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Ölpest und die Folgen - Wie steht es um das Ökosystem?


Nach Ölkatastrophen gehen apokalyptisch anmutende Bilder um Welt: Schwärme toter Fische am Strand, Vögel mit verklebten Flügeln im Todeskampf. Kann sich das Ökosystem jemals von Havarien wie des Tankers Exxon Valdez oder der Bohrplattform Deepwater Horizon erholen? Es hängt von mehreren Faktoren ab, ob und wie sich die Umwelt von einer Ölpest erhol: Wind, Wetter und Meerestemperatur spielen ebenso eine Rolle wie das Tempo und der Umfang von Bekämpfungsmaßnahmen. Von Lukas Grasberger

Credits
Autor dieser Folge: Lukas Grasberger
Regie: Irene Schuck
Es sprachen: Berenike Beschle, Christian Baumann
Technik: Daniela Röder
Redaktion: Nicole Ruchlak

Im Interview:
Erik Johnson, Ph.D. Vogelschutzorganisation Audubon, Louisiana;
Manfred Santen, Diplom-Chemiker, Team Meeresschutz bei Greenpeace;
Ron Heintz, Ph.D., Forschungsdirektor Stika Sound Science Center, Alaska
Jürgen Rullkötter, em. Prof. am Institut für Chemie und Biologie des Meeres, Universität Oldenburg; Prof. Steve Murawski, Meeresbiologe an der University of South Florida, St. Petersburg

Und noch eine besondere Empfehlung der Redaktion:

Die Klimakrise ist da und zwar mit voller Wucht - aber es gibt auch viele Ideen für ihre Lösungen! Der Podcast nimmt uns mit zu Menschen, die sie bereits ausprobieren oder sie sogar längst erfolgreich umsetzen.
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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

O-Ton 1 Dr. Erik Johnson, Vogelschutz-Organisation Audubon

Voice Over

„Vor 14 Jahren gingen Bilder dieser Vögel – mit verklebten Flügeln, und unfähig, zu fliegen – um die Welt. Pelikane sind damals so etwas wie die medialen Aushängeschilder der großen Öl-Katastrophe geworden, die sich 2010 im Golf von Mexiko zugetragen hat.“ 

Musik 1

"Watching my armor melt" - Album: Gold Dust - EP - Komponist: Jóhann Jóhannsson - Länge: 0'28

Sprecherin

Der Naturschutzbiologe Erik Johnson schrieb gerade an seiner Doktorarbeit, als sich vor der Küste Louisianas im Golf von Mexiko der größte Ölunfall der Geschichte ereignete. Für Vogelkundler wie Johnson war die Explosion der BP-Bohrinsel „Deepwater Horizon“ ein Alptraum. Fast drei Monate lang ergoss sich aus einem havarierten Bohrloch Öl ins Meer, insgesamt fast 800 Millionen Liter. Der todbringende Ölteppich waberte monatelang über den Ozean, legte sich schließlich über 2000 Kilometer Küste. 

O-Ton 2 Johnson 

Voice Over

„Mindestens 100.000 Vögel sind einer Expertenkommission zufolge direkt durch die Ölpest verendet. Es gibt aber auch Schätzungen, die von zehn Mal mehr Opfern ausgehen. Selbst Fachleute haben eingeräumt, dass sie das ganze Ausmaß der Katastrophe nicht abschätzen können, da viele Bereiche der Golf-Küste sehr abgelegen und schwer zugänglich sind. Dort dürfte Öl in das Marschland - dem Habitat vieler Vögel - eingesickert sein.“ 

Atmo Vögel nochmal kurz 

Sprecherin

Vögel wurden zum sichtbarsten Symbol des Deepwater-Horizon-Desasters. Aber wenn Millionen Liter Öl die Lebensräume im Meer und am Ufer durchdringen, so übersteht dies keine Spezies von Fauna und Flora unbeschadet.   

O-Ton 3 Manfred Santen, Team Meeresschutz Greenpeace, Teil 1

„Alle schweren Havarien, alle Tankerunglücke zum Beispiel, die wir so kennen, führen immer zu dramatischen Schäden. 

Sprecherin

…sagt der Diplom-Chemiker Manfred Santen. Er arbeitet für die Umweltorganisation Greenpeace. Wenn große Mengen Öl ins Meer gelangen...

O-Ton 3 Manfred Santen, Team Meeresschutz Greenpeace, Teil 2

„….dann wird erstmal alles, was dort an Lebewesen da ist, beeinträchtigt bis hin ja getötet - zumindest aber stark beeinträchtigt, was Lebensraum und Nahrungsgrundlagen angeht:(…) Das betrifft dann einerseits natürlich die Meeressäuger, das betrifft die gesamte Unterwasser-Flora und -Fauna, aber es betrifft natürlich auch die Menschen, die von Fischerei und vom Meer leben, dass die sehr, sehr eingeschränkt sind über viele Jahre.“

Musik 2

"Watching my armor melt" - Album: Gold Dust - EP - Komponist: Jóhann Jóhannsson - Länge: 0'26

Sprecherin

Santen beschäftigt sich schon lange für Greenpeace mit den Auswirkungen von Öl auf die Umwelt. Im Laufe der Jahrzehnte hat er etliche Ölkatastrophen erlebt. Gelangt Öl in die Umwelt, so verseucht es dem Diplom-Chemiker zufolge nicht nur die Oberfläche von Meer und Land. Kohlenwasserstoffe, Alkane und Benzine sinken nach und nach in die Tiefe der Ozeane – und wirken durch die gesamte Wassersäule hindurch toxisch.

O-Ton 4 Santen

„Und die sind halt teilweise krebserregend wie Benzol, oder sie können eben zu starken Schädigungen der Atemwege führen. Das, was absinkt, richtig auf den Boden...das sind da wirklich die langkettigen Alkane und Schwefelverbindungen. ….und dann gibt es natürlich Substanzen da drin, die auch biochemisch wirken und Organe schädigen können, also den Magen-Darm-Trakt der Lebewesen schädigen können.“

 Sprecherin

Vom Tanker „Exxon Valdez“, der 1989 vor der Küste Alaskas leck schlug, über die Ölpest am Persischen Golf infolge des Golf-Krieges im Jahr 1991 - bis hin zur erwähnten Explosion der Bohrinsel „Deepwater Horizon“: So apokalyptisch die Bilder brennender Bohrtürme oder massenhaft im Öl verendender Vögel auch anmuten – so positiv hören sich später oft die Geschichten einer nahezu vollständigen Erholung der Umwelt an. 

Musik 3 

"Strathcona" - Komponist: Loscil - Album: Strathcona Variations - EP - Länge: 0'42

Sprecherin

Wie kann das sein? Sind hier die sprichwörtlichen Selbstheilungskräfte der Natur am Werk? Sind Ökosysteme per se resilient gegenüber einem Stoff, der seit Abermillionen Jahren auch auf natürliche Weise in die Umwelt gelangt?

Ob und wie sich die Umwelt von einer Ölkatastrophe erholt: Dies hängt von etlichen Faktoren ab, von denen der Mensch – wie Wissenschaftler mittlerweile gelernt haben – einige durchaus beeinflussen kann. Wie man diese Erholung auch bewertet: Es hängt genauso davon ab, wie genau man hinsieht. Und wie weit man den Blick in die Zukunft richtet.  

Zuspielung: Werbung Alaska (Anfang)   

Sprecherin

35 Jahre nach der Exxon-Valdez-Katastrophe wirbt Alaska in Videospots wieder mit unberührter, ursprünglicher Natur - damit, dass Touristen in Fjorden unbeschwert fischen können. 

O-Ton 5 Ron Heintz - Voice Over 

„Wenn du dir heute das Ökosystem anschaust: Sogar im Prince William Sund, der Bucht, in der sich die Ölpest ereignete: Selbst dort wirst du unzählige Seevögel finden - und Wale, die dort ihre Runden drehen.“  

Sprecherin

Ron Heintz erforscht die marinen Ökosysteme Alaskas seit dem Jahr 1980. Der promovierte Fischereiwissenschaftler verweist auf dutzende Studien, die belegen, dass die Umwelt im Prinz-William-Sund über 20 Jahre nach der Ölverseuchung wieder sauber ist. 

O-Ton 6 Heintz - Voice Over

„Als Wissenschaftler würde ich sagen, dass sich die Umwelt in Alaska im Großen und Ganzen ziemlich gut erholt hat. Allerdings mit der Einschränkung, dass es vor der Exxon-Valdez-Unglück keine umfangreiche Bestandsaufnahme gab, keine genauen Zahlen etwa zu Seeottern, Meeressäugern oder Vögeln vorlagen – man also keinen direkten Vergleich hat. Fragt man Menschen, die in Cordova oder Valdez vom Fischfang leben, so werden sie dir erzählen, dass es anders ist. Dass das Ökosystem weniger produktiv ist als vor der Ölpest.“

Sprecherin

Ron Heintz glaubt, einen Grund dafür zu kennen: Ein wichtiges Element in der Nahrungskette der Meeres- und Küstenbewohner fiel dem Forscher zufolge aus: Der Hering. Dessen Populationen seien nach der Exxon-Valdez-Katastrophe vollständig zusammengebrochen – das lässt sich auch ohne genaue Vergleichsdaten zum Vor-Havarie-Zustand sagen. Sie seien also zusammengebrochen und hätten sich seitdem nie mehr erholt. 

O-Ton 7 Heintz - Voice Over

„Gelangt Öl in die Umwelt, wie bei uns in Alaska, so unterbricht es die Beziehungen der Organismen in diesem Ökosystem. Der Hering war ein zentrales Element in diesem Ökosystem, eine wichtiges Beutetier für zahlreiche Arten. Vom Zooplankton über Bären und Rotwild bis hin zu Walen: Sie alle haben den ganzen Fisch, seine Eier, oder seine Larven gefressen. Fällt eine so essenzielle Nahrungsquelle aus, so müssen sich alle Akteure im Ökosystem neu organisieren. Finden sie eine Ersatz-Nahrung, so ist diese dann möglicherweise nicht in der gleichen Fülle vorhanden wie dies etwa beim Hering der Fall war. Das könnte ein Grund dafür sein, warum das Ökosystem als weniger produktiv gilt wie vor der Ölkatastrophe.“    

Sprecherin

Allerdings, dies räumt Heintz ein, gebe es auch Forscher, die bestreiten, dass das Verschwinden des Herings direkt mit der Ölpest zu tun habe. Eindeutig sei die Datenlage dagegen beim pazifischen Buckellachs. 

O-Ton 8 Heintz - Voice Over

„Einige toxische chemische Verbindungen können dort andocken, wo sie einen hohen Gehalt an Fett vorfinden: Etwa in den Eiern der Lachse. In der Folge beobachtete man bei Embryos und bei Jungtieren deformierte Wirbelsäulen und Herzschäden. Auch waren diese Fische kleiner und weniger überlebensfähig. Eine besonders beunruhigende Beobachtung war, dass selbst sehr geringe Konzentrationen dieser toxischen Verbindungen Schäden verursachen können – etwa bei Zooplankton.“    

Sprecherin

Es gebe Hinweise darauf, dass das Öl das Erbgut der Tiere verändern – und so erst Jahre oder Jahrzehnte später seine schädliche Wirkung entfalten könnte, sagt Ron Heintz.

Eine wichtige, vielleicht die wichtigste Lektion, die man aus einer Ölkatastrophe laut Heintz daher lernen kann: 

O-Ton 9 Heintz - Voice Over

„Das Öl darf auf keinen Fall ins Ökosystem der Küsten eindringen: Zu diesem Schluss sind wir durch eine Studie gekommen, bei der wir drei große Ölkatastrophen verglichen haben: die der Exxon Valdez, der Deepwater Horizon, sowie das unbekanntere Unglück des Tankers „Hebei Spirit“, vor der Küste Südkoreas. In Korea hat man unmittelbar reagiert, es war sofort eine Million Freiwilliger da, die Strände vom Öl per Hand gereinigt haben.“

O-Ton 10 Jürgen Rullkötter

„Was man gut machen kann, ist die mechanische Entfernung. Das richtet noch verhältnismäßig wenige Schäden an.“

Sprecherin

...bestätigt Jürgen Rullkötter, emeritierter Leiter des Instituts für Chemie und Biologie des Meeres an der Universität Oldenburg. Bei der Reinigung von Öl an den Stränden könne man jedoch viel falsch machen. 

O-Ton 11 Rullkötter

„Also es wird sowohl mit normalem Wasser, also wahrscheinlich Meerwasser, das man da zur Verfügung hat, aber auch zum Teil mit Heißwasser versucht, das Öl zu bekämpfen...weil es dann beweglicher ist, wenn es um sehr schweres Öl geht. Aber der Nachteil ist, wenn man Heißwasser benutzt: Dann tötet man Organismen. Und das sind diejenigen, die eigentlich das Öl abbauen. Auf jeden Fall drückt man mit beiden Verfahren das Öl in Gesteinsporen oder in Sandflächen tiefer rein - und dann fehlt der Sauerstoff für einen raschen Abbau.“ 

Sprecherin

Rullkötter, Mitglied im internationalen Forschungsbeirat zur wissenschaftlichen Aufarbeitung des Deepwater-Horizon-Unglücks, sagt: Man kann sich im Kampf gegen das Öl die Natur zum Verbündeten machen. Funktioniert habe dies etwa im Fall der „Amoco Cadiz“: der US-Öltanker lief 1978 auf einen Felsen an der Küste der Bretagne und zerbrach in drei Teile. 

O-Ton 12 Rullkötter

„Dort, wo Wind und Wellen ungestört das angetriebene Material bearbeiten konnten, hat sich etwa nach 15 Jahren wieder der frühere Zustand eingestellt. Das waren also Gebiete, wo der Mensch nicht hin konnte, um zu reinigen. Dort, wo das Öl in sandige Gebiete gelangt ist, hat es etwa 20 Jahre gedauert. Und dort, wo der Mensch versucht hat zu reinigen und dann mit Wasser und Chemikalien das Öl tiefer in die sandigen Bereiche oder in Felsenporen hineingedrückt hat und durch die Chemikalien dann auch die Mikroorganismen abgetötet hat, war es nach 30 Jahren noch nicht wieder so, wie es vorher war.“

Musik 4

"Part 6 - 4 Resonating Stones, Voice" - Komponist: Stephan Micus - Album: Music of Stone - Länge: 0'56

Sprecherin

Der Atlantik vor der Bretagne ist sauerstoffreich und relativ warm. Beides beschleunigt biologische Abbauprozesse. Denn im Meer leben Bakterien und andere Mikroorganismen, die einen regelrechten Heißhunger entwickeln können, etwa auf die Kohlenwasserstoffe des mineralischen Öls. Mit Hilfe spezieller Enzyme wandeln Bakterien und Archaeen giftige Erdölbestandteile um in unbedenkliche Fettsäuren. 

Nicht Menschen, sondern solche Mikroorganismen seien verantwortlich dafür, dass auch vom Öl der „Deewater Horizon“ bereits wenige Wochen nach der Katastrophe kaum noch etwas zu sehen war, sagt Gunter Wegener. Der Forscher am Bremer Max-Planck-Institut für marine Mikrobiologie spricht von „Selbstheilungskräften“ der Natur. Der umfängliche Ölabbau im Golf von Mexiko konnte aber nur unter speziellen Bedingungen so schnell vonstatten gehen.  

O-Ton 13 Dr. Gunter Wegener

 „Die Voraussetzung des aeroben Abbaus ist natürlich das Vorhandensein von Sauerstoff. Der Golf von Mexiko ist natürlich ein aerobes Gewässer, in dem es Sauerstoff gibt. Hohe Temperaturen sind gleichzeitig immer positiv. Und da hat der oberflächliche Golf von Mexiko natürlich eine ganze Arbeit geleistet mit Temperaturen über 20 Grad. In diesem Fall hat es sich weit verbreitet innerhalb des Ozeans, das Öl. Und dort konnte es abgebaut werden, auf dem Weg an Land. Ein weiterer Faktor war sicherlich auch die Qualität des Öls. Es war ein sehr gutes Öl, ein leichtes Öl. Und ein leichtes Öl ist auch leicht für Organismen abzuarbeiten. Und ein großer Teil davon wurde dann einfach von Organismen verbraucht.“

Sprecherin

Damit Bakterien, Archäen und Mikroben ihr Wunderwerk verrichten können, brauchen sie also Sauerstoff sowie die relativ warmen Temperaturen an der Meeresoberfläche. Anders sieht das in der kalten, sauerstoffarmen Tiefsee aus. Dort, sagt Wegener, bauten die Mikroorganismen das ausgetretene Erdöl nur in Zeitlupe ab. Am Grund der Ozeane kommen aber manche Spezien von Fauna und Flora übrigens erstaunlich gut mit Öl zurecht. 

O-Ton 14 Dr. Wegener 

„Erdölaustritte sind, interessanterweise, gerade zu Oasen des Lebens geworden. Wenn sich die Natur darauf eingestellt hat dort unten, kann es auch lokal zu sehr interessanten Lebensformen kommen. Röhrenwürmer leben zum Beispiel von dem Sulfit, was die Bakterien herstellen, und es kommt zu sehr interessanten Lebensgemeinschaften dort.“

Sprecherin

Aber, betont der Wissenschaftler Wegener, dies gilt nur für Öl, das auf natürliche Weise und in geringen Mengen aus dem Erdinneren ins Meer strömt. Bis zu zehn Prozent des Öls, das über das gebrochene Bohrloch austrat, legen sich als Schlammteppich über den Meeresboden – so Forscher der University of South Florida. Das heißt: Oberflächlich betrachtet mag sich der Ozean von der großen Ölpest erholt haben. In den Tiefen des Golfs von Mexiko sehe das aber anders aus, sagt der Meeresbiologe Steve Murawski. 

O-Ton 15 Prof. Steve Murawski - Voice Over

„Eine immense Zahl von Schalentieren, von Würmern und anderen Populationen von Tiefseelebewesen wurden getötet oder geschädigt. Vielleicht am meisten Sorgen machen mir die Korallen: Sie wachsen sehr langsam – und haben eine sehr lange Lebensdauer. Sind sie einmal abgestorben, so dauert es viele Jahrzehnte, bis diese sich erholen – wenn überhaupt.“  

Sprecherin

Die verletzlichsten Meereslebewesen sind Murawski zufolge diejenigen, die dem giftigen Öl nicht ausweichen konnten - und können.

O-Ton 16 Murawski - Voice Over

„Korallen natürlich - aber auch Delphine. Da gab es etwa eine Population, die isoliert in einer Bucht von Louisiana lebte, und die dort – ohne den Zustrom „neuer“ Tiere von außen – mit der Ölpest ausstarb. Ohnehin zählen Meeressäuger wie Delphine oder Wale zu den gefährdetsten Arten: Tiere, die geringe Reproduktionsraten und eine lange Lebensdauer haben. “

Musik 5

"Caisson" - Album: Caisson - Single - Komponist: Loscil - Länge: 0'39

Sprecherin  

Die vielleicht erschreckendste Erkenntnis aus einer 2020 veröffentlichten Studie, an der Steve Murawski mitgearbeitet hat: Nahezu jedes der untersuchten Meerestiere war auch zehn Jahre nach der Deepwater-Horizon-Katastrophe noch mit Kohlenwasserstoff, dem wichtigsten Öl-Bestandteil, belastet. Und die meisten Arten haben die Ölpest zwar überlebt. Aber Populationen, besonders diejenigen nahe der Unglücksstelle, sind bis heute kleiner als vor der Katastrophe.

O-Ton 17 Murawski - Voice Over 

„Das liegt daran, dass sich Meereslebewesen – vom einfachen Einzeller bis zum großen Fisch - jede Nacht hunderte Meter auf und ab bewegen. So transportieren sie – wie in einem Aufzug - Ölpartikel vom Boden des Ozeans bis an die Meeresoberfläche. Dort werden diese Meerestiere von anderen Raubfischen wie Schwert- oder Thunfisch gefressen, die damit ebenfalls verseucht werden. Dieses Beispiel zeigt uns als Wissenschaftler, dass wir bei der Bewertung der Folgen einer Ölkatastrophe nicht einzelne Arten betrachten dürfen – sondern, dass wir einen ganzheitlichen Blick brauchen. Einen, der die vielfältigen Beziehungen innerhalb eines Ökosystems berücksichtigt.“

Musik 6

"Watching my armor melt" - Album: Gold Dust - EP - Komponist: Jóhann Jóhannsson - Länge: 0'45

Sprecherin

Das Ausmaß der Katastrophe im Golf von Mexiko führte dazu, dass diese Ölpest bislang am umfangreichsten erforscht wurde – und die Wissenschaft so viele Erkenntnisse wie noch nie zu Tage förderte. Erst in Folge des Deepwater-Horizon-Ölunfalls hätten Wissenschaftler eine umfassende Bestandsaufnahme vorgenommen, wie belastet Fauna und Flora durch Öl genau sei, betont der Forscher Steve Murawski. Seine Kolleginnen und Kollegen führten eine Vergleichsstudie mit einer ähnlichen Katastrophe vor der mexikanischen Küste in den Jahren 1979 und 1980 durch, um vorherzusagen, wie lange der Abbau des ausgelaufenen Öls der „Deepwater Horizon“ dauern würde.

O-Ton 18 Johnson - Voice Over

„Blickt man zurück auf den Wissensstand des Jahres 1989, dem Jahr des Tankerunglücks der „Exxon Valdez“, dann haben wir seitdem eine Menge gelernt“

Sprecher

...so das Fazit von Erik Johnson.

 O-Ton 18 2. Teil Johnson - Voice Over

„Forscher konnten Prognosemodelle dazu entwickeln, wie genau sich Öl durch die Umwelt bewegt, wie es sich in unterschiedlichen Wasserschichten verteilt, wie Mikroorganismen es aufnehmen - und welchen Weg die schädlichen Stoffe durch ein Ökosystem nehmen. Auch Fragen, wie man die Erholung der Natur von einer solchen Ölpest fördern kann, können wir dank dieser Erkenntnisse besser beantworten als vor 35 Jahren.“

Sprecherin

Der heutige Wissensstand lässt sich so zusammenfassen: Gelangt Öl ins Meer, so ist zuerst schnelles Handeln geboten, damit möglichst wenig an giftigen Substanzen an die Küste oder auf den Grund des Meeres gelangt. Durch Ölsperren, Verbrennung vor Ort – oder durch so genannte Dispergatoren. Der Nachteil: Auch diese chemischen Mittel, die Öl in kleine Partikel auflösen und damit dessen natürlichen Abbau beschleunigen, sind meist giftig. Zudem gibt es Hinweise darauf, dass die Chemie natürliche ölabbauende Bakterien ausbremst.

Musik 7

"Strathcona" - Komponist: Loscil - Album: Strathcona Variations - EP - Länge: 1'12

Sprecherin

Hat sich das Öl auf dem Meer oder am Strand bereits ausgebreitet, ist es oft am besten, auf die Selbstreinigungskräfte des Ökosystems zu setzen: Beim Tankerunglück in der Bretagne etwa transportierten Wind und Wellen das Öl auf den Ozean hinaus – wo, wie auch im Golf von Mexiko, Mikroorganismen schädliche Ölbestandteile zersetzten. Diesem natürlichen Abbau sind jedoch Grenzen gesetzt: In kalten oder tieferen Boden- oder Meeresschichten arbeiten ölfressende Bakterien langsam - oder gar nicht. Verklumpt das Öl dann oder setzt es sich im Bodensediment fest, müsste man es mühsam mechanisch entfernen, möglicherweise den ganzen Boden abtragen. Oder darauf vertrauen, dass noch immer giftige Substanzen im Boden gespeichert bleiben - ohne früher oder später doch noch Schaden anzurichten. Ein Problem, das auch dem Forscher Steve Murawski in Bezug auf den Golf von Mexiko Kopfzerbrechen bereitet.

O-Ton 19 Murawski - Voice Over 

„Hier geht es etwa darum, neue Austernbetten anzulegen – oder Marschland. Dabei ist man mit der schwierigen Frage konfrontiert, ob man Marsch neu pflanzen soll, der womöglich auf ölverseuchtem Sediment wächst und dann wieder eingeht – oder ob man auf die sogenannte Natürliche Attenuation setzt: Natürliche Prozesse, bei denen sich Boden und Wasser nach und nach von selber von Schadstoffen reinigen.“

Sprecherin

Von den 20 Milliarden Dollar an Entschädigung, die der Ölkonzern BP für die Schäden durch die Deepwater-Horizon-Havarie zahlen musste, floss viel in die wissenschaftliche Analyse und Aufarbeitung der Ölpest. Ein erheblicher Teil kam aber auch der Wiederherstellung der Umwelt am Golf von Mexiko zu Gute.

O-Ton 20 Murawski - Voice Over

 „Hier hat gerade ein ambitioniertes Groß-Projekt begonnen, um Wasser vom Mississippi abzuzweigen und in die Schwemmgebiete am Golf von Mexiko zu leiten – wo sich Sediment ablagern und damit neues Marschland entstehen kann. Dieses Projekt dient aber nicht nur der Wiederherstellung der Umwelt nach der Deepwater-Horizon-Katastrophe - sondern auch dazu, ökologisch wertvolles Feuchtgebiet zurückzugewinnen, das durch Stürme und Überflutungen in Folge des Klimawandels verloren gegangen ist.“

Sprecherin  

Auch die Naturschutz-Organisation Audubon bekam eine Millionensumme für Projekte zur Wiederansiedlung von Wildvögeln. Deren Naturschutzbiologe Erik Johnson setzt große Hoffnungen in das Renaturierungsprojekt – dem bisher größten in der Geschichte des US-Bundesstaates Louisiana.

O-Ton 21 Johnson - Voice Over

„Zunächst werden im Flachwasser Wassergänse oder Schnepfen einen Lebensraum finden. Wenn sich so mit der Zeit neues Land aufbaut, wird Grasland entstehen, in dem Vögel wie die Tropfenralle oder die Strandammer nisten. Schließlich werden dort Bäume wachsen, eine Waldvegetation entstehen, die ganzen Vogelkolonien eine neue Heimat bietet. Ich bin so optimistisch, weil wir bereits jetzt dank der Renaturierungsprojekte, die mit Hilfe der Strafzahlungen realisiert wurden, Erholung in einem Ausmaß sehen, wie wir sie nie erwartet hätten: Etwa im Vogelschutzgebiet der Insel Queen Bess, wo man wieder große Mengen an Königsseeschwalben findet – und auch den mit der Ölpest zu trauriger Berühmtheit gelangten braunen Pelikan.“  



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