Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0534: Doof, aber schlank


Wenn die dicken Senatoren in Rom so rumflezten und sich die ganzen Statuen von athletisch gebauten jungen Männern angekuckt haben, dann haben die sicher daran gedacht, eine Diät zu machen. So alt ist der Unsinn „kontrollierte Mangelernährung“ mindestens. Aber momentan treibt er besonders irrsinnige Blüten.

Download der Episode hier.
Musik: „Bacon (2010)“ von The Acousticals / CC BY-SA 3.0

[toggle title=”Skript zur Sendung”]
Es stimmt. Ich habe mich mit Diäten beschäftigt. Nicht mir denen der Abgeordneten, sondern mit diesen Mangelernährungsformen. Denn ich habe genau das gestörte Körperbild wie alle anderen, ich will einfach rank und schlank bleiben. Rational ist mir durchaus klar, dass das Blödsinn ist. Bis zu einem BMI von 30, also bis zur Grenze zur Adipositas, gibt es statistisch gesehen kaum Gründe, sich zu kasteien. Weiß ich.

Aber das sitzt irgendwo ganz tief im Kleinhirn und jedes Mal, wenn ich aus der Dusche watschel, ernte ich einen strengen Blick von einem seltsamen, hyperkritischen 51jährigen Mann, der in Wirklichkeit gar nicht mehr so genau erkennt, was er da sieht. Weil er eine Brille braucht.

Das ist alles sehr unreif und dumm, innerlich lache ich mich selber aus.. Hat wahrscheinlich etwas mit dem Altwerden zu tun und inneren Widerständen dagegen. Apropos Altwerden: Weil ich mein Knie nicht mehr so richtig hinkriege in den letzten Wochen, wurde der Blick gerade heute wieder viel strenger.

Und – schwuppdiwupp – schon surft der eitle Geck in mir, ohne Zutun des Meisterchens oder des Großhirns – auf irgendwelche Diätseiten. Ich habe mich ja immer über GQ oder Brigitte lustig gemacht, die immer so einen redaktionellen Spagat hinzaubern müssen. 50% Diät und fit und schön aber eben auch 50% innere Ruhe und Selbstbewusstsein. Aber genau sooo geht’s mir eben auch.

Und siehe da: Seit ich das letzte Mal gekuckt habe, was denn so gerade an neuem heißen Scheiss durch’s Dorf getrieben wird – sorry, wieder eine extrem hässliche, kaputte Metapher – na, auf jeden Fall hat sich da etwas bewegt. Ich habe wieder sieben Fälle von extremen Bullshit entdeckt!

Diäten sind wahrscheinlich so alt wie Nahrungsüberschuss. Sobald eine Zivilisation wenigstens eine Schicht mit Überfluss ausgestattet hat, kommt der Diätberater gleich mit. Schon aus dem alten Rom wird die Bandwurmdiät berichtet und die hat ja sogar noch der Maria Callas zu ihrer Anorexie verholfen. Angeblich. Für beide Fälle: Angeblich.

In meiner Kindheit war bei Erwachsenen – meine Mutter hatte die Brigitte abonniert – die Ananas-Diät én vogue. Du darfst alles essen, wenn es Ananas heißt. Und so schmeckt. Wahrscheinlich, weil Ananas in den Siebzigern auch immer noch etwas Exotisches war.

In meiner Jugend gab es dann Maggie Thatchers Eier-Diät, die ihr angeblich immer geholfen hat. Hm. Bewerten wir das nicht. Das war, wenn ich mich richtig erinnere, vier gekochte Eier am Tag, Spinat und abends ein Glas Whiskey. Der Whiskey wahrscheinlich, um die Verstopfung und den Mundgeruch zu bekämpfen.

Aber kaum kuckt man ein paar Jahrzehnte nicht hin, ist das Netz voller Ernährungsideen, die einem die Darmwindungen verknoten! Einigermaßen mitbekommen habe ich noch die Paläo-Diät, die hatte bei Kampfsportlern und Bodybuildern ja eine gewisse Beliebtheit. Auch Steinzeitdiät genannt. Du darfst alles essen, wenn es vor dem Tod „Muh“ machen konnte. Oder so. Aber niemand hat mir je erklärt, warum ich mich wie Menschen ernähren sollte, die durchschnittlich 25 Jahre alt geworden sind…

Eine interessante regionale Ausprägung dieses Unsinns sind die Kangatarians. Das sind Steinzeit-Diätler aus Australien mit einem ökologischen Gewissen obendrauf! Denn Kangäruhs leben in freier Wildbahn, fressen nur gesunde Kräuter und die belasten die Atmosphäre nicht mit so viel Methan wie Rindviecher. Das leuchtet totaaal ein. Anzunehmen ist aber, dass diese hochspezielle Ernährungsform außerhalb Australiens kaum Bedeutung gewinnen wird.

Dann gäbe es noch die Babygläschen-Diät. Das ist nämlich alles schonend und leicht verdaulich zubereitet, das sind so kleine Portionen, das ist hauptsächlich Obst und Gemüse. Total natürlich, total sanft. Ernähre Dich wie ein Baby! Und kochen musst Du auch nicht mehr! Tatsächlich gibt es zu dieser Verrücktheit noch keinerlei wissenschaftliche Arbeit, aber anzunehmen ist, dass der Mangel an Ballaststoffen für die Verdauung nicht so toll ist. Und die hohen Preise schlecht für den Geldbeutel. Abgesehen davon sind die Gläschen auch hochkalorisch und: Als meine Kinder die bekommen haben, waren die zu 50% wirklich e.k.e.l.haft.

Dann kommt die Zungenpflasterdiät aus dem Opener. Die geniale Erfindung von Dr. Chugay aus Beverly Hills. Ist nur eine winzig kleine, kurze OP, da setzt einem der findige Chirurg ein Pflaster auf die Zunge. Kostet $ 2000,- Ab dann tut jegliche feste Nahrung beim Essen einfach sauweh. Und wenn man sich nur flüssig ernährt, tut man sich halt schwerer, zu viele Kalorien aufzunehmen. Klar, die Zunge tut einem immer weh, man kann nicht mehr durchschlafen, man sabbert und reden geht auch nicht mehr. Aber eff wirkt total gut!

Die Red-Bull-Diät ist tatsächlich auch mehr verbreitet, als man meint, die wirkt wahrscheinlich auch toll. Wenn man die ganze Zeit nur Red-Bull säuft, dann schläft man nicht und verbrennt weiter. Und Hunger hat man wahrscheinlich auch nicht, wenn die Zucker-Taurin-Pampe den Darm verklebt. In Neuseeland hat eine 23jährige damit in ein paar Monaten 45 Kilo abgenommen, bei nur 18 Dosen Red Bull täglich! Sie ist dann mit 23 auch eine schöne Leiche gewesen, wie man in Bayern sagt, denn ein Herzinfarkt raffte sie am Ende ihrer Diät dahin.

Besonders ekelhaft finde ich auch die Urindiät. Die wirkt auch ganz toll! Sie besteht aus zwei Komponenten: Zum einen spritzt man sich das Blut schwangerer Frauen. Das günstigste Angebot im Internet ist dabei bei $ 300,- Am Tag. Denn dieses Blut beinhaltet ein spezielles Hormon: Humanes Choriongonadotropin. Das ist der ultimative, natürliche, menschgemachte Fatburner! So heißt es. Warum Schwangere zunehmen, möchte man fragen, bevor man weiterliest. Denn die zweite Komponente ist: Man darf nur 500 kCal am Tag zu sich nehmen. Aber der Gewichtsverlust, der kommt natürlich nur vom Urin, das man sich jeden Tag spritzt, klaaar!

Der vorletzte Trick ist die sogenannte Lehmdiät. Also nicht wie in „lehmswert“, sondern eher wie in Ton, Batz, Dreck, Matsch, Sand, Mergel. Klar? Bentonit heißt der Zauberdreck. Eine Art Vulkanasche, die in China und den USA gewonnen wird. Ein Löffelchen am Tag, etwas Wasser dazu, fertig. Denn das sauteure Dreckpulverchen schwemmt sich dann im Bauch auf und killt jedes Hungergefühl. Und gleichzeitig entgiftet und entschlackt es auch. Angeblich. Wenn es halt Schlacken im menschlichen Körper überhaupt gäbe. Klar, man muss sich während der Diät vielleicht jeden Tag einen Einlauf geben. Wegen Verstopfung. Und nachdem der Nährwert gleich Null ist, ist das halt auch die Mangeldiät par excellence.

Bleibt noch der neueste crazy shit aus crazy California von der Tochter von crazy Eddy Murphy. Die hat das im Fernsehen berichtet. Das ist die Baumwollbällchen-Diät. Statt irgendetwas zu essen, was der Körper verwerten kann, kann man auch einfach cotton balls schlucken. Die Dinger, die man zum Abschminken verwenden kann zum Beispiel. Und damit’s runtergeht vorher in Orangensaft dippen. Gleicher Effekt wie beim Dreckpulverchen: Der Magen ist voll und man kriegt keinen Hunger. Nachteil: Finde erst einmal Wattebäuschchen die nicht aus Kunststoff sind und keine Giftstoffe enthalten. Und FALLS das gelingt, dann bekommst Du halt einen Bezoar. Das nennt man im Volksmund auch Magenstein. Haben normalerweise nur Katzen und Greifvögel. Die können den auch wieder hochwürgen. Bei Menschen macht der gerne auch mal einen Darmverschluss. Auch eine Art von Diät. Die beendet man aber beim Chirurgen. Wenn man’s dahin schafft.

Ich weiß abschließend nicht, ob der Diätwahnsinn krasser geworden ist oder nicht – das mit dem Bandwurm war ja schon kein schöner Start. Wahrscheinlicher ist aber, dass der ganze Gedanke, seine Ernährung für eine gewisse Zeit umzustellen, sowieso zu kurz gedacht ist und schon immer war. Man wird wohl, sagt mein Großhirn, einen Weg finden müssen, dauerhaft nicht mehr Kalorien zu sich zu nehmen, als man auch verbraucht.

Wenn auch bei euch aber – wie bei mir, der ich alt und eitel bin – das Großhirn zu selten das Sagen hat, dann kann ich euch nur einen Tipp geben. Der bei mir geholfen hat: Montiert einfach den blöden Spiegel gegenüber der Dusche ab! Das grenzt ja an Masochismus!
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 September 27, 2016  14m