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Der kleine Liebling der Elite - Schoßhunde im Wandel der Zeit


'Schoßhunde‘, heute auch Gesellschaftshunde genannt, haben eine lange Geschichte. Sie wurden rein zur Freude und Unterhaltung des Adels und der Königshäuser gezüchtet und waren nicht selten kostbare Statussymbole. Heute sind sie beliebte Begleithunde, ideal geeignet für ein Leben in der Stadt. Autorin: Fiona Rachel Fischer

Credits
Autor/in dieser Folge: Fiona Rachel Fischer
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprachen: Rahel Comtesse, Thomas Birnstiel, Katja Schild
Technik: Klemens Kamp
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Dr. Seán Williams, School of Languages and Cultures an der University of Sheffield;
Dr. phil. Kelsey Granger, Sinologin, Gastwissenschaftlerin an der Ludwig-Maximilians-Universität

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Literaturtipps:

Seán Williams: „Dogged by controversy – our relationship with canines through the ages“, in: The Guardian (2. April 2023). https://www.theguardian.com/lifeandstyle/2023/apr/02/dogged-by-controversy-our-relationship-with-canines-through-the-ages (zuletzt abgerufen am 17.10.2023). 

Kelsey Granger: „The History of (Lap)dogs in China“, in: www.royalasiaticsociety.org (veröffentlicht 2023). https://royalasiaticsociety.org/the-history-of-lapdogs-in-china-post-by-2023-staunton-prize-winner-dr-kelsey-granger/ (zuletzt abgerufen am 17.10.2023).

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Atmo: Hund

SPRECHER:

Manchmal passen sie in Handtaschen.

SPRECHERIN:

Manchmal schieben wir sie in kinderwagenähnlichen Gefährten herum.

SPRECHER:

Manchmal schmücken wir sie mit Schleifchen und Mäntelchen.

SPRECHERIN:

Man mische eine Mini-Prise Wolf mit ganz viel Niedlichkeit und … herauskommt:

SPRECHER:

Der Schoßhund!

SPRECHERIN:

Der kleine Liebling der Elite.

Atmo: freudiges Bellen hecheln, Pfiff, Jagdgeräusche …

SPRECHERIN:

Moment mal! Zuallererst einmal sind Hunde wehrhafte Jäger! 

SPRECHER:

Stimmt! Und genau an diesem Punkt beginnt die Jahrtausende alte Beziehung zwischen dem Menschen und dem Vorfahren des Hundes, dem Wolf. Es gibt verschiedene Hypothesen dazu, wie die ersten Annäherungen aussahen. Vielleicht überließ der omnivore Homo Sapiens in einer kalten Eiszeitnacht dem karnivoren Wolf das für ihn schlecht verdauliche proteinreiche, magere Fleisch und band ihn so an sich. Vielleicht zog er bewusst kleine Wolfsjunge auf oder rettete verletzte Tiere, um sie für die Jagd trainieren zu können.

SPRECHERIN:

Fest steht: Der Kontakt wurde immer enger. Schon vor 19.000 bis 32.000 Jahren haben im prähistorischen Europa Menschen mit den angehenden Hunden zusammengearbeitet, wie eine Forschungsgruppe an der Universität Turku in Finnland per Genanalyse festgestellt hat. Die Tiere unterstützten die Jäger und warnten vor Gefahren. Dafür bekamen sie ihren Anteil von der erlegten Beute. Die Annäherung des Wolfes an den Menschen, seine Zähmung und die Entwicklung zum Hund – das ist eine Geschichte der Urzeit.

SPRECHER:

Im Laufe der jahrhundertelangen Nähe zum Hund, fängt der Mensch an, den Hund nach seinen Bedürfnissen zu formen und gewisse Eigenschaften in ihm zu fördern, die ihm nützlich erscheinen. Größe, Fellbeschaffenheit, Farbe und Charakter.  

Der Mensch macht sich die Instinkte und Fähigkeiten des Hundes zu Nutze und setzt ihn bei der Jagd, zum Bewachen und zum Beschützen ein. 

SPRECHERIN:

Mit der Weiterentwicklung der menschlichen Gesellschaft kommt jedoch noch ein anderer Aspekt hinzu: Eine wohlhabende Oberschicht mit viel Prestigebedürfnis und Zeit kann Hunde nun auch rein zum Vergnügen halten. Solche Hunde haben keine andere Aufgabe, als nett auszusehen und ihre Besitzerin oder ihren Besitzer zu begleiten.

O-TON 1 - Kesley Granger [There´s has been a lot of theories raised]

OV weiblich

Es gibt viele Theorien darüber, warum Menschen Schoßhunde und andere Haustiere halten, denn es existieren widersprüchliche Vorstellungen darüber, ob der Grund dafür beim Tier oder beim Menschen liegt. Ob es sich also um das angeborene Verlangen des Menschen handelt, ein soziales Wesen zu sein, und ob wir als Ausdruck dessen Haustiere halten oder ob es an der Art und Weise liegt, wie das Tier aussieht. Eine bekannte Theorie besagt, dass viele Haustiere oft sehr große Augen, sehr große Ohren und sehr große Köpfe haben – wie ein Baby. Und dieses Aussehen der Tiere, diese Ähnlichkeit mit menschlichen Babys, weckt in uns den Wunsch, das Tier als Haustier zu halten. 

SPRECHER:

Dr. Kelsey Granger, Sinologin an der Ludwig-Maximilians-Universität in München mit Forschungsschwerpunkt auf Haustierhaltung in China, insbesondere von Schoßhunden.

SPRECHERIN:

Der Begriff Schoßhund umfasst alle Hunderassen, die klein und dem Menschen gegenüber freundlich sind.

SPRECHER:

…. die der Mensch nur zu seinem eigenen Amüsement gezüchtet hat.

SPRECHERIN:

Wie Malteser, Pekingese, Mops. … und einige mehr … 

O-TON 2 - Seán Williams

Als Tiere sind Schoßhunde natürlich sehr interaktiv. Das heißt, wir behandeln sie immer mehr eigentlich als Menschen. Wir betrachten Sie auch als unsere Freunde. Andererseits sehen sie nicht wie Menschen aus, das heißt, es liegt dann in diesem Tier, vor allem in diesem Haustier, eine Ambiguität.

SPRECHERIN:

Der Historiker Seán Williams von der School of Languages and Cultures an der Universität in Sheffield. Williams hat sich im Rahmen seiner Forschungen zur deutschen und europäischen Kulturgeschichte mit dem Schoßhund in der Moderne beschäftigt.

SPRECHER:

Bereits im Alten Rom sind kleine Schoßhunde bekannt und äußerst beliebt. Sie werden verwöhnt, liebkost und manchmal neben ihren Besitzern bestattet, wie Skelettfunde belegen.

SPRECHERIN:

Im Jahr 2021 untersuchten Wissenschaftler die Überreste eines Hundes aus dem Jahr 169 vor Christus, die im Grab seines Besitzers gefunden wurden, und fanden heraus: das Tier war klein, die Zähne nicht von der Jagd abgenutzt und es muss dem Grabritus nach eine enge Verbindung zu seinem Besitzer gehabt haben. Doch nicht nur das. Es handelt sich auch um eine sehr frühe Züchtung mit sehr kurzer Schnauze, wie wir es später von Möpsen und Bulldoggen kennen.

SPRECHER:

Offensichtlich gab es also bereits im antiken Rom Züchtungen, die rein auf das Vergnügen der wohlhabenderen Menschen abzielten.

SPRECHERIN:

In China, einem Land das später für seine Schoßhunde bekannt sein wird, finden sich erst einige hundert Jahre später die ersten Hinweise auf eine solche Hundehaltung.

O-TON 3 – Kelsey Granger [The first discernible lapdogs we see entered]

OV weiblich

Die ersten erkennbaren Schoßhunde kamen im Jahr 624 nach Christus als politisches Geschenk ins Land. Und sie wurden von dem Seidenstraßenstaat Turfan geschickt. […] Wir wissen also, dass sie von weit her kamen und recht plötzlich in China ankamen. Vor diesem politischen Geschenk gab es keine Beispiele für Schoßhündchen.

SPRECHERIN:

Zur Zeit der Tang-Kaiserdynastie, die vom 7. bis zum 10. Jahrhundert an der Macht ist, reißt sich alles, was Geld und Namen hat, um die neuen Haustiere. Zuvor dienten Hunde nie zur reinen Unterhaltung, jetzt sind sie plötzlich die neuen Lieblinge der Elite.

SPRECHER:

Reguliert wird die Haltung dieser speziellen Hunde nicht und auch über jegliche Sicherheitsbefürchtungen sind sie erhaben. Denn während die normalen ‚Arbeitshunde‘ bei den Zeitgenossen der Tang-Dynastie immer wieder Sorge über Tollwut auslösen und Warnschilder vor beißenden Hunden aufgestellt werden müssen, leben Schoßhunde in einem goldenen Käfig - sozusagen in Quarantäne. Denn sie sind vor allem die Haustiere einer spezifischen Gruppe:

SPRECHERIN:

Den besser gestellten Frauen, die in einem ganz eigenen, abgeschotteten Reich leben.

O-TON 4 (vorher 5) – Kelsey Granger [We know elite women were keeping the lapdogs]

OV weiblich

Wir wissen, dass Frauen der Elite Schoßhunde hielten. Ob andere Frauen ebenfalls solche Hunde hielten, ist nicht klar, aber es steht fest, dass es grundsätzlich überwiegend Frauen waren, die Schoßhunde hielten, was schon ungewöhnlich ist. Wir haben viele verschiedene Kulturgüter, die sich mit Schoßhunden befassen, wir haben Gedichte, wir haben Gemälde, wir haben Geschichten. Es wurden zuvor noch nie Hunde mit Frauen oder Kindern dargestellt.

SPRECHER:

Die Frauen der chinesischen Elite entwickeln eine enge emotionale Verbindung zu ihren Hündchen. Die Damen putzen ihre Lieblinge genauso heraus wie sich selbst – mit Parfüm und Schleifchen. 

SPRECHERIN:

Diese Verbindung zwischen der adeligen Frau und ihrem Schoßhund geht sogar über den Tod hinaus, wie die bewegende Geschichte von Madame Lu und ihrem geliebten Schoßhund Huazi – Fleckchen – zeigt. Eines Tages verschwindet das Hündchen und verunglückt tödlich - kurz darauf stirbt auch Madame Lu.

SPRECHER:

Möglicherweise aus Trauer.

SPRECHERIN:

Als sie in die Unterwelt kommt, wird ihr offenbart: Sie sei zu früh gestorben und darf für weitere 12 Jahre in ihr Leben zurückkehren. Auf dem Weg zum Land der Lebenden begegnet sie einer wunderschönen jungen Frau. „Erkennst du mich denn nicht?“, fragt diese. „Ich bin Huazi, dein Hündchen.“ Zum Dank für Madame Lus Güte habe sie ihrer ehemaligen Herrin geholfen, dem verfrühten Tod zu entkommen. Mit einem magischen Zahlendreher macht Huazi aus den 12 noch verbleibenden Lebensjahren nun sogar 21 – im Gegenzug soll ihre ehemalige Herrin die Leiche ihres Hundes suchen und begraben. Madame Lu tut, wie ihr geheißen - und bestattet Huazis Gebeine mit den Grabriten eines Kindes.

SPRECHER:

So will es eine Erzählung aus der Taiping guangji-Sammlung, die halb wahre und halb erfundene Geschichten beinhaltet und Ende des 10. Jahrhunderts fertiggestellt wurde. Sowohl Madame Lu als auch der Ort, an dem Huazis Leiche gefunden wird, sind real. Der Teil mit der Unterwelt, … nun ja.

SPRECHERIN:

Was diese Geschichte zeigt, ist jedoch unbestreitbar: Die adeligen Frauen des frühen Chinas hatten eine intime, geradezu freundschaftliche Beziehung zu ihren Schoßhunden. Eine Verbindung, die Anlass zu Fantasien gibt.

O-TON 5 (vorher 6) – Kelsey Granger [For men, lapdogs and women went together as one image]

OV weiblich

Für Männer bildeten Schoßhündchen und Frauen ein Bild. Es gibt viele Gedichte über Frauen, in denen es oft um Frauen geht, aber eben nicht direkt. In diesen Gedichten sprechen Männer über die weiblichen Bereiche des Hauses, die für sie unzugänglich waren, es sei denn, sie gingen dorthin, um eine Frau zu verführen. So bellen Schoßhündchen, wenn ein Liebhaber am Tor ankommt, ein Schoßhündchen schläft am Fußende eines Bettes, wenn Frischvermählte ihre Hochzeit vollziehen, ein Schoßhündchen ist als Begleiter für einsame Palastfrauen da, die nicht die Gunst des Kaisers hatten. Die Schoßhündchen dienen den Männern sehr wohl als Symbol für alle weiblichen Räume, aber auch als eine Art Parallele zur Frau.

SPRECHER:

Lange Zeit bleiben Schoßhunde eine Sache der Elite, des Adels, der Königshäuser – auch im mittelalterlichen und neuzeitlichen Europa. Die Schönen und Reichen lieben ihre Haustiere. Hunde auf Gemälden in goldenen Galerien sind keine Seltenheit.

SPRECHERIN:

Ende des 18. Jahrhunderts wird die romantische Idee eines Haustiers jedoch langsam zum Massenphänomen. 

Atmo Maschinen

Es ist die Zeit der Industrialisierung, die Zeit von Fabriken und Urbanisierung.

SPRECHERIN:

Für viele Bürger sind Haustiere eine letzte Bastion der Natur in der Großstadt. Und zugleich schick, denn immerhin war das Haustierhalten bisher eine Sache des Adels. Ein Statussymbol.

SPRECHER:

In Großbritannien, in Frankreich und im deutschsprachigen Raum werden Schoßhunde immer mehr zu Familienmitgliedern, über alle sozialen Klassen hinweg.

SPRECHERIN:

Schoßhunde kommen immer mehr in Mode. Es beginnt ein wahrer Hype um die Haltung - und um die verschiedenen Rassen, denen bestimmte Charakteristika zugeschrieben werden. 

SPRECHER:

Mit den Schoßhund-Rassen jedoch ist das so eine Sache. Manche ursprünglichen Jagdhunde, wie der Pudel, werden auch als nicht arbeitende Haushunde gehalten. Und bei den richtigen Schoßhunden, die ohne eine bestimmte Funktionsfähigkeit gezüchtet worden sind, sind die Rassen oft nur schwer auf ihren Zuchtursprung zurückzuverfolgen. Wie zum Beispiel beim Mops, der chinesische Vorfahren hat. Doch die frühe chinesische Hundezucht ist in den historischen Quellen nur schwer zu greifen:

OV weiblich: 

Das ist also das wirklich Schwierige an Rassen, denn heute sprechen wir natürlich von Rassen, sprechen wir vom Mops und vom Pekingesen. Das Problem ist, dass in den Quellen nicht von Möpsen und Pekingesen die Rede ist, sondern nur von Hunden, sodass es wirklich schwierig ist, bestimmte Arten zu unterscheiden.

Ich glaube nicht, dass es eine sehr klare Abgrenzung zwischen Möpsen und Pekingesen sowie Shih Tzus und all diesen anderen Hunderassen gab. Sie sahen wahrscheinlich nicht einmal so verschieden aus, wie sie es heute tun. Heute unterscheiden sie sich aufgrund der Rassestandards und der Differenzierung der Rassen, das ist eine moderne Erfindung.

SPRECHERIN:

Im Europa des 19. Jahrhunderts aber ist gerade die Rasse der Hunde zu einem Statussymbol geworden. Der Mops beispielsweise steht beinahe sinnbildlich für die schicken Gesellschaften aus vergangenen Zeiten: Im 18. Jahrhundert gibt es Mops-Gesellschaften, dekorative Mopsfigürchen, Mops-Mythen … 

SPRECHERIN:

… Sogar eine freimaurerische Gesellschaft namens ‚Mopsorden‘ soll ab 1740 für ein paar Jahre in Frankreich existieren, mit Logen im deutschsprachigen Raum und Großmöpsen an der Spitze der Vereinigung. Hier kommt dann wieder eine Mopsfigur ins Spiel, die als Initialisierungsritus auf den Allerwertesten geküsst werden muss.

SPRECHER:

Zu Beginn des 19. Jahrhunderts werden Hunde - und vor allem auch Schoßhunde - als Haustiere in Europa immer beliebter. Das schafft zunehmend auch Probleme, da gerade bei ausgesetzten Straßenhunden die damals grassierende Tollwut zur Bedrohung für den Menschen wird. 

Das damals gängige Erschießen der streunenden Hunde ist eine Herangehensweise, die mit einem großen Aufschrei aus der hundeliebenden Bevölkerung beantwortet wird.

SPRECHERIN:

Nach der Französischen Revolution kommt im deutschsprachigen Raum außerdem die Sorge auf, dass mit den Immigranten auch ihre Hunde in Massen aus dem Nachbargebiet übersiedeln. In Frankreich sind die Schoßhunde ein Symbol des alten aristokratischen Regimes und wecken Erinnerungen an Marie Antoinettes Luxushündchen. 

Den vielen Schoßhunden, die dieser Trend mit sich gebracht hat, muss man nun Herr werden und sucht nach Möglichkeiten, die Haltung zu regulieren. Aus Großbritannien kommt schließlich die Idee der Hundesteuer, die sich schnell weiterverbreitet. Auch Krankenhäuser zur Pflege von erkrankten Haustieren entstehen, um den Lieblingen ein langes und gesundes Leben zu ermöglichen. Ein Produkt des aufklärerischen Feingefühls.

SPRECHER:

Doch zurück in das Land, das in dieser Zeit in Europa berühmt werden wird für seine Schoßhündchen - nach China! 1860, während des zweiten Opiumkrieges, wird der Sommerpalast in China von britischen und französischen Truppen geplündert und zerstört. Dort finden die Soldaten etwas, was zu einem wichtigen Raubgut wird: Schoßhunde.

O-TON 8 (vorher 10) – KELSEY GRANGER [And captain John Hartdone discovers a small dog]

OV weiblich

Kapitän John Hartdone entdeckt im französischen Lager einen kleinen Hund, der aus diesem Palast gestohlen wurde, und schmuggelt ihn den ganzen Weg zurück nach England. Anscheinend hat er in seinem Hut geschlafen. Und der Kapitän präsentiert diesen kleinen Hund Königin Victoria, die ihn „Looty“ nennt, wörtlich „Beute“ oder „Diebesgut“. Sie behält diesen kleinen Hund. Und das ist der Beginn dieses Pekingesen-Hypes.

SPRECHERIN:

So wird eine chinesische Schoßhunderasse zur imperialistischen Trophäe der westlichen Mächte.

SPRECHER:

Pekingesen sind der Qing-Dynastie, die schon seit dem 17. Jahrhundert herrscht, die liebsten Hunde. Angehörige des Hofes berichten von hunderten dieser Schoßhunde, die nur feinstes Futter bekommen und von eigenen Eunuchen bewacht werden. Sie werden in Käfigen durch die Palastgänge gefahren, damit ihre Pfoten den Boden nicht berühren müssen.

SPRECHERIN:

Das alles endet während des zweiten Opiumkrieges mit den einmarschierenden Truppen aus Europa.

SPRECHER:

Fünf weitere Pekingesen werden schließlich in den Ruinen des zerstörten Sommerpalastes gefunden und nach England gebracht. Ihre kaiserliche Herkunft macht sie zum perfekten Souvenir aus dem verlorenen alten China, das schon lange in Europa romantisiert wird.

O-TON 9 (vorher 11) – KELSEY GRANGER [The problem is especially in China]

OV weiblich:

Das Problem besteht insbesondere in China darin, dass wir scheinbar zwei unterschiedliche Zeiträume für die Schoßhund Haltung haben. Wir haben diesen Trend in der Tang-Dynastie, wo Frauen die Schoßhunde lieben und Kinder mit ihnen spielen. Und dann verschwinden diese Haustiere irgendwie und wir verlieren sie für Jahrhunderte aus den Augen. Doch dann tauchen sie im späten 18. Jahrhundert am Hof der Kaiserinwitwe Cixi wieder auf.

SPRECHER:

Dennoch verfassen zahlreiche europäische Hundeliebhaber Historien, in denen sie die Geschichte verschiedener Schoßhunderassen jahrhundertelang zurückverfolgen. Denn was ist wertvoller als kaiserliche Hunde aus China?

SPRECHERIN:

Kaiserliche Hunde aus China mit einer langen Ahnenreihe.

SPRECHER:

Und die wenigen Hunde, die Ende des 19. Jahrhunderts nach Europa gelangen, sind der Grundstock für die Zucht der exotischen Hunde aus China. Bis sie eine völlig eigene Rasse sind – die Pekingesen wie wir sie heute kennen. 

SPRECHERIN:

Mit dem Ersten Weltkrieg im 20. Jahrhundert brechen ein katastrophaler Krieg und ein Umsturz nach dem anderen über Menschen und Hunde gleichermaßen herein. Die Situation vieler Menschen verändert sich. Der Wohlstand, der die Haltung von Schoßhunden bedingt, bröckelt.

SPRECHER:

Hinzu kommt, dass Prestigedenken und das Bedürfnis nach Statussymbolen vielerorts von sozialistischen Werten verdrängt werden. In der Sowjetunion gibt es kein Verständnis für Schoßhunde und Haustiere im Allgemeinen mehr; sie gelten nur noch als überflüssige Fresser, die nichts für ihren eigenen Lebensunterhalt beitragen. 

Und auch in China ändert sich die Situation für die kleinen Hunde grundlegend: Im Maoismus stehen Schoßhunde für das alte China, aus dessen Fesseln man sich befreien will.

SPRECHERIN:

Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs lassen in Großbritannien tausende Londoner ihre Lieblinge töten, um sie vorsorglich vor dem kommenden Kriegsleid zu bewahren. Den Schrecken des Fliegeralarms und hungernde Hunde zwischen zerbombten Häusern, diesen Gedanken können viele Besitzer nicht ertragen.

Auch in der entbehrungsreichen Nachkriegszeit, können viele Menschen ihre Vierbeiner beim Aufbau der zertrümmerten Städte nicht mehr gebrauchen. 

Erst mit dem Aufschwung nach der Nachkriegszeit können es sich immer mehr Menschen wieder leisten, einen Hund als häuslichen Gefährten zu halten. 

SPRECHER:

Und es entstehen neue Trends und Moden bei den Haushunden: ein kleiner Hund, der ursprünglich rein zur Jagd und nicht als Schoßhund gezüchtet wurde, erobert die Herzen der Menschen und ist aus Großstädten wie München oder Berlin und nicht mehr wegzudenken: der Dackel. 

Atmo Dackel

O-TON 10 (vorher 12) – SEÁN WILLIAMS:

Dann im zwanzigsten Jahrhundert war das eine Erfolgsgeschichte, dass der Dachshund dann Pop wurde und dann mit Andy Warhol und alle anderen, Adele hat auch einen Dackel, dass der Dackel dann irgendwie poppig wurde und ein Bild vom harmlosen, coolen Deutschland, dass man dann so Hipster werden kann aus Berlin mit einem Dackel.

SPRECHERIN:

Heute ist der Hund mit etwa 10 Millionen Tieren ein äußerst beliebtes Haustier in Deutschland. Viele ehemalige Jagdhunderassen finden Eingang in das Herz der Familie und werden als „Gesellschaftshunde“ gehalten. Auch wenn sie vielleicht nicht besonders klein, besonders kuschelig oder besonders süß sind.

SPRECHER:

Seit einigen Jahren gibt es aber eine bedenkliche Entwicklung, was die Zucht gerade von Schoßhunden betrifft: in Form und Größe werden sie immer mehr verändert – was zu zahlreichen gesundheitlichen Problemen führt. Ein relativ neuer Zuchttrend ist der sogenannte  ‚Teacup-Hund‘, der, wie der Name schon sagt, mit seinen gerade einmal 20 Zentimetern Größe in eine Teetasse passen soll.

SPRECHERIN:

Zu kurze, platte Schnauzen wie bei Mops und Französischer Bulldogge führen zu gravierenden Atemproblemen; Herzfehler verkürzen das Leben von so manchem überzüchteten Schoßhund. Heute gibt es dazu Verbote und Regulierungen: Seit ein paar Jahren ist es beispielsweise in den Niederlanden verboten, Hunde zu züchten, deren Schnauze kürzer als ein Drittel des Kopfes ist.

SPRECHER:

Der Schoßhund hat eine lange, wechselhafte Geschichte. Auch heute ist er Moden unterworfen, auch heute ist er oft Ausdruck luxuriösen Lebensstils und doch ist er für zahlreiche Menschen ein treuer Begleiter in guten wie in schlechten und einsamen Zeiten. Das Bedürfnis des Menschen nach tierischer Nähe hat sich auch in der Corona-Pandemie gezeigt. Zwischen Homeoffice, Lockdown und Kurzarbeit werden in Deutschland im ersten Pandemiejahr 2020 25 Prozent mehr Hunde als im Vorjahr registriert. Dass nur kurze Zeit nach diesem Hype die Tierheime voller denn je waren … ist eine andere Geschichte. 

ATMO Bellen / Kinderlachen 

SPRECHERIN:

Eine Sache der Elite sind Schoßhunde schon lange nicht mehr. Im Gegenteil! Kleine Hunde sind oft gut geeignet für ein Leben in der Stadt, sind je nach Rasse ideale Spielgefährten für Kinder und Begleiter für ältere Menschen – doch sie sind trotz ihres oft niedlichen Aussehens und ihrer Größe vor allem eins: Hunde, die ein artgerechtes Leben mit ausrechender Bewegung und Beschäftigung brauchen. 

ATMO: Kläffen kleiner Hund


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 November 30, 2023  23m