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Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne - Die Magie des Neubeginns


Ein neuer Job, eine neue Stadt, eine neue Liebe: Neuanfänge sind aufregend und voller Hoffnung. Voraussetzung für einen kraftvollen Neuanfang sind Mut und Risikobereitschaft sowie ein Abschied. Von Karin Lamsfuß

Credits
Autorin dieser Folge: Karin Lamsfuß
Regie: Martin Trauner
Es sprachen:
Technik:
Redaktion: Bernhard Kastner

Im Interview:
Günter Menne, Coach; Gerald Hüther, Hirnforscher
Peter Gross, Buddhist und Psychotherapeut
Dr. Michael Schonnebeck, Facharzt für Psychotherapie und Psychosomatik; Petra Bock, Autorin und Coach
Petra van Laak, Unternehmerin

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

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ZUM PODCAST

ARD alpha
Sein Leben ändern: Wie ihr einen NEuanfang wagt und meistert

Wir freuen uns über Feedback und Anregungen zur Sendung per Mail an radiowissen@br.de.

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Sprecher: 

Aus dem grauen, leblos wirkenden Erdboden arbeiten sich zaghaft die ersten Triebspitzen der Krokusse empor und bilden bald darauf lila Teppiche. Nahrung für die Hummeln, die langsam aus der Winterruhe erwachen. Sie sind bei den ersten Sonnenstrahlen aus ihren Erdlöchern emporgekrabbelt und fliegen nun mit leisem Summen von Blüte zu Blüte. So als würden sie die Geschichten des Winters miteinander teilen. Goldgelbe Pollenstaubwolken fliegen durch die Luft. Das pralle Leben kehrt zurück nach dem langen, kargen Winter. 

Sprecherin: 

Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne.

Sprecher: 

In der Natur, so wie in allem Leben.

O-Ton 1 Petra Bock (0‘29“)

Und dann bin ich ins Bett gegangen, konnte lange nicht einschlafen, plötzlich hatte ich ne Art Vision, so kann man es wirklich nennen, hatte ich ein Bild, wie ich an einem wunderschönen Frühlingstag in einem Zimmer sitze bei offenem Fenster, draußen ist ein Obstgarten, die Vögel zwitschern, und ich sitze da und schreibe. Und in dem Moment kam so ein richtiges Glücksgefühl auf. Eins, dass ich seit Monaten nicht mehr kannte. 

Sprecherin: 

Ein Neuanfang im Leben der promovierten Politologin Petra Bock. Bevor er Wirklichkeit wurde, kam er zunächst als vielversprechende Vision in ihr Leben geschneit. 

Sprecher: 

„Neuanfang“ – das klingt fast magisch. Nach Chancen. Verheißungsvoll, inspirierend, motivierend. Nach frischem Wind, Fülle, Optimismus und Weiterentwicklung. Das ganze Leben ist voller Neustarts: freiwilligen wie unfreiwilligen. Großen wie kleinen. Jeder Tag, jedes Aufwachen, jeder Atemzug ist im Grunde ein winziger Neuanfang. Nicht immer, aber oft muss etwas Altes sterben, bevor etwas Neues beginnen kann. 

Musik, dann darüber

Sprecherin: 

Petra Bock führte ein Leben wie aus einem Hochglanzmagazin. Sie fuhr ein chices Auto, trug teure Klamotten und führte ein klassisches Businessleben in der Banken-Metropole Frankfurt. Dort arbeitete sie – nach ihrer Promotion mit 28 – als Unternehmensberaterin und Wirtschaftsanalystin.  12-14-Stunden-Tage waren die Regel.

O-Ton 2 Petra Bock (0‘16“)

Das war einfach sehr, sehr anstrengend, und ich war immer öfter erkältet. Bin dann trotzdem ins Büro gegangen, hab mich trotzdem reingeschleppt, hab dann für die Präsentationen noch irgendwie ne Tablette geschluckt, dass ich mit dem Fieber zurechtkomme. Das ist dann so ein Prozess geworden, so dass ich mich fast jede Woche neu erkältet hab. 

Musikzäsur

O-Ton 3 Günter Menne (0‘11“): 

Wenn Menschen zu mir kommen, dann kommen sie aus zwei Beweggründen. Eigentlich immer. Sie wollen irgendwo hin – zu oder sie wollen von – weg. Von etwas weg. 

Sprecherin: 

Günter Menne ist Coach. Er begleitet Menschen bei Neuanfängen. Oft, so seine Erfahrung, meldet sich dieses Bedürfnis in der Lebensmitte.

O-Ton 4 Günter Menne (0‘06“): 

Wo die große Frage im Raum steht für viele: Was denn noch? Was ist noch möglich?

O-Ton 5 Petra Bock (0‘08“) 

Die Frage war: Möchte ich das bis zum Ende meines Lebens machen? Also bis zum Ende meines Berufslebens machen? Und dann kam sofort so ein: „Nee, um Gottes Willen. Das halt ich gar nicht aus!“

O-Ton 6 Günter Menne (0‘53“): 

Wenn Hesse in seinem Gedicht „Stufen“ von jedem Zauber spricht, der uns beschützt bei allen Neuanfängen, dann denke ich aus meiner Erfahrung, die ich auch als Coach gewonnen habe, dass dieser Zauber sich nur dann entfalten kann, wenn wir wirklich gegenwärtig bleiben bei den Veränderungen, die uns oft auch widerfahren. 

[[ Und um die Gelegenheit zur Aktualisierung, zur Veränderung in jeder neuen Erfahrung überhaupt zu erkennen, müssen wir gegenwärtig sein.]]  Und zu spüren: Passt die noch zu mir? [[ Und aus diesem Gespür eine Kraft zu entwickeln, die wir oft als Druck oder auch als Sog erleben. Wobei dir Veränderung durch Sog in aller Regel leichter funktioniert als die Veränderung durch Druck.]]

Sprecherin: 

Petra Bock lag also mal wieder mit ihrer soundsovielten Nasennebenhöhlenentzündung im Bett, als ihre Vision erschien: Das Bild von sich selbst, schreibend, mit dem Blick auf die Obstbaumwiese. 

Als hätte jemand ihrem Wunsch erahnt, klingelte plötzlich das Telefon. Ein alter Studienkollege, Programmchef eines Verlags, war auf der Suche nach einer neuen Autorin. Er hatte von ihrem steilen Aufstieg gehört. Ob sie vielleicht Lust hätte, ein Buch zu schreiben? Nach der ersten Freude machten sich schnell die Ängste breit.

O-Ton 7 Petra Bock (0‘16“)

Die eine Angst war, dass ich gar nicht gut genug schreiben kann, z.B. Denn ich hatte vorher nichts gerade Substanzielles geschrieben. Wusste ich ja nicht, ob ich das kann! Dann dachte ich mir auch: was machst du, wenn du irgendwie plötzlich siehst: Es ist alles Müll, und der Verleger sagt „können wir überhaupt nicht nehmen!“. Was machst du dann? Also, da hatte ich schon Angst davor, dass ich scheitern könnte. Auf jeden Fall.  

Sprecher: 

Das ist ganz oft der Punkt, an dem sich das anfangs süße und verheißungsvolle Gefühl des Anfangszaubers wandelt: in nagende Zweifel und diffuse Ängste. Was ist, wenn es nicht klappt? Und wie stehe ich dann da?

O-Ton 8 Michael Schonnebeck (0‘28“): 

Wir alle haben sogenannte Ich-Ideale. Also wie wir im besten Falle funktionieren, zurechtkommen, kleine innere Visionen, was wir alles könnten und sollten und erreichen wollen, und wenn diese manchmal doch recht geheimen Visionen von einem selbst dann sich nicht erfüllen, dann tut das sehr weh, weil das an der eigenen Identität, am eigenen Selbstbild so sehr kratzt. Oder es sogar zerbricht im schlimmsten oder im dramatischsten Fall. 

Sprecherin: 

Dr. Michael Schonnebeck ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie und leitet eine Tagesklinik. Er sagt: Zweifel und Versagensängste sind menschlich und gehören zu jedem Neubeginn, zu jeder Weiterentwicklung dazu. Mehr noch: Sie sind sogar hilfreich.

Sprecher: 

Das bestätigt auch eine Studie der Universität Hamburg aus dem Jahr 2018: Träume und Zukunftsfantasien sind häufiger zum Scheitern verurteilt, wenn sie rein durch die rosarote Brille betrachtet werden. Dann strengen sich Menschen weniger an. 

Erfolgreicher sind hingegen diejenigen, die Hindernisse und Hürden im Vorfeld schon mal durchspielen. Forscher nennen das "mentales Kontrastieren". 

Sprecherin: 

Für Michael Schonnebeck kann ein Neustart nur dann gelingen, wenn ein möglicher Misserfolg theoretisch praktisch miteingeplant wird. Eine Erfolgsgarantie gibt es sowieso nie.

O-Ton 9 Michael Schonnebeck (0‘28“): 

Zum mutigen, abenteuerlichen, gewagten Leben gehört die Gefahr dazu, von der Bahn abzukommen, ins Straucheln zu geraten, abzustürzen, sich weh zu tun, und ich glaub, jeder muss entscheiden, wie sein Spielraum ist: eher schmaler oder eher etwas weiter, aber sich das zu erlauben, ist der Preis, die Eintrittskarte quasi für ein etwas aufregenderes, selbsterfüllenderes Leben.

Sprecherin: 

Coach Günter Menne kennt das Stadium des Zweifelns bei seinen Klientinnen und Klienten nur allzu gut. Oft ist es der Knackpunkt, der darüber entscheidet, ob aus einem Neuanfangs-Plan auch ein tatsächlicher Neuanfang wird.

O-Ton 10 Günter Menne (0‘36“): 

Neuanfänge fallen manchen oder vielleicht auch vielen Menschen schwer, weil wir oft an Glaubenssätze – aus der Kindheit beispielsweise – gebunden sind. Da hat der Vater vielleicht zu seiner Tochter gesagt „Du hast kein Talent, mach was Vernünftiges!“ und diesem Glaubenssatz ist die Tochter gefolgt und entdeckt vielleicht erst im Alter von 40 Jahren die Sehnsucht neu, und jetzt geht es in einem Coaching darum, die Glaubenssätze zu betrachten und umzuschreiben. 

O-Ton 11 Petra Bock (0‘27“)

Der erste Gedanke war: Hmmm, was denken die anderen von mir? Ich bin dann so innerlich meine Reihe von Freunden und Bekannten durchgegangen und hab gedacht was sagen die dazu – ich werde jetzt Schriftstellerin! Das war ein guter Ausleseprozess für mich. Weil ich wusste: die oberflächlichen Nervbekanntschaften, die finden’s furchtbar, und die wollen nichts mehr mit mir zu tun haben (...) und andere wiederum, da wusste ich, die sagen: hey, Petra, endlich kommst du wieder zur Vernunft und machst deinen Weg, und es gab sehr viele, die mich unterstützt haben dann.

Musikzäsur

Sprecher: 

Neuanfänge gehören unweigerlich zum Leben dazu. Neuanfang, das bedeutet auch fast immer: Abschied von etwas Altem, Liebgewonnenem. Meistens gibt es zu jedem ersten Mal auch ein letztes Mal. 

Sprecherin: 

Der letzte Schultag – der erste Tag an der Uni.

Der letzte Tag als Junggesellin – der erste Tag als frisch Verheiratete. Der letzte Tag in der alten Firma - der erste in der neuen. 

Der letzte Frühlingstag, der erste Sommertag. 

Über Musik:

Sprecher: 

Der Sommer entfaltet sich wie ein strahlender Neuanfang. Alles erwacht zu neuem Leben: Blumen blühen in leuchtenden Farben, Bäume tragen stolz ihr grünes Blätterdach, und Vögel singen um die Wette. Die Luft ist erfüllt von einem Gefühl der Möglichkeit und des Aufbruchs. Von der Sonne gekitzelt aufzuwachen, erzeugt gleich das Gefühl. Heute geht was! Packen wir’s an!

Musik weg

Sprecher: 

So magisch es auch klingen mag: Keineswegs wohnt jedem Anfang ein Zauber inne! Krankheit, Tod, Verlust des Partners, des Arbeitsplatzes – all das sind Ereignisse, die Menschen zu Neuanfängen zwingen. Und diese Neustarts sind keineswegs verheißungsvoll, hoffnungsvoll und inspirierend. Sie sind oft einfach nur bitter und schmerzhaft. 

Ggf. über Musik

O-Ton 12 Petra van Laak (0‘16“): 

Als junge Frau hab ich davon geträumt, viele Kinder zu haben und eine gute Ehe zu führen und mit meinem Partner alt zu werden und später dann auf die Enkelkinder auf dem Rasen spielend zu gucken und sich über die Kinder auszutauschen – das war mein Ideal. Und das ist natürlich komplett zersprungen in tausend Stücke.

 Sprecherin: 

Rückblende. Petra van Laak, studierte Kunsthistorikerin; führte ein Leben an der Seite eines erfolgreichen Geschäftsmannes. 

Sie kümmerte sich um die gemeinsamen vier Kinder, hielt das große Haus am See in Schuss. Geld spielte keine Rolle. Es war einfach immer genug da. Bis herauskam, dass ihr Ehemann nicht halb so erfolgreich war, wie er vorgab. Er war hochverschuldet, hielt das aber lange geheim.

O-Ton 13 van Laak (0‘31“): 

Das passiert alles gleichzeitig. Das Haus kommt quasi untern Hammer, also die Zwangsversteigerung steht im Raum. Sachen werden gepfändet, Strom wird abgestellt, Telefon wird abgestellt, kein Zugang mehr zum Konto.  Es gibt kein Bargeld mehr, man kommt an Bargeld nicht mehr heran, d.h. ich hab dann so Sachen gemacht wie alle Schubladen durchforstet, nach alten Währungen, von früher, wenn wir gereist sind, dann hab ich die Währungen zur Bank getragen und hab die erst mal eingelöst und umgewechselt, auch zu schlechten Kursen, um wieder Bares zu haben. Und um wieder einkaufen zu können. Bei Aldi, ein paar Nudeln.

Ggf. akustische Zäsur

O-Ton 14 van Laak (0‘49“):  

Ich kam mir total exotisch vor, als ich noch in der Villa war und die Räumungsklage am Hals hatte und mich das Amt für Wohnraumsicherung – so heißt das – und Obdachlosenstelle oder so ähnlich, forderte mich dann auf per Brief, mich bei denen zu melden, dass mir eine Bleibe zugewiesen werden kann. Und dann bin ich zu diesem Amt gestiefelt – hatte noch ein Auto mit ganz normalem Outfit, Aktenordern unterm Arm und gehe diesen langen Flur lang und links und rechts sitzen ist jetzt total klischeehaft – wirklich Punks, Penner, Junkies das ganze Chaos sitzt da, ich geh da durch, und die grüßen mich alle, weil die dachten: Da kommt die Sachbearbeiterin! Das war für mich der Hammer! Dann grüßte ich freundlich zurück und setzte mich zwischen die auf die Bank. 

Sprecherin: 

So tauschte die einst reiche Gattin und Mutter von vier Kindern ihr Haus am See in eine dunkle, feuchte Sozialwohnung.

O-Ton 15 van Laak (0‘35“): 

Mir war schon klar, dass das ein grausamer Abstieg war. Dass das offensichtlich regelrecht würdelos war, wie wir da gewohnt haben, ist mir an den Gesichtsausdrücken klar geworden der Mütter, die ihre Kinder vorher in die Villa gebracht haben, dann eben mit ihren großen Autos in eine andere Gegend fuhren und ihr Töchterchen zum Spielen abholten oder ablieferten und dann durch dieses Treppenhaus mit Katzenpipi im Flur usw. und mit abgerissenen Tapeten an den Wänden, mit Modergeruch aus dem Keller, dann sah ich an deren Gesichtsausdruck: Oh ja, das muss schon ein krasser Gegensatz sein! 

Sprecherin: 

Ein Neuanfang ohne Zauber. Einfach nur eine knallharte Herausforderung, mit den Veränderungen irgendwie umzugehen. Trotzdem - oder gerade - weil die Fallhöhe so groß war, entwickelte Petra van Laak ungeahnte Kräfte. Nie hätte sie gedacht, dass sie sich mal über eine geschenkte Kiste voller Lebensmittel so freuen würde. Oder dass sie durchaus in der Lage sein würde, sich und ihre Kinder mit Telefon-Drückerjobs über Wasser zu halten. 

Sprecher: 

Vielleicht ist das der Anfangs-Zauber, von dem Hesse in seinem Gedicht spricht, der uns beschützt und uns hilft zu leben. 

Sprecherin: 

Neben aller Härte und Gnadenlosigkeit, die diese Situation mit sich brachte: Petra van Laak entwickelte in dieser Zeit auch ungeheuer viel Kraft, Mut und Optimismus. 

O-Ton 16 Peter Gross (0‘07“): 

Der Buddhismus sagt: Bereite dich sozusagen darauf vor, dass nichts Bestand hat. Nichts bleibt gleich. Alles wandelt sich.

Sprecherin: 

Peter Gross ist Psychotherapeut und Buddhist. Er stellt fest, dass sich Menschen mit Neuanfängen oft deshalb sehr schwertun, weil sie sich vom Alten nicht gut trennen können.

Sprecherin: 

Ein großes Problem bei Neuanfängen, so Peter Gross, läge darin, was im Buddhismus „Anhaftung“ genannt wird:

O-Ton 17 Peter Gross (0‘26“): 

Eine Lehre des Buddhismus ist: Nicht an Vergänglichem festzuhalten. Was zugegebenermaßen ein ziemlicher Lernprozess ist. Also erst mal die Vergänglichkeit anzuerkennen: dass es so ist und dass es da keine Ausnahmen gibt. Und zweitens: dass dieses Festhalten am Vergänglichen, dass das die Ursache des Leidens ist. 

Sprecher: 

Eine Studie der Universität New York und der Universität Hamburg kam 2020 zu dem Ergebnis, dass ein guter und zufriedener Abschied mit dem Lebensabschnitt davor entscheidend für einen erfolgreichen Neuanfang ist.

Und auch Hermann Hesse spricht davon, dass das Herz bei jedem Lebensruf bereit sein müsse zum Neubeginn – und zwar ohne zu trauern. Ein Gedanke, der besonders bei schmerzhaften Verlusten ein wenig fremd anmuten mag. 

Über Musik

Sprecher: 

Im Herbst wechselten die Farben. Das satte Grün der Blätter verwandelt sich in ein Kaleidoskop aus Rot, Orange und Gelb. Es wird allmählich kühler und dunkler, die Nächte länger. Zeit der Reflexion, die vorher nicht zur heiteren Stimmung der langen hellen Sommernächte passte. Auch der Herbst ist ein Neuanfang, eine Zeit des Wandels und die Vorbereitung auf die kommende Ruhe des Winters.

Musik weg

Sprecher: 

Alles ist stets im Fluss. Klingt nach Kalenderspruch, ist aber ein Gesetz des Lebens. Eins, gegen das sich Menschen manchmal mit aller Macht stemmen. Aus Angst vor Weiterentwicklung verharren sie dort, wo es ihnen schon lange nicht mehr gut geht: in lieblosen Beziehungen, frustrierenden Arbeitsverhältnissen, leeren Freundschaften. Sie horten hunderte von Gegenständen, die sie gar nicht brauchen. Einfach weil sie es nicht schaffen, sich davon zu trennen. 

Sprecherin: 

Für Hirnforscher Dr. Gerald Hüther liegt ein Grund dafür in der Art, wie unser Gehirn konzipiert ist. 

O-Ton 18 Gerald Hüther (0‘43“): 

Wir sind ja alle ziemlich bequeme Menschen, und das Hirn ist ein Energiesparorgan. Immer dann, wenn dich das Hirn anstrengen muss, wenn man noch mal denken muss oder gar wenn man was verändern muss, wird’s furchtbar energieaufwendig. Wenn man sich einmal im Leben mit bestimmten Verhaltensmustern eingerichtet hat, dann ist das ne Katastrophe, wenn man plötzlich anders denken soll. Und wenn man anders handeln soll. Das macht keiner gern. Weil das Angst macht. Sie fühlen sich in dem alten Denken, in den alten Räumen, in denen Sie sind, da fühlen Sie sich total wohl, und jetzt sollen Sie raus in die Welt und etwas grundsätzlich Neues probieren: Da wissen Sie gar nicht, wie Sie das alles einordnen sollen!

Sprecher: 

Der Aufbruch fällt - je nach Persönlichkeit - dem einen leichter und der anderen schwerer. Neugier, Mut und ein gewisser Anfängergeist sind hierfür gute Voraussetzungen. 

Sprecherin: 

Gerald Hüther sagt: Neuanfänge sind jederzeit möglich - wenn das Herz die Richtung vorgibt. Wenn sich also ein 85jähriger in eine Chinesin verliebt, sei er durchaus noch in der Lage, chinesisch zu lernen!

O-Ton 19 Gerald Hüther (0‘11“): 

Wenn es einem unter die Haut geht. Also wenn es wirklich wichtig ist. Dann werden im Hirn die so genannten emotionalen Zentren aktiviert, und dann macht man sich auch auf den Weg!

Geräusch 1: 18‘30“ Kommt, poltert, bringt Jagdhorn, bläst

Sprecherin: 

Auch Coach Günter Menne wagte einen Neustart. Der Magic Moment ereignete sich an seinem 57. Geburtstag. 

O-Ton 20 Günter Menne (0‘16“): 

Ein paar Freunde waren zum Essen eingeladen, und da oben auf dem Schrank im Esszimmer, da lag seit Jahrzehnten ein kleines Jagdhorn. Ein Geschenk meines Vaters an mich im Alter von sieben Jahren, ja, und dann lag’s rum. 50 Jahre lang. 

Geräusch 2:  Horn

O-Ton 21 Günter Menne (0‘30“): 

Und wie zum Jux nahm ich dann dieses kleine Jagdhorn aus Kindertagen in die Hand, traut auf die Terrasse, und tatsächlich kam da ein Ton und auch ein zweiter, und diese zwei, drei Töne, die ich dann in dieser Nacht auf der Terrasse hinausblies, die haben eine solche magische Wirkung auf mich gehabt, dass ich am anderen Tag nach meinem Geburtstag nur diesen einen Wunsch in mir spürte: Ich möchte Horn lernen. Mit 57 Jahren. 

Sprecherin: 

Es war ein freiwilliger Neustart. Ohne Not, ohne vorherigen Abschied. Also die Luxusvariante eines Neubeginns. Einfach so aus einem Entdeckergeist heraus, der Lust zu experimentieren.

O-Ton 22 Günter Menne (0‘19“): 

Der Klang war für mich reine Magie. Und damit verbunden der heiße Wunsch, das auch können zu wollen. Man stelle sich vor: Dieses vielleicht schwierigste aller Instrumente zu erlernen und hoffentlich eines Tages ganz schön spielen zu können. 

Sprecherin: 

Nach Jahren des intensiven Übens und unzähliger Unterrichtsstunden ist der Coach heute so weit, dass er sagt: Ich bin zufrieden!

 Sprecher: 

Vielleicht liegt darin das Geheimnis, gut mit dem Wandel des Lebens umzugehen: Sich einfach immer mal wieder im Kleinen etwas Neues zu trauen. Dort, wo es um nichts geht. Unwissend, ob es klappt. Das Scheitern einkalkulierend. Das trainiert vielleicht für den großen Wandel. 

Musikzäsur

Sprecher: 

Neuanfänge bieten große Chancen für persönliches Wachstum und die Verwirklichung von Träumen und Zielen. Auch Hermann Hesse spricht in seinem Gedicht vom Weltgeist, der uns Stufe um Stufe heben und weiten will. 

In jedem Fall aber erfordern Neuanfänge meist Durchhaltekraft und Resilienz, um Rückschläge zu überwinden. Nicht selten wachsen Menschen über sich heraus, wenn sie aufstehen und ihr Krönchen neu richten müssen. 

Sprecherin: 

Petra van Laak, die einst reiche Unternehmergattin, wagte irgendwann den Sprung in die Selbständigkeit. Heute ist sie Chefin einer Kommunikationsagentur und wurde zur Unternehmerin des Jahres des Landes Brandenburg ernannt. Ohne den unfreiwilligen Neustart wäre das wahrscheinlich nie so gekommen. 

O-Ton 23 Petra van Laak (0‘22“): 

Ich hatte so ne innere Freiheit, ne innere Unabhängigkeit, ich war früher in einer viel abhängigeren Situation, die mir vielleicht auch gar nicht in meinem Wesen entsprochen hat, und im Grunde war dieser Zusammenbruch dieser bürgerlichen Existenz auch eine Katharsis. Eine Möglichkeit, Dinge abzustreifen und vielleicht auch gereinigt aus so was hervorzugehen.

Sprecherin: 

Auch für die frühere Finanzanalystin Petra Bock hat der Neustart die entscheidende Wende gebracht: Mittlerweile hat sie einige Bücher geschrieben und coacht unter anderem Menschen auf dem Weg in ihre Berufung. 

O-Ton 24 Petra Bock (0‘21“): 

Damit macht mein Leben irgendwo Sinn. Und meine Talente, da hatte ich immer so ein Gefühl: die hab ich nicht umsonst mitbekommen. Ich bin kein gläubiger Mensch im klassischen Sinne, aber so ein Gefühl für spirituelle Verbundenheit zu etwas Größerem habe ich auf jeden Fall. Und so hab ich das empfunden. Ich dachte: ja, das könnte was sein, wofür ich vielleicht auch mit auf die Welt gekommen bin. Das war ein sehr tiefes und dankbares Gefühl.

Musik, dann darüber:

Sprecher: 

Die Winterlandschaft verwandelt sich über Nacht in ein zauberhaftes Wunderland aus glitzerndem Schnee. Bäume tragen frostige Kronen, während der Atem der Natur in der kalten Luft sichtbar wird. Die Natur ruht in einem tiefen Schlaf, bereit, sich für einen neuen Zyklus vorzubereiten. Menschen nutzten die Stille und die Einsamkeit, um über Vergangenes nachzudenken und neue Pläne zu schmieden. Der Winter ist mehr als nur eine kalte Jahreszeit – er symbolisierte Hoffnung, Reinigung und die Möglichkeit für einen frischen Start.



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 March 19, 2024  22m