Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

Der Mensch hat die Sprache beim Geschichtenerzählen erfunden. Geschichten erklären die Welt. Sie können uns Mut oder Angst, Freude oder Trauer fühlen lassen, uns Wissen oder Weisheit vermitteln. Eine Geschichte ist kein Werk, sondern ein Akt. Wir denken, schreiben, sprechen und Du hörst uns zu – so kommt sie erst in die Welt. Wir haben über 75 Stunden im Archiv, professionell produziert und kostenlos zu hören. Viele Geschichten sind phantastisch, die meisten regen zum Nachdenken an, einige sind Erlebniserzählungen und hin und wieder sind sie auch komisch. Alle Geschichten sind exklusiv für unseren Podcast geschrieben, gesprochen, aufgenommen, geschnitten und abgemischt. Wir machen keine Werbung, haben keinen Sponsor und es gibt weder Paywall noch Abonnement. Um unabhängig zu bleiben und unsere Arbeit zu finanzieren, suchen wir allerdings nach Unterstützer*innen und haben uns für ‚Steady‘ aus Berlin entschieden. Wer uns monatlich ein paar Euro widmet, kann uns im Blog oder im eigenen Feed zuhören, wie wir uns nach der Aufnahme einer Geschichte über die Hintergründe, Gedanken und Ideen dazu unterhalten. (Gut. Das ist zu hochgestochen und klingt langweiliger, als es ist...

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Expl0555: Die hl. Johanna von BMW


Wenn man die ersten Drehbuchentwürfe von George Lucas heute liest, erscheint einem das alles sehr krude und amateurhaft. Aber ein Mythos entsteht langsam in einem ständigen Diskurs der Beteiligten. Werden wir im heutigen Hörspiel Zeuge, wie so eine Legende entsteht!

Download der Episode hier.
Musik: „War“ by Waterpistol / CC BY-NC-ND 3.0

[toggle title=”Skript zur Sendung”]
C: Herein!
D: Hallo, ich bin’s!
C: Ah, Mr. Moore! Setzen Sie sich. Schön, dass Sie so schnell kommen konnten!
D: Kein Problem! Sie sind der Chef! Passt denn alles soweit?
C: Mr. Moore. Eine Frage vorweg: Wie lange arbeiten Sie schon bei den Brüdern?
D: Sie meinen, wie lange ich schon bei Warner Bros. arbeite?
C: Das ist genau das, was ich meine.
D: Schon ewig! Angefangen habe ich Assistant Assistant Bulb Key Grip Helper vor neun Jahren.
C: Assistant, was?
D: Ja, klingt toll! Aber in Wirklichkeit habe ich nur die Glühbirnen aus dem Karton genommen. Der Assistant Bulb Key Grip Helper hat die dann geprüft, der Bulb Key Grip Helper hat die dann reingeschraubt.
C: O.k. Sparen Sie mir die Details! Ich meine, wie lange arbeiten sie schon hier im Think Tank für die Stoffentwicklung?
D: Oh, das! Vier Wochen.
C: Vier Wochen. Und in der Zeit haben Sie mir sieben komplette Drehbücher auf den Tisch gelegt.
D: Ja. Ich nehme meinen Job sehr ernst!
C: Alles Historienschinken.
D: Ja. Geschichte interessiert mich persönlich sehr. Und so geht es auch den key demographic peers, vor allem Frauen mit hoher Bildung, die sich auch 3D- oder 4D-Kino leisten können.
C: Und alle Drehbücher habe ich abgelehnt. Oder mein Assistent.
D: Ja. Wohl wahr. Komische Sache… Aber das letzte ist etwas ganz Besonderes, oder?
C: Etwas Besonderes? In der Tat. Durchaus. Ich lese ‘mal aus ihrem Pitch vor, o.k.? „Ein Epos, basierend auf dem Leben der Johanna von Orleans. Ein Monumentalwerk, dass emotional bewegt und historisch informiert. Eine detailgetreue Wiedergabe der harschen Realitäten im Mittelalter. Johanna von Orleans, eine Führerin aus der Not, eine Heilige wider Willen und doch in ihrem Herzen eine Frau.“
D: Ja. Toll, gell! Genau das braucht das Kino gerade!

C: Nun, ihr Drehbuch wirkt aber, als wäre es für einen anderen Film geschrieben. Es ist ganz anders, als das Studio das erwartet hat…
D: Es ist wegen den expliziten Gewaltdarstellungen, oder? Zuviel Gewalt, oder? Aber wissen Sie, erstens ist das alles historisch zu belegen und zweitens hat da ja auch Games of Thrones die Latte hoch gelegt, wissen Sie?
C: Die Gewalt ist nicht das Problem.
D: Dann die Schimpfwörter? Es sind die Schimpfwörter, stimmt’s? Wissen Sie, der Film spielt im Krieg. Im Mittelalter. Das waren harte Zeiten, da wurde viel geflucht.
C: Nein, es sind nicht die Schimpfwörter.
D: Dann die Sexszenen? Zugegeben, ich habe mich beim Schreiben ein bisschen hinreissen lassen…

C: Nein! Ich meine auch nicht die Sexszenen! Obwohl die natürlich ganz gut belegen, dass Sie etwas an dem Konzept „Jungfrau“ nicht wirklich verstanden haben! Aber darum geht’s gar nicht!
D: Ah. Gut. Aber was stört Sie dann?
C: Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll! Hier z.B. auf Seite 17. Johanna. Im Stall. Wie sie sich um die Tiere kümmert.
D: Historisch akkurat. Sie war zwar Schneiderin, aber hat sich oft um die Tiere gekümmert.
C: Um Elefanten?
D: Pferde, Ziegen, Esel, alles, was so ein Kriegstross mit sich nahm.
C: In Frankreich. 15tes Jahrhundert?
D: Stimmt das nicht? Dann streichen wir das. Ist ja nicht so wichtig. Sind dann die Nashörner auch falsch?
C: (stöhnt) Mr. Moran. Erzählen Sie mir einfach Ihren Film von Anfang an, o.k.?
D: Gute Idee. Während die opening credits laufen, sehen wir ein verwüstetes Frankreich. Und wir sehen ein armes Bauernpärchen an der Krippe von Johanna stehen. Wir sehen sie unter ärmsten Bedingungen aufwachsen, bis Sie eines Tages besucht wird von einem Engel. In der Rolle stelle ich mir übrigens Henry Cavill vor…
C: Schneller.
D: Gut. Sie tritt also als Junge der Armee bei, um gegen die Engländer zu kämpfen. Heinrich der Fünfte ist in diesem Film ganz klar unser Bösewicht. Da hätte ich gerne Kevin Spacey, weil der…
C: Nur die Story!
D: Sie schlägt sich tapfer, bekommt ein paar Mann und ihr erstes Kommando. Ihren ersten Auftrag. Sie soll die Kannibalenrobots vom Planeten Sadomasi Fünf zerstören…
C: Halt! Da ist das Problem. Ich bin ja selber nicht so der Geschichtsfreak. Aber an dieser Stelle würde ich mich fast trauen zu sagen, dass Johanna von Orleans nie gegen die Kannibalenroboter von Sadomasi Vier…
D: Fünf.
C: Was?
D: Sadomasi Fünf.
C: Egal! Das ist doch völlig frei erfunden!
D: Eine kleine Übersteigerung, künstlerische Freiheit. Manchmal muss man auch den Erwartungshorizont der Kinobesucher sprengen, wenn man sie an die Sessel fesseln will!
C: (leise) An die Sessel fesseln? Das ist wahrscheinlich die einzige Methode, dass sich jemand diesen Unsinn überhaupt antut!
D: Wie bitte?
C: Dabei ist das noch gar nichts! Wir sind jetzt in der 20 Minute und schon erfolgt die Vernichtung der Killerroboter!
D: Eben! Das ist ja das Tolle! Damit würde doch keiner rechnen!

C: Zugegeben. In einem Historienfilm würde niemand damit rechnen, dass die Roboterkannibalen von Sadomaso von Trümmern erschlagen werden, weil die heilige Johanna von Orleans einen Kometen mit ihrem heiligen Schwert aus der Umlaufbahn befördert!
D: Gut, gell! Ich meine, die Tickets sind heutzutage so teuer, da müssen wir dem Käufer schon ein bisschen ‘was biete für die Euros, oder? Spannung! Action! Aufregung!
C: Das bezieht sich auf den Kometen oder auf die Kannibalenroboter von Sadomasi Vier?
D: Fünf! Sadomasi Fünf klingt viel glaubwürdiger als Sadomasi Vier. Wirklich. Sie müssen das ein paar Mal in Ihrem Kopf vor sich hin sagen. Sadomasi Fünf, Sadomasi Vier, Sadomasi Fünf, Sadomasi Vier, Sadomasi Fünf…
C: Halt! Hören Sie auf! Das ist doch unzumutbar!
D: Heißt das, ich soll die ganze Schlachtszene kürzen?
C: Kürzen? Streichen! Verbrennen! Im Säurebad vernichten! Ins Weltall schießen! Am besten in der Reihenfolge!
D: Aber das macht ja den ganzen Film kaputt! Was wollen Sie als nächstes! Soll ich etwas auch noch Toni, den Stegosaurus rauskürzen?
C: (lacht leicht irre) Jetzt, wo Sie es sagen. Wie kommen Sie da nur drauf?
D: Das geht aber nicht! Toni, der Stegosaurus ist nicht nur Johannas Reittier, er ist ihr bester Freund! Und er ist der Buffo! Comic relief! Seine Sprüche sind lustig und doch weise! Und dass er als einziger Saurier den Untergang der Titanic überlebt hat, gibt der Figur eine charakterliche Tiefe, die das Publikum braucht zur Identifikation! Das ist eher Marvel als DC hier, verstehen Sie?
C: Aber das Studio wollte einen Film über Johanna von Orleans!
D: Übrigens, im letzten Entwurf ist der Name geändert..
C: Sie haben den Namen geändert?
D: Ja, klar! Überlegen Sie einmal! Achtung: Die hl. Johanna von BMW! Dann kriegen wir die sicher als Sponsoren an Bord!
(Stille)
D: Gut. Hm. Da können wir auch noch wannanders drüber reden…
C: (sehr trocken) Dann wäre da noch das mit der Musikauswahl…
D: Ja, cool! Ein Film aus dem Mittelalter mit Musik aus der Moderne! Wie in dem Ritterfilm mit Heath Ledger. Oder in Moulin Rouge…
C: „Help“ von den Beatles beim Beten geht ja noch. Aber „Weil ich ein Mädchen bin“ bei dem Gemetzel an den Engländern ist grenzwertig. „Ich find’ Dich scheiße“ beim Showdown mit Heinrich dem Fünften – der eine Atemmaske trägt – geht schon gar nicht. Das er dann in seiner Blutlache ersäuft, während er „I’m a sweet transvestite from transsexual Transylvania“ röchelt, ist gestrichen…
D: Och, nein! Das war mit die emotionalste Szene!
C: Und es geht auch nicht, dass Johanna von Orl… Johanna von BMW auf dem Scheiterhaufen steht und ihrem Scharfrichter „Come on baby, light my fire“ ins Ohr trällert!
D: O.k. Zugegeben, das war auch nur zweite Wahl. Aber die Rechtsabteilung meinte, „Eternal Flame“ bekommen wir nicht!
C: Das wäre alles. Der Film ist kompletter Humbug. Sie sind eine Pfeife. Und entlassen!
D: Überlegen Sie sich das gut! Das hat Potenzial! Das ganze Drehbuch ist wie gemacht für eine Fortsetzung! Ich habe an der Dreiteiler gedacht!
C: Eine Fortsetzung? Eine Fortsetzung? Johanna verbrennt am Scheiterhaufen und wir halten mit der Kamera drauf, bis sie ein Häufchen Asche ist!
D: Ja, klar. Das schon. Aber ist sie auch tot? Hm?
C: Raus! Verschwinden Sie aus meinen Augen! Ziehen Sie weg! Weit weg!
D: Moment! Einen Moment noch! Ihr macht den Film und dafür gebe ich dem Studio auch die Rechte am Merchandise?
C: Merchandise?
D: Na klar! Action-Figuren! Johanna von BMW wie sie auf Toni, dem Stegosaurus reitet. Kannibalenroboter von Sadomasi Fünf, die sich auf Knopfdruck in ihre Einzelteile zerlegen. Und natürlich auch Heinrich der Fünfte, mit den auswechselbaren Teufelsflügeln! Das wird ein Riesengeschäft!
(Pause)
D: Und?
C: O.k. Deal. Sie haben mich überzeugt. Das Drehbuch ist übrigens wirklich genial! Haben Sie eigentlich schon einmal Regie geführt?
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 October 28, 2016  15m