Fugengold

Befindlichkeit schlägt Diskurs. Geschmack schlägt Argumente. Die Gegenwart flottiert in Haltungslosigkeit. In den Bruchstellen der Gegenwart stellen wir uns gemeinsam gegen bedingungslose Verehrung und bedeutungslose Verachtung. In ihrem wöchentlichen Podcast Fugengold vergolden Marcus S. Kleiner und Marc T. Süß die Bruchstellen der Gegenwart mit Haltung. Fugengold wird produziert vom Sweetspot Studio.

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episode 64: Cancel Culture


Alltägliche Herausforderungen, Werte Diskussionen und digitale Streitkultur

Episode 62: Cancel Culture

Woher kommt die Cancel Culture eigentlich und welchen Einfluss hat sie auf unser Denken und unsere Debattenkultur? Gedanken zu freier Rede, Mikroagressionen, Aufmerksamkeit, Deutungshoheit, Macht und Zensur.

In diesem Podcast schauen wir uns jede Woche unterschiedliche Bruchstellen des Alltags an – von alltäglichen Herausforderungen über Werte Diskussionen bis hin zu digitaler Streitkultur. Dabei diskutieren wir Themen stellvertretend aus verschiedenen Perspektiven um zu prüfen, wo neue Blickwinkel und gewinnbringende Gedanken liegen. Immer wieder stolpern wir dabei über das Phänomen der Cancel Culture – sei es in Quellen, Wertekonflikten oder im Feedback unseres Publikums. Daher wurde es höchste Zeit, dass wir uns das Thema der Cancel Culture selbst näher ansehen.

Wie immer bei Fugengold suchen wir nicht die “richtige” Antwort, sondern sind neugierig, woher der Gedanke kommt, welche Auswirkungen und Effekte damit einhergehen. Deshalb werden wir auch in dieser Episode keine einzelnen Fälle des Cancelns diskutieren oder gar bewerten. Vielmehr wollen wir den Wurzeln nachspüren und nach dem Gold in der Bruchstelle der Cancel Culture suchen.

Schon bei der ersten Annäherung ist interessant zu sehen, dass Cancel Culture keine einheitliche Definition hat. Eine mögliche Erklärung ist, dass Meinungen, die nicht der eigenen, für richtig erachteten, die Bühne entzogen und bestraft werden – durch sozialen Druck oder Ächtung.

Auch wenn wir das Phänomen heute oft im digitalen Kontext auf z. B. Social Media beobachten, ist der Ursprung wesentlich älter. Wir beginnen beim sozialpsychologischen Begriff der Mikroaggressionen, der bereits in den 1970er geprägt wurde. Diese Mikroagressionen beschrieben abwertende Äußerungen gegenüber Personen im Alltag, die sich auf deren Gruppenzugehörigkeit beziehen. Daraus entstand, vor allem bei jungen Menschen an Universitäten, eine große Sensibilität gegenüber Microagressionen, die zur politaktivistischen Strategie des “Deplatforming” führte. Äußerungen und Meinungen eines Gegners wurden als so “gefährlich” erachtet, dass sie erst gar nicht in die Öffentlichkeit gelangen sollten. Die Idee ist also das Entziehen der Bühne für die gegnerische Meinung statt einer Diskussion und Auseinandersetzung mit dieser. Auf u. A. dieser Grundlage entstand die Cancel Culture.

Als Befürworter kritischer Diskurse, der Sprach- und Debattenkultur wirft das bei uns viele Fragen auf. Sollten junge Menschen nicht gerade an Universitäten lernen, sich mit anderen Meinungen und Haltungen kritisch auseinanderzusetzen und eine konstruktive Diskussionskultur zu entwickeln? Wo stößt das Modell an die Grenzen, wenn Meinungen schnell als so “gefährlich” eingestuft werden, dass sie nicht diskussionswürdig sind? Was ist das Ziel der Cancel Culture und ihren VertreterInnen?

Heute geht es in der Cancel Culture nicht mehr nur um die Bewertung oder Verurteilung einzelner Aussagen. Im Canceln werden Fragen der Aufmerksamkeit, Deutungshoheit, Macht, Demokratie, Zensur und Debattenkultur selbst verhandelt. Es geht nicht nur um Schutz vor der “falschen” Meinung, sondern auch um Angriffe auf die Sprechenden, von geblockten Social Media Beiträgen bis zur kulturellen Todesstrafe, damnatio memoriae. Die Bestrafung im Canceln kann mitunter schwere Folgen haben, von sozialer Ächtung bis zu Jobverlust.

Das legt ein weiteres Motiv der Cancel Culture offen: Macht. Das Canceln gibt die Macht jemanden öffentlich zu diskreditieren, bloßzustellen oder mundtot zu machen. Die Macht liegt auch im Ansehen der sozialen Gruppe, deren Meinungen man teilt und mit dem Canceln vermeintlich verteidigt.

Die Gefahr liegt dabei im Gedanken der moralischen Überlegenheit. Wir sollten nicht erbarmungslos sein, wenn es darum geht, die Meinungen und Moral unserer Zeit und unserer sozialen Gruppe zu erzwingen. Diese Radikalität gefährdet die Freiheit, sie kann in Meinungs- und Sprachverboten münden.

In der Podcastfolge diskutieren wir außerdem die Rolle von Status und Identität bei der Argumentation, universeller Werte und Partikularinteressen und erinnern uns an das Zitat von Rosa Luxemburg: „Freiheit ist immer Freiheit des anders Denkenden.“

Wir sind auf eure Meinungen gespannt und freuen uns auf Diskurse! Mehr Gold findet ihr auf www.fugengold.de


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 June 4, 2021  1h6m