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Vertragsarbeiter in der DDR - Fremd im Bruderstaat


Sie lebten abgeschottet von der restlichen Bevölkerung, denn eine dauerhafte Einwanderung war nicht erwünscht: Die sogenannten Vertragsarbeiter aus Vietnam, Mosambik, Angola, Polen oder Ungarn, die den Mangel an Arbeitskräften in der DDR ausgleichen sollten. Wie erging es ihnen nach der Wende? Autorin: Maike Brzoska

Credits
Autorin dieser Folge: Maike Brzoska
Regie: Susi Weichselbaumer
Es sprachen: Dorothea Anzinger, Jerzy May
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Ann-Judith Rabenschlag Karpe, Historikerin, Universität Stockholm;
Birgit Weyhe, Illustratorin des Comic-Buches “Madgermanes”;
Thach Nguyen, ehemaliger DDR-Vertragsarbeiter;
Tamara Hentschel, DDR-Wohnheim-Betreuerin, Bürgerrechtlerin

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

MUSIK Motivated work Z8034318 119 0.44 Min.

SPRECHERIN

Im April 1980 beschließen die Regierungen der Deutschen Demokratischen Republik und der Sozialistischen Republik Vietnam einen Staatsvertrag.

ZITATOR

Geleitet vom Wunsch zur Vertiefung der brüderlichen Zusammenarbeit (…) haben die Regierungen (…) folgendes vereinbart: Die Regierung der DDR gewährleistet vietnamesischen Facharbeitern (…) für die Dauer von jeweils vier Jahren die Aufnahme einer Beschäftigung in Betrieben (…) der Deutschen Demokratischen Republik. 

SPRECHERIN

Der Grund ist einfach, sagt die Historikerin Ann-Judith Rabenschlag Karpe. Sie hat an der Universität Stockholm ihre Dissertation über Vertragsarbeit in der DDR geschrieben.

01 O-TON (Rabenschlag Karpe)

Der Grund ist in der DDR genau derselbe wie in Westdeutschland und in ganz vielen anderen europäischen Staaten. Es besteht schlicht und ergreifend ein Arbeitskräftemangel.

SPRECHERIN

Aber anders als die Bundesrepublik, wo die Fachkräfte vor allem aus der Türkei und Italien kommen, wirbt die DDR Arbeitskräfte aus sozialistischen Staaten an.

02 O-TON (Rabenschlag Karpe)

Die DDR schließt die ersten Verträge mit Polen und Ungarn. Und dann, im Laufe der 70er Jahre erweitert sich der geografische Fokus und man wirbt in Afrika, in Lateinamerika, in Asien an. Und dann die größten Gruppen kommen aus Mosambik und Vietnam.

MUSIK Königskinder Z8038689 103 0.55 Min.

SPRECHERIN

Anfangs sind es sehr wenige. Die große Mehrheit kommt erst in den 1980er Jahren in die DDR. 

03 O-TON (Rabenschlag Karpe)

Es beginnt mit sehr kleinen Zahlen Anfang der 60er Jahre mit ein paar 100 polnischen Arbeitern. Und Ende der 80er Jahre sind wir dann bei gut 90.000. 

SPRECHERIN

Die Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern übernehmen größtenteils unbeliebte Tätigkeiten in der DDR. 

04 O-TON (Rabenschlag Karpe)

Das sind Arbeiten, die physisch anstrengend sind, im Schichtdienst, mit Nachtdiensten verbunden, am Fließband, Arbeitsplätze, an denen man Lärm ausgesetzt ist, unangenehmen Gerüchen, und so weiter. Also alle Arbeitsfelder, die für jemanden, der sich zwischen mehreren Jobs entscheiden kann, nicht die erste Wahl sind. 

SPRECHERIN

Die vielen unbesetzten Stellen sind ein Problem für die Planwirtschaft der DDR. Die Maschinen sind nicht ausgelastet, die Norm kann nicht erfüllt werden. Eigentlich hätte in vielen Betrieben Tag und Nacht gearbeitet werden müssen, aber die Leute fehlen.

05 O-TON (Hentschel)

Am Anfang hat man versucht, die DDR-Bürger für das Schichtsystem zu gewinnen, das ist aber nicht so gelaufen, wie man sich das vorgestellt hat, so dass man dann Arbeitskräfte in den sozialistischen Bruderländern angeworben hat.

SPRECHERIN

Tamara Hentschel betreut damals Arbeitskräfte aus Vietnam. Sie erklärt, wie alles funktioniert und hilft bei Sprachproblemen. 

MUSIK Work in progress red 2 Z803431827 0.31 Min.

SPRECHERIN

Viele der vietnamesischen Arbeitskräfte, insbesondere die Frauen, arbeiten in der Textilindustrie. Hentschels Vietnamesinnen zum Beispiel im Betrieb „Herrenbekleidung Fortschritt“. Im Akkord schneidern sie Hosen und Hemden.

06 O-TON (Hentschel)

Wo man nicht mit gerechnet hatte, war, dass die Vietnamesen sehr geschickt sind und auch die Norm gebrochen haben, dadurch gab es dann auch sehr viele Konflikte, also in der Textilindustrie war das so, sehr viele Konflikte mit den deutschen Arbeitskräften.

SPRECHERIN

Denn wer die Norm übererfüllt, also ein Normbrecher ist, setzt die Kollegen unter Druck, ebenfalls schneller zu arbeiten. Anders als die Frauen werden die Männer aus Vietnam oft auf dem Bau eingesetzt. Hier kommt es ebenfalls zu Problemen. 

07 O-TON (Hentschel)

Im Baugewerbe gab´s ganz viele Unfälle, weil die Vietnamesen im Gegensatz zu deutschen Bauarbeitern und mosambikanischen Bauarbeitern sehr klein und schmächtig waren, und da gab es sehr viele Unfälle, die darauf zurückzuführen waren, dass die Arbeit einfach mal viel zu schwer war. 

MUSIK Needle and twin Z8019017 122 1.11 Min. 

SPRECHERIN

Schwere Arbeit, von der sie sich kaum erholen können, denn die Wohnverhältnisse sind beengt. Die Vertragsarbeiter leben, nach Geschlechtern getrennt, in Wohnheimen.

08 O-TON (Hentschel)

Zum Beispiel ne Dreiraumwohnung mit neun Personen in drei verschiedenen Schichten mit einer Küche und einem Bad. Und, ich weiß nicht, ob das im Westteil so bekannt ist, diese Badzellen, hat man dazu gesagt, das waren so ungefähr fünf Quadratmeter: ne Badewanne, ein Waschbecken, ne Toilette. Es gab keine Waschmaschine, also für die neun Personen musste alles mit der Hand gewaschen werden und dann in der Wohnung auch getrocknet werden. Und die Küche war meistens ein Durchgangszimmer zu einem anderen Zimmer, wo andere wiederum geschlafen hatten, weil sie Nachtschicht hatten. Und dann wurde versucht, mit zusätzlichen Kochplatten in den Zimmern dann zu kochen, was verboten war, und das war so meine Tätigkeit, aufzupassen wegen Brandschutz und Hygiene und so weiter. 

SPRECHERIN

Das Leben in den Wohnheimen ist streng geregelt. 

MUSIK Dark Tunnel Z8023930 109 0.30 Min. 

ZITATOR 

Heimordnung für das Betriebswohnheim „Insel“ des VEB Papierfabrik Dreiwerden. (…) Zur konsequenten Durchsetzung der Prinzipien von Ordnung, Sicherheit, Sauberkeit und Disziplin sind nachstehend aufgeführte Festlegungen einzuhalten. Die Zimmerzuweisung wird durch den Gruppenleiter getroffen. Ein selbständiges Umziehen in andere Zimmer (…) ist nicht statthaft. Es ist nicht gestattet, die Zimmereinrichtung auszuwechseln.

SPRECHERIN

Um 22 Uhr werden die Wohnheime geschlossen. Nur Schichtarbeitende dürfen dann noch ein- und ausgehen. Übernachtungen müssen genehmigt werden. Das gilt auch für Ehepaare. Denn die leben meist nicht zusammen, sondern sind ebenfalls nach Geschlecht getrennt untergebracht. Auch Kontakte zur deutschen Bevölkerung sind nicht erwünscht. 

09 O-TON (Hentschel)

Also erstmal waren sie ja im Wohnheim isoliert, die Bevölkerung rundrum war nicht informiert über den Einsatz. Warum sind die hier? Wer sind die überhaupt? Und persönliche Kontakte, wenn die nicht im Arbeitsprozess erfolgt sind, haben die eigentlich nicht stattgefunden.

MUSIK Motivated Work Z8034318 119 0.50 Min.

SPRECHERIN

Integration ist ohnehin nicht vorgesehen. Die Arbeitskräfte sollen vier oder fünf Jahre in der DDR bleiben, um zu arbeiten, und dann in ihr Heimatland zurückkehren. Dennoch kommt es immer wieder zu Kontakten zur DDR-Bevölkerung, auch zu Freundschaften und Liebesbeziehungen. Und mancherorts entsteht ein Austausch, der einträglich ist für beide Seiten. Hentschels Vietnamesinnen und Vietnamesen etwa schneidern bald Kleidung für DDR-Bürgerinnen und Bürger. Ein inoffizieller Nebenjob.

10 O-TON (Hentschel)

Die wollten die fünf Jahre nutzen, um so viel wie möglich Geld zu verdienen, damit sie ihre Familien zuhause unterstützen konnten. Und nach und nach haben Vietnamesen in den Wohnheimen dann pro Bettenplatz dann eine Nähmaschine aufgestellt und haben für die DDR-Bevölkerung Jeanshosen, Jacken, Röcke und so weiter genäht, alles nach Maß. 

MUSIK People of Iraq M0007510 036 0.32 Min.

SPRECHERIN

In Vietnam kommt damals jede Hilfe recht. 1975 war der Vietnam-Krieg zu Ende gegangen, nach mehr als 20 Jahren Gräueltaten und Verwüstungen. Das Land ist traumatisiert. Die Wirtschaft liegt am Boden. Geld können die Vertragsarbeiter nicht überweisen, denn die DDR-Mark ist nicht konvertibel, kann also nicht in andere Währungen umgetauscht werden. Deshalb schicken sie Waren nach Hause, erinnert sich der ehemalige Vertragsarbeiter Thach Nguyen.

11 O-TON (Nguyen)

Also Zucker, Seife, Ersatzteile für Fahrräder, für Motorräder, Kakao und gute Bekleidungen. 

SPRECHERIN

Vor allem Fahrräder sind sehr beliebt. Die sind in der DDR allerdings Mangelware. 

12 O-TON (Nguyen)

Ich hab nie in der DDR ein Fahrrad kaufen können. Wenn Fahrrad da ist, ist sofort weg. Wenn irgendwas da ist, dann sind schon so viele Vietnamesen da vor dem Laden. 

MUSIK Needle and twin Z8019017 122 0.58 Min. 

SPRECHERIN

Thach Nguyen hatte sich in Vietnam für die Vertragsarbeit bewerben müssen. Nur die Besten dürfen in die DDR. Für ihn war es deshalb eine Auszeichnung, ausgewählt zu werden. Es gilt den Sozialismus aufzubauen, zuhause und in den Bruderländern.

13 O-TON (Nguyen)

Man arbeitete für die Sache des Sozialismus, das ist so zu dieser Zeit, und die DDR stand damals an der Spitze, so muss man sagen. Also jeder ist stolz und freut sich, in die DDR kommen zu dürfen. 

SPRECHERIN

Er kannte die DDR bereits, weil er in den 1970ern an der TU Dresden studiert hatte. Danach war er nach Vietnam zurückgekehrt, um in einem Forschungsinstitut für Bauwesen zu arbeiten. Ende der 1980er kommt er als Vertragsarbeiter dann erneut in die DDR. Er wird Gruppenleiter und Dolmetscher auf dem Bau, weil er bereits gut Deutsch spricht. Anders als seine Kollegen, die kaum Zeit haben und Gelegenheit bekommen, die deutsche Sprache zu lernen. 

14 O-TON (Nguyen)

Bei uns durfte jeder nur acht Wochen Deutsch lernen, danach gleich arbeiten. Einige bekamen zwar Ausbildung, aber wenige. Wir waren eine Gruppe von 200, nur 15 bekommen eine Ausbildung als Schweißer, die anderen müssen sofort arbeiten. 

MUSIK Dark Tunnel Z8023930 109 0.32 Min.

SPRECHERIN

Das erzeugt viel Frust. Statt neue Fähigkeiten zu erwerben, müssen viele einfache Hilfstätigkeiten übernehmen. Sie schleppen Dachziegel oder sortieren Schrauben am Fließband. Und das, obwohl viele von ihnen top ausgebildet sind. Thach Nguyen bekommt als Gruppenleiter den Frust deutlich zu spüren.

15 O-TON (Nguyen)

Manche Leute stellen auch Fragen wie: Warum bin ich hier als ungelernte Arbeitskraft, warum bekomme ich Lohnstufe vier, obwohl ich Bauingenieur bin zum Beispiel. Das bedeutet, zuhause hat man ihnen nicht gut genug erklärt. 

MUSIK Success means work © Z8034319 118 0.38 Min.

SPRECHERIN

Die hohen Erwartungen kamen nicht von ungefähr. Denn die SED, also die Einheitspartei der DDR, hatte die Vertragsarbeit nach außen hin anders dargestellt. 

16 O-TON (Rabenschlag Karpe)

Wir bieten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus dem sozialistischen Ausland die Möglichkeit, sich hier bei uns weiter zu qualifizieren. Wir bieten ihnen die Möglichkeit, in einer hochindustrialisierten Gesellschaft auch technische Fähigkeiten zu erlernen und sich aber auch ideologisch weiterzuentwickeln. Und dann, so ist der Gedanke, dann können die Arbeiter zurückkehren in ihre Heimatländer und dort beim Aufbau junger Industrien helfen und auch den Geist des Sozialismus verbreiten. Das ist sozusagen die offizielle Sprechweise der SED.

MUSIK Structure ryhtme M0010659 003 0.18 Min.

SPRECHERIN

Frustriert sind nicht nur vietnamesische Arbeitskräfte, sondern auch viele Arbeitskräfte aus Mosambik. Sie waren nach den Vietnamesen die zweitgrößte Gruppe Vertragsarbeiter. Einen von ihnen lernt die Illustratorin Birgit Weyhe eher zufällig kennen. Auch er ist tief enttäuscht.

17 O-TON (Weyhe)

Weil er eben dachte, er bekommt eine Ausbildung in der DDR und dann aber kein Mitspracherecht hatte, sondern in Karl-Marx-Stadt an der Stanzmaschine in der Fabrik stand über Jahre. Und als er eben zurück musste nach der Wende auch damit nichts anfangen konnte, weil es eben Industrie in der Form gar nicht gab, wo er diese eine Handbewegung, die er an der Stanzmaschine gemacht hat, hätte nutzen können. Er war sehr frustriert, dass auch die Familie enttäuscht war, dass er nichts mitgebracht hat. 

MUSIK Structure ryhtme M0010659 003 0.27 Min. 

SPRECHERIN

Birgit Weyhe lebt heute in Hamburg, ist aber in Ostafrika aufgewachsen, und hat oft ihren Bruder in Mosambik besucht – sie kennt also Land und Leute. Sie war überrascht und auch ein wenig beschämt, dass sie nichts wusste von den mosambikanischen Arbeitskräften in der DDR. Sie beginnt zu recherchieren und spricht in Mosambik mit insgesamt 20 ehemaligen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern. 

18 O-TON (Weyhe)

Was alle einheitlich gesagt haben, ist, dass es hieß, sie könnten eben in die DDR, könnten da arbeiten und würden eine Ausbildung kriegen. Und das hat sich für die wenigsten erfüllt. Also manche konnten dann wenigstens einen Führerschein machen, was ihnen ein bisschen was gebracht hat. Aber das waren wirklich Ausnahmen.

SPRECHERIN

Birgit Weyhe zeichnet einen Comic. Das Buch erscheint 2016 und heißt „Madgermanes“. So nennen sich die mosambikanischen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter, die in der Hauptstadt Maputo auf die Straße gehen und protestieren. 

MUSIK Anxious Z8037642 105 0.19 Min.

SPRECHERIN

Denn während ihres Aufenthaltes in der DDR bekamen sie nur einen Teil der Löhne ausgezahlt. Der Rest wurde einbehalten. 

20 O-TON (Weyhe)

Manchmal waren es 60 Prozent, manchmal 50, die ihnen abgezogen wurde, weil es hieß, das Geld bekommt ihr, wenn ihr zurückkommt. Das kommt auf ein Konto, und wenn ihr zurück nach Mosambik kommt, dann habt ihr dieses ganze Geld und könnt damit dann euch ein neues Leben aufbauen und profitiert davon und eure Familien. 

SPRECHERIN

Eine schöne Vorstellung – die sich für die meisten allerdings nicht erfüllte.

MUSIK Needle and twin Z8019017 122 0.27 Min. 

21 O-TON (Weyhe)

Was die Vertragsarbeiter nicht wussten, ist, dass die beiden Länder untereinander einen Deal geschlossen hatten, dass mit diesen Löhnen die Devisen-Schulden Mosambiks abgezahlt werden. Das heißt, Mosambik hat eben Waffen eingekauft bei der DDR gegen Devisen und konnte diese Schulden nicht zurückzahlen, weil es eben ein Land war, was gerade unabhängig geworden ist und direkt in den Bürgerkrieg gegangen ist, woher sollten die Devisen kommen.

SPRECHERIN

Einen solchen Deal hatte die DDR nicht nur mit Mosambik, sondern auch mit anderen sozialistischen Staaten. 

22 O-TON (Rabenschlag Karpe)

Viele der Entsendestaaten waren bei der DDR verschuldet. Und diese Abkommen waren dann eine Möglichkeit, diese Schulden teilweise zu tilgen. Also jeder Arbeiter, der beispielsweise dann aus Mosambik nach Berlin geschickt wurde, um dort in einem volkseigenen Betrieb zu arbeiten, dessen Arbeitsleistung wurde teils in Form eines Gehaltes an den Arbeiter ausgezahlt und teils lief das Geld direkt in die Kasse der DDR zur Tilgung der Staatsschulden, was natürlich das individuelle Gehalt des Arbeitnehmers runtergedrückt hat. 

SPRECHERIN

Neben dem eher niedrigen Verdienst erlebten viele Mosambikaner auch Anfeindungen. Bekannt sind heute vor allem die rechtsextremen Anschläge in den 1990ern, also nach der Wende. Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Solingen. Aber auch schon vor der Wende gab es Übergriffe.

24 O-TON (Rabenschlag Karpe)

Wir wissen aus Stasiakten und Polizeiakten, dass es auch schon lange vor dem Mauerfall in der DDR zu rassistischen Übergriffen kam, also gewalttätigen Übergriffen. Die wurden aber totgeschwiegen und tabuisiert. Das hat natürlich mit dem ideologischen Hintergrund zu tun. Laut SED-Regime war Rassismus ein Symptom kapitalistischer Systeme. 

MUSIK Motivated work red 2 Z8034318 121 0.35 Mon.

SPRECHERIN

Das sind die Schattenseiten der Vertragsarbeit in der DDR. Und dennoch berichten viele auch von positiven Erfahrungen. Vom Zusammenhalt untereinander und in den Betrieben. Und von langanhaltenden Freundschaften und Menschen, die in der DDR eine Art Ersatzfamilie waren.  

25 O-TON (Weyhe)

Ich habe mit einer gesprochen, die hat immer noch zu Omi und Opi Kontakt. Das war ein Ehepaar, was sie ganz am Anfang kennengelernt hat und die sie jede Woche eingeladen hat zu Kaffee und Kuchen und die so ihr Anker waren. Die waren wirklich wie Omi und Opi für sie. Und die telefonieren immer noch und sind ganz eng. 

SPRECHERIN

Auch Thach Ngyuen erinnert sich im Großen und Ganzen gerne an die Zeit.

MUSIK Buddelkastenfreunde Z8038689 116 0.55 Min. 

26 O-TON (Ngyuen)

Wenn man sich heute trifft, also die ehemaligen Vertragsarbeiter, die erzählen immer noch von dem schönen Leben damals in der DDR. Denn sie müssen sich vorstellen, in Vietnam waren wir sehr arm, haben nicht genug zu essen, auf einmal haben sie genug zu essen, also Hühner, Brot, Fleisch, ein sauberes Bett, Warmwasser zum Beispiel. 

SPRECHERIN

Und, was ihm ganz wichtig ist: Viele Familien profitieren, auch seine eigene.

27 O-TON (Nguyen)

Man muss auch so sagen: Mit den Abkommen hat man auch sehr vielen Familien in Vietnam geholfen. Die Leute, die hier waren, die können Waren nach Hause schicken, die können ihre Familien zuhause unterstützen. Und nach der Wende, die die hiergeblieben sind oder die hinzugekommen sind, die dürfen dann ihre Familie herholen, wie ich zum Beispiel.

SPRECHERIN

Seine Tochter hat in Deutschland mit einem Notendurchschnitt von 1,0 Abitur gemacht und anschließend promoviert. Sein Sohn studiert Musik in der Schweiz.

28 O-TON (Nguyen)

Das ist das, was ich diesem Land zu verdanken habe.

MUSIK Anxious Z8037642 102 0.31 Min. 

SPRECHERIN

Das ist die heutige Perspektive, mehr als zwei Jahrzehnte nach der Wende. 1989, also nach dem Mauerfall, beginnt erst einmal eine sehr schwierige Zeit für die Vertragsarbeiter. Vor allem, weil ihr rechtlicher Status unklar ist.

29 O-TON (Rabenschlag Karpe)

Die Arbeitsmigranten befinden sich in einem juristischen Vakuum, weil ihre Aufenthaltsgenehmigung an den Arbeitsvertrag geknüpft gewesen war. Und dieser Arbeitsvertrag war aber vom Staat der DDR geschlossen worden. Und den gab es ja nun nicht mehr. Also war der Arbeitsvertrag nicht mehr gültig. Damit also auch die Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr.

SPRECHERIN

Einige Herkunftsländer holen ihre Arbeitskräfte deshalb bald nach Hause. 

30 O-TON (Hentschel)

Wie zum Beispiel Kuba, Nordkorea, China. Aber Mosambik, Angola, Vietnam haben ihre Leute nicht zurückgeholt. In Afrika war Bürgerkrieg und Vietnam stand kurz vor dem wirtschaftlichen Aus. 

MUSIK Königskinder Z8038689 103 0.43 Min

SPRECHERIN

Rund 90.000 Vertragsarbeiter leben zur Zeit des Mauerfalls in der DDR. Die Mehrheit kommt aus Vietnam. Teilweise sind sie erst ein paar Monate zuvor eingereist. Ein Großteil der Vertragskräfte kehrt zur Wendezeit in die Heimat zurück – einige bekommen eine ordentliche Abfindung, andere werden massiv zur Ausreise gedrängt. In Deutschland bleiben letztlich 

rund 20.000 Menschen aus Vietnam, 3000 aus Mosambik und 200 aus Angola. Ihre Situation ist oft äußerst prekär: Viele sprechen erst wenig deutsch und in den Wohnheimen können sie häufig nicht bleiben. 

31 O-TON (Hentschel)

Weil die Unterbringung war nicht für Arbeitslose, weil die ja alle arbeitslos geworden sind. Die wenigen Wohnheime, die es noch gab, haben gleich nach der Wende 120 D-Mark gekostet, also für ein Bett, ein Stuhl, ein Tisch, ein Schrank. 

SPRECHERIN

Geld, das erst mal verdient werden muss. Manche verkaufen Zigaretten auf der Straße, andere gründen kleine Imbisse oder Blumenläden. Oft im rechtlichen Graubereich. Denn ihr Status ist lange unklar und sie müssen jederzeit damit rechnen, abgeschoben zu werden. Oft wissen auch die Behörden nicht so genau, wie mit ihnen verfahren werden soll. Tamara Hentschel gründet deshalb eine Beratungsstelle für ehemalige Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeiter. 

32 O-TON (Hentschel)

Als wir dann als Beratungsstelle angefangen haben, war für uns erst mal wichtig, sie zu informieren über ihre Rechte. Dass sie Leistungen beziehen dürfen und Arbeitserlaubnis kriegen müssen und so weiter. 

SPRECHERIN

Sie engagiert sich mit anderen, dass der rechtliche Status endlich geregelt wird. Sieben Jahre dauert das, dann gibt es Klarheit. 

MUSIK Motivated work Z8034318 119 0.32 Min. 

33 O-TON (Rabenschlag Karpe)

1997 wird es dann möglich für diese ehemaligen Arbeitsmigranten, sich formal um eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung in der Bundesrepublik zu bewerben.

SPRECHERIN

Was bei den meisten auch genehmigt wird. Aus den ehemaligen Vertragsarbeiterinnen und Vertragsarbeitern, die im Rahmen der sozialistischen Bruderhilfe in die DDR kamen, werden nun also Bürgerinnen und Bürger der Bundesrepublik Deutschland.


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 February 7, 2024  21m