Was treibt eine Fachtierärztin für Pferde dazu, die Behandlung im Stall gegen die Beratung am Bildschirm einzutauschen? Ein Gespräch über Kundenwünsche, Möglichkeiten und Grenzen der Telemedizin.
Was sagt die steigt wachsende Telemedizin-Nachfrage eigentlich über die Strukturen der Veterinärmedizin und das Verhältnis von Tierarzt und Patientenbesitzer aus? Ist die Telemedizin als digitales Beratungstool aus dem Praxisalltag bald nicht mehr wegzudenken? Wo sind die Grenzen? Und wo die Chancen? Darüber spricht Rolf Nathaus mit Dr. Theresa Sommerfeld, die eine rein digitale Tierarztpraxis (TelVet) gegründet hat.
Ergänzend gibt es in den Shownotes ein Sammlung an Hintergrundinformationen zur Telemdizin: Von einer Klassifizierung aktiver Anbieter über aktuelle (Kammer)Regeln bis zu Link-Tipps zu ausführlichen Telemedizin-Guidelines aus den USA.
Darüber werden Sie was hören – Zeitstempel:03:20Die Angst der Tierbesitzer, etwas falsch zu machen
05:40Service oder eigenständige Tierarztleistung – wer rechnet Beratungsgespräche wirklich ab?
08:30TelVet – aus zahllosen privaten Whats-App-Anfragen entsteht eine Geschäftsidee
10:28„Telemedizin kann und soll die Tierarztpraxis vor Ort nie ersetzen“
12:30Warum rufen Tierbesitzer nicht einfach bei ihrem (Haus)Tierarzt an?
16:45Telemedizin einfach in den Praxisalltag einschieben? – „Das geht nicht, man muss sich dafür extra Zeit nehmen“
17:38Sind Pferdebesitzer wirklich versiert genug, Auge und Ohr des Tierarztes zu sein?
21:12Termin buchen … Videogespräch … nachher zahlen – „Bisher haben meine Kunden eine echt gute Zahlungsmoral“
23:05Aufklärung ist entscheidend – „Ich kann wirklich nur ein Bild bewerten“
28:41Sind Praktiker von Telemedizinanbietern genervt? –
„Wir können gemeinsam eine große Lücke sinnvoll schließen“
Dr. Theresa Sommerfeld stammt aus dem Nordschwarzwald und ist passionierte Reiterin. Nach Studium und Approbation (2014) an der Universität Gießen arbeitete sie drei Jahre an der Universitätspferdeklinik und promovierte auch dort. Es folgten Jahre als praktizierende Tierärztin in einer Praxis im Raum Frankfurt und einer Pferdeklinik sowie Hospitationen im Ausland. Parallel legte sie die Prüfung zur Fachtierärztin für Pferde ab.
Im Sommer 2020 entschied sich Theresa Sommerfeld, eine Tierarztpraxis für rein telemedizinische Beratung zu gründen – am 1.11.2020 ging TelVet online.
Kaum eine tiermedizinische Geschäftsidee hat sich so schnell in den Köpfen der Kunden etabliert wie die Telemedizin – auch durch die Corona-Pandemie. Davor war es eher ein Markt für Startups. Inzwischen haben sich ganz unterschiedliche Anbieterstrukturen rund um das Thema Telemedizin etabliert (Grafik mit Beispielen).
Dabei unterteilt sich der Telemedizin-Markt (grob) in drei Bereiche, deren Abgrenzung nicht immer trennscharf ist.
Externe Telemedizin-Anbieter: Durch Namen wie Dr. Sam, FirstVet oder Pfotendoctor ist die tierärztliche Telemedizin medial bekannt geworden. Die meist technikgetriebenen Startups bringen als digitale Vermittler Tierbesitzer und Tierärzte zusammen. Letztere können angstellt sein, arbeiten aber meist freiberuflich für die Plattformen.
Tierärzte oder Praxisketten als Telemedizin-Anbieter: Tierärztinnen und auch Tierarztketten haben Telemedizin inzwischen auf ganz unterschiedliche Art und Weise in ihr eigenes Angebot integriert:
Technikdienstleister: Tierarztpraxen oder Tierärztinnen, die ein Telemedizin-Angebot aufbauen wollen, können dazu spezielle Techniklösungen von Dienstleistern nutzen.
Der Telemedizinmarkt ist erst im Aufbau. Welche Struktur sich letztlich vorherschend durchsetzen wird, ist noch offen.
KammerregelnGetrieben durch die Kontaktreduzierungen aufgrund der Coronapandemie haben Berufsverbände und Kammern sehr zügig „Regeln“ für das „Alternativangebot Telemedizin“ formuliert, so dass Tierärzte dieses Feld nicht externen Anbietern überlassen müssen:
Der US-Tierärzteverband AVMA hat eine umfangreiche Informationssammlung „Telehealth“ für seine Mitglieder eingerichtet. Dazu gehören auch zwei frei zugängliche, sehr informative Broschüren:
International betrachten große Klinik-Ketten telemedizinische Beratung als einen Bausstein in einem übergreifenden Connected-Care-Ökosystem, dass Kunden über diverse Kanäle eng(er) an die Praxis/Klinik binden soll.
Für externe Investoren ist die Telemedizin ebenfalls oft eher „qualifzierter Türöffner“, um dann – wenn man einmal den Sprung ‚auf das Handy geschafft‘ und damit Kundendaten gewonnen hat – weitere Leistungen anzubieten.
Bildnachweise: AdobeStock / Sommerfeld privat / AVMA / wir-sind-tierarzt.de