lautdenken

Nun, es könnte wahrscheinlich auch anders sein – mit dieser Überzeugung fragen Stephie und Lars nach den anstehenden Veränderungen in Wirtschaft und Gesellschaft. In jeder Episode diskutieren die zwei Professor:innen einen Begriff aus dem ABC der Transformation. Wohin er ihr Gespräch führt? Das wissen auch sie nicht. Ohne Skript und Hochglanz, ungeschönt und ungeschnitten kannst Du die zwei denken hören. Der Podcast LAUTDENKEN ist kein Unterhaltungsprogramm. Er ist eine Einladung zum Mit- und Weiterdenken.

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Sprachverwirrung


Sprache schafft Wirklichkeit. Diese erst einmal trivial klingende Aussage lässt sich täglich erleben, etwa wenn Dinge in verschiedenen Medien auf unterschiedliche Weise gerahmt werden. Die Wissenschaft spricht hier von »Framing«. Wörter und Begriffe verweisen nicht objektiv auf gegebene Phänomene. Die Verwendung eines Begriffs weckt Assoziationen und Bilder, die mit Deutungsrahmen zusammenhängen. Sprache ist emotional und normativ. Es macht einen Unterschied, ob wir von dem Klimawandel oder der Klimakrise, von Kernenergie oder Atomkraft sprechen – auch wenn damit die gleichen Phänomene gemeint sind. Im alltäglichen Sprachgebrauch reflektieren wir unsere Begriffe selten. Bisweilen verwenden wir Sprache jedoch bewusst, um Missstände zu trivialisieren oder um über sie hinwegzutäuschen. Sprachverwirrungen dieser und anderer Arten erfordern einen reflektierten Umgang mit Sprache. Darum geht es in dieser Folge lautdenken.

Der Begriff »Biodiversitätsverlust« stellt für Lars ein Paradebeispiel einer Sprachverwirrung dar. Mit ihm wird gleich über mehrere Missstände hinweggetäuscht: In ihm drückt sich unser problematisches gesellschaftliches Verhältnis zur Natur aus. Alltagssprachlich kann man nur verlieren, was einem zuvor gehörte, es schwingt also ein Anspruch auf Natur und ihre Zerstörung mit. Doch gibt es kein Recht auf Naturzerstörung. Auch wird in der Passivität des Begriffs – ein Verlust, der passiert – die Frage nach den Ursachen ausgeblendet. Der Verlust von Biodiversität scheint nichts mit unserem Handeln zu tun zu haben. Tatsächlich aber waren wir nicht nur aktiv an diesem Prozess beteiligt. Wir haben ihn sogar bewusst herbeigeführt. Denn die Reduktion biologischer Vielfalt ist nicht nur Nebenfolge der globalen Ernährungswirtschaft; sie ist ihr Ziel. Die Biodiversitätskrise findet in erster Linie nicht im Urwald statt, sondern auf unseren Tellern. Industrielle Fertigung braucht Erzeugnisse mit konstanten Produkteigenschaften. Und das bedeutet eine Standardisierung von Natur, also den Abbau von Vielfalt. Der »Biodiversitätsverlust« ist keine Geschichte des Verlierens. Er ist geplant und absichtsvoll. Es handelt sich um »Biodiversitätszerstörung« und »Biodiversitätsvernichtung«.

Neben solchen Sprachverwirrungen reden Stephie und Lars in dieser Episode noch über weitere, zum Beispiel über solche, die entstehen, wenn ein Wort auf mehrere Deutungsrahmen zugleich verweist, es also auf unterschiedliche Weise begriffen wird. Dies zeigen Stephie und Lars an unterschiedlichen Zugängen zu »Natur« auf: Natur als eine undurchdringliche Wildnis oder eine malerische Landschaft, in der sich ästhetische Erfahrungen machen lassen. Gleichzeitig kann Natur in einem naturwissenschaftlichen Sinne als ein Ökosystem begriffen werden. Ökonom*innen sehen in ihr wiederum womöglich eine Ökosystemleistung oder eine noch nicht vollends ausgeschöpfte Ressource. Vor dem Hintergrund der ökologischen Krise appellieren Stephie und Lars, dass wir besser auf einen Begriff von Natur setzen sollten, der in der eigenen Erfahrung verankert ist. Nur so kann der kollektiven Verdrängung der Klimakrise entgegengewirkt werden. – Levi Hepp


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 January 20, 2022  1h7m