1984 - Hörspiel nach George Orwell

"Big Brother is watching you!" Orwells dystopische Zukunftsvision "1984" aus dem Jahre 1948 spielt in einem totalitären Überwachungsstaat: "Wir geben uns nicht mit erzwungenem Gehorsam - nicht einmal mit hündischer Unterwerfung zufrieden. Wir vernichten den Ketzer nicht. Wir bekehren ihn. Keiner widersteht uns. Jeder wird reingewaschen. Und wenn wir mit Ihnen fertig sind, bleiben nur noch die leere Hülle und Liebe zum Großen Bruder." Klaus Buhlerts Hörspieladaption, u.a. mit Felix Goeser als Winston, Elisa Plüss als Julia und Franz Pätzold als Erzähler.

https://www.br.de/mediathek/podcast/1984-hoerspiel-nach-george-orwell/868

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Folge 3/4 von "1984"


Im Gefängnis versucht Winston Smith Widerstand zu leisten und seinen Willen nicht brechen zu lassen. Stück für Stück zerlegt O'Brien das Weltbild des Unterlegenen und erklärt ihm die einzelnen Schritte der Umerziehung: lernen, verstehen und akzeptieren. Außerdem enthüllt er ihm das Geheimnis der Partei: Die Macht der Partei diene nur der Ausübung von Macht. // Von George Orwell / Mit Elisa Plüss, Franz Pätzold, Felix Goeser, Jens Harzer, Wofram Koch, Jenny König, Dimitrij Schaad, Bibiana Beglau u.a. / Bearbeitung, Komposition und Regie: Klaus Buhlert / BR 2021 // Mehr Hörspiele unter www.hörspielpool.de

„Big Brother is watching you“: Kaum eine Metapher hat seit ihrer Entstehung solch eine Hochkonjunktur. Orwells Roman „1984“, fertiggestellt im Jahr 1948, spielt in einer Zukunft, in der die totale Überwachung der Bürger an der Tagesordnung ist. Protagonist Winston Smith, 39, ist als Parteimitglied im Wahrheitsministerium mit unablässiger Geschichtsfälschung fürs Archiv beschäftigt. Lange gehörte der Klassiker als Schullektüre zum angestaubten Kanon, doch seit den 2000er Jahren erfährt er immer wieder erschreckend aktuelle Bezüge zum Zeitgeschehen. So ließen ihn der Abhör-Skandal der NSA und die Enthüllungen von Edward Snowden quasi über Nacht wieder die Bestsellerränge erklimmen. Was bei Orwell der alles überwachende Teleschirm war, ist heute das Smartphone. Smiths Geschichtsfälschungen Fake News. Aber auch Themen wie Geschichtsvergessenheit, der Kampf um Sprache und um Bildung lassen sich problemlos an die Gegenwart andocken. Akustisch versetzt Regisseur Klaus Buhlert folgerichtig die Handlung ins Hier und Jetzt. 

Fünf Fragen von BR Chefdramaturgin Katarina Agathos an Klaus Buhlert zur Hörspielproduktion „1984“ von George Orwell: 

Als ich Ende 2019 mit der Anfrage auf dich zu kam, 1984 als mehrteiliges Hörspiel zu adaptieren - hast du zunächst gezögert. Warum? 

Ich erinnere mich, dass ich gerade im Berliner Aufnahme-Studio war... in der allerletzten Produktionswoche für Pynchons ‚Gravity’s Rainbow’. Und kurz vor deinem Anruf hatten wir die Schlussszene von Roman und Hörspiel fertig montiert... in dieser Schlusssequenz stürzt eine V2-Rakete nach ca. 30 Jahren Flug durch Raum und Zeit auf Los Angeles – und zwar genau in das Dach eines Hollywood-Kinos... in Überschallgeschwindigkeit.

Mein positives Verhältnis zur menschlichen Spezies war also momentan beschädigt – die Idee des ‚GUTEN’ war soeben wieder mal virtuell und krachend gescheitert. 

Und da das Sein das Bewusstsein bestimmt (Karl Marx), war ich mir bei deinem Telefonanruf nicht so ganz sicher, nach 2 Jahren Studio unter dem Motto ‚Dystopie statt Utopie‘ noch ein weiteres dystopisches Jahr mit Orwells 1984 dran zu hängen.

Und was hat dich dann doch überzeugt, für den Stoff eine akustische Form zu finden?

Erstens natürlich Orwell und sein politisch-visionärer Blick in die Zukunft.  Das ist wirklich außergewöhnlich! Und vielleicht - dachte ich mir - könnte es (Zweitens!) einem aktuellen Hörspiel ja auch gelingen, seinen Roman 1984 ein wenig vom Image des angestaubten Schulbuchs zu befreien. Orwells Denken und Schreiben akustisch nach 2021 zu übersetzen, und so ganz nebenbei unsere Ohren für Gehirnwäsche, Folter, Loyalitätsaufmärsche von heute zu schärfen... eben nicht nur hinsehen!  Genaues Hinhören ist gefragt! Augen und Ohren auf bei Geheimdiensten, beim Thema Überwachungskameras, Fox News, Twitter-Stürmen (manchmal sogar direkt aus dem Weißen Haus), computergestützte Wahlmanipulation, oder noch Schlimmeres... Unser Ohr – ich kann diese Erfahrung nur weitergeben - ist eben ein ausgezeichneter Lügendetektor!

Und zum Schluss fiel mir noch Hegel ein: „Die Idee ist das Absolute, und alles Wirkliche ist nur Realisierung der Idee...“ Aha - das Bewusstsein bestimmt also das Sein? Und das meint das genaue Gegenteil von Marx – aber egal, auch Huxley (Brave New World) hat vor einigen Jahrzehnten gesagt: „Erfahrung ist nicht das, was einem zustößt. Erfahrung ist, was du aus dem machst, was dir zustößt.“ Das trifft’s! 

"Big Brother is watching you" ist eine Redewendung geworden, die bis heute für Überwachung steht. Worin siehst du die Aktualität des Werks?

Wenn man – wie das Orwell getan hat – Vergangenheit mit der Gegenwart vergleicht, dann wird man auch immer ein paar nützliche Hinweise über Zukunft erhalten. History repeats itself! Orwells Zukunftsvision aus dem Jahre 1948 ist in vielen Punkten erstaunlich real. Dass ‚Big Brother’ zum Beispiel mithört und mitsieht ist Fakt und dass unser Leben und unsere Kommunikation kontrolliert wird, das steht für mich außer Frage. 

Übrigens schreibt Thomas Pynchon im Vorwort der amerikanischen Neuausgabe von 1984 „Unter Kritikern ist es ein beliebtes Spiel, Listen darüber aufzustellen, was Orwell in seiner düsteren Zukunftsvision richtig vorausgeahnt und was er im Roman nicht so richtig traf.“ Aber wenn man sich in den Vereinigten Staaten umschaut, wird man feststellen, dass „die Überwachung gewöhnlicher Bürger“ inzwischen „zur polizeilichen Routinemaßnahme geworden“ ist. Die „Anlegung strengster Maßstäbe an Durchsuchung und Beschlagnahme“ sei – so schreibt er – „nur noch ein Witz“. Und noch eine Frage, die sich mir bei Orwells Big Brother Vision stellt: Werden unsere eigenen Gewissheiten in fünfzig Jahren immer noch so frisch aussehen, wie wir es heute vermuten?

Deine Inszenierung von 1984 klingt sehr nach Gegenwart, mit welchen akustischen Mitteln hast du den Text von 1948 ins 21. Jahrhundert geholt?

Die Musik entstand in vielen Nächten des Frühjahrs 2020 hier in meinem oder diversen kleinen Berliner Studios - fast immer nach Textentwürfen aus Orwells Roman, die mir bei der Bearbeitung als geeignet erschienen.

Solche Musik-Ideen ergeben sich Monate vor den eigentlichen Hörspielaufnahmen und fast immer beim Manuskript -Schreiben und wurden bei 1984 von mir oder zusammen mit meinem Bandprojekt Another Plus gleich aufgenommen.

Zwei-Minuten-Hass war eigentlich eine frühere Filmmusik-Idee aus dem Jahre 1994 meines damaligen Studio-Projektes A.O.S (Attack on the Senses) – wir haben es dann neu eingespielt und gemixt. Räume und musikalische Texturen wurden meist elektronisch verfremdet oder mittels Störgeräuschen neu zusammengebaut. Sehr hilfreich für die Umsetzung der musikalischen Ideen war es, dass sowohl Elisa Plüss in der Rolle der Julia Gordon als auch Felix Goeser als Winston Smith nicht nur als Schauspieler, sondern auch musikalisch außergewöhnlich begabt sind. Toller Nebeneffekt dieser intensiven musikalischen Vorbereitung war es auch, dass die Rolle der Julia im Hörspiel durch Songs und Traumtableaus viel mehr Umfang bekam, als das im Roman eigentlich der Fall ist – wo Julia nach Verhaftung durch die Gedankenpolizei am Ende vom zweiten Kapitel verschwindet und leider erst Ende des Romans noch einmal kurz als eine Art Zombie auftaucht. 

Die Produktion fand während der Corona-Pandemie statt, d.h. unter speziellen Aufnahme-Bedingungen, wie z.B. keine oder erschwerte szenische Aufnahmen. Was hat das für deine Produktionslogik bedeutet?

Die Sprachaufnahmen fanden aufgrund der Corona-Beschränkungen in drei verschiedenen Studios statt, und bis auf wenige Ausnahmen wurden alle Schauspieler und Musiker, auch bei Gruppen- und chorischen Szenen, einzeln aufgenommen und viel später in einem aufwendigen und komplexen Montage-Mix-Prozess zusammengefügt. Franz Pätzold als Erzähler konnte erst kurz vorm Final-Mix der Produktion als allerletzte Rolle in diesem Frühjahr zu Ostern aufgenommen werden - als alle Szenen und auch die Songs und Musiken bereits produziert und gemischt waren. 


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 October 28, 2021  1h3m