Anders & Wunderlich: Der Geschichten-Podcast

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Expl0556: Die Indus-Kultur


Was ist eine Hochkultur eigentlich? Könnte es sein, dass wir eine völlig vergessen beim Aufzählen, bloß, weil wir ihre Schrift nicht entziffern können? Z.B. die Indus-Kultur? Die Zivilisation der Harrappaner?

Download der Episode hier.
Musik: „Forever And Ever (2015)“ von Boogie Belgique / CC BY-NC-ND 3.0

[toggle title=”Skript zu Sendung”]
Wenn eines Tages die Archäologen der Zukunft Ausgrabungen in den Städten machen, in denen wir jetzt leben, was wird wohl von unserer Zivilisation geblieben sein? Wenn man das eine Zivilisation nennen kann und darf. Ist ja immer eine Sache, die man diskutieren kann.

Die Menschen damals, im Jahre 2000, die hatten z.B. jeder so kleine viereckige Täfelchen aus Plastik. Mit den verschiedensten Symbolen darauf. Und sie verwendeten auch Münzen, die sind auch noch erhalten. Die sind auch beschriftet. Die Symbole auf den Münzen und den viereckigen Plastiktäfelchen ähneln sich auch auffällig oft. Wahrscheinlich haben die Täfelchen auch Geld-Charakter. Vielleicht waren das Geldkarten.

Und dann fand man noch ganz, ganz viele seltsame Plastiksäcke. Unzerstörbar. Für die Ewigkeit gemacht. Auch diese Behältnisse waren mit seltsamen Symbolen bedruckt. Und einzelenen Buchstaben. Man geht davon aus, dass es sich dabei um Stammes-Symbole handelt. Hier im Süden des Landes, das damals Tütland hieß z.B. war besonders der Stamm Aldi-Süd mit vielen solcher Säcke vertreten. Einige Forscher gehen davon aus, dass es sich bei diesen Säcken um rituelle Kopfbedeckungen handelt. Die bei bestimmten Gelgenheiten getragen wurden, um zu zeigen, ob man zum Stamme Aldi oder Lidl oder Penny gehörte. Das hätte auch den zusätzlichen Sinn, vor Regen zu schützen – das haben erste Feldtests eindeutig nachgewiesen. Die Stammeshütetüten schützen vor Regen. Wozu sonst hätte man Abertausende dieser unverrottbaren Gegenstände herstellen sollen? Tja. Wie die wohl gelebt haben, die Menschen im Jahre 2016?

So ähnlich wie den Forschern der Zukunft mit uns geht es den Forschern der Gegenwart mit der Indus-Kultur. Oder manchmal auch Harappa-Kultur. Wahlweise auch in der Ausprägung Zivilisation. Was man ja alles immer diskutieren kann. Was jetzt zivilisiert ist und was nicht, meine ich.

Oder was genau eine Hochkultur ist und was nicht. Ist z.B. unsere gegenwärtige Gesellschaft eine Hochkultur? Wo Chicken McNuggets als Lebensmittel zählen? Und „Bauer sucht Frau“ als Unterhaltung? Wo jeder einfach eine Radiosendung ins Internet stellen kann, ohne genau zu wissen, wovon er da eigentlich spricht? So wie z.B. dieser Explikator?

Na ja, egal. Das sollen die Archäologen in viertausend Jahren entscheiden. So wie wir das heute tun mit den Kulturen, die vor viertausend Jahren so existierten. In den meisten Texten, die man da so findet, werden da zwei große Ur-Kulturen genannt. Mesopotamien und Ägypten. Die hatten damals den Sprung von einer dörflichen Agrarkultur zu einer Zivilisation mit Städten, mit Handel, mit Literatur und mit staatlichen Strukturen geschafft. Was man ja auch wieder diskutieren kann, ob das Fortschritt ist…

Auf jeden Fall sind das nur ein paar der Kriterien, die wir an eine sogenannte Hochkultur anlegen. Aber weil wir halt von Europa auf die Welt kucken, vergessen wir da meistens einiges. Da wäre nicht nur die chinesische Zivilisation, die wir immer tunlichst außen vor lassen, sondern eben auch diese rätselhafte Indus-Kultur.

Die erstreckte sich vor viertausend Jahren über das heutige Pakistan, Westindien und Afghanistan und überspannte dabei ein Gebiet, dass so groß ist wie Westeuropa. Die Harappaner, wie man diese Menschen auch nennen darf, verfügten dabei über mehrere richtig große Städte.

Bis zu 50.000 Personen wohnten z.B. in Mohenjo-Daro oder eben Harappa. Sie hatten ihre Städte meisterhaft geplant und erbaut und dabei den Ziegelstein als Baumaterial optimiert. Schaut genauso aus wie unsere Ziegelsteine heute immer noch. Aus guten Ingenör-Gründen.

Beide der großen Städte verfügten über eine Kanalisation komplett mit WC und Gullydeckeln. Die großzügigen Stadthäuser – nicht unter 60 qm, hoch bis 200 qm – verfügten über Innen-Gärten und fließend Wasser. Man hatte als erste Kultur die Baumwolle angebaut und die farbenfrohen Stoffe, die man produzierte, verkauften sich prima z.B. ins Reich der Sumerer. Das wissen wir nämlich von letzteren.

Große Städte voller Händler und Kunsthandwerker, aber ohne irgendwelche Zeichen königlicher Angeber-Baudenkmäler oder eindrucksvoller sakraler Bauten. Keine Götterstatuen am Indus. Das größte Gebäude von Mohenjo-Daro, dass in der Mitte der Stadt thront, ist wahrscheinlich ein öffentliches Bad. Aber das wissen wir nicht.

Denn, um ganz genau zu sein, wissen wir fast nichts über diese seltsame Hochkultur Asiens. Nur dass, was eben die Erde hergibt. Man aß wohl hauptsächlich Hülsenfrüchte und Hirse, es gibt nur einen einzigen, umstrittenen Fund von Reis. Man hatte ausgeklügelte Bewässerungsanlagen, ein ausgefuchstes Handelsroutensystem per Boot und Schiff und breite Straßen in den Städten. Man kannte das Rad, den wir haben Kinderspielzeug mit Rädern gefunden.

Eine kleine Maus mit Rädern! Aber auch Wägen mit Lenkern. Wir haben viel Schmuck gefunden, viele bunte Farben, Edelsteine aus ganz Asien und besonders viele Tonsiegel. Das sind kleine Plaketten, kleiner als unsere Kreditkarten. Mit Symbolen, meistens Tieren. Echte Tiere, Sagentiere oder Mischwesen. Und die meisten der kleinen Kartuschen zeigen auch einen kleinen Schriftzug.

Die Hochkultur des Indus, die Harappa-Kultur kannte Schrift. Wahrscheinlich. Denken wir. Denn entziffern konnten wir bisher nichts.

Es gibt keinen Rosetta-Stein, der uns da hilft. Kein Dokument, in dem ein Text in Harappa steht und daneben meinetwegen in Mesopotamisch oder Ägyptisch. Wir wissen nicht einmal, welche Sprache man da sprach am Indus. Oder wo diese Menschen herkamen und noch weniger: Wir wissen nicht, wo sie hingegangen sind. Oder warum.

Denn ungefähr 700 Jahren nach der Konstruktion der großen Städte verschwinden die Harrapaner und Mohenjo-Daro-Bewohner. Es gibt viele Theorien, warum und wieso und weshalb.

Klimaveränderungen, immer ein beliebter Grund oder eben „feindliche Übernahme“. Die Arier wären gekommen und hätten die friedlichen Künstler vom Indus vertrieben, so war lange die Theorie.

Doch auch dafür gibt es keinerlei Belege. Wir wissen es. Einfach. nicht. Wir können schlicht und einfach nicht lesen, was uns diese Menschen hinterlassen haben.

Über viertausend Jahre ist es her, dass neben Mesopotamien, Ägypten und in Anfängen in China eine große Zivilisation auf der Erde weilte.

Mindestens fünf Millionen Menschen, friedlich vereint in einem Kulturraum. Schwerter z.B. haben wir nicht gefunden, keine Kriegergräber und keine Massenfriedhöfe.

Die da Handel trieben und wunderschöne Kunstgegenstände produzierten. Miteinander redeten und sogar eine eigene Schrift entwickelten, aber uns nichts hinterlassen haben, dass sie beschreibt.

Wir wissen nicht, wie sie lebten, an was sie glaubten und zu wem sie beteten. Wir wissen nicht, ob sie Fürsten hatten oder Könige oder aber die früheste Demokratie der Welt waren.

Wir haben keine Ahnung, ob man z.B. aqm Indus heiratete. Wie Familien aufgebaut waren, oder ob Familie für diese Menschen vielleicht gar nicht wichtig war. Vielleicht waren das frühe Kommunisten? Oder aber die schrecklichsten Neoliberalen, die wir uns nur vorstellen können.

Wahrscheinlich verfügt jeder von uns über eine nicht unbeträchtliche Menge an Atomen, die einstmals in jemandem dieser Kultur ihren Dienst verrichteten. Sehr gut möglich, dass wir selbst in unserer DNA Spuren von Harrapa-Genen mit uns herumtragen.

Aber wir wissen nichts über diese Menschen zu sagen, weil wir ihre Texte immer noch nicht lesen können. Weil wir nicht einmal wissen, welche Sprache die gesprochen haben.

Auf jeden Fall hatten sie aber nicht so tolle, unverrottbare Aldi-Kopfbedeckungen, wie wir sie als Hochkultur entwickelt haben. Dafür werden uns die Menschen noch in viertausend Jahren beneiden! Es lebe Aldi!
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 November 2, 2016  17m