I was sure he robbed the family.”

In Before Sunrise you don’t play a villain, but a bartender. How did this role come about?

I didn’t have an agency back then, and someone approached me. So I met Richard Linklater for a few minutes. A very lively man, a restless spirit. He took one quick look at me and left shortly afterwards. He said that we didn’t need a text and I asked him if it was a silent part. “No, we’ll figure it out on location.” I’ve never experienced that before or since. Then I went to the bar, got changed there. By the way, that’s my own shirt in the scene. It dates back to my prop days.

You also have a very noticeable pendant around your neck in this scene.

My sister is a goldsmith. When I was earning good money at the Burgtheater, I gave her 2000 shillings and told her to make me a bull head pendant. A year later I got this piece made of gold and precious stones, and my dear sister then asked for another 4000 shillings because it had become a bit more expensive.

So you knew nothing about this part?

I only knew that I was playing a bartender, and that it was a short scene in a bar, which a couple wandering through Vienna enters that evening. I wasn’t told about the wine bottle until the bar. The idea with the handshake came from me, because the Americans didn’t seem to know the concept of a handshake to seal an agreement. The production team thought it was great and put it in. That’s why I look so surprised when Jesse doesn’t understand it right away. I’m still waiting for the money, by the way.

How many takes were there for this scene?

There were no real takes. We had our newly invented dialogue, which was very different at the beginning. But it was clear that Jesse would get the wine bottle from me. I like Ethan Hawke a lot because he manages to vary within what was agreed upon – without trying to improve everything to perfection. That’s why there were three or four variations, and that’s about it. Then they shot the second scene in the bar, and afterwards we went – as one does in Vienna – to the Stadtheurigen, for a bottle of wine, so to speak.

What function do you think the barkeeper has?

On the one hand he is a peacemaker, a reconciliator, but on the other hand he is also a pusher of alcohol.

One could also see your role as a good Samaritan or as a victim of a scam.

But it turns out Jesse is no crook, but an honest, open-minded man. He’s  convinced he’ll send him the money.

Does the bartender think at that moment that he’ll see the money again?

I’ve played this so that I’m completely convinced. That’s why, just for fun, I keep saying that I still haven’t received the money. He looked at me in such a way that I was completely convinced. Ethan Hawke is always the role, no matter what he plays. I haven’t heard from Julie Delpy in a while, but I saw her in a bloodthirsty action drama.

That was in “Killing Zoe,” a role she played before “Before Sunrise.” I have the thesis that this scene is a tribute to “Killing Zoe” – a scene with a lot of red and some action.

That could be true. I knew my way around the bars in Vienna back then, and it surprised me that they chose exactly this bar. It is very tight to shoot. I once had a gig there with my rock band – it was awful!

At the end of the scene your character looks at them with a bitter expression. What is he thinking?

On the one hand he thinks about the big wide world. On the other hand he thinks about the couple in love, which he doesn’t know as a bartender – he has a different girl every few days. Out of 100 bartenders, maybe two are newly in love. A bartender always gets to hear the stories when someone suffers. He is at the same time the psychiatrist and the drug dealer of injured, sad people who end up with him. In this scene the situation is reversed: He is sad because the counterpart is so positive. Longing perhaps.

What makes me happy is that “Before Sunrise” has been haunting me for decades now. If you look for me on the internet, a good fifth of the search results are related to this film. And whenever I see Ethan Hawke on TV, I remember that I played with him.  Then I’m glad when he has gotten a good role again and plays it well. In contrast to the typical Viennese I am happy when others succeed, instead of being annoyed about what I didn’t get.

What’s on your mind today?

I have translated two of the Tom Waits songs that I sang at the Volkstheater into Viennese. I am also working on modernising some of the songs by Xaver Maria Gwaltinger, one of the most important Austrian actors and singers.

Where can one learn more about you?

Someone has set up a Wikipedia page about me, and there are links to further information.

Thank you very much for the interview!

 

 


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 February 17, 2020  24m