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Der Bayerische Bauernbund - Eine Partei für die Dörfler


Bauernproteste, deftige Reden und die These, dass "die da oben" von der Praxis einfach keine Ahnung haben. In den 1890er Jahren hat sich deshalb sogar eine Partei gegründet, der "Bayerische Bauernbund". Von Hans Hinterberger

Credits
Autor dieser Folge: Hans Hinterberger
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Christian Baumann, Berenike Beschle, Werner Härtl, Christian Schuler
Technik: Andreas Lucke
Redaktion: Thomas Morawetz

Im Interview:
PD Dr. Johann Kirchinger, Universität Regensburg, Lehrstuhl für Bayerische Landesgeschichte

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

 Erzähler:

Das ist jetzt ein Eklat! Da steht dieser Politiker mit dem Dialekt und dem bäuerlichen, unangepassten Auftreten, vor einer jubelnden Menge und sorgt für ein Spektakel.…

Erzählerin:

Und nein! Es geht hier um keinen Politiker unserer Zeit! Wir befinden uns in Ruhpolding, Oberbayern, im Jahr 1895. Georg Eisenberger, der Bauer von Hutzenau, wird in den kommenden Jahrzehnten einer der prägenden Köpfe einer völlig neuen Partei, des „Bayerischen Bauernbundes“, sein. Soeben hat er an den Grundfesten der Staatsordnung gerüttelt.

Zitator Eisenberger:

„In dem Saal, in dem die Versammlung stattfand, waren die Bilder des Kaisers und der Kaiserin aufgehängt. Diese Bilder nahm ich weg und hängte dafür zwei Bilder von Andreas Hofer und ein Bild des unglücklichen Bayernkönigs Ludwig II. auf. Gegen mich wurde ein Verfahren wegen Majestätsbeleidigung eingeleitet. Das Verfahren verlief jedoch für mich günstig…“

Erzähler:

Protest gegen „die in Berlin“, gegen die Obrigkeit und die Eliten, gern auch gegen die Pfarrer und ihre katholische Zentrumspartei, das gehört beim Bayerischen Bauernbund dazu. Ludwig Thoma hat diese Bewegung mitunter wohlwollend als volkstümlich, sympathisch, urbayerisch beschrieben. Der Historiker Dr. Johann Kirchinger, ein ausgezeichneter Kenner bayerischer Landwirtschaftsgeschichte, ist weniger romantisch. 

OT Kirchinger 1

Ja, wie landwirtschaftliche Wutbürger. Sehr gewalttätig! Verbal und physisch! Ich hab so einen Versammlungsbericht aus der Frühzeit, das Bezirksamtspersonal muss die ja überwachen. Also der flieht dann, der Bezirksamtmann, dem wird das zu gefährlich. Und er schreibt: Es wurde mit harten Gegenständen geworfen.“

Erzählerin: 

Georg Eisenberger zählt da noch zu den Gemäßigteren. Er wird über die gesamte Geschichte der Partei über 40 Jahre lang mit dabei sein, wird Mandate in Landtag und Reichstag erobern, bis die Machtergreifung Hitlers dem Bayerischen Bauernbund 1933 ein Ende setzt.

Erzähler:

Aber von vorne. 

Musik 2

"Am Wörthsee" - Album: Rare Schellacks - München - Szenen & Vorträge 1902-1939 - Trikont Verlag - Länge:  0'35

Eigentlich hatte das flache Land in Bayern, zumindest im katholischen Bayern, schon eine Partei: Das Zentrum, die „Schwarzen“, sozusagen den entfernten Vorgänger der heutigen CSU. Der politische Katholizismus dominiert, der Klerus, Adlige und hohe Beamte haben das Sagen. Doch im Jahr 1893 bewegt sich etwas. 

Musik 3

"Patchouli Oil And Karate" - Album: Waltz With Bashir - Ausführender und Komponist: Max Richter - Länge: 0'38 

Zitator Eisenberger

“Bauern hatten aufgerufen und Bauern sind aufgebrochen um in Traunstein, in dem damals das Zentrum auf hohem Rosse saß, den Willen zur Einheit kundzutun.”

Erzähler:

Erinnert sich Georg Eisenberger an eine seiner ersten Versammlungen 1893.

Erzählerin:

Die revolutionäre Botschaft: Man brauche die alten Eliten nicht mehr! Die Bauern könnten sich selbst am besten vertreten. Ein zuvor ungekanntes Selbstbewusstsein keimt auf. Aber warum ausgerecht 1893? Im Kern geht es um eine Richtungsentscheidung deutscher Politik:

OT Kirchinger 2

Weil sich Deutschland immer mehr industrialisiert, weil die staatlichen Interessen mit den landwirtschaftlichen immer weniger oder dann auch nicht mehr identifiziert werden können. Weil es konkurrierende, industrielle Interessen gibt, Interessen der Verbraucher, der Produzenten. Da ist einfach die Frage: Will man hohe Erzeugerpreise, dass es den Landwirten gut geht? Oder will man niedrige, dass es den Arbeitern und der Industrie gut geht? 

Erzählerin:

Reichskanzler Leo von Caprivi weicht den Zollschutz für landwirtschaftliche Güter auf. Jetzt sollen billige Lebensmittel aus dem Weltmarkt nach Deutschland kommen. Das Zentrum hatte dem sogar zugestimmt. Sein Plan: Möglichst konstruktiv am neuen Reich, das doch “Global Player” werden will, mitarbeiten. Nur so würde der Katholizismus im protestantisch dominierten Deutschen Kaiserreich respektiert werden. 

Doch was für die Zentrumselite nach einem vernünftigen Ziel klingt, ist für viele Bauern schlicht Verrat.

Musik 4

"Subliminal" - Lasa & Zabala (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'30

Erzähler:

Eine These macht sich breit: Diese Politiker hätten keine Ahnung von der Landwirtschaft. Alles abgehobene Theoretiker!

Zitator:

“Wir wollen zur Vertretung der Bauernsache keine Adeligen, keine Geistlichen, keine Doktoren und keine Professoren, sondern nur Bauern!”

Erzähler:

So fasst es der niederbayerische Bauernbündler Franz Wieland zusammen. Die Wissenschaft hat für diesen auf die eigenen Interessen fixierten Politikstil einen Namen: „Kommunalismus“.

OT Kirchinger 3

Also wenn man den Bauernbund mit einem Wort beschreiben will, von der inneren Kommunikationsstruktur her, dann ist er „kommunalistisch“. Der Bauernbund funktioniert, wie eine Gemeinde funktioniert. Es sollen über ein politisches Problem nur die bestimmen, die von dem politischen Problem auch betroffen sind. Also Bauern Agrarpolitik. Pfarrer Kirchenpolitik. Aber nicht Pfarrer Agrarpolitik. Und das ist ja ein Punkt, den man bei den Bauern immer wieder hört.“

Erzählerin:

Reine Bauernpolitik, ohne Rücksicht auf Industrie, Kirche, Stadtbevölkerung oder Weltpolitik. Und im Übrigen auch ohne Rücksicht auf die Nöte der Dienstboten auf den Höfen. Was da ab 1893 angestoßen wird, ist die vielleicht kompromissloseste Klientelpartei der bayerischen Geschichte. 

Wie erfolgreich sie wird? Der Bauernbund wird es weit bringen, irgendwann sogar Teil der Bayerischen Staatsregierung sein. Und schließlich wird er ein klägliches Ende nehmen.

Musik 5

"Cauchemar de Marx" - Länge: 0'35

Erzähler:

Dass es sich hier um eine unkonventionelle Bewegung handelt, das sagt den Zeitgenossen schon Georg Eisenbergers bloßer Anblick im Landtag:

Zitator Eisenberger

„Zu meiner Wahl schrieb die Gegnerpresse: „Eisenberger in seiner Gebirgstracht hat sich von Haus zu Haus die Stimmen zusammengebettelt.“ Aber trotzdem kaufte ich mir für den Landtag keinen Zylinder und keine Manschetten, sondern ging in meiner Bergkluft zu den Sitzungen.“

Erzähler:

Wo er durch seine deftigen Reden gleich das nächste Spektakel bietet. Zum alleinigen Anführer des Bauernbunds wird er aber nie, schon allein, weil Bauer nicht gleich Bauer ist. Eisenbergers Hof in den Bergen ist klein, kann nur durch die Zuarbeit im Forst überhaupt überleben. 

Zitator Eisenberger:

„Die Bauern in Ruhpolding wie in anderen Gebirgsorten können ihre Existenz nur durch ernste Arbeitssamkeit und großen Fleiß erhalten“

Erzähler:

Als Knabe hätte der wissbegierige Eisenberger, den seine Gegner später als kirchenfeindlichen Antichristen beschimpfen, gern Pfarrer werden wollen – aber das Geld war zu knapp. Franz Wieland wiederum, prominenter Kopf der Gründungszeit, ist niederbayerischer Getreidebauer, sozusagen ein Großunternehmer, und denkt in ganz anderen Dimensionen.

Erzählerin:

Solche Unterschiede werden immer wieder zu Abspaltungen, Streit und Alleingängen führen. Der Bauernbund, das ist oft mehr Anarchie als eine straff geführte Partei. Einigender Kit bleibt die Abneigung gegen die politischen Eliten, die bisher die Landwirtschaftspolitik prägen. Und dabei gibt man sich äußerst respektlos:

OT Kirchinger 4

„Der Landwirtschaftliche Verein in München hält eine Generalversammlung. Da ist immerhin der Innenminister Vorsitzender, Prinz Ludwig, der spätere König Ludwig III., ist Schirmherr. Und da nimmt einfach dieser Wieland einen Zug voll Bauern, die fahren nach München und sprengen die Versammlung. Vom Innenminister und vom Prinz Ludwig. Die reden grad über Kalkdüngung, dann kommen die Bündler und sagen: Wir reden jetzt mal über den Getreidepreis. Und wenn wir fertig sind, dann könnt ihr wieder über Kalkdüngung reden!“

Erzähler:

Und doch werden sie diesen Anspruch der Politik von Bauern für Bauern ganz ohne Eliten nie erfüllen. Mit Georg Ratzinger, Theologe und Großonkel des späteren Papstes Benedikt, führt zunächst ein Akademiker die Fraktion im Landtag. Auch einige Lehrer und Journalisten werden ihren Platz finden. Bisweilen sind es unbequeme, auffällig antisemitische Geister, die in anderen Parteien keinen Erfolg hatten. 

Erzählerin:

Noch einem Anspruch werden die Bündler nie gerecht: Dem Plan, dass sie die alleinige Vertretung der Bauernschaft werden könnten.

Musik 6

"Cauchemar de Marx" - Länge: 0'20

Zitator Eisenberger

„Wenn die Bauern und der Mittelstand einig werden, wird es eine Macht, dann ist es mit der Schwarzen Macht vorbei!“

Erzählerin:

So Georg Eisenbergers Kampfansage. Doch der politische Platzhirsch, das Zentrum, hatte dieser Konkurrenzgründung nicht tatenlos zugesehen. „Die Schwarzen“ rufen einen „Christlichen Bauernverein“ ins Leben. An dessen Spitze haben einfache Bauern zwar nach wie vor nichts zu melden, dafür aber gibt es dort den überaus talentierten Ökonomen Dr. Georg Heim, genannt „Der Bauerndoktor“.

OT Kirchinger 5

Georg Heim dann mit seinen Bauernvereinen, die eine völlig andere Art der Interessenvertretung sind wie der Bauernbund – eben keine Partei. Und die die Bauern wieder zurückholen wollen zum politischen Katholizismus, über die Vermittlung konkreter Vorteile für die Bauern in Form von betriebswirtschaftlicher Beratung, juristischer Beratung und von Lagerhäusern, also gemeinsamer Vermarktung. Und das ist ziemlich erfolgreich.“

Erzähler:

Der Bauernbund wird deshalb bei Wahlen nie an das Zentrum herankommen. Nur Protest funktioniert eben auch nicht, so die Einsicht vieler Wähler.

OT Kirchinger 6

Naja, die Bauernbündler haben das nicht eingesehen, dass das nicht funktioniert. (lacht) Der Heim hat das eingesehen, dass das nicht funktioniert…“

Erzählerin:

Der von den Pfarrern unterstützte Christliche Bauernverein und der Bayerische Bauernbund stehen sich über Jahrzehnte in herzlicher Abneigung gegenüber. 

Musik 7

"Patchouli Oil And Karate" - Album: Waltz With Bashir - Ausführender und Komponist: Max Richter - Länge: 0'32 

Erzählerin:

Beide buhlen um die Gunst auf dem Land. Die Bündler setzen auf das immer etwas lautere Auftreten. Gegen die Beamten, gegen die Großmachtpolitik Berlins, aber auch gegen die Pfarrer. Ihre Versammlungen sind Spektakel. Der politische Aschermittwoch in Niederbayern ist nicht umsonst keine Erfindung der CSU, sondern des Bayerischen Bauernbundes.

Erzähler:

Doch was tun diese Aufmüpfigen, wenn es zu einer Revolution kommt, wie 1918? Wo stehen sie, wenn es um die Frage von Monarchie, Demokratie oder auch Sozialistischer Räterepublik geht? Die kurze Antwort: Es ist ihnen völlig egal!

Erzählerin:

Am 29. Oktober 1918 sendet die Generalversammlung des Bauernbunds zwar noch ein Ergebenheitstelegramm an König Ludwig III. - Tage später aber wird sich der Bauernbund dem Revolutionär Kurt Eisner anschließen.…

OT Kirchinger 7 (1130)

„Also eine monarchistische Einstellung haben die nicht, das war zu fern, die hatten ja alle mit dem Überleben zu tun.“

Erzählerin:

Dass der Bauernbund in der Regierung Eisner dafür sorgt, dass die Bauerninteressen nicht untergehen, schien wichtiger als jede Frage der Staatsform.

Erzähler:

Insbesondere der niederbayerische Flügel unter dem Gutbesitzer Karl Gandorfer spielt hier eine Rolle. Ohne ihn hätte es die Revolution womöglich gar nicht gegeben. Kurt Eisner hatte Gandorfer nämlich am 6. November, kurz vor der Revolution, auf dessen Hof in Pfaffenberg besucht und eine elementar wichtige Zusicherung erhalten: München würde im Falle der Revolution weiter mit ausreichend Lebensmitteln versorgt. 

Musik 8:

"Subliminal" - Lasa & Zabala (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'16

Zitator:

„Mehr als vier Jahre hat man das Volk getäuscht, das Blut von Hunderttausenden sinnlos vergossen. Bauern, Bauernbündler! Eure Stunde ist gekommen! Erkennet die Zeichen der Zeit!“

Erzählerin:

So Gandorfer. Der Bauernbund also plötzlich auf Seiten des Sozialismus und der Räterepublik? 

Erzähler:

Nun ja, nicht ganz. Wie so oft hat die Partei keine einheitliche Linie. Am selben Tag, an dem Eisner in Pfaffenberg war, lehnt Georg Eisenberger eine Revolution noch entschieden ab. Seine erste Begegnung mit dem Ministerpräsidenten Eisner beschreibt Eisenberger voller Abneigung:

Musik 9

"Subliminal" - Lasa & Zabala (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'20

Zitator Eisenberger

„Als wir in den Sitzungssaal kamen, sahen wir zunächst den Juden Kurt Eisner mit seinem staubigen Vollbart auf dem Präsidentenstuhl sitzen. Das große Portrait von König Max II. dahinter war in einem roten Tuch verhüllt. Das war auch besser, sonst hätte er sich als Gemalener gespieen.“

Erzählerin:

Doch auch Karl Gandorfers Neigung zum Sozialismus entpuppt sich bei näherer Betrachtung als fragwürdig. Zwar fordert er die …

Zitator:

„Vermehrung der kleinbäuerlichen Betriebe durch Aufteilung großer Güter über 1000 Tagwerk.“

Erzählerin:

also die Zerschlagung des Großgrundbesitzes. Wie der Zufall es aber wollte, hatte Gandorfers eigenes Gut etwas UNTER 1000 Tagwerk. Er selbst wäre von dieser Maßnahme nicht betroffen gewesen und sogar in die Kaste der größten privaten Grundbesitzer Bayerns aufgestiegen. Eigennutz vor Ideologie! 

 Erzähler:

So ist es auch nicht verwunderlich, dass sich die Bündler nach der linken Revolution ohne weiteres in die stark rechts orientierte „Ordnungszelle Bayern“ einfügen. Jetzt sogar als Regierungspartei, als Koalitionspartner des mittlerweile in „Bayerische Volkspartei“ umbenannten Zentrums.

Erzählerin:

Johannes Wutzlhofer, ein Genossenschaftsdirektor aus Straubing, wird 1920 Bayerischer Landwirtschaftsminister. Und Anton Fehr, ein Professor des milchwirtschaftlichen Instituts in Weihenstephan, wird 1922 sogar zum Reichslandwirtschaftsminister ernannt.

Erzähler:

Erneut gibt es also Widersprüchlichkeiten. Offenkundig sind die beiden keine Bauern, anders als der Gründungsgedanke des Bundes es verlangen würde. Außerdem hindert die Regierungsbeteiligung den Bauernbund keinen Moment lang, draußen auf dem Land weiter als populistische Opposition aufzutreten. So meldet die Regierung von Niederbayern 1925:

Zitator

„Die radikalen Bauernbundsführer nutzen die Lage zur skrupellosen Verhetzung der Bauern und leider mit bestem Erfolg.“

Erzähler:

Und 1927:

Zitator

„Die Tätigkeit der radikalen Bauernbundesführer und ihrer Presse besteht in einer systematischen Hetze schlimmster Art. Immer wieder wird den Bauern eingehämmert, dass die Staatsregierung für die notleidenen Bauern kein Verständnis habe.“

OT Kirchinger 8

„Der radikale Flügel um Gandorfer macht in der Wirtschaftskrise immer wieder Streikaufrufe. Jetzt hungern wir die Städter aus! Auf der einen Seite ist der Reichslandwirtschaftsminister ein Bauernbündler, auf der anderen Seite will er gegen den Reichslandwirtschaftsminister streiken.“

Erzähler:

Immer etwas lauter und schärfer als der Christliche Bauernverein! Der verstand es zwar auch, energisch bäuerliche Forderungen zu erheben, aber sein Vorsitzender Georg Heim war nun mal auch Begründer der Bayerischen Volkspartei. Und die BVP will nun einmal nicht nur Bauern, sondern auch städtische Wähler gewinnen, will Kontakte zu Industrie und Arbeiterschaft pflegen, will Deutschlandpolitik betreiben.

Erzählerin:

Für den Bauernbund aber gilt konsequent: Die bäuerlichen Interessen kommen zuerst!  Während der Inflation zu Beginn der 1920er Jahre werden Lebensmittel immer knapper, auch weil die Bauern im Austausch für die wertlose Reichsmark immer weniger abgeben wollen. Den Städten drohen Hunger und Elend. Trotzdem nimmt der bauernbündlerische Landwirtschaftsminister konsequent die Bauern in Schutz, weigert sich im Kabinett bisweilen sogar, das Problem überhaupt anzuerkennen. 

Erzähler:

Als die Regierung 1930 eine neue Schlachtsteuer anstrebt, lässt der Bauernbund aus Protest sogar seine Regierungsverantwortung fallen und geht in die Opposition.

Erzählerin:

Obwohl das Bayern in eine schwierige Lage bringt. Ministerpräsident Heinrich Held von der BVP regiert fortan nur mehr mit einem Minderheitskabinett. Er versucht den Freistaat vor einer Machtübernahme durch Hitlers Nationalsozialisten zu schützen. Doch 1933 ist dieser Versuch gescheitert. Das demokratische Bayern endet.

Erzähler:

Und wie verhalten sich die Bauernbündler? 

OT Kirchinger 9

 „So wurst ihnen der König war 1918, so wurst war ihnen die Demokratie 1933.  (..) Ohne die weltanschauliche Bindung war der Bund mit die erste Organisation, die untergegangen ist unter dem Druck der Nazis. Viele, viele Bauernbündler und bauernbündlerische Abgeordnete machen dann im dritten Reich auch Karriere.“

Musik 10

"Maschine" - Komponist und Ausführender: Martin Todsharow - Album: Der Hauptmann (Original Motion Picture Soundtrack) - Länge: 0'43

Erzählerin: 

Die Presse des Bauernbundes hatte zwar bis 1933 offiziell gegen die 

Zitator

„Nazi-Mordgesellen“ 

Erzählerin: 

und den 

Zitator

„braunen Sumpf“

Erzählerin:

angeschrieben, doch spätestens nach der Machtergreifung wird den Mitgliedern nahegelegt, die Bauernsache künftig in der NSDAP zu vertreten. Massenhaft treten Bauernbündler über. Das vormals bündlerische „Landauer Volksblatt“ schreibt im April 1933:

Zitator

„Die Leitidee Wielands, des alten Bauernführers, hat mit dem Steg Adolf Hitlers – des Schmiedes des neuen Reiches – ihre Verwirklichung gefunden. Und wenn Wieland heute noch lebte, würde er wohl segnend die Hände halten über das nun gelungene Werk.“

Erzähler:

Der bewusste Verzicht auf höhere Ideologie und höhere Grundsätze hat die Bauernbündler einst dazu bewogen in die Politik zu gehen, selbstbewusst gegenüber dem monarchischen Obrigkeitsstaat zu sein. Aber er hat nicht dabei geholfen, diese Demokratie auch zu verteidigen.  

Erzählerin:

Auch der inzwischen über 70jährige Georg Eisenberger wird sich, nach Jahrzehnten im Landtag und Reichstag und nachdem er die Nazis lange politisch bekämpft hatte, als zurückgezogener Austragsbauer noch der NSDAP anschließen. Öffentlich aktiv wird er aber nicht mehr.

Erzähler:

Und nach dem Krieg? Eine direkte Nachfolgepartei des Bauernbundes gibt es nicht. Wer von den alten Mitgliedern noch aktiv wird, wird der CSU beitreten, nicht aber der kleineren Bayernpartei. Denn die stellt mit der „Unabhängigkeit Bayerns“ ja ein hohes politisches Ziel über bäuerliche Alltagssorgen – und so etwas ist einem Bauernbündler nun mal befremdlich. 

Erzählerin:

Erst viel später, als der Bauernbund längst vergessen scheint, tritt eine politische Kraft auf die Bühne, die für Dr. Johann Kirchinger zumindest in Ansätzen dem Bauernbund ähnelt: Die Freien Wähler.

OT Kirchinger 10

Von dem Kommunalistischen her auf jeden Fall. Von der kommunalistischen Einstellung her, dass die wahre Politik in den Gemeinden stattfindet und Landespolitik eigentlich auch so funktionieren soll, wie in der Gemeinde. Dass die Sachpolitik im Vordergrund stehen soll und nicht die Ideologie, was ja auch eine Ideologie ist, sind das strukturelle Forderungen, kommunikative Forderungen, die dem Bayerischen Bauernbund und den Freien Wählern gemeinsam sind. 

Erzählerin:

Zufall oder nicht: Bei der Landtagswahl 2023 decken sich die Hochburgen der Freien Wähler – meist sehr ländlich geprägte Wahlkreise - auffällig mit denen des Bauernbundes viele Jahrzehnte zuvor. Und seine Rede zum politischen Aschermittwoch 2024 eröffnet Hubert Aiwanger mit einem Verweis auf den Bauernbund.

OT Aiwanger 1

„Der erste politische Aschermittwoch hat 1919 stattgefunden in Vilshofen, organisiert vom Bauernbund damals, um nach dem ersten Weltkrieg sich wieder zu orientieren, wieder zu diskutieren, wohin sich das Land entwickeln soll.“

Kirchenglocken und Trauermarsch/geräusch

Erzähler:

Georg Eisenberger wird das alles natürlich nicht mehr erleben. Die schillernde Figur des Bauernbundes wird Anfang Mai 1945, am Ende des Zweiten Weltkriegs, in Ruhpolding zu Grabe getragen. Das Donnern, das währenddessen zu hören ist, kommt nicht etwa von einer einfachen Salutkanone, sondern von der gleichzeitig auf Ruhpolding vorrückenden US-Army. „Er braucht halt immer ein besonderes Spektakel!“, so haben die Ruhpoldinger später gesagt.



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 March 24, 2024  21m