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Hebammen ? Hilfe ins Leben


Eine Geburt ist immer auch ein soziales Ereignis, das Menschen prägt und ihr Leben verändert. Der Beruf der Hebamme war immer mit einer besonderen Aura umgeben. Von Brigitte Kohn

Credits
Autorin dieser Folge: Brigitte Kohn
Regie: Frank Halbach
Es sprachen: Irina Wanka, Christian Baumann, Jenny Güzel
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Prof. Dr. Barbara Fillenberg, Hebamme und Lehrstuhlinhaberin für Hebammenwissenschaft an der Universitätsmedizin der Johannes-Gutenberg-Universität Mainz, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Hebammenwissenschaft e.V.
PD Dr. habil. med. Nadine Metzger, PhD, Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, Lehrstuhl für Geschichte der Medizin an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

1 O-TON PROF. FILLENBERG 00.49

Ich muss zugeben, dass ich immer noch Tränen in den Augen hab, wenn das Baby geboren ist. Ich glaub, das hängt auch damit zusammen, dass ich unglaublich stolz bin auf die Frau, die diese Leistung absolviert hat in dem Moment. Und das ist so eindrücklich, dass mich das nie loslässt. 

ERZÄHLERIN:

Die Hebamme Barbara Fillenberg, Professorin und Lehrstuhlinhaberin für Hebammenwissenschaft an der Johannes-Gutenberg Universität in Mainz, hat vielen Kindern auf die Welt geholfen und viele Paare auf den Weg ins Elternsein begleitet. Sie weiß, dass das Erleben und Gestalten von Geburten sehr stark von historischen und sozialen Rahmenbedingungen abhängt und sich im Lauf der Zeit verändert.

MUSIK ENDE

2 O-TON BARBARA FILLENBERG 8.50

Ich stelle schon fest, dass das Thema Geburt nicht mehr so präsent ist in den Köpfen der werdenden Eltern. Dass das eigene Baby das erste Baby ist, das die Eltern auf dem Arm tragen, und dass sie sich im Vorfeld wenig Gedanken machen, was das eigentlich bedeutet, ein Kind zu kriegen. Oder sie haben sich so viel Gedanken gemacht, dass sie viele Filme anschauen und viel Informationsmaterial einholen und dann eher in die Risikodenkweise kommen. Und das ist für uns als Hebammen nicht ganz befriedigend, weil wir ja einen ganz anderen Ansatzpunkt haben, und wir hätten schon gerne, dass die Kinder lernen, dass eine Geburt was ganz Normales ist, was dazugehört zum menschlichen Leben und dass das auch ein normaler Vorgang ist im Leben einer Frau, der bei den Frauen meistens ganz gutgeht.“

ERZÄHLERIN:

Dass das Kinderkriegen meistens ganz gut geht, darauf konnte man nicht immer so zuversichtlich hoffen. Im 18. Jahrhundert nehmen etwa 20 Prozent der Geburten einen tragischen Verlauf. Auch Johann Wolfgang Goethe wäre bei seiner Geburt fast gestorben. Seine Mutter Catharina Elisabeth erzählt Jahrzehnte später ihrer Freundin, der Dichterin Bettine von Arnim, von den Strapazen ihrer Niederkunft, und Bettine gibt das Gehörte brieflich an Goethe weiter:

MUSIK   „Clock Winder”; ZEIT: 00:53

ZITATORIN:

"Drei Tage bedachtest Du Dich, eh Du ans Weltlicht kamst, und machtest der Mutter schwere Stunden; aus Zorn, dass Dich die Not aus dem eingeborenen Wohnort trieb, und durch die Misshandlung der Amme kamst Du ganz schwarz und ohne Lebenszeichen."

ERZÄHLERIN:

Protestantische Gesangsbücher jener Zeit enthalten Lieder, die Schwangeren Mut machen sollen. Vor der Geburt machen viele Frauen ihr Testament. Catharina Elisabeth Goethe und ihr erstes Kind haben Glück: Alles wird gut. 

ZITATORIN:

„Sie …  bäheten Dir die Herzgrube mit Wein, ganz an Deinem Leben verzweifelnd. Deine Großmutter stand hinter dem Bett, als Du zuerst die Augen aufschlugst, rief sie hervor: Rätin, er lebt!“

MUSIK ENDE

ERZÄHLERIN:

Wein gilt als Stärkungsmittel, man reibt schwächliche Neugeborene damit ein und gibt ihn auch den Gebärenden und Wöchnerinnen zu trinken. Des Weiteren hält man Zugluft von der Wochenstube fern, heizt gründlich ein, stellt Tücher, heißes Wasser und frische Butter als Schmier- und Gleitmittel bereit. Hebammen haben im allgemeinen Klistiere im Gepäck, Leinenfäden zum Abbinden der Nabelschnur, stumpfe Scheren zum Durchschneiden derselben, Salmiakgeist und Kräutersalben, auch Weihwasser und Spritzen zur Nottaufe von Kindern, die bei der Geburt zu sterben drohen. Und dann wartet man ab und hofft das Beste. Bei Komplikationen jedoch muss eine Hebamme entschlossen zugreifen. Goethes Hebamme geht so rabiat zu Werke, dass die Familie ihr die Schuld an dem gefährlichen Verlauf der Geburt gibt. 

MUSIK  „Clock Winder”; ZEIT: 01:01

ERZÄHLERIN:

Das 18. Jahrhundert ist eine Zeit großer Veränderungen, auch in der Medizin. Immer mehr männliche Ärzte drängen in die Geburtshilfe und beanspruchen die Kontrolle über die Hebammen, ohne selbst Praxiserfahrung zu haben. Das geht nicht ohne Konflikte ab, und die schwelen lange auch in den Hierarchien moderner Kliniken bis in die Gegenwart hinein. Barbara Fillenberg ist zuversichtlich, dass die Akademisierung für mehr Augenhöhe sorgen wird. Seit 2020 ist Hebammenwissenschaft auch in Deutschland ein Studiengang, der den Hebammen auch wissenschaftliche Karrieren eröffnet. Das wird die Forschung beleben, denn Hebammen legen den Fokus auf den normalerweise unproblematischen Verlauf von Schwangerschaft und Geburt, während Ärzte sich stärker mit Risiken auseinandersetzen müssen.  

MUSIK ENDE

Das Studium der Hebammenkunde hat einen hohen Praxisanteil und zieht viel Interesse auf sich, weiß die Medizinhistorikerin Nadine Metzger, die die Studentinnen an der Universität Erlangen in der Geschichte des Hebammenberufs unterrichtet. Sie hat ein Lehrbuch verfasst mit dem Titel „Medizinische Terminologie für Hebammen“, das auch umfangreiche Kapitel zur Geschichte dieses Berufes enthält, und sie arbeitet gern mit den jungen Leuten im aufblühenden Feld der Hebammenwissenschaften.

3 OTON NADINE METZGER:

Die sind unglaublich engagiert, und es gibt auch sehr viele Bewerbungen auf die Studienplätze. Die Studienplätze sind sehr begrenzt, weil es so intensive Praxisanleitungen in diesem Studium hat, und da kann man halt nicht 100 Leute gleichzeitig ausbilden, sondern maximal 25 oder 35 hier in Erlangen. Es kommen aber viele hundert Bewerber auf diese Plätze.

MUSIK privat Take 009 „Realise“; Album: Eyes of a Beginner: Original Motion Picture Soundtrack; Label: Thomas Marland; Interpret: Thomas Marland; Komponist: Thomas Marland; ZEIT: 01:01

ERZÄHLERIN:

Gelehrte Hebammen gab es früher auch schon. In der Antike sind sie nicht einmal so selten. Viele von ihnen haben eine ähnliche Ausbildung wie Ärzte, manche verfassen auch Bücher. Platon überliefert, dass die Mutter des Sokrates Hebamme gewesen sei und dessen philosophisch-didaktische Methode inspiriert habe: So wie die Hebamme dem Kind auf die Welt helfe, so verhelfe er, Sokrates, seinen Schülern dazu, Gedanken und Einsichten zur Welt zu bringen. Der Philosoph Aristoteles sucht häufig das Gespräch mit Hebammen, wenn er an seinen anatomischen und naturkundlichen Schriften arbeitet. Im 17. Jahrhundert hat es Justine Siegemund, eine gebildete Pastorentochter, von der Dorfhebamme zur Hofhebamme am brandenburgischen Hof gebracht und ein vielbeachtetes Lehrbuch veröffentlicht. 

MUSIK ENDE

4 O-TON BARBARA FILLENBERG 28. 

Siegemund hat einen Begriff geprägt, den ich bis heute faszinierend finde, das ist das Kontaktwissen. Als Hebamme lerne ich die Frau als Person kennen, lerne ihre Familie kennen, und wenn ich die Wochenbettbegleitung mache und die Schwangerschaftsvorsoge auch im häuslichen Umfeld anbiete, dann stelle ich fest, wie die Frau lebt und welche Ressourcen ihr zur Verfügung stehen. Dass ich auch erspüren kann von der Frau, was braucht die jetzt von mir.

ERZÄHLERIN:

Im 18. Jahrhundert entwickelt eine Französin namens Angélique du Coudray ein wegweisendes Unterrichtsmodell …

5 O-TON BARBARA FILLENBERG 

um zu zeigen, wie sich das Kind durch das Becken schraubt bei der Geburt. Sie konnte an diesem Modell auch Komplikationen darstellen, und Hebammen hatten immer die Gelegenheit, an diesem Modell zu üben, auch manuell zu üben, und das wird bis heute angewandt.

ERZÄHLERIN:

Aber Siegemund und Coudray sind Ausnahmehebammen. Die durchschnittliche Hebamme im Mittelalter und in der frühen Neuzeit kommt aus den ärmeren Schichten: Als Bäuerin oder Handwerkersfrau ist sie auf einen Zuverdienst angewiesen und hat weder Zeit noch Kenntnisse zum Bücherschreiben. Aber Erfahrung mit Geburten und einen guten Ruf in der Dorfgemeinschaft, das hat sie schon.

6 O-TON METZGER:

Die verheirateten Frauen wählen untereinander aus ihrer Mitte die Hebamme, und das ist eine Frau, zu der sie offensichtlich Vertrauen haben. Das ist aber nicht so, dass die eine Ausbildung gehabt hätten, das war nicht großartig organisiert. Eine informelle Wissensweitergabe.

ERZÄHLERIN:

Im Dorf spricht es sich schnell herum, wenn bei einer Frau die Wehen einsetzen. Nachbarinnen und Verwandte eilen herbei, die Männer holen die Hebamme ab, begleiten sie durch oft unwegsames Gelände und ziehen sich zu Hause, wenn es dann hart auf hart kommt, zurück. Gebären ist Frauensache. 

7 O-TON NADINE METZGER

Traditionell haben immer die Frauen aufrecht geboren. Entweder gestützt im Stehen, im Hocken, durch andere Frauen aufrecht gehalten, oder im 17., 18. Jahrhundert auf Gebärstühlen, im aufrechten Sitzen.

ERZÄHLERIN:

Die Gebärende bleibt bekleidet, das gebietet das Schamgefühl auch unter Frauen, und die Hebamme ertastet die Lage des Kindes unter ihren Röcken. Ist die Lage problematisch, muss das Kind im Mutterleib gewendet werden. Ein Kaiserschnitt ist noch keine Option, die Mutter würde verbluten.

8 O-TON NADINE METZGER:

Die Hebamme Justine Siegemund beschreibt in ihrem Buch ein von ihr entwickeltes Verfahren mit Hilfe eines Wendestäbchens, wo die Hebamme ihren Arm bis in den Uterus einführt und mit einem Stäbchen und einer Schlinge das Kind im Mutterleib wendet. Das muss eine schreckliche Prozedur gewesen sein, aber das hat Leben gerettet. Das zu können und zu wissen, wie man das macht, und es im richtigen Moment zu machen, das hat eine gute Hebamme in der Vormoderne ausgezeichnet.

MUSIK  „Golden arrow“; ZEIT: 01:41

ERZÄHLERIN:

In Fällen, in denen sich ein tragisches Ende abzeichnet, dürfen und müssen Hebammen dem Kind die Nottaufe spenden und den sterbenden Müttern die Beichte abnehmen, also priesterliche Funktionen übernehmen. Die Kirche achtet darauf, dass sie die entsprechenden Gebetsformeln und Rituale beherrschen, und sie erwartet auch von ihnen, dass sie Verstöße gegen die Sittlichkeit, uneheliche Geburten zum Beispiel und den Namen von Kindsvätern, melden. Zur Zeit der Inquisition müssen Hebammen sich verstärkt bemühen, an ihrer Rechtgläubigkeit keinen Zweifel zu lassen, um nicht in den Verdacht der Hexerei zu geraten. Das ist nicht so einfach, da Bräuche und Rituale mit heidnischem Einschlag oft noch sehr beliebt sind.

AKZENT

Die Entlohnung der Hebammen regelt allerdings niemand. Wohlhabende Familien geben Geld oder Naturalien, Feuerholz zum Beispiel, bei den Armen gibt es wenig oder nichts zu holen. Viele Hebammen, die ja oft selbst einen harten Lebenskampf bestehen müssen, verwenden also mehr Sorgfalt und Zeit auf reiche Familien als auf arme. Das ist einer der Missstände, die den Regensburger Stadtvätern 1452 ins Auge fallen, weswegen sie den ersten überlieferten Versuch unternehmen, die Geburtshilfe amtlich zu regeln. Sie sehen …

MUSIK ENDE

ZITATOR:

„den Mangel und Abgang, den sie in ihrer Stadt an guten Hebammen hätten, und dass durch Unordnung der Hebammen zu Zeiten die Frauen verwahrlost würden“.

ERZÄHLERIN:

Die Regensburger Stadtväter verbieten den Hebammen, den Geburtsvorgang künstlich zu beschleunigen oder die Gebärende vorzeitig zu verlassen, um zu einer anderen womöglich reicheren Frau zu eilen. Und außerdem sollen die Hebammen bei der Arbeit nicht trinken, jedenfalls keinen Alkohol.

ERZÄHLERIN:

Die Stadtväter regeln noch einiges mehr, und sie lassen die Frauen einen Eid vor der Obrigkeit schwören, dass sie sich an alle Auflagen halten werden.

10 O-TON NADINE METZGER:

Dass Hebammen ihren Job richtig machen, wurde kontrolliert durch ein Gremium ehrbarer Frauen, wahrscheinlich die Gattinnen von Ratsherren oder wichtigen Handwerksmeistern. Und die haben in dieser weiblichen Sphäre der Frauengemeinschaft geguckt, dass die vereideten Hebammen sich an den Eid halten. 

MUSIK  „Golden arrow“; ZEIT: 01:16

ERZÄHLERIN:

Hebammeneide sind also der Ursprung der Professionalisierung der Geburtshilfe. Später werden sie vor Ärztekollegien abgelegt, denn seit dem 17. Jahrhundert steigen im Zuge des Fortschritts der Naturwissenschaften das Ansehen und der Einfluss der Ärzte in der Stadtgesellschaft rapide an. Immer mehr Landesherren erkennen, dass die Gesundheit ihrer Landeskinder und eine hohe Bevölkerungszahl für die Wirtschaft und die Landesverteidigung wichtig sind, und fördern den Beginn einer öffentlichen Gesundheitsfürsorge. Ärzte kontrollieren und überwachen die Hebammen zunächst und bilden sie später auch aus. 

Obwohl diese Entwicklung Konflikte und Nachteile mit sich bringt, hält die Medizinhistorikerin Nadine Metzger nichts davon, vormoderne Verhältnisse zu idealisieren. Ähnlich wie die historische medizinische Literatur enthalte das schriftlich überlieferte traditionelle Hebammenwissen auch Irrtümer wie beispielsweise Opiumgaben für Neugeborene, sagt sie. 

11 O-TON NADINE METZGER:

Man muss sich sehr davor hüten, das zu romantisieren. Das Bild der Hebamme als weise Frau mit besonderem Heilwissen, mittelalterlich verbrämt, das ist eine Figur, die sehr stark durch die Nazis gefördert wurde. 

ERZÄHLERIN:

In der Stadt setzen sich die neuen Spielregeln viel schneller durch als auf dem Land, wo lange alles beim Alten bleibt. Zwar werden auch Landgemeinden spätestens seit 1800 dazu verpflichtet, angehende Hebammen zu medizinischen Kursen in die Stadt zu schicken, aber die Landfrauen akzeptieren die neumodischen Geburtshelferinnen oft nicht und schicken lieber nach den traditionellen, die sie schon kennen und die auch an den lebhaften Trubel gewöhnt sind, in dem das Gebären so stattzufinden pflegt. Cousinen, Tanten und Nachbarinnen bechern gemeinsam Wein und Bier, rauchen Tabak und überbieten sich gegenseitig mit Ratschlägen.

ZITATOR:

 „Alle die anwesenden Frauen erzählen die Stellung, in welcher jede von ihnen ihre Kinder am leichtesten zur Welt gebracht hat, und nötigen die Gebärende, alle diese Stellungen nacheinander zu versuchen“,

ERZÄHLERIN:

… stellt ein Arzt aus Altona im Jahre 1763 irritiert fest. In einigen Stadtarchiven gibt es Akten über Prozesse, in denen sich eine Hebamme und ein Arzt wechselseitig der Ahnungslosigkeit und Praxisferne beziehungsweise der Kurpfuscherei beschuldigen. Karikaturen von beschwipsten Hebammen machen die Runde.

12 O-TON NADINE METZGER.

Es ist oft in dieser Zeit für uns schwer zu trennen, was ist üble Nachrede und was ist ein realistisches Problem gewesen. Dieses Bild der alkoholisierten, unfähigen, schmutzigen Hebamme, das ist ein Bild, das sehr viel von ärztlichen Autoren beschworen wird. Im 18. Jahrhundert, im 19. Jahrhundert und auch noch im 20. Jahrhundert.

MUSIK „Golden arrow“; ZEIT: 00:55

ERZÄHLERIN:

Der moderne Arzt will Ruhe und Konzentration und einen zügigen Geburtsverlauf. Häufig greift er viel zu schnell zur Geburtszange, die es seit dem 17. Jahrhundert gibt und die die Hebammen nicht verwenden dürfen; Risikogeburten sind zum Vorrecht des Arztes geworden. Viele Frauen und Kinder überleben die Tortur einer Zangengeburt allerdings nicht. Auch die Gebärhäuser, die im 18. und 19. Jahrhundert entstehen, haben so erschreckend hohe Sterberaten, dass Kritiker sie als „Mördergruben“ bezeichnen. Und doch werden diese Häuser hauptsächlich deswegen gegründet, um die Ausbildung ärztlicher Geburtshelfer zu ermöglichen und die der Hebammen zu systematisieren.

MUSIK ENDE

13 O-TON METZGER:

Die Idee war die, dass arme Frauen, Frauen aus der Unterschicht mit unehelichem Kind, dass die so verzweifelt sind, dass die dann in so eine Anstalt gehen und sich dort als Anschauungsobjekt den Ärzten und Studenten zur Verfügung zu stellen. Und da normalerweise Gebären im Frauen- und Familienkreis abgelaufen ist, haben das wirklich nur ganz verzweifelte Frauen gemacht. Aber aus dieser Praxis konnte dann eben die aufstrebende männliche ärztliche Geburtshilfe genügend Anschauungs- und Forschungsmaterial gewinnen – also, „Material“ ist hier ein entpersonalisierendes Wort für die Gebärende und ihr Kind -, um daraus die Geburtshilfe als ärztliche Disziplin zu etablieren.

MUSIK  „Clock Winder”; ZEIT: 01:00

ERZÄHLERIN:

Die Frauen müssen im Liegen gebären, um Medizinstudenten und Hebammenschülerinnen bessere Einblicke zu gewähren. Das Kindbettfieber rafft eine Frau nach der anderen dahin. 1847 schöpft der Wiener Arzt Ignaz Semmelweis den Verdacht, das könnte mit den ungewaschenen Händen der Ärzte zusammenhängen, die gerade von der Leichenschau kommen, aber er stößt auf Widerstände. Antiseptische Vorgehensweisen setzen sich nur allmählich durch – im Fahrwasser der Fortschritte in der Chirurgie. Von denen profitiert auch die Geburtshilfe. Seit 1882 ist es möglich, den Uterus nach einem Kaiserschnitt mit Carbolseide zu vernähen. Das senkt die Mortalität im Laufe der folgenden Jahrzehnte immer mehr und ist ein entscheidender Wendepunkt in der Geschichte der Geburtshilfe.

MUSIK ENDE

ERZÄHLERIN:

Das wachsende Hygiene- und Gesundheitsbewusstsein hat aber auch eine dunkle Seite. Vorstellungen von Rassereinheit und Eugenik machen sich bereits im 19. Jahrhundert in den Wissenschaften breit. Sie finden ihren furchtbaren Höhepunkt im Nationalsozialismus, der auch den Hebammenberuf ideologisch für sich vereinnahmt.

15 O-TON NADINE METZGER

Die Reichshebammenführerin Nanna Conti war die Mutter des Reichsärzteführers, Leonardo Conti. Das war eine ganz stramme Nationalsozialistin, die schon in den 20er Jahren in die NSDAP eingetreten war und voll hinter jedem völkischen Gedankengut stand und es sehr geschickt geschafft hat, die Hebammen in den Dienst der Körperpolitik der NS-Diktatur zu stellen.

MUSIK   „Clock Winder”; ZEIT: 00:52

ERZÄHLERIN:

In der Nachkriegszeit setzt sich die Klinikgeburt auch auf dem Land flächendeckend durch, in der DDR in den Sechzigern, in der Bundesrepublik etwas später. In der DDR verbucht man bessere Erfolge bei der Senkung der Mütter- und Säuglingssterblichkeit als in der Bundesrepublik, auch die Hebammenausbildung ist sehr viel fundierter. 

Im Westen übernehmen Kassenärzte seit 1965 auch die Schwangerenvorsorge, was die Hebammen erst mal ins Hintertreffen geraten lässt. Inzwischen haben sie aber wieder ein gutes Standing, findet die Hebammenwissenschaftlerin Barbara Fillenberg. In ihrer vielfältigen Laufbahn als Hebamme hat sie auch die Erfahrung gemacht, dass Ärzte und Hebammen gut zusammenarbeiten können.

MUSIK ENDE

16 O-TON BARBARA FILLENBERG:

Und dieses Miteinander, das würd ich mir wünschen, dass wir das intensivieren, weil ich glaube, für die Frauen, für die Familien gibt’s nichts Besseres, als wenn die Berufsgruppen Hand in Hand arbeiten. Für mich ist es so, dass wir von der Frau aus und den Bedürfnissen des Kindes aus denken sollten und nicht unbedingt nur, was will die Berufsgruppe für sich selber, ob das jetzt Ärzte oder Hebammen sind. Der Diskurs bringt uns weiter. Es wär ja schrecklich, wenn‘s immer nur harmonisch wär, dann würden wir ja auf der Stelle treten.

17 O-TON NADINE METZGER:

Ich glaube, es sehen alle in dem Bereich als Problem, dass man sich unter Personalmangel-Umständen nicht genügend um die einzelne Gebärende kümmern kann. Es ist ein organisatorisches Problem, es ist ein finanzielles, wirtschaftliches Problem, und allein der Hebammenmangel ist dafür nicht verantwortlich, es ist ein strukturelles Ding. Man kann nur hoffen, dass da gute neue Lösungen entwickelt werden.



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 March 14, 2024  22m