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Erdbeben - Wo sind die Gefahrenzonen?


Erdbeben treten vor allem dort auf, wo Erdplatten aufeinandertreffen. Wenn die Spannung zwischen den Platten zu groß wird, bricht das Gestein ruckartig. Starke Erdbeben können ganze Landstriche verwüsten ? deshalb ist eine sichere Bauweise besonders wichtig. Autorin: Claudia Steiner

Credits
Autorin dieser Folge: Claudia Steiner
Regie: Sabine Kienhöfer
Es sprach: Rahel Comtesse
Technik: Stefan Oberle
Redaktion: Iska Schreglmann 

Im Interview:
Dr. Dirk Becker, Geophysiker am Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam.
Prof. Dr.-Ing. Max Gündel von Wölfel Engineering aus Höchberg,Prof. am Lehrstuhl für Stahlbau und Stahlwasserbau, Universität der Bundeswehr in Hamburg.
Prof. Dr. Charlotte Krawczyk vom Deutschen GeoForschungsZentrum Potsdam

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Das vollständige Manuskript gibt es HIER.

Lesen Sie einen Ausschnitt aus dem Manuskript:

Um kurz nach 4 Uhr in der Früh erschütterte erst eines und kurz darauf ein zweites schweren Beben ein Gebiet westlich der südtürkischen Großstadt Gaziantep…. / 

Die Lage in der Erdbebenregion ist schwer in Worte zu fassen. Zehntausende Wohnungen sind zerstört. Dazu tiefe Temperaturen und Schneefall…. / 

Auf den Philippinen graben sich Helfer durch Trümmer auf der Suche nach Vermissten. Ein Erdbeben der Stärke 6,7 hat den Inselstaat erschüttert… 

Das schwere Erdbeben in Marokko hat großes Leid verursacht. Mehr als 2.100 Todesopfer wurden bisher gezählt. Viele Menschen sind noch unter Trümmern verschüttet. Ihre Bergung ist ein Rennen gegen die Zeit 

O-TON 0 (Englisch mit deutscher Übersetzung, Ausschnitt aus Erdbeben - Schweres Erdbeben in Afghanistan, Erlaubnis von Autor, Peter Hornung, liegt vor) 

When we woke up, everything was shaking… wir hatten solche Angst, unsere ganze Familie hatte Angst 

Musik:  Deserted and destroyed 0‘44

SPRECHERIN

…sagt ein Mann, der 2022 ein starkes Erdbeben in Afghanistan erlebt hat. Es muss ein schreckliches Gefühl sein, wenn sich der Boden unter den Füßen plötzlich bewegt. Je nach Stärke schwingen Lampen hin und her, fallen Bilder und Vasen aus Regalen, stürzen Möbel um, schwappt Wasser aus Swimmingpools, entstehen Risse in Wänden. Im schlimmsten Fall werden Straßen und Brücken zerstört. Der Erdboden reißt auf. Kirchtürme und Minarette stürzen ein. Mehrstöckige Gebäude fallen wie Kartenhäuser in sich zusammen. Starke Erdbeben mit Stärken über acht ereignen sich weltweit im Schnitt einmal pro Jahr, Erdbeben zwischen sieben und acht durchschnittlich 15 mal. Kleinere Beben der Stärke drei bis vier gibt es jährlich schätzungsweise 130.000 mal.

ATMO (Wellen/Tsunami) 

SPRECHERIN

Das schwerste, jemals gemessene Erdbeben wurde 1960 in Chile registriert. Es hatte eine Stärke von 9,5. Das sogenannte "Große Chile-Erdbeben" löste einen Tsunami aus. Tsunamis entstehen, indem sich der Meeresboden plötzlich anhebt oder absenkt, das darüberliegende Wasser wird dadurch in Schwingungen versetzt. Die Riesenwellen wanderten damals Tausende Kilometer über den Pazifik und trafen sogar auf Hawaii, Neuseeland und Japan. 

ATMO (Wellen/Tsunami)

SPRECHERIN

Manchmal bebt die Erde plötzlich, manchmal grummelt es im Untergrund schon länger und es gibt Vorläufer, sagt Professorin Charlotte Krawczyk (sprich: Kraftschick) vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam: 

O-TON 1 

Bei diesem monströsen Chile-Erdbeben, da waren die Vorläufer so groß, dass man dachte, das sind schon die großen Beben. Und dann kam das richtig große Beben sogar noch hinterher.

ATMO (Riesenwelle) 

SPRECHERIN

In Chile kamen Schätzungen zufolge mehrere Tausend Menschen ums Leben. Ein ähnlich großes Beben in einer dicht besiedelten Region hätte deutlich mehr Opfer zur Folge gehabt – so wie in Indonesien im Jahr 2004. Das Seebeben vor der Nordwestküste Sumatras hatte eine Stärke von 9,1 und verursachte ebenfalls einen Tsunami. Die zerstörerischen Riesenwellen überschwemmten Küstenregionen unter anderem in Indonesien, Indien, Malaysia, Sri Lanka und Thailand. Mehr als 220.000 Menschen starben.

MUSIK:  Unexpected signals 0‘50 

SPRECHERIN

Die Skala zur Messung von Erdbeben funktioniert nicht linear, sondern exponentiell. Das bedeutet: Der Unterschied von einer Magnitude zur anderen ist immens. Ein Beben der Stärke 7 ist zum Beispiel zehnmal so stark wie ein Beben der Stärke 6 und 100 Mal so stark wie ein Beben der Stärke 5. Ab Stärke 5 gibt es in der Regel Schäden. 

SPRECHERIN

Doch warum bebt die Erde überhaupt? Erdbeben treten vor allem dort auf, wo Erdplatten aufeinandertreffen. Wenn die Spannung zwischen den Platten zu groß wird, bricht das Gestein ruckartig, erklärt Dirk Becker, Geophysiker am GeoforschungsZentrum Potsdam. 

O-TON 2 

Man muss sich das so ein bisschen vorstellen, so wie Eisschollen auf dem See oder auf dem Meer. Und die ganze Erdoberfläche besteht aus einzelnen Schollen, und die verschieben sich gegeneinander. Und diese Verschiebung gegeneinander baut dann Spannung auf, weil sich die Platten untereinander verhaken. Und dieses Verhaken sorgt dann irgendwann dafür, dass es zu einem impulsartigen Freisetzen dieser Spannung kommt, im Prinzip dann zu einem sogenannten Bruch-Prozess. 

Musik:  Hard decisions 0‘40

Atmo Erdbeben

SPRECHERIN

Besonders häufig gibt es See- und Erdbeben, aber auch Vulkanausbrüche entlang des 40.000 Kilometer langen Pazifischen Feuerrings, der den Pazifik von drei Seiten umrahmt. Auslöser für die zahlreichen Beben sind häufig Subduktionszonen. Das heißt: Dort treffen zwei tektonische Platten aufeinander und die Ozeanische Platte taucht unter die Kontinentalkruste ab. Grundsätzlich können sich Platten aneinander vorbei- oder auch übereinander schieben. Charlotte Krawczyk: 

O-TON 3 

Die Platten bewegen sich so im Millimeter- bis Zentimeterbereich pro Jahr. Das hört sich erst einmal recht wenig an. Wenn ich jetzt aber mal zum Beispiel das, was ja auch ein noch sehr präsentes Beispiel ist, an das Erdbeben in der Türkei (…) in 2023 denke, da bewegen sich die Platten mit etwa (…) zwei Zentimeter pro Jahr aneinander vorbei. (…) Wenn man das jetzt übertragen wollen, auf irgendetwas, was wir als Menschen besser einschätzen können. Stellen Sie sich einfach vor: Das ist ungefähr so schnell wie ihre Fingernägel wachsen. 

Musik: Secret proofs 0‘38

SPRECHERIN

In der Türkei treffen die anatolische, die eurasische, die arabische und die ägäische Platte aufeinander. In Kalifornien reiben sich die amerikanische und die pazifische Platte. In Japan sorgen die pazifische, die philippinische und die eurasische Platte immer wieder für Erschütterungen. Istanbul, San Francisco und Tokio gehören damit zu den stark gefährdeten Großstädten.  Dirk Becker forscht zu den Verwerfungslinien, also den tektonischen Bruchstellen, rund um Istanbul. 

O-TON 4 

Für den Großraum Istanbul nimmt man zum Beispiel an, dass die Wiederkehrrate eines so starken Erdbebens, wie es das letzte war in dem Gebiet, das der ungefähr bei 250 Jahren liegt. Also im Mittel kann man sagen, dass alle 250 Jahre dort ein Erdbeben auftreten wird, was zerstörerisch für die Metropolregion Istanbul ist. Aber man kann halt nicht sagen, ob das jetzt innerhalb der nächsten 20 Jahre stattfindet oder ob es innerhalb der nächsten 80 Jahre stattfindet, weil es natürlich eine gewisse Unsicherheit, eine gewisse Varianz gibt. Was man weiß, ist, dass es irgendwann stattfinden wird. Und das letzte ist schon relativ lange her, das ist halt über 250 Jahre her.

SPRECHERIN

In der Stadt am Bosporus wird die Platte an der nordanatolischen Verwerfungszone brechen, so viel steht fest. Die Frage ist, wann, wie stark und wo genau der Bruch stattfinden wird. Dirk Becker: 

O-TON 5 

Die interessante Frage für Istanbul ist zum Beispiel, wo der Bruch seinen Ausgang nimmt, weil es für Istanbul durchaus von Interesse sein kann, ob es direkt südlich von Istanbul ist und dann nach Westen läuft. Oder ob es weiter im Westen seinen Ausgang nimmt und dann auf Istanbul zuläuft, weil das halt für die seismische Gefährdung von Istanbul durchaus sehr, sehr unterschiedlich sein kann. Die schlimmere Version wäre wahrscheinlich, dass es im Westen seinen Ausgang nimmt und dann auf Istanbul zuläuft, weil sich dann halt im Prinzip die Erdbebenwellen so ein bisschen aufbauen würden. So wie man das davon kennt, wenn man zum Beispiel einen Krankenwagen hat, der auf einen zufährt. Dann hört man ja zuerst die höheren Frequenzen. Und dann, wenn es wegfahren würde, dann würde man die tieferen Frequenzen hören. Und so einen ähnlichen Effekt sieht man auch bei Erdbeben: Wenn sich der Bruch in eine Richtung ausbreitet und in die Richtung, in die es sich ausbreitet, in der sind dann in der Regel die Beben-Amplituden (…) deutlich höher als in die entgegengesetzte Richtung.

Musik:  Meandering (reduced) 0‘42

SPRECHERIN

Die Menschen in Istanbul, die schon 1999 die Ausläufer des Izmit- -Erdbebens (sprich: Ismitt, Stimmhaftes S, Betonung auf erster Silbe) der Stärke 7,6 zu spüren bekommen haben, achten inzwischen auf die Lage ihrer Wohnung. In manchen Vierteln – zum Beispiel in Richtung Schwarzes Meer – ist der Untergrund aus Granit und damit recht stabil. In anderen Stadtteilen wie in der Nähe des Marmarameeres ist der Boden dagegen sandig und feucht. Hier kann es zu einer Verstärkung der Bodenbewegung kommen oder sogar zu einer sogenannten Bodenverflüssigung. Das passiert, wenn sich Wasser unter dem Druck der Erdbebenwellen zwischen die Sandkörner schiebt. Die einzelnen Körner verlieren den Kontakt, der Reibungswiderstand sinkt, der Boden wird zu Brei. Gebäude, die auf so einem Untergrund gebaut sind, können einsinken oder zur Seite kippen. Dass Stein oder Sand einen Unterschied bei der Auswirkung von Erdbebenwellen machen, konnte man auch 2004 in Indonesien beobachten, sagt Charlotte Krawczyk: 

O-TON 6 

Zum Beispiel konnte man gut auch in Sumatra sehen (…), dass besonders in dem Bereich von Banda Aceh sehr viel Zerstörung stattgefunden hat. Und das lag unter anderem mit daran, dass ganz viele Gebäude auf einem sandigen Bereich gestanden haben. Die Gebäude, die auf Felsen und Festgestein gestanden haben, da war weniger Schaden und vor allen Dingen auch weniger Verlust von Menschenleben zu verzeichnen. 

SPRECHERIN

Auch bei dem Erdbeben der Stärke 6,2 im neuseeländischen Christchurch im Jahr 2011 kam es zu einer Bodenverflüssigung. Straßen und Gehwege brachen ein, Häuser versanken und aus dem Boden trat tonnenweise Schlamm an die Oberfläche. 

MUSIK: Sad and heavy (reduziert) 0‘21

SPRECHERIN

Nach großen Erdbeben dauert es oft Wochen, manchmal auch Monate, bis sich die Erde wieder beruhigt. Charlotte Krawczyk: 

O-TON 7 

Die Nachbeben sind eine Art von (…) weiterer Energieentladung, weil nicht alles bei dem großen Impuls frei geworden ist. Und so habe ich dann eine Serie von Nachbeben, wo das ganze System noch nicht in Ruhe ist, sondern sozusagen nachschwingt. Also stellen Sie sich vor, es ist ein elastisches Verhalten wie ein Gummiband oder eine Feder. Das sind so die Analoge, die wir dafür oft benutzen. Wenn ich die einmal auslenke und flitschen lasse, ist es ja auch nicht sofort das Gummiband wieder nur an seiner Stelle, sondern es bewegt sich ja auch noch so ein bisschen hin und her. 

SPRECHERIN

Oft werden noch Hunderte Nachbeben registriert, die mit zunehmender Dauer meist schwächer werden. Nicht nur die Stärke, auch die Tiefe von Erdbeben spielt eine große Rolle, erklärt Charlotte Krawczyk: 

O-TON 8 

Eine Welle breitet sich (…) im Idealfall kugelförmig in alle Richtungen aus. Das heißt: Auch wenn ein Beben in 50 Kilometer Tiefe geschieht, wird irgendwann an der Oberfläche ein Signal davon ankommen. Wenn ich jetzt ein Beben in 300 Kilometer Tiefe hab‘, meinetwegen Magnitude vier, das werden wir es kaum merken. Ist aber ein Beben der Magnitude vier in nur zehn Kilometer Tiefe und ganz nah unter uns, dann werden wir diese Auswirkungen viel stärker spüren, weil wir halt viel dichter an diesem Energiezentrum noch dran sind und die Wellen sich noch nicht sozusagen auf ihrem langen Laufweg durch die Erde (…), hat sie noch keine Energie verloren.

MUSIK: Morbid thought 0‘59

SPRECHERIN

Auch in Deutschland bebt die Erde manchmal, doch die Erdbebengefahr ist relativ gering: Dennoch kommt es vor allem im Rheingebiet, auf der Schwäbischen Alb sowie in Ostthüringen und Westsachsen immer wieder zu Erschütterungen. Eines der stärksten Erdbeben der jüngeren Vergangenheit ereignete sich nach Angaben des GEOFON-Netzwerkes des GeoForschungsZentrums 1992 im deutsch-niederländischen Grenzgebiet. Es hatte eine Stärke von 5,9. Das Epizentrum, also der Erdbebenherd, lag vier Kilometer südwestlich von Roermond in den Niederlanden. 

SPRECHERIN

Trotz wissenschaftlicher Fortschritte ist es bis heute nicht möglich, den genauen Zeitpunkt eines Erdbebens vorherzusagen. Forscher können nur sagen, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Erdbeben in einer Region auftritt. Dirk Becker:  

O-TON 9 

Erdbeben vorherzusagen, ist natürlich der Heilige Gral der Seismologie und der Wissenschaft. Aber die Problematik ist die: Erstens kann man nicht so schön reingucken in den Ort, wo das Erdbeben entsteht, wie man es zum Beispiel beim Wetter machen kann. Man kann sich vorstellen: das Erdbeben nimmt seinen Ursprung in einer Tiefe von zehn, 15 Kilometern. Und da sind wir dann halt auch - wenn wir gut sind, auch immer noch zehn, 15 Kilometer mit unseren nächsten Messinstrumenten entfernt. Das heißt, wir wissen eigentlich gar nicht genau, was da vor sich geht an dem Ort, wo das Erdbeben seinen Ausgang nimmt. (…) Das andere Problem ist, dass es von diesen ganz, ganz großen Erdbeben, die man hat, die halt zerstörerisch sind, dass man da in der Geschichte auch relativ wenig Aufzeichnungen hat. Es ist nicht so, wie wenn man sich zum Beispiel Sturmsysteme anguckt, wo man in Norddeutschland den Effekt hat, dass alle sechs, sieben, acht Tage immer wieder ein Sturmsystem aus Westen vorbeikommt, sondern bei diesen ganz großen Erdbeben ist es so, dass die alle hundert Jahre teilweise nur stattfindenden in einigen Gebieten. Das heißt wir haben in vielen Gebieten eine oder teilweise auch gar keine instrumentelle Aufzeichnung von einem ganz großen Erdbeben. 

Musik:  Obscure intrigue 0‘45

SPRECHERIN

Zudem haben große Erdbeben ihre eigenen Charakteristika und unterscheiden sich oft deutlich voneinander. All das zusammen macht eine präzise Vorhersage unmöglich. Gerade deshalb ist in gefährdeten Gebieten eine erdbebensichere Bauweise wichtig. Ein typischer Spruch von Erdbeben-Ingenieuren lautet: Earthquakes don’t kill people, buildings do, also: nicht Erdbeben, sondern Gebäude töten Menschen. Ausnahmen sind Opfer durch Tsunamis und durch Hangrutsche oder Felsstürze in bergigen Regionen. Professor Max Gündel von Wölfel Engineering aus Höchberg lehrt an der Universität der Bundeswehr in Hamburg am Lehrstuhl für Stahlbau und Stahlwasserbau. 

O-TON 10 

Stellen Sie sich vor: Ein starkes Erdbeben erwischt sie in Neuseeland, und sie stehen auf einer grünen Wiese. Sie werden vielleicht schwanken, sie werden vielleicht auch umkippen, aber sie werden definitiv keine Verletzungen davonziehen. Wenn sie aber in einem Gebäude stehen, was schlecht gebaut ist oder das Erdbeben nicht aushält, dann kann das Gebäude einstürzen. Und dann können sie verletzt oder getötet werden.

SPRECHERIN

Gebäude können verstärkt werden, zum Beispiel indem zusätzliche Wände eingezogen werden. Zudem können Materialien verwendet werden, die gut verformbar sind, sagt Max Gündel.  

O-TON 11 

Ein Erdbeben bringt eine Energie in das Gebäude, was das Gebäude zum Schwingen anregt, und diese Energie muss irgendwie weg. Wenn diese Energie durch (…) plastische Verformung dissipiert wird, also in eine andere Energie umgewandelt wird, was für das Gebäude wieder weniger schädlich ist, dann hilft es dem Gebäude. Und ein großes Verformungsvermögen haben Gebäude, die verformungsfähige Materialien haben. Das kann Stahl sein, das kann ein Stahlbetongebäude sein (…) Also vergleichen Sie vielleicht mal die Büroklammer. Die können sie stark plastisch verformen. Die können sie hin und her biegen und sie bricht nicht. Wenn sie ein Stück Kreide haben, um sie das hin und her biegen wollen, dann bricht es durch.  

SPRECHERIN

Manchmal reichen diese Maßnahmen nicht aus, dann gibt es die Methode der seismischen Isolierung. Sie ist allerdings sehr aufwändig, sagt Max Gündel. 

O-TON 12 

Das heißt, wir entkoppeln das Gebäude vom Boden zum Beispiel (…) durch Elemente, die ein leichtes (…) horizontales hin- und hergleiten des Gebäudes ermöglichen. Was passiert? (…) Die Erde schwingt hin und her, und das Gebäude bleibt quasi an der gleichen Stelle, weil wir dazwischen Elemente haben, die es ermöglichen, dass die Erde hin und her schwingt, ohne das Gebäude mitnimmt. 

Musik: Eartquake 0‘42

SPRECHERIN

Bei Hochhäusern kommen Schockabsorber, Gleitpendel- oder Gummilager zum Einsatz. Die Gebäude werden zudem durch tief verankerte, flexible Fundamente und robuste Stahlskelette erdbebensicher gemacht. Beispiel „Taipeh 101“: Der über 500 Meter hohe Turm in der Hauptstadt von Taiwan hat viele Stahlstützen und tief verankerte Pfähle, aber auch eine 660 Tonnen schwere Kugel, die in den oberen Stockwerken aufgehängt ist, erklärt Max Gündel.

O-TON 13 

Das ist tatsächlich ein Hochhaus, wo ein großes Pendel eingebaut worden ist, was auch gegen Erdbeben wirken soll. Im Wesentlichen wird es aber gegen Schwingungen von Wind genutzt. Was ist da die Idee? (…) Wenn wir auf dem Gebäude einen Schwinger, zum Beispiel ein Pendel installieren, was ungefähr die gleiche Eigenperiode hat wie das Gebäude selbst, dann schwingt statt dem Gebäude stärker dieses Pendel hin und her, und die Energie von Gebäude wird quasi an das Pendel abgegeben. Das heißt, das Pendel schwingt stark beim Erdbeben hin und her. Das Gebäude wird dadurch beruhigt. 

 MUSIK: Rivalry fight 0‘39 

Atmo Erdbeben

SPRECHERIN

Auch das richtige Verhalten bei Erdbeben kann dazu beitragen, die Zahl der Opfer zu reduzieren. So sollten Bewohner nicht in Panik auf die Straße rennen, weil sie dort von herabfallenden Gegenständen verletzt werden können. Besser ist es, sich von Fenstern, die bersten könnten, zu entfernen und sich zum Beispiel unter einen Türrahmen zu setzen. In Erdbeben-gefährdeten Regionen wird dieses Verhalten regelmäßig geübt, ebenso das richtige Verhalten bei Tsunamis, sagt die Geophysikerin Charlotte Krawczyk vom Deutschen GeoForschungsZentrum in Potsdam. 

O-TON 14 

Da wird trainiert, dass man zum Beispiel alles stehen und liegen lässt, geregelt aus dem Gebäude geht, aber dann bergauf rennt. Also so, dass die Welle, die dann an Land läuft, dass man möglichst nicht von der ersten starken Wucht direkt unten an der Küstenlinie getroffen wird, sondern vielleicht nur den ausrollenden Ausläufer, der dann bergauf ja auch sich abschwächt, maximal abkriegt. (…) Wenn die Sirene angeht, dann weiß da jedes Kind. Das ist jetzt die Erdbeben- und Tsunami-Warnung. Jacke anziehen, raus und bergauf rennen.

Musik:  Transition process 0‘49

SPRECHERIN

In Japan – wo pro Jahr im Schnitt 1.500 spürbare Erdbeben registriert werden - gibt es ein Erdbebenfrühwarn-System. ATMO (Sirene, Handy-Piepsen) 

Dieses schickt unmittelbar nach den Erdstößen Warnungen aufs Handy. Allerdings beträgt die Vorlaufzeit – je nach Entfernung zum Epizentrum – nur wenige Sekunden. Doch diese kurze Zeit reicht in der Regel aus, um den Hochgeschwindigkeitszug Shinkansen automatisch zu bremsen oder auch Gasleitungen abzusperren. So oder so, selbst mit einer Warnung wie sie derzeit in Japan praktiziert wird, bleibt Menschen in Gebäuden kaum Zeit, um angemessen zu reagieren, sagt Dirk Becker. 

O-TON 15 

Man muss sich das mal vorstellen. Man befindet sich irgendwo im Haus, im fünften Stock. Und jetzt weiß man, dass in fünf Sekunden eine starke Erdbebenwelle kommen wird. Da kann man das Haus nicht mehr verlassen. Das Einzige, was man noch machen kann, ist, man kann sich da unter den Türrahmen stellen, sich von den Fenstern entfernen und unter einen Tisch gehen. Das sind die Möglichkeiten, die man noch hat. 

SPRECHERIN

Noch ist die Vorhersage nicht möglich, doch KI, also Künstliche Intelligenz könnte künftig Seismologen helfen, Erdbeben besser zu verstehen. Dafür werden große Datensätze ausgewertet, sagt Dirk Becker. 

O-Ton 16 neu

…dass man sich teilweise anguckt: Was ist in den Daten eigentlich drin, bevor man große Erdbeben sieht. Und das sieht man als Mensch, wenn man so raufguckt, nicht. Aber wenn man zum Beispiel seinen Computer trainiert, mit (…) ganz, ganz vielen Datensätzen von vielen, großen, vergangenen Erdbeben, dann ist der teilweise halt in der Lage, irgendwelche Muster darin zu erkennen, die man selbst übersehen hat und die einem dann möglicherweise ein Vorläufer Phänomen für ein so großes Erdbeben liefern könnte.

Musik: Constant fear red 0‘29

SPRECHERIN

Bis dahin können Menschen in gefährdeten Regionen nur erdbebensicher bauen und das Verhalten bei einem Beben immer wieder trainieren, denn noch wissen Seismologen nur, ob und nicht wann, wo genau und wie stark ein Erdbeben zu erwarten ist. 

 


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